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- DAZ 28/2010
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Medizin
Wie unnötige Antibiotika-Therapien zu vermeiden sind
Dies haben mehrere Studien belegt. So konnte im zweiten Teil der Hannover-Pro-Studie der Anteil der Antibiotikatherapien durch PCT-Bestimmungen um 41,6% gesenkt werden: In der Gruppe, in der PCT nicht bestimmt wurde, bekamen 36,7% Antibiotika verordnet, in der Gruppe mit PCT-Kontrollen nur 21,5%. Der Outcome, gemessen als Tage mit gesundheitlichen Einschränkungen, blieb gleich. In diesem zweiten Teil der Studie wurden 550 Patienten mit akuten Atemwegsinfektionen in Allgemeinarztpraxen kontrolliert-randomisiert auf die beiden Gruppen verteilt.
Damit wurden die Ergebnisse des ersten Teils der Studie bestätigt, bei der von 702 Patienten 30,3% eine Antibiotikatherapie bekamen und Analysen der PCT-Werte ergaben, dass über 70% der Antibiotikaverordnungen unnötig waren.
Hintergrund der Studien sind neben vermeidbaren Nebenwirkungen und Kosten zunehmende Resistenzen gegen Antibiotika, hervorgerufen vor allem durch unkritischen und unnötigen Einsatz von Antibiotika. Der Hauptgrund unnötiger Verordnungen ist, dass ein sicherer Ausschluss oder Nachweis von bakteriellen oder viralen Ursachen meistens aufwendige, belastende und teure Untersuchungen erfordert. So lassen sich virale Infektionen der Atemwege klinisch häufig kaum von bakteriellen unterscheiden. Auf der anderen Seite sind gerade Atemwegsinfektionen mit ca. 75% die häufigste Indikation für eine ambulante Antibiose.
Auch verlangen Patienten aus Unkenntnis oder einem Sicherheitsgefühl heraus oft eine Antibiose und viele Ärzte geben dem Drängen nach. Viele Patienten lassen sich zudem nicht überzeugen, abzuwarten und im weiteren Verlauf zu entscheiden, ob eine Antibiose indiziert ist. Andere Ärzte gehen "auf Nummer sicher" und verschreiben "vorsichtshalber" Antibiotika. Hier wünscht man sich mehr Zeit und Gelegenheiten für eine kompetente Aufklärung und Beratung der Patienten. Auch ein aussagekräftiger und günstiger Test, der zwischen bakteriellen und viralen Infektionen unterscheidet, hilft, Unsicherheiten zu beseitigen und die Vielzahl unnötiger Antibiosen deutlich zu reduzieren.
Parameter | Spezifität | Sensitivität |
C-reaktives Protein (CRP) | um 65% | um 75% |
Procalcitonin (PCT) | um 85% | um 85% |
Spezifität und Sensitivität bei der Differenzierung zwischen bakterieller und nicht-infektiöser Entzündung.
BSG, Blutbild, CRP
Im Rahmen von Infektionen häufig bestimmte Laborparameter sind BSG, Blutbild, CRP. Die Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit (BSG) ist sehr sensitiv – und sehr unspezifisch: Eine normale BSG schließt Entzündungen und Infektionen so gut wie sicher aus, eine erhöhte gibt jedoch keine Hinweise auf die Ursache. Etwas spezifischer ist eine Leukozytose im Blutbild. Aber neben bakteriellen Infektionen gibt es viele weitere Ursachen, z. B:
- Pilzinfektionen, Parasitosen,
- chronische Entzündungen,
- Coma diabeticum, uraemicum, hepaticum,
- myeloproliferative Erkrankungen, z. B. CML, Osteomyelosklerose, Polycythaemia vera,
- Leukämien, Lymphome,
- metabolische Ursachen: Glucocorticoidtherapie, M. Cushing, Hyperthyreose,
- Stress, Trauma, Schock,
- Infarkte,
- akute Blutungen, Hämolyse.
Virale Infektionen führen nur selten zu einer Leukozytose. Das C-reaktive Protein (CRP) ist spezifisch und sensitiv für akute und chronische Entzündungen, besitzt aber keine Organ- oder Krankheitsspezifität. Bei bakteriellen Infektionen steigt das CRP oft schneller und höher. Sehr sicher ist dies aber nicht und bei einer einmaligen Bestimmung ist die Rasanz des Anstiegs nicht zu erkennen.
Bei einer akuten Entzündung steigt das CRP innerhalb von sechs bis zwölf Stunden. Die Halbwertszeit im Plasma beträgt ca. 24 Stunden. Nach der Genesung fällt das CRP schnell wieder ab. Somit ist es besser zur Verlaufskontrolle geeignet als z. B. die BSG.
Das CRP ist neben Infektionen z. B. erhöht bei:
- postoperativen Komplikationen
- einer akuten Pankreatitis
- rheumatischen Erkrankungen
- chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen
- malignen Tumoren
- akutem Herzinfarkt.
