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Heimversorgung
Individuelle Neuverblisterung – Königsweg oder Umweg?
Die Veranstaltung ging auf ein Gespräch von Bundesgesundheitsminister Rösler mit Vertretern der Apotheker zurück, erklärte Magdalene Linz, Präsidentin der Apothekerkammer Niedersachsen. Sie betonte die große Bedeutung der Versorgung von Pflegebedürftigen und multimorbiden Patienten. Allein in Niedersachsen versorgen etwa 800 Apotheken über 1200 Heime.
Die Verblisterung sei ursprünglich für den ambulanten Bereich propagiert worden, weil nur dort eine Verbesserung der Compliance zu erwarten sei, doch werde sie nun hauptsächlich in Heimen praktiziert – und auch dies weniger als erwartet. Die Kapazitäten der Verblisterer würden den Bedarf derzeit um den Faktor zehn überschreiten, so Linz. Die entscheidenden Fragen sind für Linz: Führt die Verblisterung zu mehr Compliance, zu mehr Qualität, zu weniger Arzneimittelmüll – und gibt es Einsparungen?
Rösler fordert Vorteil für Patienten
Der Minister dankte der Kammer, dass sie das Thema aufgegriffen hat, und würdigte zugleich das Engagement der Apotheker bei den Aktionsplänen für die Arzneimitteltherapiesicherheit. Rösler zeigte sich sehr interessiert und unterstrich die große Bedeutung des Themas.
Die demografische Entwicklung werde sich bei der Pflege noch stärker als in der Gesetzlichen Krankenversicherung auswirken, erwartet Rösler. Auch die Betroffenheit sei noch größer, weil fast jeder einen Pflegenden kenne oder sogar selbst pflege.
Die entscheidenden Fragen für Rösler sind: Wie gehen wir mit den zu Pflegenden um und wie kann man die Versorgung verbessern? Er verwies auf die heute schon hohe Belastung der Pflegekräfte und fragte, ob die Verblisterung diese Arbeit erleichtern kann oder zu neuen Problemen führt.
Der Minister legte sich nicht auf eine eigene Position fest, sondern präsentierte sich als kritischer Beobachter. Er sehe viele offene Fragen bei der Verblisterung, beispielsweise zur Verantwortlichkeit und Prüfung. Der Gesetzgeber habe den Weg zur Verblisterung geschaffen. Nun sieht Rösler die Marktbeteiligten am Zug. Doch eine Bedingung machte der Minister sehr deutlich: "Am Ende müssen die Patienten einen echten Vorteil haben."
Faktor Mensch ist entscheidend
Erika Fink, Präsidentin der Bundesapothekerkammer, betonte die Bedeutung des Faktors Mensch in der Arzneimittelversorgung. Die Apotheker würden jedem die Versorgung geben, die er brauche – von der Filterfunktion in der Selbstmedikation bis zum Arzneimittelmanagement bei chronischen Krankheiten. Unter personalisierter Medizin verstehe sie nicht nur teure Arzneimittelinnovationen, sondern auch das individuelle Eingehen auf einzelne Menschen in der Apotheke. "Kann und will sich eine Gesellschaft das leisten?", fragte Fink den Gesundheitsminister. Zudem erklärte sie: "Die Apotheker können und wollen das Versorgungsmanagement übernehmen, aber nicht die Patienten bevormunden." Die Apotheken würden schon jetzt Arzneimittel stellen und verblistern, aber "wir lehnen es ab, die Leute zu entmündigen", so Fink. Arzneimittel sollten nicht zugeteilt werden "wie Essen auf Rädern", denn "dann könnte man sie gleich ins Essen tun", meinte Fink mit Blick auf mögliche Folgen der Verblisterung. Fink folgerte: "Ich meine nicht, dass das System durch Verblisterung besser wird als das, was wir jetzt haben."
Teurer Umweg
Dr. Michael Jensen, Hildesheim, der an der Entwicklung von Heimversorgungsverträgen und ‑leitlinien beteiligt war, berichtete über eigene Erfahrungen aus der Heimversorgung. Er betonte, dass die Verantwortung für die richtige Versorgung auf jeden Fall – also unabhängig von der vorherigen Lieferung der Arzneimittel – beim Pflegeheim liege. Individuell verblisterte Arzneimittel würden von den Pflegekräften entblistert und in die üblichen Wochensysteme umgefüllt.
