- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 40/2010
- Arzneimittel der ...
Aus Kammern und Verbänden
Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen
Pharmakokinetik beim Fötus
Die Kinderärztin Hannah Seeba, Klinikum Delmenhorst, vermittelte allgemeine Grundlagen der Pharmakokinetik in der Schwangerschaft. Weil beim Fötus die Blut-Hirn-Schranke noch nicht voll ausgebildet ist, haben viele Stoffe eine höhere ZNS-Toxizität. Für eine Reihe chemisch-synthetischer Arzneistoffe ist eine teratogene oder fetotoxische Wirkung bekannt. In jedem Fall sollten der Nutzen und das Risiko der Behandlung, aber auch der Nichtbehandlung, z. B. bei Antiepileptika oder Antihypertensiva, abgewogen werden.
Dr. Verina Wild, Universität Zürich, stellte fest, dass nur wenige Arzneimittel für eine Anwendung in der Schwangerschaft zugelassen sind. Viele Schwangere stehen vor dem Dilemma, ihre Beschwerden zu lindern und dadurch möglicherweise ihr Kind zu schädigen. Um valide Daten zum Risiko von Arzneimitteln zu erhalten, müssten entsprechende Studien durchgeführt werden, was jedoch problematisch ist. So ist in den USA eine Arzneimittelforschung an schwangeren Frauen ein absolutes Tabuthema.
" Die Sicherheit der Anwendung während der Schwangerschaft und Stillzeit wurde nicht ausreichend untersucht. Aus Sicherheitsgründen wird eine Anwendung nicht empfohlen. " Aus einer Stellungnahme des BfArM zu einem pflanzlichen Arzneimittel |
Zentrale Auswertung von Fallberichten
PD Dr. Christof Schaefer vom Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie, Berlin, sprach die Teratogenität von Arzneistoffen an. Ein teratogenes Potenzial haben z. B. Isotretinoin zur Aknebehandlung, Valproinsäure und antiepileptische Kombinationspräparate, Cumarinderivate wie Warfarin, Serotonin-Wiederaufnahmehemmer wie Paroxetin sowie ACE-Hemmer und Sartane. Das von Schaefer geleitete Zentrum wertet die unerwünschten Wirkungen von Arzneimitteln auf den Schwangerschaftsverlauf aus, die ihm von Ärzten berichtet werden (siehe Online-Fragebogen), und berät die Ärzte.
Online-FragebogenArzneimitteltherapie bei Schwangeren |
Aus mehr als 12.000 Beratungen im letzten Jahr ergaben sich 4238 vorwiegend prospektiv erhobene Fallberichte, aus denen ca. 400 UAW-Berichte für das BfArM erstellt wurden. Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen kommen in den UAW-Berichten relativ selten vor, obwohl sie häufig angewendet werden.
Über Datenquellen zur Untersuchung von Arzneimittelrisiken in der Schwangerschaft informierte Prof. Dr. Edeltraut Garbe vom Bremer Institut für Präventivforschung und Sozialmedizin (BIPS). Sie nannte insbesondere:
- Europäisches Netzwerk populationsbasierter Register für die epidemiologische Surveillance von kongenitalen Fehlbildungen (EUROCAT)
- Elektronische Krankenkassen-Gesundheitsdatenbanken, Deutschland
- Medical Records Datenbanken, Großbritannien
- General Practice Research Database (GPRD), Großbritannien
- Medicaid Datenbanken, USA
- Deutsche Pharmakoepidemiologische Forschungsdatenbank (GePaRD), BIPS.
Fragen bei der Zulassung
Mit der behördlichen Forderung, bei fehlenden Daten über die Anwendung in Schwangerschaft und Stillzeit entsprechende Gegenanzeigen oder Warnhinweise in die Anwendungshinweise (Packungsbeilage) aufzunehmen, setzte sich Dr. Tankred Wegener, Weinheim, auseinander. Die EMA-Leitlinie "From data to labelling" (EMA/CHMP/203927/ 2005) führt aus, auf welcher Datenbasis welche Hinweise zur Anwendung des betreffenden Arzneimittels in der Schwangerschaft geeignet sind. Doch Wegener riet den Arzneimittelherstellern, mit der Zulassungsbehörde zu "diskutieren", welche Aussagen zur Anwendung in der Schwangerschaft auf Basis vorliegender Erfahrungsdaten gerechtfertigt sind.
