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Politisches Ringen: Wer zahlt für Hartz-IV-Versicherte?
Das Bundessozialgericht will im Januar ein Urteil zu der Frage fällen, ob die Jobcenter künftig einen erheblich höheren Anteil an der privaten Krankenversicherung (PKV) übernehmen müssen. Politiker befürchten, dass die gesetzlichen Kassen dann auch kostendeckende Beiträge für ihre Hartz-IV-Kunden von den Jobcentern verlangen. Diese Zusatzkosten könnten immerhin zwei bis vier Milliarden Euro betragen.
Private Versicherte müssen im Basistarif den halben Höchstsatz der gesetzlichen Versicherung zahlen, derzeit 290 Euro. Die Jobcenter übernehmen allerdings (für privat wie gesetzlich Versicherte) nur 126 Euro. Gut 160 Euro müssen privatversicherte Hartz IV-Empfänger aus der staatlichen Unterstützung bezahlen. Dagegen wurde geklagt. Sollten die Richter die Jobcenter zu höheren Zahlungen verurteilen, würden die gesetzlichen Kassen auf Gleichbehandlung bestehen. Das würde teuer. Um dem Urteil zuvorzukommen, plant das Bundesarbeitsministerium daher, hilfebedürftige Privatversicherte in die GKV abzuschieben oder ihren Versicherungsbeitrag zu kappen.
Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ) hatte berichtet, Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) wolle privat krankenversicherte Hartz-IV-Empfänger zwingen, in die gesetzliche Krankenversicherung zu wechseln. Das geht aus einem Änderungsantrag ihres Hauses zu den laufenden Beratungen über die Neuberechnung der Hartz-IV-Regelsätze und Bildungsleistungen für Kinder hervor. Offen stellt sich inzwischen auch Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) gegen die Pläne seiner Kabinettskollegin: "Es kann nicht sein, dass Belastungen am Ende bei der gesetzlichen Krankenversicherung hängenbleiben", sagte Rösler zur "FAZ". "Das war und ist meine Linie." Zustimmung kommt hingegen von den Arbeitsmarktpolitikern der Union. Es sei "widersinnig", Arbeitslose der gesetzlichen Krankenversicherung zuzuweisen, Langzeitarbeitslose aber nicht, sagte der Vizevorsitzende des Arbeitsausschusses, Max Straubinger (CSU).
PKV: Sozialpolitischer Irrweg
Der PKV-Verband lehnte die Idee als "völlig inakzeptabel" und als "sozialpolitischen Irrweg" ab. Eine zwangsweise Überführung hilfebedürftiger Privatversicherter in die GKV komme für die PKV nicht infrage. Die private Krankenversicherung bekenne sich ohne Wenn und Aber zum lebenslangen Schutz für ihre Versicherten. Zu jeder Versicherung gehöre dabei eine dem jeweiligen Tarif entsprechende Beitragszahlung. Der Staat müsse seine sozialpolitische Pflicht zur Sicherung des Existenzminimums erfüllen, fordert die PKV einen höheren Zuschuss.
Auch die Grünen lehnen diesen Plan ab. "Ihr Vorschlag, alle privat versicherten Hartz IV-Empfängerinnen und -Empfängern zwangsweise in der gesetzlichen Krankenversicherung zu versichern, ist unhaltbar", kommentierten Biggi Bender, Sprecherin für Gesundheitspolitik, und Brigitte Pothmer, Sprecherin für Arbeitsmarktpolitik. Damit würden die Kosten auf den Schultern der gesetzlich Versicherten abgeladen, während die privat Versicherten erneut von der Solidarität ausgenommen würden. Das sei pure Lobbypolitik pro PKV: "Geht es nach ihnen, soll noch nicht einmal ein minimales Solidarelement von den Privatversicherten getragen werden. Das lehnen wir ab."
Ersatzkassen schreiben Protestbrief
Mit einem Protestbrief haben sich die Ersatzkassen an den Bundestag gewandt. In einem Schreiben an den Ausschuss für Arbeit und Soziales fordert Thomas Ballast, Vorstandsvorsitzender des Verbandes der Ersatzkassen e. V. (vdek), sich dafür einzusetzen, dass die Pläne aus dem Arbeitsministerium nicht weiter verfolgt werden. "Hier sollen erneut die Lasten auf die GKV verschoben werden, ohne dass irgendwelche Ausgleichszahlungen damit verbunden wären."
Schon seit Langem beklagen die gesetzlichen Krankenkassen, dass sie für gesetzlich krankenversicherte ALG II-Empfänger keine kostendeckenden Beiträge erhalten. Dadurch gehen den gesetzlichen Krankenkassen jährlich vier Milliarden Euro verloren. Sollte die Politik sich für den Weg entscheiden, der PKV erneut finanziell unter die Arme zu greifen, müsse das auch für die GKV gelten, forderte der Vorstandsvorsitzende. "Einfach Probleme auf die GKV abzuwälzen, sei zwar ein oft beliebter, aber völlig inakzeptabler Weg."
Schlupfloch für PKV-Versicherte?
Die gesetzlichen Kassen erkennen in den Plänen im Übrigen ein Schlupfloch für PKV-Kunden, sich wieder einen Zugang in die GKV zu verschaffen. Somit könnte es insbesondere für ältere PKV-Versicherte interessant sein, einen Leistungsanspruch herbeizuführen, der eine Rückkehr in die GKV-Gemeinschaft ermöglicht, um den hohen Prämienzahlungen in der PKV zu entgehen. Dies müsse verhindert werden. "Die Solidargemeinschaft der GKV kann nicht alle Lasten schultern, ohne einen kostendeckenden finanziellen Ausgleich dafür zu erhalten", so Ballast abschließend.
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