Für Jensen ist die Verblisterung daher ein "teurer und aufwendiger Umweg ohne Vorteile". Zudem können die Bedarfsmedikation und andere als feste orale Darreichungsformen nicht verblistert werden. "Für ganz viele Situationen bietet der Blister keine Lösung", so Jensen. Dagegen sieht er als Nachteile ökologische Aspekte, die Kosten für die Maschinen, den sehr hohen zusätzlichen Kontrollaufwand und die zusätzlichen Schnittstellen im Versorgungsablauf, die zu neuen Fehlerquellen werden könnten. Das Pflegepersonal verliere den Überblick, Dosisänderungen seien viel schwerer als bisher umsetzbar, und die zentrale Stellung des Pflegers bei der Kommunikation gehe verloren.
"Was pharmazeutisch geleistet werden kann, wird durch Blister nicht besser."
Dr. Michael Jensen, Hildesheim
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Für Krankenkassen und Heimträger sei die Verblisterung nur vorteilhaft, wenn sie zu Einsparungen führt. So gehe es letztlich darum, das Pflegepersonal zu verringern. Doch in einer Gesamtbetrachtung würden diese Einsparungen durch den hohen Aufwand an anderer Stelle aufgezehrt. Das Ergebnis sei eine "Komplizierung ohne Mehrwert", sodass niemand dafür zahlen wolle. Dies bringe Apotheken "in die Klemme", wenn Heimträger die Verblisterung ohne Honorar fordern und die Apotheken die zusätzlichen Kosten tragen sollten.
Nach Einschätzung von Jensen ist dies ein hohes betriebswirtschaftliches Wagnis für die Apotheke. Für ihn ist klar: "Kostenlos geht das nicht." Er sprach sich daher für das etablierte Versorgungssystem mit vertiefter Schulung des Pflegepersonals durch die Apotheken vor Ort aus.
"Blistern ohne Heu ist dumm, das haut den stärksten Esel um."
Dr. Michael Jensen, Hildesheim,
über kostenloses Verblistern
durch Apotheken
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Fehler beim Stellen
Ines Kohaupt, Institut für Gesundheitsökonomie und klinische Epidemiologie, Universität Köln, berichtete über eine Studie zur Ermittlung von Fehlern beim klassischen Stellen von Arzneimitteln. In drei Pflegeheimen wurden dazu Arzneimittel für 196 Bewohner von pharmazeutischem Personal gestellt. In acht Wochen gab es 190 Medikationsänderungen, darunter 61 Neuverordnungen. Bei 8798 Bearbeitungsabläufen traten 645 Fehler auf. Bezogen auf die einzelnen verabreichten Arzneimittel betrug die Fehlerrate 1,3 Prozent. Der mit 49,1 Prozent weitaus häufigste Fehler waren inkorrekte Teilungen, es folgten fehlende oder doppelt vergebene Arzneimittel.
Positive Praxiserfahrungen
Solche Fehler durch die individuelle Neuverblisterung zu verringern, ist ein wesentliches Argument der Befürworter der Verblisterung – auch für Martin Halm, der seine positiven Erfahrungen beim Aufbau des Blisterzentrums Schwerin überzeugend darstellte. Als Landapotheker in Mecklenburg wollten er und einige Kollegen den Apothekenbetrieb von dieser Spezialaufgabe entlasten. Dabei werden die Blistermaschinen individuell befüllt. Im Unterschied zur industriellen Verblisterung, bei der nur einige hundert Präparate verblistert werden können, bleibt hier die Therapieauswahl voll erhalten, erklärte Halm. Die Aufsichtsbehörden gestatteten die externe Verblisterung jedoch nicht als Rezeptur und forderten eine Herstellungserlaubnis. Halm machte die Mühen im Umgang mit industrieähnlichen Abläufen deutlich, berichtete aber auch begeistert über die interessanten technologischen Erfahrungen und die erhobenen Daten zur Stabilität und Hygiene. Die Qualitätsdiskussion betrachtet er als weitgehend abgeschlossen. Die deutschen Blisterzentren hätten die Verblisterung mit Packungsgrößen von etwa 100 Stück "praktisch neu erfunden", so Halm, denn im Ausland werde meist in eher industriellen Maßstäben verblistert.