Veränderungen bei BSG, Blutbild und CRP zeigen Infektionen an. Für die Unterscheidung viraler und bakterieller Infektionen liefern sie jedoch nur Indizien. Der mikrobiologische oder serologische Nachweis der Erreger bringt zwar Klarheit, Aufwand und Ergebnisse stehen aber eigentlich nur bei lebensbedrohlichen Erkrankungen in einem akzeptablen Verhältnis.
Procalcitonin
Mit Procalcitonin (PCT) wird seit über 15 Jahren eine körpereigene Substanz erforscht, die bakterielle Infektionen besser anzeigt. PCT ist das Prohormon des Calcitonins, das in den C-Zellen der Schilddrüse und neuroendokrinen K-Zellen der Lunge produziert wird. Die dem Calcitonin früher zugesprochene Rolle bei der Regulierung des Calcium-Haushaltes ist nach neueren Befunden übrigens nicht gegeben.
Bei Gesunden ist die Produktion von PCT supprimiert. Bei systemischen bakteriellen Infektionen führen bakterielle Toxine und Entzündungsmediatoren zu einer ubiquitären Produktion von Procalcitonin.
Die PCT-Werte steigen in zwei bis drei Stunden an und erreichen nach 24 Stunden ihren Höchstwert. Die biologische Halbwertszeit beträgt 25 bis 30 Stunden. Damit eignet sich PCT gut als Verlaufsparameter.
Bestimmt wird das PCT im Serum.
Der PCT-Wert ist normal bei:
- lokalen bakteriellen Infektionen wie einem Abszess,
- viralen Infektionen,
- Autoimmunerkrankungen,
- Tumoren – außer einem C-Zell-Karzinom.
Erhöhte Werte treten vor allem bei systemischen bakteriellen Infektionen auf. Andere Ursachen sind selten, beruhen auf spezifischen Situationen und beeinflussen daher die Interpretation kaum:
- Medikamente, die eine Zytokin-Ausschüttung induzieren, z. B. IL-2, OKT-3 oder Anti-Lymphozyten-Globulin,
- C-Zell-Karzinom,
- extrakorporale Zirkulation,
- Polytrauma,
- Hitzschlag.
PCT-Wert | Bedeutung |
< 0,005 ng/ml | Normalwert, kein Hinweis auf systemische bakterielle Infektionen |
< 0,5 ng/ml | Lokale Entzündung und lokale Infektion möglich. Bei unkomplizierten bakteriellen Bronchitiden oder Pneumonien liegt der PCT-Wert oft um 0,25 – 0,5 ng/ml. |
0,5 – 2,0 ng/ml | mäßige systemische Entzündungsreaktion. Bei einem Erregernachweis aus dem Blut ist eine Sepsisdiagnose sicher |
2,0 – 10,0 ng/ml | schwere systemische Entzündungsreaktion mit hohem Risiko für ein Organversagen |
> 10,0 ng/ml | sehr schwere systemische Entzündungsreaktion mit hohem Risiko für einen letalen Verlauf |
Je höher, je gefährlicher
Die Höhe des PCT-Wertes zeigt Studien zufolge die Schwere der Infektion an und hat prognostischen Wert. Während eine Bronchitis oder eine Pneumonie oft Werte von 0,25 bis 0,5 ng/ml zeigen, sollte ab 0,5 ng/ml eine Sepsis ausgeschlossen werden. Ab 2 ng/ml liegt eine schwere systemische Infektion vor.
Folgende Indikationen ergeben sich:
- Verdacht auf eine systemische bakterielle Infektion,
- Verdacht auf eine Sepsis,
- Therapiekontrolle schwerer Infektionen und einer Sepsis.
Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), der u. a. die Paul-Ehrlich-Gesellschaft angehört, empfiehlt z. B. in ihren Leitlinien, bei einem PCT-Wert unter 0,1 ng/ml auf eine Antibiose zu verzichten. Noch zahlt die GKV den PCT-Test in der ambulanten Versorgung nicht generell, nur die KVen einiger Bundesländer übernehmen die Kosten. Aufgrund der guten Studienergebnisse wird versucht, eine Aufnahme in den EBM zu erreichen. Bis dahin können Hausärzte den Test als IGeL für knapp 28 € abrechnen.
Quellen
Burkhardt, O. et al: A simple procalcitonin-guided strategy results in safe reductions of antibiotic use in patients with symptoms of acute respiratory tract infections in primary care. Eur. Respir. J., February 25, 2010, doi 10.1183/09031936.00163309
Christ-Crain, M. et al: Effect of procalcitonin-guided treatment on antibiotic use and outcome in lower respiratory tract infections: cluster-randomised, single-blinded intervention trial. The Lancet, Volume 363, Issue 9409, 21 February 2004, Pages 600 – 607
Leitlinie der AWMF: Epidemiologie, Diagnostik, antimikrobielle Therapie und Management von erwachsenen Patienten mit ambulant erworbenen tiefen Atemwegsinfektionen sowie ambulant erworbener Pneumonie. www.uniduesseldorf.de/AWMF/ll/082-001.htm
Thomas, L. (Hrsg.): Labor und Diagnose, Th-Books, 7. Aufl.
Autoren
Hans Reuter,
Dr. A. Schäffler,
Schäffler & Kollegen,
Augsburg,
www.schaeffler.cc
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