Interpharm 2011

Durch das Dickicht epileptischer Anfallsformen

Die Palette der epileptischen Anfallsformen ist groß. Diagnose und Therapie sind oft alles andere als einfach. Dem Kinderneurologen Professor Dr. Ulrich Stephani, Kiel, gelang es allerdings, zielsicher durch das Dickicht zu führen. Und er machte dabei auf zahlreiche Fallstricke aufmerksam.
Foto: DAZ/Reimo Schaaf
Prof. Dr. Ulrich Stephani

Epileptische Anfälle lassen sich einteilen in fokale und generalisierte Anfälle. Die fokalen Anfälle, die von einem speziellen Hirnareal ausgehen, werden in einfache Anfälle ohne Bewusstseinseinbuße und komplexe Anfälle mit Bewusstseinstrübung bzw. Bewusstseinsverlust eingeteilt. Eine sekundäre Generalisierung ist möglich. Abhängig von der auslösenden Hirnregion können fokale Anfälle, die auch als partielle Anfälle bezeichnet werden, spezifische Symptome zeigen. Liegt der Herd beispielsweise im Hinterhauptlappen, können visuelle Halluzinationen auftreten, bei Anfällen aus dem Schläfenlappen sind Geschmackskomponenten und emotionale Komponenten betroffen. Die generalisierten Anfälle lassen sich in Absencen, atonische Anfälle, klonische Anfälle, tonische Anfälle, tonisch-klonische und myoklonische Anfälle einteilen, erläuterte Stephani. Die wichtigste Labormethode in der Diagnose der Epilepsie ist laut Stephani immer noch das Elektroenzephalogramm. Allerdings räumte er ein, dass dessen Sensitivität und Spezifität nicht sehr hoch ist, "aber wir haben nichts anderes". Konkret bedeutet das: Auch wenn das EEG normal ist, kann der Patient eine Epilepsie haben, und umgekehrt.

Epilepsien treten bei Kindern mit bis zu 5 Prozent deutlich häufiger auf als bei Erwachsenen, von denen 1 Prozent an einer Epilepsie erkrankt sind. Idiopathische Epilepsien im Kindesalter wie das BECTS (benigne Epilepsie des Kindesalters mit okzipitalen Spikes) haben häufig eine gute Prognose und "hören von alleine wieder auf", so Stephani. Anders die juvenile myoklonische Epilepsie und die EGMA (Epilepsie mit Grand-Mal-Anfällen beim Aufwachen), die sich zumindest aber gut behandeln lassen.

Provokationsfaktoren wie Schlafmangel, ungeregelten Tagesablauf oder Flackerlicht meiden, kann bei manchen Formen der Epilepsie die Anfallshäufigkeit günstig beeinflussen. Hauptstütze ist allerdings die medikamentöse Therapie mit einem Antiepileptikum. Der Startschuss für die Behandlung fällt inzwischen bereits nach dem ersten Anfall, wenn gleichzeitig Fehlbildungen oder Veränderungen im Hirnrindenareal festgestellt werden können. Zwei Drittel der Epilepsiepatienten benötigen dann eine lebenslange Therapie. Bei etwa 50 Prozent der Patienten ist das erste Antiepileptikum erfolgreich. Welches Antiepileptikum eingesetzt wird, hängt auch von der Anfallsform ab, denn einige wirken nur bei fokalen oder generalisierten Anfällen, andere haben dagegen ein breites Wirkspektrum und können unabhängig von der Anfallsart eingesetzt werden. Dazu gehören Valproinsäure, Lamotrigin, Topiramat oder Levetiracetam. Ein Großteil der Antiepileptika greift über Ionenkanäle der Neuronen an, bevorzugt am Natriumkanal, andere werden über GABA-erge und glutamaterge Mechanismen wirksam.

Wegen der relativen Gleichwertigkeit der Antiepileptika insbesondere bei fokalen Epilepsien fallen bei der Entscheidung für oder gegen einen Wirkstoff auch individuelle Faktoren ins Gewicht, etwa Alter und Geschlecht des Patienten oder auch ein möglicher Kinderwunsch, so Stephani. Auch die unerwünschten Begleiterscheinungen sind von entscheidender Bedeutung. Zumindest aus Sicht des Kinderneurologen werden hier manchmal lieber mehr Anfälle als Nebenwirkungen in Kauf genommen. Als "Nagelprobe" für die gewählte Therapie nannte Stephani die Langzeitretention nach fünf Jahren. Sie liegt einer Studie aus dem Jahr 2003 zufolge mit 40 Prozent für Oxcarbazepin am höchsten. Lamotrigin liegt mit 25 Prozent an zweiter Stelle. Wechselwirkungen werden vor allem relevant, wenn zwei und mehr Antiepileptika verordnet werden, die sich gegenseitig in ihrer Serumkonzentration beeinflussen, sowie bei Patienten, die Medikamente aufgrund anderer chronischer Erkrankungen einnehmen müssen. Auch Ovulationshemmer können die Wirksamkeit von Antiepileptika beeinflussen – und umgekehrt. "Es ist alles sehr kompliziert", konstatierte Stephani.

Er wies zudem explizit darauf, hin, dass ein Präparatewechsel möglichst vermieden werden sollte. Hier bestehe das Risiko, dass der Serumspiegel des Antiepileptikums sinkt und es zu Durchbruchsanfällen kommt. Dabei sei entscheidend, dass der Patient konstant das für ihn verordnete Medikament erhält. Das kann auch ein Generikum sein," aber es muss immer das Gleiche sein".


bf



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DAZ 2011, Nr. 14, S. 72

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