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Feuilleton
Tiere im Museum
"Die Natur arbeitet nach einerley Regeln und Grundsätzen; sie ist freygiebig aber nicht verschwenderisch; sie ist ordentlich und doch nicht eigensinnig, sondern weiß zur rechten Zeit Ausnahmen zu machen", stellte Carl von Linné (1707 – 1778) 1735 in seinem "Systema Naturae" fest. Der schwedische Wissenschaftler hatte erkannt, dass die Natur "in allen Dingen ihrer Verrichtungen einen besonderen Zweck" hat, nach dem sie die "Creaturen bildet", und dass die jeweilige "Bildung" anzeigt, wozu die Natur "jedes Meisterstück verfertigt".
Außenskelett …
Eines dieser "Meisterstücke" ist das Außen- oder Exoskelett, mit dem die meisten wirbellosen Tiere ausgestattet sind. Seit mehr als 350 Millionen Jahren werden Insekten, Spinnen, Krebse und andere Wirbellose durch eine feste, wasserundurchlässige Hülle aus Chitin geschützt. Der starre "Panzer" hat aber nicht nur Vorteile: Weil er nicht mitwächst, müssen die Tiere regelmäßig "aus der Haut fahren". Auch begrenzt die schwere Hülle die Entwicklungsmöglichkeiten hinsichtlich der Größe. Eine Ausnahme bildet die Japanische Riesenkrabbe (Macrocheira kaempferi), die mit ausgestreckten Beinen eine Länge von 3,70 m erreichen kann, wobei der Körperdurchmesser allerdings nur ein Zehntel davon beträgt.
… oder Innenskelett
Erst mit der "Erfindung" des Innenskeletts aus mitwachsenden Knochen konnten sich auch größere Tiere entwickeln. Der Blauwal kann mehr als 30 m lang werden und ein Gewicht von 200 Tonnen erreichen. Damit ist er seit Urzeiten das größte und schwerste Tier auf der Erde.
Es gibt indessen auch einige Wirbellose, bei denen die Natur im Sinne von Linné "zur rechten Zeit eine Ausnahme machte": So sind Schwämme, Seesterne und Seeigel der Regel zum Trotz mit einem Innenskelett aus Kalk oder Kiesel ausgestattet; das bekannteste Beispiel ist wohl der Tintenfisch (Sepia) mit seinem Schulp.
Andererseits gibt es Wirbeltiere, die zusätzlich zu ihrem Innenskelett noch einen mehr oder weniger starren Panzer besitzen, der sie vor Verletzungen oder Zugriffen durch Feinde schützt. Die bekanntesten Vertreter unter diesen Außenseitern sind Krokodile und Schildkröten, deren Hornschuppen durch feste Knochenplatten unter der Haut sogar noch verstärkt werden. Schuppen- und Gürteltiere zählen zu den wenigen Säugetieren, die mit einem Hornschuppenpanzer ausgestattet sind.
Die Welt der Katzen
Ein Saal im Museum ist den Katzen im weiteren Sinne (Felidae) gewidmet. Alfred Edmund Brehm (1829 – 1884) meinte, dass "Katzen nicht bloß die vollendetsten Raubtiergestalten, sondern, mit alleiniger Ausnahme des Menschen, die vollendetsten Tiere überhaupt" sind. Ursprünglich aus Asien stammend, haben sie sich in vorgeschichtlicher Zeit mit Ausnahme von Australien und den Südseeinseln in allen Regionen der Erde verbreitet. Die meisten Arten sind nachts jagende Einzelgänger, ansonsten haben sie im Laufe der Evolution viele spezifische Fähigkeiten und Merkmale ausgebildet.
Der Leopard, eine der sieben Großkatzen, hat das größte Verbreitungsgebiet: vom tropischen und subtropischen Afrika über Indien bis Südostasien. Eine auffällige Mutation ist der schwarze Panther, dessen Fellfarbe aus der übermäßigen Einlagerung von Melanin (rötliche, braune oder schwarze Pigmente) resultiert. Bei Streiflicht sind die Leopardenflecken im Fell noch deutlich erkennbar. Weil sich diese Laune der Natur offenbar nicht nachteilig auswirkt, wird die schwarze Färbung weitervererbt.
