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Interpharm 2011
Intervenieren statt "nur" beraten
Schwierigkeiten beim Öffnen kindergesicherter Verpackungen oder beim Umgang mit Augentropfen-Fläschchen, das Unvermögen, Antibiotika-Trockensäfte korrekt zuzubereiten oder den Dosierknopf des Insulin-Pens so stark wie notwendig herunterzudrücken – all das sind Probleme, mit denen ältere, multimorbide Patienten zu kämpfen haben. In Zukunft wird ihre Bedeutung aufgrund der demografischen Entwicklung noch steigen, denn Senioren sind von zunehmender Einschränkung ihrer visuellen, auditiven, gustatorischen, kognitiven, taktilen und feinmotorischen Fähigkeiten betroffen. Erkrankungen können diese Entwicklung zusätzlich verschlechtern. So führen beispielsweise Morbus Parkinson, Arthrosen, Handverletzungen, Schlaganfälle, das Karpaltunnelsyndrom oder Diabetes mellitus zu einer Verringerung der Griffstärke, wie Untersuchungen zeigen. Kircher beschrieb in seinem Vortrag Möglichkeiten für galenisch motivierte Interventionen bei der Arzneimittelabgabe, also praktische Hilfestellungen, die über verbale Beratungshinweise hinausgehen.
Arzneiformen in gebrauchsfertigen Zustand überführen
Für Patienten mit vermindertem Sehvermögen oder eingeschränkter Feinmotorik stellt das Lösen von Erstöffnungssicherungen oftmals ein großes Problem dar, erläuterte Kircher. Die Gründe können vielfältig sein. So sind die Folienmanschetten, die Verschlusskappe und Flaschenhals von Augentropfenfläschchen oder auch Pulverinhalatoren umschließen, beispielsweise häufig klar-transparent und deshalb schlecht sichtbar. Oder die Aufreißlasche bei Augentropfenfläschchen ist so eng anliegend bzw. nur einige Millimeter lang, dass der Patient sie schlecht zu fassen bekommt. Dies trifft häufig auch auf Tabletten bzw. Dragees zu, die in Stopfengläsern mit Aufreißlasche abgefüllt sind. Durch Entfernen dieser Erstöffnungssicherungen kann die Apotheke diese Patienten unterstützen.
Augentropfen, die in bottelpack®-Fläschchen abgefüllt sind, müssen durch kräftiges Drehen der Verschlusskappe in den gebrauchsfertigen Zustand überführt werden, was vielen Patienten ebenfalls schwerfällt.
In Tuben abgefüllte Dermatika sind erst dann gebrauchsfertig, wenn die Versiegelung im Tubenhals mit einem in der Verschlusskappe befindlichen Dorn durchstochen wurde. Doch selbst diese einfache Manipulation kann feinmotorisch oder kraftmäßig eingeschränkten Patienten Schwierigkeiten bereiten. Dies trifft auch auf kindergesicherte Verschlüsse zu, die für manche Kinder keine, für entsprechend eingeschränkte Erwachsene jedoch eine große Hürde darstellen können. In diesen Fällen reicht es nicht, so Kircher, dem Patienten verbale Hinweise zu geben, vielmehr sollte das Überwinden der Kindersicherung in der Apotheke geübt werden.
Kann der Patient die Arzneiform handhaben?
Auch wenn das Arzneimittel mit Unterstützung der Apotheke in den gebrauchsfertigen Zustand überführt wurde, können weitere Probleme auftreten. Daher ist es sinnvoll zu prüfen, ob der Patient mit dem verordneten Arzneimittel sicher umgehen kann. So hat Kircher beispielsweise festgestellt, dass einige Zubereitungen in Tropfenform mit einer hohen Geschwindigkeit von zwei oder mehr Tropfen pro Sekunde von der Tropfmontur abfallen. Einige Patienten sind nicht imstande, diese hohe Tropfenfolge zuverlässig mitzuzählen. Eine mögliche Lösung für dieses Problem wäre, die Dosis statt auf einen Löffel oder in ein Glas in einen dünnwandigen Plastikbecher, den der Patient frei in der Hand hält, tropfen zu lassen. Das dabei entstehende Geräusch kann von Senioren häufig besser verarbeitet werden.
