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Arzneimittelsicherheit
Wie sicher sind die Pharmazentralnummern?
Der im Frühjahr 2010 erfolgte Rückruf von Clopidogrelbesilat-haltigen Generika hat einmal mehr die Notwendigkeit der behördlichen Arzneimittelüberwachung unterstrichen, dabei aber auch den Aufwand der Inspektion von außereuropäischen Betriebsstätten durch hiesige Überwachungsbeamte illustriert. Wie offiziellen Verlautbarungen der European Medicines Agency (EMA) zu entnehmen war [1], konnte bei der betroffenen Firma Glochem in Indien noch keine unmittelbare Gefährdung durch mangelhafte Wirkstoff- oder Hilfsstoffqualität festgestellt werden, wie es beispielsweise im Jahre 2007 beim Rückruf von Nelfinavir (Viracept®) der Fall war. Damals wurde infolge falscher Reinigungsverfahren der Produktionsanlagen mit Ethanol bei Hoffmann-La Roche karzinogene Methylsulfonsäureethylester in den Tabletten festgestellt.
Beim Clopidogrelbesilat-Rückruf waren es offenbar "nur" Verstöße gegen die GMP-Richtlinien, die zu einem vorsorglichen Rückruf ("precautionary recall") führten, insbesondere mangelhafte Chargendokumentationen. Hieraus schloss die EMA, dass den Verfahren der Wirkstoffherstellung nicht länger vertraut werden konnte: "The Committee concluded that the processes used to manufacture the active substance at the Glochem Visakhapatnam facility could not be trusted. This meant that the Committee did not have sufficient confidence in the quality of the active substance, and this led to a lack of confidence in the quality of the medicines." [2]
Besonderheiten des Clopidogrel-Rückrufs
Die Besonderheiten des Clopidogrelbesilat-Rückrufs durch die EMA am 25. März 2010 lagen zunächst in der praktischen Auswirkung des EMA-Rückrufs, der sich nur auf jene Generika mit Clopidogrelbesilat aus der indischen Produktion der Firma Glochem erstreckte, die eine Zulassung nach dem zentralisierten Verfahren der EU besaßen, während Clopidogrelbesilat-Generika mit nationaler Zulassung erst durch den Bescheid des BfArM vom 9. April 2010 erfasst wurden, der das Ruhen der Zulassung mit sofortigem Vollzug anordnetete [3].
Zwischen dem 25. März 2010 und dem 9. April 2010 konnten daher u. U. namensgleiche Generika mit identischem Wirkstoff aus derselben Produktionsstätte entweder "in Quarantäne" oder aber im rechtmäßigen Verkehr sein. Es konnte allerdings bei Namensgleichheit auch eine Ungleichheit des Inhaltsstoffes bestehen, so im Falle von Clopidogrel Sandoz 75 mg: Das national zugelassene Generikum enthält Clopidogrelhydrochlorid, das Generikum mit EU-Zulassung hingegen Clopidogrelbesilat
(s. Tab.).
Tab.: Zulassungsnummern und Pharmazentralnummern einiger vom Rückruf betroffener Clopidogrelbesilat-haltiger Generika | |||
AM-Name | PZN | Nationale Zul.-Nr. Salz | EU-Zul.-Nr. Salz |
Clopidogrel-Hexal 75 mg | 6786332 | 74504.00.00* Besilat | EU/1/09/534/007 Besilat |
Clopidogrel-ratiopharm 75 mg Filmtabletten | 6717029 | 74534.00.00* Besilat | – |
Clopidogrel-ratiopharm 75 mg Filmtabletten** | 6717029 | – | EU/1/09/554/007 Besilat |
Clopidogrel-ratiopharm GmbH 75 mg Filmtabletten** | 6717029 | – | EU/1/09/541/007 Besilat |
Clopidogrel Sandoz 75 mg | 2330026 | 74517.00.00*** Hydrochlorid | EU/1/09/547/005 Besilat |
* "Arzneimittel ruht bis 30.9.2010"; AMIS-Datenbank; www.dimdi.de; Stand: 10.5.2010
** Bis zum 15.4.2010 wurde im Artikelstamm "Clopidogrel-ratiopharm 75 mg Filmtabletten" mit der EU-Zul.-Nr. EU/1/09/554/007 gelistet, danach mit identischer PZN "Clopidogrel-ratiopharm GmbH 75 mg Filmtabletten" mit der EU-Zul.-Nr. EU/1/09/541/007. Das "neue" Clopidogrel war allerdings bereits vor dem 15.4.2010 im Artikelstamm enthalten und damals noch als "AV" gekennzeichnet.
