Ernährung aktuell

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Die Frage, ob ein Zusammenhang zwischen Lebensmittelfarbstoffen und dem Auftreten von ADHS besteht, wird bereits seit Langem diskutiert. Durch die EU sind 42 Farbstoffe als Lebensmittelzusatzstoffe zugelassen. Ein Teil dieser Farben zählt zu den Azo-Lebensmittelfarbstoffen. Ab dem 20. Juli 2010 besteht für sechs dieser Farbstoffe eine zusätzliche Deklarationspflicht.

In den 1970er Jahren entstand die These, die Ernährung könne verantwortlich für ein Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) sein. Begründer dieser These war Benjamin Feingold, ein amerikanischer Kinderarzt und Allergologe. Feingold ging davon aus, die Ursache für ADHS sei eine Unverträglichkeit gegenüber synthetischen Farb- und Aromastoffen in der Ernährung sowie gegenüber natürlicherweise in Lebensmitteln vorkommenden Salicylaten. Laut der von ihm entwickelten Feingold Diät (K-P-Diät), sollen z. B. Mandeln, Aprikosen, Beeren, Kirschen, Weintrauben, Orangen und Pfirsiche aufgrund ihres natürlichen Gehalts an Salicylsäure gemieden werden. Darüber hinaus Lebensmittel, denen synthetische Farb- und Aromastoffe zugesetzt werden. Auch Medikamente wie Acetylsalicylsäure sollten nicht eingenommen werden. Feingold belegte seine Theorien mit eigenen Fallstudien, die dem heutigen wissenschaftlichen Standard allerdings nicht gerecht werden. In von anderen als Feingold durchgeführten Studien konnte die Hypothese nicht bestätigt werden. Der Nachweis, dass die Ernährung bei gesunden Kindern eine ADHS auslöst oder sich der Zustand von Kindern mit ADHS deutlich durch eine Diät verbessert, konnte somit nicht erbracht werden und gilt heute als widerlegt. Trotzdem hat die Feingold-Diät bis heute viele Anhänger, vor allem in England, Australien und den USA. Auch hat die These zur Entwicklung weiterer Diäten geführt, wie der Oligoantigenen Diät von Egger. Die Ernährung sieht eine Nahrungsaufnahme vor, die nur aus allergiearmen Lebensmittelgruppen besteht. Auch diese Diät ist nicht wissenschaftlich belegt und aus ernährungswissenschaftlicher Sicht abzulehnen, da sie den Verzehr von vielen Nahrungsmitteln verbietet, die für die Entwicklung eines Kindes wichtig sind.

In Deutschland entstand außerdem die Theorie, Lebensmittelzusatzstoffe wie Industriezucker, der Zuckerersatzstoff Aspartam und/oder Phosphat könnten als Auslöser einer ADHS verantwortlich gemacht werden. Eine von vielen kontrollierten Studien zeigte, dass sich das Verhalten von hyperaktiven Kindern zwar unter einer phosphatarmen Diät besserte, eine negative Verhaltensänderung ließ sich durch die Gabe von Phosphaten aber nicht reproduzieren. Eine Vielzahl an weiteren Studien konnte zusätzlich keinen Zusammenhang, weder mit Zucker noch Aspartam, aufzeigen.

Neue EU-Gesetzgebung

Das Europäische Parlament hat im Juli 2008 eine neue Gesetzgebung für die Genehmigung von Lebensmittelzusatzstoffen, Aromen und Enzymen, mit dem Inkrafttreten am 20. Januar 2009, verabschiedet. Die Neuregelung soll unter anderem den Schutz der menschlichen Gesundheit sowie den Schutz der Verbraucher sichern. Nach der Verordnung müssen Lebensmittel, die Farbstoffe enthalten ab dem 20. Juli 2010 mit den entsprechenden E-Nummern versehen werden. Bestimmte Farbstoffe müssen zusätzlich den Aufdruck "kann Aktivität und Aufmerksamkeit bei Kindern beeinträchtigen" tragen. Dies gilt für die Azo-Farbstoffe E 102 Tartrazin, E 110 Gelborange, E 122 Azorubin, E 124 Conchenillerot und E 129 Allurarot sowie für den chemisch hergestellten Farbstoff E 104 Chinolingelb.

