Rechtsprechung aktuell

Parallelversorgung ohne Vertrag unzulässig

Nach einem Urteil des Landesberufsgerichts für Heilberufe Koblenz dürfen Apotheken Heime grundsätzlich nicht ohne Heimversorgungsvertrag mit Arzneimitteln beliefern. Eine Ausnahme von diesem Verbot bei einer Selbstversorgung der Heimbewohner (§ 12a Abs. 3 ApoG) sei nur in engen Grenzen möglich und jedenfalls ausgeschlossen, wenn eine regelmäßige, dauerhafte und systematische Parallelversorgung aufgebaut und unterhalten wird. (Landesberufsgericht für Heilberufe Koblenz, Urteil vom 11. September 2009, Az.: LBGH A 10322/09).
Foto: AOK Mediendienst
Die freie Apothekenwahl gilt prinzipiell auch für die Patienten in Pflegeheimen. ­Allerdings ist sie eingeschränkt, wenn das Heim von einer vertraglich gebundenen ­Apotheke versorgt wird. Eine Selbstversorgung der Patienten ist dann nur noch in ­engen Grenzen möglich.

In diesem Verfahren ging es um die bedeutsame Frage, ob ein Apotheker zu einem Heim, das gemäß § 12a ApoG aufgrund Heimversorgungsvertrages durch eine oder mehrere andere Apotheken versorgt wird, unter Berufung auf die Apothekenwahlfreiheit eine parallele Belieferungsstruktur aufbauen darf. Das Landesberufsgericht setzt sich dabei grundlegend mit der Vorschrift des § 12a ApoG auseinander.

Der Fall

Zwei Apotheken, die ein Seniorenheim auf Grundlage eines Arzneimittelversorgungsvertrages gemäß § 12a ApoG versorgen, stellten fest, dass in "ihrem" Heim über eine Drittfirma nicht-verschreibungspflichtige Arzneimittel bezogen werden und beschwerten sich über diese Art von "Rosinenpickerei". Bei der Drittfirma handelt es sich um ein Unternehmen, das im Internet eine Plattform unterhält und dort u. a. einen Pharma Service anbietet. Dieser Service beinhaltet, dass Pflegeeinrichtungen die ihnen von immobilen Patienten überlassenen Rezepte bei dem Unternehmen einreichen und dieses die Rezepte dann an eine öffentliche Apotheke weiterleitet, die mit ihm als Geschäftspartnerin zusammenarbeitet. Die Partnerapotheke beschafft die Arzneien, lässt sie vom Unternehmen abholen und an die jeweilige Pflegeeinrichtung liefern. Im vorliegenden Fall hatte die "Partnerapotheke" die Belieferung des Seniorenheims mit Arzneimitteln und apothekenpflichtigen Medizinprodukten ohne Zwischenschaltung der Drittfirma fortgesetzt. Der im berufsgerichtlichen Verfahren zur Verantwortung gezogene Inhaber der "Partnerapotheke" führte hierzu aus, dass die Lieferung an den jeweiligen Heimbewohner und nicht an das Heim erfolge. Der einzelne Heimbewohner, der sich über ihn versorgen lasse, habe dem Seniorenheim einen schriftlichen Auftrag erteilt, für ihn eine Apotheke auszusuchen, von der die Arzneimittel bezogen würden. Der Betreiber des Heimes habe für manche der Bewohner infolge dieser übertragenen Vollmacht in Ausübung der freien Apothekenwahl des einzelnen Heimbewohners seine, des Beschuldigten, Apotheke für die Belieferung ausgewählt. Hierzu legte der beschuldigte Apotheker maschinenschriftliche Schreiben mehrerer Heimbewohner mit dem gleichlautenden Text vor: "Ich bestätige, dass ich selbst die B.-Apotheke, mit der Lieferung von Arzneimitteln u. ä. beauftragt habe. Die Lieferung erfolgt gegen Rechnung an mich bzw. meine Krankenkasse."

Entscheidung im Wortlaut bei DAZ.online


Das hier genannte Urteil können Sie neben anderen apotheken- und arzneimittelrechtlichen Entscheidungen im Wortlaut abrufen unter DAZ.online (www.deutsche-apotheker-zeitung.de) in der Servicerubrik unter DAZ.online Recht.

Die Entscheidung des Gerichts

Das Landesberufsgericht bestätigt den in der ersten Instanz erteilten berufsrechtlichen Verweis und die Verhängung einer Geldbuße in Höhe von 20.000 Euro. Das Kammermitglied habe die ihn treffende Pflicht, die für seine Berufsausübung geltenden Gesetze zu beachten, verletzt, indem es trotz bestehenden Heimversorgungsvertrages mit Apotheken vor Ort eine unzulässige Parallelversorgung mit Arzneimitteln aufgebaut und unterhalten und dadurch gegen § 12a ApoG verstoßen habe.

