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- DAZ 44/2010
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Verkehrssicherheit
Fahrtauglichkeit im Alter und bei Demenz
In den USA leiden ca. vier Prozent der Autofahrer über 75 Jahre an Demenz. Die Studienlage zu der Fragestellung, ob autofahrende Patienten mit kognitiven Beeinträchtigungen häufiger in Unfälle verwickelt sind, ist uneinheitlich: einige Studien zeigen, dass Autofahrer mit einer Demenz ein mindestens zweifach höheres Unfallrisiko besitzen als ältere Autofahrer ohne kognitive Beeinträchtigungen. Diese Ergebnisse finden sich jedoch nicht in allen Studien wieder, betonen die Autoren der JAMA-Publikation.
Verzicht bei mittelschwerem Alzheimer
Unter den amerikanischen Fachgesellschaften herrscht Konsens, dass Patienten mit mittelschwerer Alzheimer-Demenz nicht mehr selbst Autofahren sollen. Uneins sind sich die Experten in den USA bei der Frage, ob Patienten mit milder Demenz fahrtauglich sind und wenn ja, mit welchen Einschränkungen. Denn über einen "Goldstandard", um die Fahrtüchtigkeit bei älteren Demenzpatienten abzuschätzen, verfügen die Mediziner nicht. Die Autoren der JAMA-Publikation diskutieren daher Möglichkeiten zur Lösung dieses Problems.
Fahrerlaubniswiderruf in Frühphase nicht zwingend
Die Diagnose Alzheimer-Demenz muss nicht zwingend den Widerruf der Fahrerlaubnis nach sich ziehen, denn in der Frühphase der Erkrankung verfügen die Betroffenen meist noch über genügend "Fahr-Fitness". Bei vielen Patienten mit einer milden kognitiven Störung verschlechtert sich die Erkrankung nicht und sie sind daher weiterhin sichere Autofahrer. Bei anderen wiederum kommt es zu fortschreitenden Beeinträchtigungen des Gedächtnisses und anderen kognitiven Funktionen wie z. B. Aufmerksamkeit, Orientierungs- und Urteilsvermögen, räumliches Sehen, oder Problemlösungsvermögen.
Die Autoren der JAMA-Publikation empfehlen Ärzten, die ältere Demenzpatienten behandeln, frühzeitig auf eine mögliche Fahruntauglichkeit hinzuweisen. Bei derartigen Gesprächen sollte auch überlegt werden, welche Alternativen die Betroffenen haben, um möglichst lange mobil zu bleiben. Hilfreich kann das Mitfahren einer Begleitperson im Sinne eines "Copiloten" sein. Es gibt jedoch nicht genügend Daten aus Studien, die belegen, dass dies eine geeignete Möglichkeit ist, um die Defizite älterer dementer Autofahrer zu kompensieren.
Frust über Fahrverbot
Nicht mehr Autofahren zu dürfen ist für Betroffene oft eine Katastrophe. Denn wegen des Mangels an Alternativen in Form öffentlicher Verkehrsmittel kann ein Fahrverbot sinkende soziale Integration, Depression, Angst und ein höheres Risiko für häusliche Pflege zur Folge haben. Nicht wenige Ärzte, die Demenzkranke betreuen, berichten daher darüber, dass Patienten in der Arztpraxis ihrem Frust freien Lauf lassen, wenn der Arzt den Verzicht auf das Führen eines Fahrzeugs anrät.
Freiwilliger FahrverzichtVier von fünf Senioren würden verzichtenVier von fünf Senioren würden freiwillig auf das Führen eines Kraftfahrzeuges verzichten, wenn ihnen ihr Hausarzt diesen Schritt aus gesundheitlichen Gründen empfiehlt. Käme die gleiche Bitte aus dem engen Familien- oder Freundeskreis, würde nur jeder zweite so reagieren. Dies geht aus einer repräsentativen Studie der Verkehrswachtstiftung Niedersachsen und des internationalen Automobilzulieferers Continental hervor. Befragt wurden insgesamt 1500 Autofahrer, und zwar je 500 in den Altersgruppen Fahranfänger (17 bis 25 Jahre), „Best Ager“ (55 bis 65 Jahre) und Senioren (über 65 Jahre). Mehr als 90 Prozent der Autofahrer über 55 befürworten dagegen einen freiwilligen Gesundheits-Check zur Überprüfung der Fahrtüchtigkeit. Ein verpflichtender Fahrtest im Alter kommt jedoch bei Senioren weniger gut an: nur 39 Prozent der Befragten über 65 Jahren sprachen sich dafür aus. Quelle: Pressemitteilung der Verkehrswachtstiftung Niedersachsen und Continental, www.verkehrswachtstiftung.de |
Nach Erfahrung der JAMA-Autoren reduziert ein wiederholtes Ansprechen des Problems mit den Betroffenen und auch den Betreuungspersonen bei späteren notwendigen Interventionen die Widerstände der Patienten. In den USA können sich Hausärzte bei Geriatrikern, Psychiatern, Neurologen etc. oder auch speziell ausgebildeten Driver Rehabilitation Specialists in solchen Situationen Rat und Hilfe holen.
