Seite 3

Standortbestimmung

Peter Ditzel

Pillendreher, Schubladenzieher, Apothekenpreise und altes Zunftdenken – bis heute haben sich in den Köpfen so mancher Journalisten und Gesundheitspolitiker solche Begriffe für den Apotheker und die Apotheke festgesetzt. Seltsam – denn nichts von alledem trifft auf die moderne Apotheke zu. Versuchen wir eine kleine Standortbestimmung.

Pillendrehen und Schubladenziehen – das liegt weit zurück. Allein ein Blick auf die letzten 30 oder 40 Jahre zeigt die Wandlung: Die Apotheke von 2010 hat nichts zu tun mit der Apotheke der 70er oder 80er des letzten Jahrhunderts. Allein das äußere Erscheinungsbild hat sich bei sehr vielen Apotheken verändert. Eine große Freiwahl, Regale mit Kosmetika – vor 40 Jahren durfte es vieles so nicht geben. Die Sichtwahl, gestaltet nach Category-Management-Gesichtspunkten, prägt die Offizin. In vielen Apotheken arbeiten schon Roboter im Warenlager, ganz zu schweigen von der in allen Bereichen präsenten EDV, ohne die nichts mehr läuft.

Die äußeren Veränderungen sind nur ein Hinweis auf die zahlreichen inneren, strukturellen Anpassungen, die eine Apotheke in den letzten Jahren erfahren hat. Spar- und Kostendämpfungsgesetze zwangen die Apotheke dazu, Strukturen und Abläufe zu ändern. Gesetzliche Auflagen, Festbeträge, Importe, Aut-idem-Substitution – und natürlich Rabattverträge, die zu massiven Veränderungen beim Abgabevorgang von Arzneimitteln in der Offizin geführt haben, sorgten für neu strukturierte Arbeitsvorgänge in der Apotheke. Zukunftsweisend war die Umstellung der Arzneimittelpreisverordnung auf ein Fixhonorar und einen Aufschlag von 3 Prozent bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln: Der Apotheker verdient nicht mehr am Preis des Arzneimittels.

Auch Apothekenkooperationen– noch vor 40 oder 30 Jahren ein Unding – sind ein Beispiel für permanente Veränderungen. Anfänglich aus lockeren Einkaufsgemeinschaften entstanden können einige Apotheken heute kaum noch ohne. Marketing – ein Wort, das 1980 nur wenige Apotheker in den Mund nahmen – gehört heute zum Alltag.

Einen besonders tiefen und nachhaltigen Einschnitt brachten die Lockerung der Werbemöglichkeiten für Apotheken, die Freigabe der OTC-Preise und die Zulassung des Versandhandels. Ein Schmankerl aus den 80er Jahren: Damals durfte eine Apotheke nur bei besonderen Anlässen, z. B. Jubiläen, eine kleine, in der Größe genau vorgeschriebene Anzeige in Tageszeitungen veröffentlichen. Heute sind große bunte Werbeannoncen, Flyer mit Preisangeboten und Angebotsheftchen an der Tagesordnung. Die kalkulierbaren OTC-Preise führen zu Preisschlachten, Discountangeboten und Billigapotheken. Der Markt der Hilfsmittelversorgung kann für eine Apotheke heute nur noch als Hobby oder Servicegeschäft angesehen werden – es ist ein Zuschussgeschäft geworden.

Nachhaltige Auswirkungen brachte die Zulassung des Versandhandels. Immer wieder wird versucht, Auswüchse dieser Spielform im Markt zu etablieren – mit unterschiedlichem Erfolg. Solche Formen sind beispielsweise Arzneimittel am Kiosk, die Video-Apotheke, der Abgabe-Automat bis hin zu den unsäglichen Pick-up-Stellen, die hoffentlich mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz verboten werden können.

Doch nicht nur neue Gesetze und äußere Veränderungen zwangen den Apotheker, sich zu wandeln. Der Apothekerberuf musste sich darauf besinnen, was die Gesellschaft von ihm verlangt, welche Aufgaben er in modernen Zeiten, in denen er eben nicht mehr in erster Linie der Arzneimittelhersteller ist, übernehmen muss. Die Beratung und die pharmazeutische Betreuung der Patienten stehen heute im Mittelpunkt des modernen Apothekerberufs. Die meisten Apotheken dürften dies erkannt haben – dennoch, es gibt Nachholbedarf, wie und in welchem Umfang man Beratung anbietet. Aus meiner Sicht könnte auch die pharmazeutische Ausbildung stärker verinnerlichen, dass der Apotheker kein Chemiker oder Analytiker ist, der mit Reagenzgläschen jongliert, sondern ein Berater, der mit Patienten arbeitet.

Der Apotheker und seine Apotheke sind Teil unseres modernen Gesundheitswesens, das getrieben ist vom ständigen Zwang zum Sparen, von liberalen Wettbewerbsgedanken, von Veränderungen durch Technik und gesellschaftlichen Erfordernissen, die im Apotheker in erster Linie den beratenden Arzneimittelfachmann sehen. Gleichwohl steckt er in einer Zwitterrolle als Kaufmann und Heilberuf. Sein Einkommen bezieht er aus dem Handel. Wo die Reise hin geht, werden vor allem der Apotheker selbst, aber auch Gesellschaft und Staat mitbestimmen. Angesichts moderner Entwicklungen wie personalisierte Arzneimittel und verbessere Complianceüberwachung, um nur zwei Beispiele zu nennen, wird der Apotheker mehr denn je gebraucht. Pillendreher und Schubladenzieher sind schon lange Vergangenheit, Berater und Arzneimittelmanager sind die Zukunft.


Peter Ditzel

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.