Arzneimittel und Therapie

Mehr Brustkrebs-Todesfälle nach Hormonersatztherapie

Dass eine kombinierte Hormonersatztherapie das Brustkrebsrisiko erhöht, ist eine wichtige Erkenntnis der WHI-Studie. Jetzt wurden Ergebnisse einer elfjährigen Nachbeobachtung dieser Studie veröffentlicht. Danach steigt nach einer Hormonersatztherapie die Inzidenz von invasiven Brustkrebserkrankungen, ebenso die Brustkrebs-bedingte Sterblichkeit.

Im Rahmen der Women‘s Health Initiative (WHI-Studie) hatten seit 1993 über 16.000 postmenopausale Frauen randomisiert täglich entweder eine Kombination von 0,625 mg konjugierten Estrogenen plus 2,5 mg Medroxyprogesteronacetat oder Placebo erhalten. 2002 wurde die Studie vor allem wegen eines erhöhten Herzinfarkt- und Brustkrebsrisikos in der Verumgruppe gestoppt. Zu diesem Zeitpunkt waren die Frauen im Schnitt über 5,6 Jahre behandelt worden. Zwar nahm das Risiko nach Absetzen der Hormone ab, doch war die Brustkrebsinzidenz auch nach einem Follow up von durchschnittlich 7,9 Jahren immer noch erhöht, viele Fragen blieben offen. So war nicht klar, wie sich die Hormongabe langfristig auf die Brustkrebsinzidenz und die Schwere der Brustkrebserkrankungen auswirkt. Ebenso war unklar, ob das Risiko, an den Folgen von Brustkrebs zu sterben, steigt. Beobachtungsstudien hatten die Hoffnung aufkommen lassen, dass Frauen, die nach einer Hormonersatztherapie an Brustkrebs erkranken, eine bessere Prognose haben als Brustkrebspatientinnen, die nie Hormone erhalten haben.

Um solche Fragen zu klären, wurden die Daten der WHI-Teilnehmerinnen soweit verfügbar bis August 2009 erneut erfasst. Von den ursprünglich 16.608 Teilnehmerinnen nahmen 12.788 an der neuen Analyse teil. Jetzt liegen die Ergebnisse vor.

Häufiger invasiver Brustkrebs

Danach waren nach einer durchschnittlichen Nachbeobachtungszeit von elf Jahren immer noch mehr Frauen nach Hormonersatztherapie (385, 0,42% pro Jahr) an invasivem Brustkrebs erkrankt als nach Placebo (293, 0,34% pro Jahr). Histologisch gesehen ähnelten sich die Brustkrebsformen in den Vergleichsgruppen. Allerdings wurde bei Frauen nach Hormonersatztherapie häufiger ein Lymphknotenbefall diagnostiziert (81 Frauen nach Hormonersatztherapie vs. 43 Frauen nach Placebo).

Erhöhte Gesamtsterblichkeit

Zudem verstarben Frauen nach einer Hormonersatztherapie öfter an den Folgen der Brustkrebserkrankung (25 Todesfälle, 0,03% pro Jahr versus 12 Todesfälle, 0,01% pro Jahr). Die Gesamtsterblichkeit nach Brustkrebsdiagnose lag nach Hormonersatztherapie bei 51 Todesfällen (0,05% pro Jahr), nach Placebo bei 31 Todesfälle (0,03% pro Jahr). Das entspricht einer Rate von jährlich 5,3 Todesfälle pro 10.000 Frauen nach Hormonersatztherapie im Vergleich zu 3,4 Todesfälle pro 10.000 Frauen bei Verzicht auf die Hormonsubstitution.

Die Ergebnisse der WHI-Studie hatten vor allem in den USA zu einem drastischen Rückgang der Hormonersatztherapie geführt, gepaart mit einer Abnahme der Brustkrebsinzidenz. Die Autoren gehen davon aus, dass sich dieser Trend fortsetzen wird.

Quelle Chlebowski RT, et al: Estrogen Plus Progestin and Breast Cancer Incidence and Mortality in Postmenopausal Women. JAMA 2010; 304(15): 1684 – 1692. 

 


 

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Prof. Dr. Dr. Alfred O. Mück
DAZ-INTERVIEW

"Die Mängel bleiben!"


Immer wieder machen Neuauswertungen der WHI-Studie Schlagzeilen und lassen die Frage aufkommen, ob die Ergebnisse bisherige Erkenntnisse in Frage stellen. Prof. Dr. Dr. Alfred O. Mück, Leiter des Schwerpunkts Endokrinologie und Menopause an der Frauenklinik der Universität Tübingen, sieht die neuen Ergebnisse kritisch. Er erklärt, warum man auch zu ganz anderen Schlussfolgerungen kommen kann.


DAZ: Nach dem Abbruch der WHI-Studie gilt eine Hormonersatztherapie (HRT) über mehrere Jahre nach der Menopause als obsolet, nicht dagegen eine früh- und kurzzeitige Substitution in der Perimenopause. Warum?

Mück: Das Brustkrebsrisiko steigt mit dem Alter der Frauen und ist demnach in der Perimenopause vergleichsweise geringer. Mit dem Alter steigt die Chance, dass vorbestehende Krebszellen so weit stimuliert werden, dass der Klon dann klinisch sichtbar wird.


