Deutscher Apothekertag 2010

Genug Apotheker für die vielen Alten?

Der demografische Wandel ist ein Dauerthema – und doch dürfte das Ausmaß der anstehenden Veränderungen den meisten Menschen noch nicht bewusst sein. Im Arbeitskreis 2 des Apothekertages zum "Zukunftsberuf Apotheker" wurden die Konsequenzen dieser Entwicklung für die Apotheker betrachtet. In der Diskussion dazu ging es zu einem großen Teil um den drohenden Nachwuchsmangel. So rückten Verbesserungsvorschläge für die Apothekerausbildung – im Studium und im praktischen Jahr – in den Vordergrund. Dabei ging es auch um die nötigen Qualifikationen zur Versorgung der zunehmenden Zahl alter Menschen.

Inhaltsverzeichnis: Deutscher Apothekertag 2010


Zukunftsberuf Apotheker Arbeitskreis 2 diskutierte auch über den ­drohenden Nachwuchsmangel.
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Politik bleibt wirkungslos

Dr. Harald Michel, Leiter des Instituts für Angewandte Demographie Berlin-Brandenburg, führte mit einem Vortrag in die Problematik ein. Derzeit hat Deutschland etwa 82 Millionen Einwohner. Im Jahr 2004 endete ein langes Bevölkerungswachstum in Deutschland. "Wir werden nie wieder so viele Einwohner haben", sagt Michel voraus. Je nach Annahme über den Saldo aus Ein- und Auswanderung werde es im Jahr 2050 in Deutschland etwas mehr als 70 oder nur 50 bis 55 Millionen Menschen geben, wobei Michel den unteren Wert als wahrscheinlicher betrachtet. Gegen diesen demografischen Wandel könnten die Menschen nichts tun, wir könnten darauf nur reagieren. "Keine Politik ist je in der Lage gewesen, die Demografie zu beeinflussen", so Michel. Familienpolitik koste viel und bringe wenig, sie könne die Demografie nicht ändern. Doch entgegen manchen Darstellungen in den Medien sei Deutschland keineswegs Schlusslicht bei der Geburtenrate, in Russland sei die Entwicklung deutlich stärker ausgeprägt. In Deutschland steige die Lebenserwartung immer noch deutlich an. Durch Einwanderung sei die Schrumpfung der Bevölkerung nicht abzuwenden, weil dazu in 30 Jahren 80 Millionen Menschen einwandern müssten. Das Hauptproblem sei auch nicht die in Zukunft geringere Einwohnerzahl, sondern der Weg dahin. Dies sei besonders schwierig, weil die letzte Schrumpfung vor 400 Jahren stattfand und daher keine Erfahrungen bestehen. Solche Prozesse zu gestalten, werde viel Geld kosten.

Dr. Harald Michel Wir werden nie wieder so viele Einwohner haben.
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Als Folge des Bevölkerungsrückgangs werde es schwer, Ausbildungsplätze zu besetzen und mit dem umlagegestützten System die Renten zu finanzieren. Gesetze würden sich zunehmend an den Bedürfnissen der Älteren ausrichten, weil sie bei Wahlen entscheiden. Außerdem habe eine ältere Bevölkerung eine geringere Wachstumsdynamik. Die Entwicklung erfolge geografisch differenziert. Der Länderfinanzausgleich sei ein Spiegelbild dieser Unterschiede. Der Osten Deutschlands erlebe durch die Abwanderung junger Menschen, insbesondere junger Frauen, eine rasende Alterung. Dort entstehe ein Riesenbedarf an Pflegeleistungen bei vergleichsweise wenigen jungen Menschen, die diese Leistungen erbringen können.

Gesellschaftliche Konsequenzen

Vor diesem Hintergrund forderte Michel Generationengerechtigkeit. Das bedeutet: "Keine Schulden machen", so Michel. Die vorhandenen Schulden könnten nur mit einem unrealistischen Wachstum von drei bis fünf Prozent bewältigt werden. Außerdem sei Chancengerechtigkeit nötig, damit Zuwanderer integriert werden. Die Diskussion darüber habe 30 Jahre zu spät begonnen, meint Michel. Außerdem sei Kinderfreundlichkeit gefragt, denn eine "kinderentwöhnte Gesellschaft" sei nicht zukunftsfähig. Nötig sei auch, im Alter länger zu arbeiten, zumal viele Ältere motiviert seien und gerne weiterarbeiten würden. Vorhandene Potenziale müssten genutzt werden. Besonders wichtig sei eine gute Bildung für die verbleibenden jungen Menschen.

"Schrumpfung ist teurer als Wachstum."