*** Als Hydrochlorid nicht vom Rückruf betroffen
Eindeutige PZN?
Im Artikelstamm war dieses Verwirrspiel durch die Apotheken nicht erkennbar. Alle vom Rückruf betroffenen Clopidogrelbesilat-Generika mussten anhand ihrer jeweiligen Chargenbezeichnung identifiziert werden, ein Verfahren, das zwar durchaus eindeutig ist. Jedoch sind alle Warenbewirtschaftungssysteme in den Apotheken ausgelegt auf die Rückverfolgung von Arzneimitteln anhand der Pharmazentralnummer (PZN), und es ist auch ausschließlich die PZN, die die Abrechnung mit der GKV auf den ärztlichen Verschreibungen sicherstellt. Prüft man in dem vorliegenden Fall die PZN der vom Rückruf betroffenen Clopidogrelbesilat-haltigen Generika, so fällt jedoch auf, dass identische PZN vergeben wurden für ein und dasselbe namensgleiche Generikum, das einmal vom Rückruf betroffen sein konnte und einmal nicht.
Was war nun das entscheidende Merkmal für den Rückruf in diesen Fällen? Es war die Zulassungsnummer: Im einen Fall war es die EU-Zulassung, die zu einem Rückruf führte, im anderen Fall eine nationale Zulassung nach §§ 21 und 25 AMG, die keinen Rückruf zur Folge haben musste (s. Tab.). Die Zulassungsnummer ist jedoch laut Informationsstelle für Arzneispezialitäten GmbH (IFA) kein "artikelidentifizierendes Merkmal".
Die Vergabe von PZN
Nun ist die Vergabe der PZN kein behördlicher Akt, sondern eine privatwirtschaftliche Maßnahme, die durch die IFA vorgenommen wird. Die IFA, deren Gesellschafter die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA), der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V. (BPI) und der Bundesverband des Pharmazeutischen Großhandels e.V. (Phagro) sind, fungiert nach eigenen Angaben als "gemeinsame Clearingstelle der pharmazeutischen Industrie, des pharmazeutischen Großhandels und der Apotheker in der Bundesrepublik Deutschland. Aufgabe der IFA GmbH ist, Informationen über Arzneimittel und sonstige apothekenübliche Waren zu erheben, diesen Datenbestand in einer Datenbank zu pflegen und die Daten den Handelsunternehmen und anderen im Gesundheitswesen tätigen Organisationen und Institutionen zur Verfügung zu stellen. Den Marktteilnehmern dienen die Daten zur Optimierung der Logistik innerhalb der pharmazeutischen Distributionskette sowie zur Unterstützung bei der Erfüllung ihrer gesetzlichen Verpflichtungen." [4]
Vertragsgrundlagen
Von Arzneimittelsicherheit freilich ist in dem IFA-Firmenporträt nicht die Rede. Bedenkt man nun, dass in Apotheken üblicherweise die Informationen des Artikelstamms als quasi "amtliche Angaben" konsequent missverstanden werden, so sollte man den Verfahrensweisen der IFA generell eine größere Aufmerksamkeit schenken.
Die Aufnahme von Daten durch die IFA erfolgt auf privater Vertragsgrundlage. Gemeldet wird von den pharmazeutischen Herstellern und diese Angaben sind dann maßgeblich für den Artikelstamm. Dabei heißt es in § 3 des Anbietervertrages der IFA [5]: "Die PZN definiert eindeutig einen bestimmten Artikel eines bestimmten Anbieters." Im beschriebenen Fall der Clopidogrelbesilat-haltigen Generika ist dies aber eher wohl nicht der Fall.