Um die Datenlücke für pflanzliche Arzneimittel zu schließen, erwägt die Kooperation Phytopharmaka eine Beteiligung an einer systematischen Erfahrungsdokumentation und möchte diese Option auch den Herstellern als Serviceleistung anbieten. Nähere Informationen sind in der Geschäftsstelle der Kooperation Phytopharmaka erhältlich (s. Kasten).
Für HerstellerInformationen zur möglichen Beteiligung von Herstellern an einer systematischen Erfahrungsdokumentation von pflanzlichen Arzneimitteln in der Schwangerschaft: Kooperation Phytopharmaka GbR Frau Cornelia Schwöppe Plittersdorfer Str. 218, 53173 Bonn Tel. (02 28) 36 56 40, Fax 35 13 90 |
Grundsätzlich geeignet
Simone Olk, Rheda-Wiedenbrück, legte dar, dass homöopathische Arzneimittel aufgrund ihrer guten Verträglichkeit und relativen Risikoarmut für Schwangere, Stillende und Kinder grundsätzlich geeignet sind. Die Wahl des Mittels erfolgt auch bei diesen Patienten aufgrund des Arzneimittelbildes. Bei Komplexmitteln ergeben sich die Anwendungsgebiete aus den Arzneimittelbildern der einzelnen Bestandteile. Die Anwendungssicherheit ist hier durch die ärztliche Erfahrung begründet, weshalb auch ein einschränkender Hinweis für die Packungsbeilage verlangt wird (s. Kasten).
PackungsbeilageEinschränkender Hinweis für Homöopathika: "Homöopathische Selbstmedikation kann bei vielen leichten Störungen helfen. Bei ernsthaften Beschwerden ist dringend der Rat eines (homöopathisch erfahrenen) Arztes einzuholen." |
Dass und wie eine verständliche Packungsbeilage einen Beitrag zur Compliance und damit zur Arzneimittelsicherheit leistet, erläuterte Malte Melzer, Hamburg. Die Sprache sollte einfach und verständlich, die Schrift nicht zu klein und die optische Gestaltung klar und ansprechend sein. Der Text soll möglichst konkrete Handlungsanweisungen enthalten und sich auf relevante Informationen beschränken.
Über rechtliche Aspekte der Pharmakovigilanz sprach die Hamburger Rechtsanwältin Simone Winnands. Sie nannte die Verantwortlichkeiten und die verschiedenen regulatorischen Maßnahmen zur Risikoabwehr und ging auch auf straf- und haftungsrechtliche Folgen ein.
EU-Pharmapaket: künftig mehr Pharmakovigilanz
Abschließend skizzierte Dr. Elmar Kroth, seit wenigen Tagen neuer Geschäftsführer Wissenschaft im Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH), die absehbaren Konsequenzen des EU-Pharmapaketes für die Arzneimittelindustrie. Im deutschen Arzneimittelrecht wird für Mai/Juni 2012 eine Gesetzesnovellierung erwartet. Vermutlich wird sie in erster Linie die Pflichten zur Vorlage der periodischen Sicherheitsberichte (PSUR), zur Meldung von unerwünschten Arzneimittelwirkungen und zur Durchführung bestimmter Studien nach der Arzneimittelzulassung betreffen.
InternetBremer Pharmacovigilance Service |
Aus den fachlich fundierten Vorträgen und spannenden Diskussionen lässt sich das Fazit ziehen, dass eine solide Datenbasis geschaffen werden sollte, aus der Empfehlungen für die Anwendung von Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen in Schwangerschaft und Stillzeit abgeleitet werden können, anstatt die Packungsbeilagen mit unbegründeten oder gar verunsichernden Aussagen zu überfrachten. Hier sind alle Beteiligten aufgerufen, ihre Beiträge zu leisten.
Dr. Barbara Steinhoff
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.