Dr. Harald Michel, Leiter des Instituts für Angewandte Demographie Berlin-Brandenburg

Dr. Christiane Eckert-Lill ­Apotheker müssen um Nachwuchs kämpfen.
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Folgen für die Apotheker

Vor diesem Hintergrund diskutierte im Arbeitskreis 2 eine Podiumsrunde – moderiert von Dr. Albrecht Kloepfer – über die Folgen für die Apotheker. Dr. Christiane Eckert-Lill, ABDA-Geschäftsführerin für Pharmazie, leitete drei Folgerungen ab. Die Apotheker müssten um Nachwuchs kämpfen, die Versorgung in dünn besiedelten Regionen organisieren und klinisch pharmazeutische Dienstleistungen intensivieren. Angesichts vieler alter Menschen seien Multimorbidität und Polypharmazie zunehmend relevant. Die Diskussion konzentrierte sich zunächst auf das Nachwuchsproblem. Eckert-Lill sieht die Werbung um Nachwuchs durch Darstellungen konterkariert, nach denen die Apotheke vor dem Aus stehe. Außerdem sei der Beruf keine Einbahnstraße in Richtung öffentliche Apotheke. Es müsse verstärkt auf die anderen Aspekte des Berufes hingewiesen werden. Mit Blick auf den möglicherweise fehlenden Berufsnachwuchs forderte Eckert-Lill, das Potenzial der vorhandenen Apotheker besser zu nutzen. Gemeinsam mit dem Bundesfamilienministerium sei dazu eine Broschüre über "familienbewusste Personalpolitik in der Apotheke" erstellt worden.

"Ein Apotheker, der das Rentenalter erreicht hat, ist ja noch nicht zum Wegschmeißen."

Erika Fink, Präsidentin der Bundesapothekerkammer

Maria-Christina Scherzberg Die Studierenden sind hochmotiviert.
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Zeitgemäße Apothekerausbildung

Maria-Christina Scherzberg, Präsidentin des Bundesverbandes der Pharmaziestudierenden in Deutschland, verdeutlichte, dass es von den ausbildenden Apothekern abhängt, wie gut der Nachwuchs auf die Praxis vorbereitet ist. Die Studierenden betrachtet sie als hoch motiviert, insbesondere angesichts der guten Berufsaussichten ohne drohende Arbeitslosigkeit. Zwei Drittel der Studierenden würden das Fach wegen der naturwissenschaftlichen Inhalte wählen. Nur 30 bis 40 Prozent würden das Studium mit Blick auf eine spätere Arbeit in der öffentlichen Apotheke aufnehmen. Irgendwann würden sich dann mehr für die Apotheke entscheiden, vermutlich im dritten Ausbildungsabschnitt.






Freifrau Stephanie Schauff von Sobeck-Werder Ein stärkeres Wir-Gefühl nötig.
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Nach Einschätzung der jungen Apothekerin Freifrau Stephanie Schauff von Sobeck-Werder, Hamm, ist bereits viel geschehen, um Apotheker auf die künftigen Herausforderungen vorzubereiten, beispielsweise durch mehr Fortbildung zur geriatrischen Pharmazie und die Einführung der Klinischen Pharmazie. Die Apotheker müssten dies aber auch nach außen transportieren, um aus der Rechtfertigung gegenüber Versand und Pick up herauszukommen. Außerdem müsse das interdisziplinäre Arbeiten aus dem Krankenhaus stärker in die öffentlichen Apotheken getragen werden. Es sei ein stärkeres "Wir-Gefühl" nötig.










Frank Dörje fordert eine bessere Umsetzung der Klinischen Pharmazie an den Unis.
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Dr. Frank Dörje, Chefapotheker der Apotheke des Uni-Klinikums Erlangen, forderte eine bessere Umsetzung der Klinischen Pharmazie an den Universitäten. Mediziner würden im Studium viel früher Kontakt zu Patienten haben. Solches problemorientiertes Lernen müsse auch im Pharmaziestudium stattfinden. Außerdem forderte Dörje, dass auch die bereits tätigen Apotheker in die Fort- und Weiterbildung investieren müssten, besonders zur Klinischen Pharmazie und zur Prävention. Die bessere Umsetzung der Klinischen Pharmazie ist auch eine Forderung des Bundesverbandes der Pharmaziestudierenden, erklärte Scherzberg. Außerdem werde sich der Verband dafür einsetzen, das in Baden-Württemberg eingeführte Konzept der Ausbildungsapotheken bundesweit einzuführen. Dabei müssen Ausbildungsapotheken spezielle Anforderungen erfüllen.








"Ich bin gerne Apotheker und bin auch nicht depressiv."

