- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 2/2011
- Die Einführung der ...
Telematik
Die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte
Ursprünglich sollte die elektronische Gesundheitskarte bereits 2006 eingeführt werden. Die andauernden Verzögerungen, u. a. bedingt durch unterschiedliche Interessen der beteiligten Gesellschafter, der Verlauf der Projektarbeiten und die Erfahrungen aus den ersten Feldtests haben Mitte 2009 beim GKV-Spitzenverband zu der Entscheidung geführt, dass Änderungen und Anpassungen im Projekt erforderlich sind. Optimierungsbedarf wurde zum einen hinsichtlich der Organisationsstrukturen in der gematik (s. Kasten), zum anderen aber auch hinsichtlich der inhaltlichen und technischen Gestaltung des Projektes gesehen. Zur gleichen Zeit schloss die neue Bundesregierung ihren Koalitionsvertrag, der eine Bestandsaufnahme des Projektes forderte. Der GKV-Spitzenverband erarbeitete deshalb ab Mitte Oktober 2009 kurzfristig ein Konzept zur Neuausrichtung der eGK; damit liegt eine klare, transparente, Interessen abwägende und als Planungsgrundlage nutzbare Positionsbestimmung der GKV vor.
Neuausrichtung des Projekts
In der Gesellschafterversammlung der gematik am 19. April 2010 wurde die Bestandsaufnahme des Projekts zum Abschluss gebracht und die entscheidenden Festlegungen für das weitere Vorgehen der nächsten Jahre getroffen (s. Grafik).
Eine wesentliche Neuerung betrifft die Verbesserung der Entscheidungsstrukturen in der gematik. Die Gesellschafterversammlung der gematik hat zur Klärung von strittigen Fragen ein Schlichterverfahren eingeführt. Als Schlichter (neutrale Person) wurde Staatssekretär a. D. Dr. Klaus Theo Schröder berufen. Sofern ein Beschlussantrag in der Gesellschafterversammlung nicht die notwendigen 67 Prozent bekommt, kann mit 50-prozentiger Mehrheit das Schlichterverfahren eingeleitet werden. Der Schlichter muss dann binnen vier Wochen alle Beteiligten anhören und einen Beschlussvorschlag erarbeiten. Wird dieser nicht verabschiedet, kann der Schlichter den Beschluss festsetzen. Das Schlichtermodell gilt für alle Belange der gematik im Bereich der Testung.
Es wurde ein Projektleitermodell vereinbart, um die Konsensfindung der Gesellschafter zu verbessern und Interessenskonflikte zwischen den Leistungserbringern und Kostenträgern zu entschärfen. Das heißt, dass jedes Projekt, das die Gesellschafterversammlung beschlossen hat, einem verantwortlichen Gesellschafter zugewiesen wird. Dieser wiederum benennt einen Projektleiter, der die Ergebnisverantwortung übernimmt. Projektübergreifende Abstimmungen und Festlegungen erfolgen in einem Projektausschuss. An bestimmten definierten Eckpunkten, z. B. nach Fertigstellung der Lasten- und Pflichtenhefte zur Freigabe für den Test- und in den Wirkbetrieb, ist jeweils ein Beschluss der Gesellschafterversammlung einzuholen. Mit den klaren Projektverantwortlichkeiten wurde das zentrale Problem der bisher geteilten Verantwortlichkeiten, die das Projekt unnötig verlangsamten, gelöst.
Laufende Projekte
Die Gesellschafter haben diesem Modell entsprechend zunächst fünf Projekte für einzelne Anwendungen und Dienste der Telematik beschlossen.
Sie werden nach der vereinbarten Aufgabenteilung zwischen den beteiligten Organisationen und in der jeweiligen Eigenverantwortung geplant, entwickelt und für den Wirkbetrieb getestet.
Basis-TI: In diesem Projekt wird die Telematikinfrastruktur (TI) – d. h. das Telematiknetz mit entsprechenden Diensten und zentralen Komponenten – konzipiert und umgesetzt. Es werden also die technischen Voraussetzungen dafür geschaffen, dass medizinische Daten im Bedarfsfall sicher und unproblematisch ausgetauscht werden können. Die anderen Projekte übermitteln dazu dem Projekt Basis-TI ihre Anforderungen, die entsprechend berücksichtigt werden. Notwendige projektübergreifende Abstimmungen werden in einem gemeinsamen Projektausschuss vorgenommen. Das Projekt Basis-TI trägt auch die Gesamtverantwortung für das Controlling und die Steuerung aller anderen Projekte. Aufgrund dieser übergreifenden Aufgaben sind der GKV-Spitzenverband und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) gemeinsam für dieses Projekt zuständig.