Inzwischen versorgt das Blisterzentrum Schwerin über 16 Apotheken 1800 Patienten. Im Auftrag der Apotheken werden in Reinräumen Wochenblister hergestellt, jeder Blister wird zur Kontrolle fotografiert, die Fotos werden archiviert. Dies schaffe Transparenz, so könne eine neue Fehlerkultur etabliert werden, erklärte Halm. Das Blisterzentrum verstehe sich als Dienstleister für die Apotheken und verfolge einen regionalen Ansatz. Bei Entfernungen von höchstens 100 Kilometern seien Medikationsänderungen innerhalb von vier bis sechs Stunden umsetzbar. Halm sei selbst überrascht, welche interessanten weiteren Aufgaben sich aus dieser Arbeit ergeben, von Schulungen in Heimen, Fortbildung für diverse Organisationen bis zur Begleitung wissenschaftlicher Studien.
Nach Einschätzung von Halm lässt sich die Versorgungsqualität im Zusammenhang mit der Verblisterung deutlich verbessern, zudem würden die Pflegekräfte entlastet. Die Apotheker könnten ihre fachliche und soziale Kompetenz besser einbringen. Wenn es eine rechtliche Grundlage für tablettengenaue Abrechnungen gäbe, erwartet Halm Einsparungen von etwa 80 bis 110 Euro jährlich pro Patient. Dem stehen die Kosten der Verblisterung gegenüber, die zum Preis von etwa 1 bis 3 Euro pro Woche und Patient mit den Heimen abgerechnet würde.
Als nächsten Schritt biete er seit einem halben Jahr die Verblisterung für ambulante Patienten gegen Entgelt an. "Das ist Pionierarbeit, es gibt keinen Königsweg", erklärte Halm. Doch das Engagement sei wichtig, denn im ambulanten Bereich könne die Verblisterung die Adherence der Patienten wesentlich verbessern, weil viele Patienten mit ihrer Medikation überfordert seien. Die verbesserte Therapietreue erspare viele Folgekosten, insbesondere teure Krankenhauseinweisungen. Gemäß ausländischen Studien könnten so etwa 1200 Euro jährlich pro Patient gespart werden. Die Apotheke bekomme damit auch einen höheren Stellenwert in der Wahrnehmung der Patienten. "Meine Patienten sind von der neuen Dienstleistung begeistert", so Halm.
Einsparungen und Kosten gleichen sich aus
Dr. Martin Thomsen, Moderator des Symposiums und Geschäftsführer der Apothekerkammer Niedersachsen, mahnte an, streng zwischen Verblisterung in der ambulanten Versorgung und in Heimen zu unterscheiden. In der Diskussion wurde deutlich, dass die Adherence nur im ambulanten Bereich verbessert werden kann, weil das Pflegepersonal in Heimen die Arzneimittel in gleicher Weise verabreicht – unabhängig davon, wie sie zuvor verblistert waren. Die bessere Therapietreue kann daher als Qualitäts- und Kostenvorteil nur im ambulanten Bereich wirken. Die durch Verblisterung zu erwartenden Reduzierungen der Arzneimittelkosten sind nach Einschätzung der Befürworter größer als beispielsweise die Vorteile der Krankenkassen durch Rabattverträge. Doch diesen Einsparungen stehen Kosten für die Verblisterung in etwa gleicher Höhe gegenüber, sodass kein finanzieller Vorteil verbleiben dürfte.
Linz zitierte dazu eine Studie von Prof. Dr. Eberhard Wille. Danach koste ein Blister ohne die nötige pharmazeutische Leistung mindestens 1,20 Euro pro Woche, sodass 3 Euro pro Woche ein realistischer Abrechnungspreis seien. Die Einsparungen lägen gemäß Wille aber im Durchschnitt bei höchstens 59 Cent pro Blister. "Das geht nicht auf", folgerte Linz. Zudem seien kaum Einsparungen beim Pflegepersonal zu realisieren, weil die Bedarfsmedikation und viele Darreichungsformen nicht verblistert werden können. Linz zog die Konsequenz: "Man kann das Geld nicht streichen, das ist heuchlerisch."