Der Anbietervertrag sieht zwar in § 5 auch eine "pharmazeutische Prüfung" vor, die Prüfungen sind jedoch laut Abs. 2 "keine Leistungen, die aus diesem Vertrag geschuldet werden. Die IFA GmbH und ABDATA übernehmen deshalb keine Haftung oder Gewährleistung für die Ergebnisse." Und weiter (Abs. 3): "Erweisen sich bei der Prüfung nach § 5 Abs. 1 die von dem Anbieter gemeldeten pharmazeutischen Daten als unrichtig, kann die IFA GmbH die Daten nach vorheriger Unterrichtung des Anbieters berichtigen. Der Anbieter kann den Berichtigungen widersprechen. Widerspricht ein Anbieter den Berichtigungen, kann die IFA GmbH bis zu einer Einigung von der Veröffentlichung des Datensatzes für den streitigen Artikel absehen."
Im Rahmen dieser beliebig dehn- und auslegbaren "Kann-Bestimmungen" sind eigentlich alle verantwortlich und damit – wie in solchen Fällen üblich – niemand. Falsche Angaben können also durchaus langlebig im Artikelstamm überdauern, und sie tun es auch, wie das folgende Beispiel zeigt.
Freihändige Kriterien
Ein eher unbeschwerter Umgang mit zulassungsrelevanten Daten ist nämlich auch bei den Lagerungsbedingungen von Arzneimitteln (z. B. bei Insulinen) festzustellen. Häufig wundern sich die Apotheken beispielsweise über die harsche Angabe "Kühlkette" im Artikelstamm, und sie wundern sich noch mehr, wenn diese Bedingungen dann in der Praxis offenbar nicht eingehalten werden. In vielen Fällen ist nämlich die Bedingung "Kühlkette" in den Zulassungsunterlagen gar nicht gefordert, sondern vielmehr nur "Kühllagerung".
Nun mag man spekulieren, woher der Drang von Herstellern kommen mag, in einem Artikelstamm Lagerungskriterien zu nennen, die in den offiziellen Zulassungsunterlagen gar nicht gefordert werden. In jedem Fall führen solche Diskrepanzen zu fortgesetzten Irritationen und Warenbeanstandungen.
Handlungsbedarf
Notwendig wäre also eine Korrektur der bisherigen Praxis der IFA. Bei den PZN sollte eine einzige PZN jeweils auch nur einer einzigen Zulassungsnummer zugeordnet werden können. Immerhin wäre es ja denkbar, dass einmal die falsche Charge in Quarantäne genommen wird und die vom Rückruf betroffene Charge weiter abgegeben wird. Beide Chargen haben dieselbe PZN. Bei der Abrechnung auf dem GKV-Rezept merkt es jedenfalls keiner.
Jedoch scheint die IFA mit eher grundsätzlichen Problemen zu kämpfen, heißt es doch dort bei den Anforderungen an die Aufnahme in den Artikelstamm: "Der Nachweis der Zulassung lässt sich leider nicht mehr vermeiden, weil die Neuanmeldung zulassungspflichtiger, aber (noch) nicht zugelassener Arzneimittel in letzter Zeit einen nicht mehr hinnehmbaren Umfang angenommen hatte und der IFA GmbH Beihilfe zu dem darin liegenden Verstoß gegen § 3a Heilmittelwerbegesetz (HWG) vorgeworfen wurde." [6]
Quellen [1]www.ema.europa.eu/humandocs/PDFs/EPAR/clopidogrel1Apharma/17960610en.pdf. [2] www.ema.europa.eu/humandocs/PDFs/EPAR/ clopidogrel1Apharma/Clopidogrel_Q&A_17969810en.pdf. [3] www.bfarm.de/cln_028/nn_1160684/SharedDocs/Publikationen/DE/Pharmakovigilanz/stufenplverf/ clopidogrel-bescheid,templateId=raw,property= publicationFile.pdf/clopidogrel-bescheid.pdf [4] Firmenporträt der IFA: www.ifaffm.de/service/_index.html. [5] Anbietervertrag der IFA: www.ifaffm.de/service/ _index.html. [6] Richtlinien für die Neuaufnahme zulassungs- oder registrierungspflichtiger Arzneimittel: www.ifaffm.de/service/_index.html.
Autor
Prof. Dr. rer. nat. habil. Thomas Beck,
Institut für Anatomie,
Universität Rostock,
Gertrudenstr. 9,
18057 Rostock,
thomas.beck@uni-rostock.de
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