VersichertenStammDatenManagement, VSDM: Dieses Projekt soll es ermöglichen, die Mitgliedschaft der Versicherten online zu prüfen, das heißt: Die Versichertendaten auf der eGK werden beim Leistungserbringer online mit dem VersichertenStammDatenDienst (VSDD), den jede Krankenkasse bereitstellen muss, verglichen und gegebenenfalls online durch die Krankenkasse aktualisiert. Die Projektgruppe hat die Aufgabe, die Anforderungen der Krankenkassen zu definieren und abzustimmen, Investitionen in bereits bestehende Verfahren und Anwendungen zu berücksichtigen und die Erfahrungen aus dem Projekt ProOnline-VSDD, das von 2007 bis Ende 2009 lief, einzubinden. Die Projektleitung hat der GKV-Spitzenverband.
Notfalldatenmanagement, NFDM: Ziel dieses Projekts ist die Einführung eines bedarfsgerechten Notfalldatenmanagements für den ambulanten und stationären Bereich, mit dem u. a. auch Informationen und Hinweise auf das Vorliegen persönlicher Erklärungen des Patienten verfügbar gemacht werden können (z. B. Organspendeerklärung, Patientenverfügung und Betreuungsvollmacht). Datensicherheit und informelle Selbstbestimmung der Patienten und der Versicherten haben auch in diesem Projekt höchste Priorität. Die Projektleitung hat die Bundesärztekammer (BÄK).
Kommunikation der Leistungserbringer, Kom-LE: In diesem Projekt wird der Austausch von medizinischen Informationen zwischen Ärzten entwickelt; eine Teilnahme der Apotheken ist im ersten Schritt noch nicht vorgesehen. Im Unterschied zum eigentlichen Arztbrief, der eine ungerichtete Kommunikation ist, handelt es sich bei der Kom-LE um eine gerichtete Kommunikation zwischen Leistungserbringern mit definierten Empfängern. Sie erfolgt im Gegensatz zur heutigen E-Mail-Kommunikation über die TI mit ihren zertifizierten Sicherheitskomponenten und -mechanismen. Die Projektleitung hat die KBV.
eFallAkte, eFA: Mit dem Projekt elektronische Fallakte wird eine zusätzliche Telematikanwendung zum Standard entwickelt, die bereits in einigen Krankenhäusern getestet wird. Im Unterschied zur elektronischen Patientenakte (ePA) bezieht sich die eFA jeweils auf den Behandlungsfall. Wird für einen Patienten beispielsweise eine Fallakte für einen komplizierten Knochenbruch geführt, wird die Behandlung seiner Grippe dort nicht dokumentiert. Auf die bisher getestete Anwendung kann bereits einrichtungsübergreifend zugegriffen werden. Die eFA soll nun den sektorübergreifenden Zugriff durch die Leistungserbringer ermöglichen und dabei beispielhaft die Integration von existierenden Anwendungen in die Telematikstrukturen testen. Die Projektleitung hat die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG).
Der Gesetzgeber hat die Prüfung und Aktualisierung der Versichertendaten auf der eGK, die sogenannte Online-Mitgliedschaftsprüfung über das VSDM, beim Leistungserbringer verbindlich für den ersten Kontakt je Quartal festgeschrieben. Diese Prüfung kann jedoch mit einem separaten EDV-System getrennt von der Praxis-EDV erfolgen. Die direkte Online-Anbindung der Praxis-EDV bleibt somit für den Arzt freiwillig. Die Mehrkosten für die separate Lösung (auch als "Wartezimmer-Konnektor" bezeichnet) müssen die Ärzte jedoch selbst übernehmen.
Lasten- und Pflichtenhefte
Zurzeit befinden sich alle Projekte in der Phase der Lastenhefterstellung. Dabei werden in den Projektteams die Anforderungen erarbeitet, definiert und projektübergreifend abgestimmt. Die Ergebnisse sollen Anfang 2011 durch die Gesellschafter der gematik abgenommen werden.
Direkt anschließend wird wiederum zeitgleich in allen Projekten die nächste Phase, nämlich die Erarbeitung der Pflichtenhefte, projektspezifisch durchgeführt. Dabei werden die technischen Lösungen für die im Lastenheft definierten Anforderungen erarbeitet und beschrieben. Die Pflichtenhefte aller Projekte werden dann nach Freigabe durch die Gesellschafter die Grundlage für die Realisierung, eventuelle Ausschreibungen von bestimmten Leistungen oder Komponenten sowie für die weiteren Testmaßnahmen bilden.