Management wirkt auch ohne Blister
Da viele Arzneimittel nicht verblistert werden können, müssen auch die etablierten Strukturen zur Arzneimittelversorgung in Heimen erhalten bleiben. Dies vermindert nicht nur die möglichen Einsparungen, sondern lässt neue potenziell fehleranfällige Schnittstellen entstehen.
Dr. Klaus Peterseim, Vorsitzender des Bundesverbandes der klinik- und heimversorgenden Apotheker, mahnte an, dass in eine Gesamtbetrachtung auch Kosten für die Vorbereitung der Medikation zur Verblisterung eingehen müssen, denn dies sei eine zusätzliche Leistung der Apotheke.
Dr. Christiane Eckert-Lill, ABDA, beklagte den zusätzlichen Verpackungsmüll durch die Verblisterung und erklärte, dass Doppelverordnungen auch ohne Verblisterung ermittelt werden könnten. In der Diskussion wurde deutlich, dass die Verblisterung nur stattfinden kann, wenn die Medikation zuvor so überarbeitet wird, dass ein klarer Arbeitsauftrag entsteht. Dieses pharmazeutische Medikationsmanagement könnte aber auch direkt beim Patienten oder beim Pflegepersonal hilfreich wirken.
"Dann brauche ich aber nicht mehr zu verblistern", folgerte Petersheim. So wurde vielfach deutlich, dass Vorteile, die dem Verblistern zugeschrieben werden, auch ohne diese Technik zu realisieren sind. Entscheidend sei vielmehr das Management durch den Apotheker, das eine Voraussetzung, aber keine Folge der Verblisterung ist.
Zur Verblisterung im ambulanten Bereich wurde über Akzeptanzprobleme berichtet. Für eine Studie in Sachsen seien nur schwer Teilnehmer zu finden. Halm entgegnete, dass es in dieser Studie um industrielle Blister mit einer Beschränkung auf 400 verschiedene Arzneimittel gehe. Es stehe den Apotheken nicht an, die Ärzte in dieser Hinsicht zu beschränken, meinte Halm. Doch bei Schlauchblistern, wie sie im Blisterzentrum Schwerin hergestellt werden, entfalle dieses Problem. Halm mahnte an, deutlich zwischen diesen verschiedenen Systemen zu unterscheiden. Doch Dr. Thomas Meyer, Seelze, betrachtet den regionalen Ansatz in Mecklenburg-Vorpommern als Sonderfall. Er erwartet, dass sich in dichter besiedelten Regionen eher patientenferne überregionale Strukturen etablieren würden.
"Für uns ist Qualität primär."
Andreas Heeke, AOK WestfalenLippe, über die Bedeutung von
Qualität und Kosten in der
Versorgung multimorbider Patienten
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Gute Versorgung ohne Blister
Dr. Udo Puteanus, Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit Nordrhein-Westfalen, berichtete über sehr unterschiedliche Fehlerhäufigkeiten bei der Arzneimittelversorgung in Heimen. In den besten Heimen bestehe eine zentrale Arzneimitteldokumentation. Die Arzneimittel würden dort täglich, nach dem Vier-Augen-Prinzip, in einem ruhigen Arbeitsraum und am Vormittag gestellt. Gemäß einer Befragung von Pflegekräften würden neun von zehn Pflegenden das Stellen als eine zentrale Aufgabe für die Pflege betrachten. 65,4 Prozent fänden es richtig, wenn die Pflegenden stellen. 62,1 Prozent fänden das Verblistern nicht hilfreich. 56 Prozent meinten, durch das Stellen gehe der Überblick über die Medikation verloren. Nach Einschätzung von Puteanus müssen die Pflegenden die Packungen im wörtlichen Sinn "begreifen", um die Arzneimittel zu beherrschen. Menschen bräuchten die optische Anschauung, um die Packung mit der Information zu verbinden. Durch das Blistern gehe daher Information verloren. Die herkömmliche Versorgung schätzt Puteanus dagegen positiv ein. Die seit 2003 vorgeschriebenen Versorgungsverträge hätten die Arzneimittelversorgung und die Kommunikation mit den Heimen verbessert. Bevor eine neue Technologie wie das individuelle Verblistern eingeführt werde, müsse sie ausreichend evaluiert werden.