Das Fell des Jaguars – nach Löwe und Tiger die drittgrößte Katze der Welt – zeichnet sich durch tarnende Ringflecken aus. Der Puma oder Silberlöwe ist aufgrund seiner guten Anpassungsfähigkeit von Patagonien bis Kanada verbreitet. Naturschutzprojekten ist es zu verdanken, dass in einigen Wäldern Mitteleuropas wieder Luchse und Wildkatzen leben.
Mit der Taxonomie der Felidae taten sich die Zoologen bis in die jüngste Vergangenheit schwer. Zählten einige nur 33 Arten, so unterteilten andere die Familie in mehr als 80 Spezies. Erst 2005 wurden die Verwandtschaftsbeziehungen durch die Analyse des Erbguts aller lebenden Spezies geklärt. Demnach existieren heute 37 Arten, wobei die Hauskatze eine eigene Spezies bildet.
Flügel, Beine, Arme, Flossen
Die Erkenntnis Charles Darwins (1809 – 1882), dass "die ähnliche Bildung der Gliedmaßen bei den Wirbeltieren sofort verständlich ist, wenn wir ihre Abstammung von einem gemeinsamen Urerzeuger und gleichzeitig ihre spätere Anpassung an verschieden gewordene Bedingungen annehmen", wird an mehreren Skeletten veranschaulicht. Der "Bausatz" der Gliedmaßen, bestehend aus dem Oberarm, dem aus Elle und Speiche gebildeten Unterarm, der Handwurzel, der Mittelhand und fünf Fingern, führte zu den unterschiedlichsten Formen, die den Umweltbedingungen und Lebensgewohnheiten der jeweiligen Tiere angepasst sind.
Die meisten Wirbeltiere gebrauchen zum Fortbewegen alle vier Extremitäten. Bei anderen wiederum (Hasen, Kängurus und Frösche) sind die Hinterbeine als kräftige "Sprungfedern" ausgebildet. Viele Reptilien leben auf nachgiebigen Böden wie Sand oder Schlamm. Deswegen bewegen sie sich – wie schon der Name sagt – kriechend (lat. "reptilis") fort. Ein kriechender Vertreter der Säugetiere ist der Maulwurf.
Die im Wasser lebenden Tiere haben verschiedene Schwimm- und Tauchtechniken herausgebildet, um möglichst effektiv Nahrung suchen oder aber Feinden entkommen zu können. Zwischen den Zehen von Enten, Gänsen und anderen Wasservögeln befinden sich Schwimmhäute, die wie Schwimmflossen wirken. Auch der Biber besitzt Schwimmhäute. Darüber hinaus minimiert er durch seine spindelförmige Gestalt den Reibungswiderstand im Wasser. Der breite platte Schwanz dient ihm als Ruder.
Vögel und Fledermäuse haben mithilfe unterschiedlicher Flugtechniken wie Segel-, Ruder- und Rüttelflug den Luftraum erobert. Einige Vogelarten wie Papageien und Greifvögel fangen ihre Beute mit ihren Füßen.
Geckos sind nur ein Beispiel für Tiere, an deren Füßen sich winzige Haftpolster befinden, mit denen sie sich an vertikalen Flächen "festsaugen" können.
Dass der Mensch von der Natur viel lernen kann ("Bionik"), belegt ein 2009 von einem Forscher- und Ingenieurteam der Universität Jena und der TU Ilmenau entwickelter Kletterroboter. Wie eine Ratte kann sich "RatNic" mit spitzen Krallen in unebene Oberflächen einhaken und senkrechte Rohre und Kabelschächte inspizieren.
Ausgestorben oder vom Aussterben bedroht
Den Entdeckungsreisen und den extremen Lebensbedingungen in der Antarktis ist ein Saal gewidmet, den Robben, Pinguine und andere Tierarten aus dem ewigen Eis der südlichen Hemisphäre "bevölkern".