Eine Alternative wäre, so Kircher, die verordnete Tropfenzahl in Milliliter umzurechnen und in einen Oraldispenser, der sich mit einem Flaschenadapter koppeln lässt, aufzuziehen oder sie mit einer neutralen Lösung zu verdünnen und in Einzeldosis-Behältnisse zu verpacken. In diesem Fall handelt es sich jedoch, so Kircher, um das Abteilen eines Mehrdosenbehältnisses in Einzeldosen, also eine rezepturmäßige Herstellung. In diesem Fall muss die Zustimmung des Arztes eingeholt werden und eine Dokumentation auf dem Rezept und ggf. in der Kundendatei erfolgen.
Auch das Teilen von Tabletten gehört zu den Manipulationen vor der Anwendung, bei denen häufig Fehler auftreten können. Wie Kircher durch eigene Untersuchungen bestätigen konnte, ist es bei vielen teilbaren Tabletten nicht möglich, sie durch "leichten Fingerdruck" wie in der Packungsbeilage formuliert, zu teilen. Ein "Trick", der Patienten mit auf den Weg gegeben werden kann, ist, die zu teilenden Tabletten auf eine harte Unterlage zu legen und mit dem Deckel einer leeren Tropfflasche darauf zu drücken.
Die Entnahme von Inhalationskapseln aus einer Blisterpackung (Peel-off-Packung) kann problematisch sein, z. B. wenn der Abstand der Blisternäpfchen sehr klein (unter 4 mm) oder die Aufreißlaschen kurz sind. Die Lösung für dieses Problem besteht darin, die Blister in Tagesportionen zu zerschneiden.
Bei Insulinpens sind nicht alle Patienten in der Lage, die Kraft aufzubringen, die zum Drücken des Dosierknopfes nötig wäre. Für diese Patienten könnte ein halbautomatischer Pen eine Alternative sein. In jedem Fall lohnt es sich für die Apotheke, Placebo-Modelle von Pens vorrätig zu haben, um mit Patienten, die Schwierigkeiten haben, die Handhabung üben zu können.
Hilfen für sehbehinderte oder fremdsprachige Patienten
Die Schriftgröße in Packungsbeilagen ist häufig so klein, dass visuell beeinträchtigte Patienten echte Probleme beim Lesen haben. Eine einfache Hilfe ist hierbei, die Beipackzettel auf dem Kopierer zu vergrößern und ggf. wichtige Passagen zu kennzeichnen. Auch akustische Hilfen und Piktogramme können Unterstützung geben, sie sind auch im Internet zu finden (siehe Kasten).
Internetseiten für akustische Hilfen und Piktogramme
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Retrospektive Überprüfung von Arzneiformen
Oft erhält das pharmazeutische Personal auf Nachfrage, ob der Patient mit der Handhabung zurechtkommen würde, eine positive Antwort. Bei Analysen gebrauchter Arzneiformen stellt sich jedoch dann heraus, dass doch das eine oder andere Problem bei der Anwendung bestand. Als Beispiel nannte Kircher, dass Mundstücke von Dosieraerosolen zu selten gereinigt werden (erkennbar an Wirkstoffablagerungen um die Austrittsdüse) oder dass bei Insulinpens Einmalkanülen mehrfach verwendet wurden (z. B. erkennbar an Blutspuren im Insulin, nachweisbar mittels Urin-Teststreifen).
In jedem Fall sollten die abgabebegleitenden Hinweise und Interventionen in die Apothekensoftware eingearbeitet werden, damit das pharmazeutische Personal mühelos darauf zugreifen kann, riet Kircher.
cb
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DAZ 2011, Nr. 14, S. 88
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