Pflegenden droht Entfremdung vom Arzneimittel
Patricia Drube, Diplom-Kauffrau und Altenpflegerin, fürchtet, dass Zeiteinsparungen beim Stellen nicht der Patientenbetreuung zugute kämen. Außerdem drohten neue "Zeitfresser". Die beste Organisation im Blisterzentrum könne keine Übermittlungsfehler ausschließen. Dies werde dann nicht mehr kontrolliert. Wenn doch ein Fehler auffalle, "wird eine Riesen-Maschinerie in Gang gesetzt", so Drube. Zudem sieht sie einige Patientenrechte gemäß der "Pflege-Charta" in Gefahr. Sie fürchtet, dass der Kontakt der Pflegekräfte zur Apotheke durch die Verblisterung abbricht. "Je weiter die Pflegekräfte von der Arzneimittelversorgung entfremdet sind, um so schwieriger ist es für sie, sich dort einzubringen", so Drube. Je mehr Personen informiert sind, um so eher könne ein Fehler auffallen. Die Pflegenden sollten mitdenken, insbesondere beim Umgang mit sedierenden Arzneimitteln. Beim rein mechanischen Ausführen sei das nicht möglich.
Für den ambulanten Bereich fürchtet Drube, dass mit der Verblisterung häusliche Krankenpflege eingespart werden solle. Diese sei aber ein wichtiges Frühwarnsystem mit sozialen Funktionen. Insgesamt ersetze die Verblisterung den Produktionsfaktor Arbeit durch Kapital. Dies sei in der Autoindustrie erfolgreich, aber im Gesundheitswesen anders zu bewerten. Letzteres sollte nicht immer weiter automatisiert werden. Stattdessen wünscht sich Drube mehr Schulungen der Pflegekräfte durch Apotheker.
Besser kommunizieren statt blistern
Für Andreas Heeke, Apotheker bei der AOK Westfalen-Lippe, ist die Polypragmasie ein herausragendes Problem bei der Behandlung multimorbider Patienten. 35 Prozent der über 70-Jährigen würden täglich fünf bis acht verschiedene Arzneimittel erhalten. Dies sei nicht mehr zu überschauen. Für die AOK gehe es dabei nicht primär um Kosteneinsparungen, sondern um die Qualität der Versorgung. Daher forderte Heeke die Apotheker auf, mehr mit den Ärzten zu kommunizieren. Bei mehr als drei bis fünf Krankheiten gehe es darum, die wichtigsten zu behandeln. Die Verblisterung biete dafür keine Hilfe, sondern verstärke das Problem noch weiter, meinte Heeke: "Der Blister ersetzt nicht die kritische Indikationsstellung für jedes Arzneimittel". Der Apotheker müsse ein Feedback geben.
Da nur gut die Hälfte aller Arzneimittel und nur die Dauermedikation verblistert werden könne, entstünden doppelte Verfahren. Dies verdopple auch die Fehlerquellen, fürchtet Heeke. Die Fachkompetenz des Apothekers könne bei allen Arzneimitteln nutzen, unabhängig von der Verblisterung. Die unzureichende Kommunikation sei ein wesentliches Systemproblem.
"Die Überversorgung
wird praktisch in Plastik gegossen."
Andreas Heeke, AOK WestfalenLippe, zur Verblisterung bei der Versorgung multimorbider Patienten |
In der Diskussion wurde entgegnet, dies sei eher den Ärzten und weniger den Apothekern zuzuschreiben. Jensen berichtete dazu über gute Erfahrungen mit einem Faxformular zur Information über pharmazeutische Probleme bei Verordnungen. Darauf erhalte er gute Rückmeldungen, die er auch aus rechtlichen Gründen archiviere.