Künftig auch elektronischer Impfpass
Die künftige TI muss offen sein für die Einbindung weiterer Telematikanwendungen. Erst dadurch wird sie einen Mehrwert bringen und die Qualität und Wirtschaftlichkeit der Versorgung nachhaltig verbessern. Die organisatorischen, datenschutzrechtlichen und technischen Anforderungen müssen so gestaltet sein, dass ein Anbieter – Industrie, Krankenkasse oder Leistungserbringer – weitere Anwendungen im Umfeld der TI einbinden kann, ohne die Pflichtanwendungen im Netzbetrieb zu behindern.
Schon heute gibt es aus Sicht der Krankenkassen eine Vielzahl von Anwendungen, Diensten oder Applikationen, die, wenn sie in einer gesicherten TI flächendeckend etabliert sind, allen Beteiligten einen Nutzen bringen werden. Dazu gehören z. B. der elektronische Impfpass, der elektronische Organspendeausweis, die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, der elektronische Medikationsplan, das elektronische Tagebuch zur Selbstdokumentation der Versicherten etwa bei Diabetes oder Asthma und die Online-Bezahlung der Praxisgebühr mittels EC-Karte. Diese Dienste oder Applikationen würden für eine bessere Versorgung des Versicherten und für Bürokratieabbau sorgen.
Das eRezept
In der ursprünglichen Planung für die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte und der TI für das deutsche Gesundheitswesen war auch das elektronische Rezept enthalten. Es ist aus der Sicht der Kassen sinnvoll, nutzbringend und nach wie vor erstrebenswert. Die Politik hat dieses Teilprojekt aber nach der letzten Bundestagswahl mit einem Moratorium belegt. Dies bedeutet, dass es zu gegebener Zeit wieder aufgegriffen werden soll.
In welcher Form dann eine sichere und wirtschaftliche Lösung, die Akzeptanz findet, entwickelt wird, ist zurzeit noch offen. Das wird nach der Wiedereinrichtung des Teilprojektes durch die Gesellschafter zu gegebener Zeit zu beschließen sein.
Die nächsten Schritte
Um die zuvor beschriebenen Anwendungen auf Basis der TI einzuführen, sind zunächst die Basisarbeiten umzusetzen. Dies bedeutet, dass alle Ärzte, Zahnärzte und Krankenhäuser in Deutschland mit der Technik ausgestattet werden müssen, die benötigt wird, um die neuen Karten (eGK und HBA) auch lesen und verarbeiten zu können. Die Versicherten in Deutschland wiederum müssen die eGK von ihren Krankenkassen erhalten.
gematik – was ist das?Die gematik ist die Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte mbH. Gesellschafter der gematik sind die Spitzenorganisationen der Leistungserbringer und Kostenträger im deutschen Gesundheitswesen: Bundesärztekammer – Arbeitsgemeinschaft der deutschen Ärztekammern (BÄK) Bundeszahnärztekammer (BZÄK) Deutscher Apothekerverband (DAV) Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) GKV-Spitzenverband (GKV-SV) Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) Verband der privaten Krankenversicherung (PKV-Verband) Internet: www.gematik.de |
Der Gesetzgeber hat mit dem GKV-Finanzierungsgesetz festgelegt, dass die Kassen bis Ende 2011 an zehn Prozent ihrer Versicherten die eGK ausgegeben haben müssen, andernfalls werden ihre Verwaltungskosten um zwei Prozent gekürzt. Die Kassen werden alles daran setzen, diese gesetzliche Vorgabe fristgerecht umzusetzen – und nach derzeitiger Einschätzung wird dies auch gelingen. Dass die Versicherten dann nicht zugleich die alte Versichertenkarte und die neue eGK bei sich führen müssen, hängt allerdings von den Leistungserbringern und der Industrie ab. Denn sie müssen ebenso fristgerecht arbeiten wie die Krankenkassen und die Praxen in Deutschland flächendeckend mit neuen Kartenterminals ausgestattet haben.
Autor
Rainer HöferAbteilungsleiter IT-Systemfragen / Telematik
GKV-Spitzenverband
Mittelstraße 51, 10117 Berlin
Rainer.Hoefer@gkv-spitzenverband.de
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.