Nicht nur Demenz macht fahruntauglich
Neben kognitiven Störungen können weitere Faktoren und Erkrankungen zur Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit im Alter führen. Dazu zählen vor allem:
Arzneimittel (Antikonvulsiva, Antihistaminika, Antipsychotika, trizyklische Antidepressiva, Spasmolytika/Muskelrelaxanzien, Benzodiazepine, Barbiturate)
schwere Arthritis (die Betroffenen können dadurch ihren Kopf nicht mehr schnell genug bewegen und reagieren langsamer auf Situationen im Straßenverkehr)
visuelle Einschränkungen, z. B. durch Katarakt, Makuladegeneration, Glaukom, diabetische Retinopathie
kardiovaskuläre Erkrankungen
Atemwegserkrankungen (Schlafapnoe, COPD)
psychiatrische Erkrankungen (Depression, Psychosen)
Hypoglykämien
Situation in Deutschland
Auch wenn Autofahren in den USA einen höheren Stellenwert hat als in Deutschland – für Experten wie Prof. Dr. Wolfgang Maier ist ein Nachlassen der Fahrtauglichkeit bei älteren, dementen Patienten ein nicht zu unterschätzendes Problem, das in Zukunft noch weiter an Bedeutung gewinnen wird. Denn die derzeitige Zahl von rund 1,2 Millionen Demenzkranken in Deutschland wird sich Schätzungen zufolge bis zum Jahre 2050 etwa verdoppelt haben.
Die deutsche Fahrerlaubnisverordnung besagt in § 11, dass Bewerber um eine Fahrerlaubnis "… die hierfür notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen" erfüllen müssen. Bei bestimmten Erkrankungen, die in den Anlagen dieser Verordnung aufgeführt sind, kann die Erteilung der Fahrerlaubnis verweigert werden oder nur mit bestimmten Auflagen verbunden sein, beispielsweise im Fall einer schweren Altersdemenz. Ältere Patienten mit kognitiven Beeinträchtigungen besitzen jedoch in der Regel seit vielen Jahren ihre Fahrerlaubnis. Aus Sicht von Maier wäre es sinnvoll eine gesetzliche Regelung einzuführen, nach der ältere Menschen die Fahrerlaubnis ab einer bestimmten Altersgrenze in bestimmten Abständen neu erwerben müssen (siehe Interview).
Wenn die Baby-Boomer alt werden …
Experten sind sich darin einig, dass eine regelmäßige ärztliche Evaluation der Fahrtauglichkeit älterer Patienten mit kognitiven Einschränkungen sowie Trainingsprogramme für die Generation 50+ dazu beitragen können, ihre Sicherheit im Straßenverkehr zu gewährleisten. Einer kleinen Untersuchung zufolge sollen auch Acetylcholinesterase-Hemmer eine positive Wirkung auf die Fahrtüchtigkeit bei Alzheimer-Patienten haben [3]. Die Autoren der JAMA-Publikation weisen auch auf die Notwendigkeit hin, umfassende Alternativen für die Mobilität älterer und kognitiv beeinträchtigter Menschen zu entwickeln, da der demografische Wandel das Problem verschärfen wird.
Quellen[1] Carr, BD, Ott, BR: The older adult driver with cognitive impairment, JAMA Vol. 303(16), S. 1632 – 1641 (2010)[2] S3-Leitlinie "Demenzen” (Langfassung), hrsg. von der Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) und der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) in Zusammenarbeit mit der Deutschen Alzheimer Gesellschaft e.V. – Selbsthilfe Demenz, November 2009, www.awmf-leitlinien.de [3] Daiello LA et al.: Effects of cholinesterase inhibitors on visual attention in drivers with Alzheimer’s disease. J Clin Psychopharmacol, 30(3):245 – 251 (2010)
Autorin Dr. Claudia Bruhn
Dorfstr. 60
17291 Randowtal/ OT Schmölln
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