Dr. Frank Dörje, Chefapotheker der Apotheke des Uni-Klinikums Erlangen

Prof. Dr. Bernd Clement In allen Teilgebieten der Pharmazie werden Apotheker gesucht.
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Prof. Dr. Bernd Clement, Christian-Albrechts-Universität Kiel, Vorsitzender des Verbandes der Pharmazieprofessoren in Deutschland, machte deutlich, dass in allen Teilgebieten der Pharmazie Apotheker gesucht würden. Als Schlagwörter nannte er Arzneimitteltherapiesicherheit, Qualitätssicherung, Medizinische Chemie, Pharmakologie, Toxikologie und Biologicals. Die Umsetzung der Klinischen Pharmazie sei noch nicht überall optimal, doch erinnerte Clement an die Bedingungen zur Einführung des neuen Faches in die Approbationsordnung. Es sei damals zugestimmt worden, das neue Fach kostenneutral einzuführen, sodass es nur durch Umwidmung von Stellen realisiert werden kann. "Das war eine Mogelpackung", folgerte Clement. Auch die Gruppengröße bei modernen Lehrangeboten sei eine Frage der Finanzierung. Hinsichtlich der anwendungsbezogenen Aspekte verwies Clement auf den dritten Ausbildungsabschnitt, denn die Universität vermittle Berufsfähigkeit, aber nicht Berufsfertigkeit. Angesichts der Konkurrenz der Pharmazie um immer weniger junge Menschen appellierte Clement, die Pharmazie gut darzustellen. Außerdem müsse das Wissen der Schüler über die Pharmazie verbessert werden. Er wandte sich gegen die "depressive Grundstimmung bei Apothekern" und forderte, "den Beruf so schön darzustellen, wie er ist."

Erika Fink Entscheidende Erfahrung für Praktikanten: der Umgang mit Menschen.
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Erika Fink, Präsidentin der Bundesapothekerkammer, machte deutlich, dass spezielle Anforderungen an Ausbildungsapotheken eine Angelegenheit der zuständigen Landesbehörden sind. Baden-Württemberg habe einen großen Schritt nach vorne gemacht, aber die Länder müssten sich einigen. Für die praktische Arbeit mit Patienten in der pharmazeutischen Betreuung sei die Kommunikationsfähigkeit wichtig. Um diese zu vermitteln, sollten die Ausbilder eine geeignete Qualifikation haben. Für die Pharmaziepraktikanten sei der Umgang mit Menschen oft eine entscheidende Erfahrung, weil sie bemerken, dass sie Menschen helfen können. Doch diese Arbeit koste Zeit und "das bekommen wir von der Politik abgewöhnt", so Fink.

Herausforderungen für die Versorgung

Gegen Ende der Diskussion kamen neben den Nachwuchssorgen kurz einige weitere Aspekte des demografischen Wandels zur Sprache. Vor dem Hintergrund von Versorgungsschwierigkeiten in dünn besiedelten Gebieten riet Michel den Apothekern, zwischen "Daseinsvorsorge und Luxus" zu unterscheiden und Leistungen entsprechend zu definieren. Eckert-Lill forderte "intelligente Lösungen für die flächendeckende Versorgung". Das könne der Versandhandel nicht leisten. Dörje bestätigte, die Therapietreue könne nur orts- und zeitnah überprüft werden. Fink erklärte, die Apotheker müssten auch zu entfernt lebenden Patienten gelangen. Ähnlich wie Arztpraxen, die an jedem Wochentag von einem anderen Facharzt genutzt werden, könnten Apotheker möglicherweise stundenweise an einem Ort präsent sein. Clement erwartet, die Versorgung auf dem Land könne über finanzielle Anreize sichergestellt werden. Scherzberg forderte, das Bild des Apothekers in der Öffentlichkeit müsse sich wandeln. "Die Bevölkerung soll wissen, was wir alles können", so Scherzberg.

"Die Apotheke muss erfahrbar sein als Mehr-wert für die Patienten. "

Dr. Frank Dörje, Chefapotheker der Apotheke des Uni-Klinikums Erlangen

Anträge zum Arbeitskreis

Die Klinische Pharmazie war auch Gegenstand eines Antrages zum Arbeitskreis 2. Die Delegierten stimmten einstimmig für den Antrag, ein Konzept zur Umsetzung des Faches in der universitären und praktischen Ausbildung und im begleitenden Unterricht zu entwickeln. Dabei sollen theoretische und praktische Aspekte besser verzahnt werden. In einem weiteren Antrag zu diesem Arbeitskreis ging es um die Prävention. Darin fordern die Apotheker den Gesetzgeber auf, Apotheker mit besonderer Qualifikation als Präventionsanbieter gemäß §§ 20 und 20a SGB V zu berücksichtigen. Insbesondere für die Themenbereiche Sucht und Ernährung sei eine Prüfung der Anbieterqualifikation zu beantragen. Außerdem wird eine Honorierung für den erbrachten Nutzen gefordert.

tmb

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