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Anspruch und Wirklichkeit

Peter Ditzel

Die Frage begleitet den Apothekerberuf, seit es ihn gibt: Ist der Apotheker eher Kaufmann oder eher Heilberuf? Natürlich beides, aber was überwiegt? Und: wie lässt sich beides miteinander in Einklang bringen? Wie sehen sich die Berufsangehörigen eigentlich selbst? Wie sieht es die Berufsvertretung?

Vor wenigen Jahren gab die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände die Losung aus: "Die Zukunft der Apotheke wird pharmazeutisch entschieden." Will heißen: Unsere Berufsvertretung marschiert offiziell in Richtung Heilberuf. Eine anderslautende Ausrichtung wurde bisher nicht verfolgt, mir ist jedenfalls keine bekannt. Also: Die pharmazeutische Kompetenz, die Beratung der Kunden und Patienten sollte im Mittelpunkt der apothekerlichen Tätigkeit stehen. Die heilberufliche Komponente soll den Apothekerberuf in die Zukunft tragen und sein Überleben in der Zukunft sichern – so lässt sich die Richtung der Berufsvertretung kurz gefasst ausdrücken. Freilich, das soll nicht bedeuten, dass der Apotheker seine Rolle als Kaufmann vernachlässigt. Die kaufmännische Seite des Apothekerberufs ist notwendig, denn irgendwoher muss das Geld kommen, um eine Apotheke zu betreiben und die Gehälter zu bezahlen. Aber wenn der Heilberuf im Mittelpunkt steht, dann sollten die Anstrengungen des Apothekers nicht darauf ausgerichtet sein, den letzten Rabatt herauszuholen, die größte Werbeanzeige zu schalten und den günstigsten Preis für seine Arzneimittel anzubieten. Allenfalls über eine Ausweitung von bezahlten apothekerlichen Dienstleistungen (Stichwort Leika) wird ein Ausbau der merkantilen Seite für gut geheißen.

Welches Bild zeigt sich bei den Berufsangehörigen? Wird die offizielle Richtung, dass die Zukunft pharmazeutisch entschieden wird, von den Apothekerinnen und Apothekern mehrheitlich geteilt? Eine Untersuchung zu dieser Frage gibt es nicht. Und ein Blick in die Praxis zeigt, dass sich viele Apotheken nach Inkrafttreten des AMNOG darum Gedanken machen müssen, wie sie überleben, wie sie ihre Kostenbelastung schultern können – also: sich müssen sich mit der kaufmännischen Seite befassen. Hinzu kommt, dass das Bild der Apotheke in der Öffentlichkeit mehr und mehr durch den Wettbewerb – zum Teil von der Regierung aufgezwungen durch die OTC-Preisfreigabe und den Versandhandel – geprägt wird. Ganzseitige Werbeanzeigen von Apotheken, Boni, Taler und Rabatte, Happy Hour und Zugaben – der Kaufmann in der Apotheke ist stark präsent. Wird der Apotheker durch die politischen Entwicklungen geradezu dazu genötigt, seine Kaufmannsrolle zu verstärken? In unserer letzten Montagsausgabe vorgestellte Zahlen zeigen: Allein die nach der Arzneimittelpreisverordnung erwirtschafteten Roherträge reichen schon seit einigen Jahren nicht mehr aus, um eine Apotheke am Leben zu erhalten. Nur mithilfe von Einkaufsvorteilen (Rabatten), den Erträgen aus dem PKV- und OTC-Geschäft konnte ein positives Ergebnis erreicht werden. Kann man es Apotheken verdenken, wenn sie verstärkt kaufmännisch denken? Zwingen nicht die politischen Einschnitte und notwendige Einsparungen im Gesundheitswesen dazu? Sollen die Apotheker sogar für eine Erweiterung des Sortiments an Waren und Dienstleistungen jenseits der Arzneimittel eintreten, wie unlängst von einem Verbandsvorsitzenden gefordert?

Und wie sehen Politik und Gesellschaft die Zukunft der Apotheke? Wollen sie die heilberuflichen Kompetenzen des Apothekers verstärkt wissen? Wollen sie eine pharmazeutische Zukunft für "ihren" Apotheker? Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Selbst wenn wir uns an die politischen Bekenntnisse zum Heilberuf Apotheker, zur viel beschworenen flächendeckenden Versorgung durch die soziale Drehscheibe Apotheke erinnern – können wir der Politik noch vertrauen? Wie war das noch mal mit der politischen Absicht, die Pick-up-Stellen zu verbieten und die Apothekenfunktion zu stärken? Und wo sind die Ansätze und Bemühungen der Politik, den pharmazeutischen Sachverstand des Heilberuflers Apotheker im Gesundheitssystem stärker zu nutzen? Stattdessen wird der Apotheker geradezu missbraucht, peinlichst genau ein bürokratisches Monster von Rabattverträgen, Packungsgrößenverordnung und Mehrkostenregelung zugunsten der Krankenkassen zu bedienen.

Wie groß muss die Kluft zwischen unserem Anspruch an den Heilberuf Apotheker und der Wirklichkeit des Kaufmanns Apotheker noch werden, um zu sehen, dass es höchste Zeit ist für eine eindeutige Ausrichtung des Apothekers? Welchen Apotheker wollen Politik und Gesellschaft, welchen Apotheker wollen wir? Wo werden wir am Ende dieses Jahrzehnts stehen? Die Diskussion ist eröffnet.


Peter Ditzel



DAZ 2011, Nr. 3, S. 3

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