Das Berufsgericht legt hierzu die doppelte Zielrichtung dar, welche das Gesetz mit § 12a ApoG verfolge: Einerseits solle den Heimen i. S. d. § 1 HeimG ein sachkundiger Apotheker zur Seite gestellt werden, der die "Heimapotheke" kostenlos führe und die Mitarbeiter des Heims berate. Die aufgrund des Heimversorgungsvertrages vom Apotheker zu erbringenden zusätzlichen Kontroll- und Beratungsleistungen würden dadurch abgegolten, dass er die Möglich-

keit habe, die Heimbewohner mit Arzneimitteln zu beliefern; denn der Heimversorgungsvertrag sei der rechtliche Zugang, gleichsam der "Schlüssel" der Versorgungsapotheke zu einer regelmäßig auf Dauer angelegten Versorgung der Heimbewohner.

Andererseits sei es wegen des den Heimbewohnern zustehenden Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) von Rechts wegen nicht möglich, diese bzw. das Heim hinsichtlich der Arzneimittelversorgung völlig an den Versorgungsapotheker zu binden. Deswegen sehe § 12a Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 ApoG vor, dass der Heimversorgungsvertrag die freie Apothekenwahl nicht einschränken dürfe. Außerdem sei in § 12a Abs. 3 ApoG festgelegt, dass sich Bewohner von Heimen selbst mit Arzneimitteln und apothekenpflichtigen Medizinprodukten aus öffentlichen Apotheken versorgen könnten und dass es in diesem Fall keines Heimversorgungsvertrages nach § 12a Abs. 1 ApoG bedürfe.

Dieses Zusammenspiel von § 12a Abs. 1 und Abs. 3 ApoG zeige, so das Berufsgericht, dass § 12a Abs. 1 ApoG eine Verbotsnorm sei. Sie verbiete die Versorgung mit Arzneimitteln und apothekenpflichtigen Medizinprodukten, wenn diese nicht im Rahmen eines Heimversorgungsvertrages erfolge und auch kein Fall der Selbstversorgung gegeben sei. Die Selbstversorgung ist danach der gesetzlich vorgesehene Ausnahmefall der Versorgung der Heimbewohner mit Arzneimitteln. Damit stellt sich die Frage, unter welchen Umständen eine Selbstversorgung neben der Heimversorgung noch angenommen werden darf.

Das Landesberufsgericht legt dar, dass unter Berücksichtigung der Vorstellung des Gesetzgebers, welcher mit Einführung einer Heimversorgung die Versorgungslage in den Heimen verbessern wollte, davon auszugehen sei, dass der Versorgungsapotheker typischerweise "der" Lieferant des Heims und seiner Bewohner sei, die Selbstversorgung der Heimbewohner dagegen die eher seltene Ausnahme bilde. Ferner sei nach der allgemeinen Lebenserfahrung nicht zu erwarten, dass im "Heimversorgungssystem" der Selbstversorger eine signifikante Rolle spiele; denn im Allgemeinen dürfte der einzelne Heimbewohner so pflegebedürftig sein, dass er an einer persönlichen und selbstständigen Versorgung mit Arzneimitteln kein Interesse habe. Es müssten schon besondere Umstände hinzutreten, damit der jeweilige Heimbewohner sich seine Arzneimittel selbst liefern lasse. Solche könnten vor allem in einem schon früher begründeten Vertrauensverhältnis zu einem bestimmten Apotheker oder auch in familiären Beziehungen liegen.

Diese Voraussetzungen sah das Gericht als nicht erfüllt: Zum einen widerspreche die spartenweise Versorgung der Patienten durch das Kammermitglied mit OTC-Arzneimitteln dem durch § 12a ApoG begründeten Regel-/Ausnahmeverhältnis und mache sie zu einer Parallelversorgung. Darüber hinaus sei auch die Größenordnung von knapp 10 Prozent der belieferten Verordnungen nicht so unbedeutend, als dass man sie noch als eine Anzahl von Einzelfällen ansehen könne. Schließlich erhalte die Belieferung ihr Gepräge als Parallelversorgung maßgeblich dadurch, dass sie organisiert und systematisch durch das Heim selbst erfolge. Eine regelmäßige, auf Dauer angelegte, systematisch vom Heim organisierte und betriebene Parallelversorgung widerspreche dem erkennbaren Regelungswillen des Gesetzgebers.

Dr. Valentin Saalfrank, Fachanwalt für Medizinrecht, Köln

Auszug aus § 12a ApoG


(1) Der Inhaber einer Erlaubnis zum Betrieb einer öffentlichen Apotheke ist verpflichtet, zur Versorgung von Bewohnern von Heimen im Sinne des § 1 des Heimgesetzes mit Arzneimitteln und apothekenpflichtigen Medizinprodukten mit dem Träger der Heime einen schriftlichen Vertrag zu schließen. Der Vertrag bedarf zu seiner Rechtswirksamkeit der Genehmigung der zuständigen Behörde. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn

1. – 3. (…)

4. der Vertrag die freie Apothekenwahl von Heimbewohnern nicht einschränkt

5. (…)

(2) (…)

(3) Soweit Bewohner von Heimen sich selbst mit Arzneimitteln und apothekenpflichtigen Medizinprodukten aus öffentlichen Apotheken versorgen, bedarf es keines Vertrages nach Absatz 1.

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