Die Bedrohung und das Aussterben zahlloser Tier- und Pflanzenarten werden in einem weiteren Saal thematisiert. Schon Brehm beklagte, dass in Australien der Beutelwolf – das größte fleischfressende Beuteltier, das in geschichtlicher Zeit gelebt hat – erbittert verfolgt wird. Die letzte Population hat der "Tiervater" 1877 im Inneren Tasmaniens beobachtet. Doch schon 1936 starb der letzte bekannte Beutelwolf in einem Zoo. Damit teilt diese Spezies ihr Schicksal mit 89 Vogel- und 103 Säugetierarten, die seit dem 16. Jahrhundert von der Erde verschwunden sind – von Präparaten in Sammlungen und Museen abgesehen.
Heute ist die Zerstörung oder zumindest die Einengung von Biotopen die häufigste Ursache für den Rückgang von Tier- und Pflanzenarten. Ein Beispiel ist der neuseeländische Eulenpapagei, der nur alle zwei Jahre in einer ungeschützten Erdhöhle Nachwuchs aufzieht. Die für die Fleischgewinnung eingeführten Hirsche zerstören seine Gelege, sodass er mittlerweile akut vom Aussterben bedroht ist.
Nahrungsspezialisten und Allesfresser
Sehr unterschiedlich sind die Ernährungsgewohnheiten der Tiere. Viele haben sich auf eine einzige Nahrungsart spezialisiert. So etwa der ausschließlich Bambussprossen und -blätter fressende Panda. Gelangt ein Bambushain zur Blüte, was ein komplettes Absterben der Pflanzen zur Folge hat, müssen sich die Tiere neue Reviere suchen. Die aus Indien stammende Wanderratte ist hingegen ein Allesfresser und hat sich mit menschlicher Hilfe auf der gesamten Erde ausgebreitet. Weil sie nicht wählerisch ist und sich unter anderem von den Abfällen der Zivilisation ernährt, sind Veränderungen der Umweltbedingungen für sie unproblematisch.
Tropischer Regenwald
"Ich komme von Sinnen, wenn die Wunder nicht bald aufhören", notierte Alexander von Humboldt (1769 – 1859), nachdem er 1799 in Venezuela zum ersten Mal einen Regenwald betreten hatte. Ein Diorama vermittelt einen visuellen und akustischen Eindruck vom "Wald der Wunder", der heute nicht minder faszinierend ist als vor über 200 Jahren.
Beiderseits des Äquators bietet der mehr oder weniger breite Regenwaldgürtel Lebensraum für 75 Prozent aller Tier- und Pflanzenarten der Erde, von denen viele noch nicht wissenschaftlich beschrieben sind. Die Regenwälder entwickelten vor über 100 Millionen Jahren ihre heutige Struktur und Artenvielfalt; da sie viel Wasser und Kohlenstoff speichern, beeinflussen sie das Weltklima wesentlich. Zudem sind sie eine Fundgrube für wissenschaftliche und technische Entwicklungen. So stand die Rippenstruktur der Blattunterseite der tropischen Seerose Victoria regia Pate bei der gusseisernen Konstruktion des Kristallpalastes, der 1851 für die erste Weltausstellung in London errichtet wurde. Auch für die Entwicklung neuer Arzneistoffe bergen die Regenwälder vermutlich noch manches Potenzial.
MuseumSchloss Friedenstein Schloss 1, 99867 Gotha Tel. (0 36 21) 82 34-51, Fax 82 34-57 Geöffnet: Dienstag bis Sonntag 10 bis 16 Uhr, im Sommer bis 17 Uhr |
Heimische Exotik
Die letzte Station der Ausstellung schlägt wieder den Bogen nach Mitteleuropa. Hier werden Tierarten vorgestellt, die aufgrund ihrer nächtlichen Aktivität den meisten Menschen wenig vertraut sind und somit "exotisch" auf sie wirken, z. B. Fledermäuse, Bilche und Eulen. Wie Marder, Dachse und Füchse haben sie bestimmte Strategien für die Jagd im Dunkel der Nacht entwickelt, die ihnen das Überleben ermöglichen.
Reinhard Wylegalla
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