Strategische Bedrohung
Halm hatte dargestellt, dass die in Deutschland etablierten Blisterzentren der Apotheker keine Bulkware verarbeiten könnten. Dies habe nicht nur rechtliche Gründe, sondern sei auch technisch bedingt, da die bei ihm verwendeten Maschinen keine Massenware verarbeiten könnten. Bei Bulkware in Gebinden von Tausenden Einzeldosen sei ein "Riesenaufwand gegen die Cross-Kontamination" und gegen die Primärstäube in den Bulkverpackungen nötig.
Trotz dieser Einschränkung kam Dr. Reinhard Hoferichter, Sanofi Aventis Deutschland, der das Verblistern aus der strategischen Perspektive der Industrie betrachtete, zu ganz anderen Szenarien. Für ihn ist das patientenindividuelle Verblistern "ein pharmazeutisches Abenteuer mit ungewissem Ausgang". Die Verblisterung könne neue Geschäftsfelder eröffnen und dabei zu Systemveränderungen führen. Es liege nahe, den Umweg über das Fertigarzneimittel wegzulassen. Aus technischer und wirtschaftlicher Sicht könnten die Hersteller die beste Verblisterung bieten. Damit biete sich eine Verknüpfung von Hersteller, Blisterzentrum und Versandapotheke an. Für die Industrie sei das aber derzeit kein Geschäftsmodell, weil sich ihr Qualitätsanspruch am Fertigarzneimittel orientiere. Eine Alternative sei eine Verbindung aus Blisterzentrum, Versandapotheke und pharmazeutischem Dienstleister mit Präparateauswahl durch das Blisterzentrum, Heimbelieferung über den Versand und Versorgungsverträgen mit geeigneten Anreizsystemen, aber ohne Apotheken vor Ort. Dann würde die Versorgung mit vielen Arzneimitteln in ein Fremdbesitzsystem übergehen.
Von der Politik forderte Hoferichter daher eine Gesetzesfolgenabschätzung. Neue Geschäftsmodelle und Versorgungsformen müssten nachweisen, dass sie die Qualität, die Wirtschaftlichkeit und den Nutzen verbessern. "Ein Blister ist ein zulassungsfreies Fertigarzneimittel", gab Hoferichter zu bedenken. Doch die Daten der Industrie zur Qualität würden für den Beutel nicht mehr gelten. Auch das geplante Verifizierungssystem zum Schutz vor Arzneimittelfälschungen werde unterlaufen, da es auf Packungen ausgelegt ist. Das ganze System der Qualitätssicherung und Haftung orientiere sich am Fertigarzneimittel. Die patientenindividuelle Verblisterung sei dagegen eine neue Versorgungsform.
Nach dem "Sündenfall" der Zulassung des Versandhandels appellierte Hoferichter an die Politik, Veränderungen evolutionär und nicht revolutionär vorzunehmen. Der Vorteil neuer Konzepte müsse nachgewiesen werden.
"Die Treiber sind diejenigen, die seit drei Jahren keinen Patienten mehr gesehen haben."
Dr. Klaus Peterseim, Vorsitzender des Bundesverbandes der klinik-
und heimversorgenden Apotheker, über die Anreize zur individuellen Neuverblisterung
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Fazit: Pharmazie und Kommunikation stärken
Trotz dieser ernsten Bedrohungsszenarien ging es in der Diskussion weniger um die möglichen strategischen Folgen, sondern mehr um das Verblistern unter den bestehenden Rahmenbedingungen. Die zahlreichen Argumente zur Bedeutung des pharmazeutischen Managements fasste Moderator Dr. Martin Thomsen zusammen: "Wenn wir nahe am Patienten sind, brauchen wir das Blistern nicht."
Götz Schütte, Organisator der Veranstaltung und ehemaliges ABDA-Vorstandsmitglied, folgerte daraus für die Zukunft: "Das Stellen bleibt beim Pflegepersonal unter fachkundiger Anleitung des Apothekers."
Für Kammerpräsidentin Magdalene Linz steht die Kommunikation mit allen Partnern im Vordergrund. Die Apotheker müssten noch stärker den Kontakt zu den Ärzten suchen. Das Pflegepersonal sei als kritischer Beobachter wichtig und müsse aktiv eingebunden werden. Dafür solle die Veranstaltung in Hannover als Anstoß dienen. Das Blistern sei gegenüber der Kommunikation nachrangig.
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