DAZ: Welchen Stellenwert haben die Ergebnisse der erneuten WHI-Auswertung?

Mück: Meiner Meinung nach bringt die neue Auswertung gegenüber 2003 nicht viel Neues. Damit sind auch keine neuen Konsequenzen, abweichend von den derzeitigen Leitlinien zu ziehen. Des Weiteren können noch so viele Nachauswertungen (derzeit schon über 30) aus der gleichen Studie die prinzipiellen Mängel der Studie nicht bereinigen.

Zu diesen Mängeln zählen

  • ein zu altes Kollektiv, 50% der Patientinnen hatten Risikofaktoren, die eigentlich relative Kontraindikationen für eine Hormonersatztherapie sind,
  • die Prüfung nur eines einzigen Präparates in nur einer Dosierung,
  • 40% vorzeitige Entblindung, d. h. keine "Placebo-kontrollierte Studie".

DAZ: Was bedeuten die vorzeitige Entblindung und die weiteren Mängel für die aktuelle Nachauswertung?

Mück: Diese hohe Entblindung sowie auch der Wechsel von ca. 10% der Frauen von einem in den anderen Studienarm macht die Studie zur Beobachtungsstudie und damit anfällig für die dafür üblichen Studienbias. Diese und andere Mängel haben dazu geführt, dass in sicher weit über 100 Stellungnahmen diese Studie sehr kritisch und kontrovers diskutiert wurde. Was das Brustkrebsrisiko betrifft, wurde bereits bei den ersten Auswertungen festgestellt, dass sich ein Risiko nur für die Frauen berechnen lässt, die bereits vor der WHI Hormone erhielten. Beurteilt man aber den Verlauf der Inzidenzen in der jetzigen Auswertung nach nunmehr elf Beobachtungsjahren, so fällt nicht eine besondere Erhöhung der Brustkrebsinzidenz in der Hormongruppe auf, sondern eine anhaltende Verminderung in der Placebogruppe nach vorausgegangener Hormontherapie, insbesondere wenn diese über 1 bis 5 Jahre angewendet wurde (0,16%/Jahr im Vergleich zu 0,36%/Jahr bei den Frauen, die nie eine Hormontherapie erhielten; Figure 3 in der Publikation). Damit könnte man die Ergebnisse auch ganz anders deuten, nämlich die Hypothese ableiten, dass eine kürzerfristige Hormontherapie in jüngeren Jahren einen langfristigen Schutzeffekt ausübt, während eine im Mittel fünfjährige Hormontherapie das Brustkrebsrisiko längerfristig eher erhöht, wenn sie erst nach längerem Abstand zur Menopause begonnen wird (mittleres Alter bei WHI-Start 63 Jahre).

Allerdings bleibt dabei unklar, warum die Estrogentherapie ohne Gestagenzusatz in der WHI das Brustkrebsrisiko selbst bei siebenjähriger Therapie auch bei späterem Beginn gesenkt hat, sogar signifikant für die Frauen, die sicher Hormone eingenommen hatten.

Wie im Editorial zur jetzigen Publikation herausgestellt wird, sind unbedingt gute randomisierte Studien mit niedrigeren Dosierungen bei früh-postmenopausalen Frauen notwendig, um solche Fragen zu beantworten bzw. die HRT mit den hierzulande üblichen Präparaten in dem Kollektiv zu bewerten, in dem sie üblicherweise durchgeführt wird.

Das heißt, diese Studie sollte nicht überbewertet werden, sondern im Rahmen der gesamten Evidenz gesehen werden. Einer der wichtigsten Punkte dürfte sein, dass nur ein Gestagen geprüft wurde, aber die Evidenz sich immer mehr häuft, dass starke Unterschiede zwischen den Gestagenen bestehen, vermutlich auch zwischen den Applikationsformen.


DAZ: Wann raten Sie Ihren Patientinnen zu einer Hormonersatztherapie?

Mück: Ich rate zur Hormonersatztherapie, wenn eine Indikation besteht, also bei klimakterischen Beschwerden, urogenitalen Symptomen oder einem Osteoporoserisiko. Ich rate zumeist ab, wenn die Frauen zu alt sind. Entsprechend den Studien würde ich die Altersgrenze etwa zehn Jahre nach der Menopause ziehen. Danach sollte der Neubeginn einer Hormonersatztherapie die Ausnahme sein. Das Vorgehen ist immer, möglichst niedrig dosiert zu beginnen, die Applikationsform und das Gestagen entsprechend der individuellen Situation sehr gezielt zu wählen, so bei Diabetes mit Hyperandrogenämie ein orales Estrogen (stimuliert SHBG und senkt so freies Testosteron), bei Diabetes mit Hypertriglyzeridämie transdermal, bei Diabetes mit Makro- oder Mikroangiopathie ein besonders gefäßneutrales Gestagen, bei venösem Thromboserisiko transdermal oder bei Hypertonie Drospirenon als Gestagen, um nur einige Beispiele für eine differenzierte HRT zu nennen.


DAZ: Herr Professor Mück, vielen Dank für das Gespräch!


Prof. Dr. Dr. Alfred O. Mück, Universitäts-Frauenklinik, Calwer Str. 7, 72076 Tübingen


Interview Dr. Doris Uhl, Stuttgart

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