Azo-Farbstoffe unter Verdacht

Azo-Farbstoffe gehören mit über 2000 organischen Verbindungen zur größten Gruppe der Farbstoffe. Der Ausgangsstoff, Anilin, wurde früher aus Steinkohleteer extrahiert, heute wird Anilin durch eine chemische Reaktion aus Erdöl gewonnen. Azo-Farbstoffe zeichnen sich durch besonders lichtechte, stabile und kräftige Farben aus, die sich gut mischen lassen. Sie werden vorwiegend zur Färbung von Fetten, Holz und Papier angewandt, einige Sorten werden auch in der Lebensmittelindustrie und zum Färben von Kosmetikartikeln, Medikamenten und Textilien eingesetzt. Zu den bekanntesten und in der Lebensmittelproduktion eingesetzten Azo-Farbstoffen gehören

  • E 102 Tartrazin (gelb)
  • E 110 Gelborange (orange)
  • E 120 Cochenille (rot)
  • E 122 Azorubin (rot)
  • E 123 Amaranth (rot)
  • E 127 Erythrosin (rot)
  • E 129 Allurarot AC (rot)
  • E 131 Patentblau V (blau)
  • E 132 Indigotin (blau)
  • E 133 Brillantblau FCF (blau)
  • E 142 Brillantsäuregrün (grün)
Azofarbstoffe, die künftig mit einem zusätzlichen Warnhinweis deklariert werden müssen
BezeichnungEFarbeADI*Verwendung in**
TartrazinE 102gelb-orange7,5Brausepulver, Brausen, Sirup, Schmelzkäse, Speiseeis, Dessertspeisen, Kuchen, Kekse, Süßwaren, gesalzene Knabberartikel, Würzsoßen
ChinolingelbE 104gelb-orange10Brausepulver, Brausen, Süßwaren, Götterspeise, Dessertspeisen, Speiseeis, Kaugummi, Räucherfisch
Gelborange SE 110gelb-orange2,5Brausepulver, Brausen, Sirup, Schmelzkäse, Speiseeis, Dessertspeisen, Kuchen, Kekse, Süßwaren, gesalzene Knabberartikel, Konfitüren, Fruchtzubereitungen
AzorubinE 122rot4Brausepulver, Brausen, Sirup, Schmelzkäse, Speiseeis, Dessertspeisen, Kuchen, Kekse, Süßwaren, gesalzene Knabberartikel, Konfitüren, Fruchtzubereitungen
Cochenillerot AE 124rot4Würzmittel, gesalzene Knabberartikel, Schmelzkäse, Süßwaren, Speiseeis, Dessertspeisen, Kuchen, Kekse, Brausepulver, Brausen, Sirup
Allurarot ACE 129rot7Brausepulver, Brausen, Sirup, Schmelzkäse, Speiseeis, Dessertspeisen, Süßwaren, gesalzene Knabberartikel

 

* mg/kg Körpergewicht

 

 ** Auswahl

EFSA gibt Anstoß für neue Deklarationspflicht

Viele Azo-Farbstoffe werden im Körper durch Enzyme in ihre Ausgangsverbindungen aufgespalten, diese gelten als stark krebserregend und stehen außerdem unter dem Verdacht Allergien und Pseudoallergien auszulösen, sowie hyperaktives Verhalten zu verursachen. Letzterer Zusammenhang wird bereits seit Längerem in Studien untersucht. So hatte die European Food Safety Authority (EFSA) im Jahr 2008 den Auftrag, eine Studie von McCann et al. über die Auswirkungen von zugelassenen Lebensmittelfarbstoffen auf das Auftreten von Hyperaktivität bei Drei- und Acht- bis Neunjährigen zu bewerten. Die EFSA kam zu dem Ergebnis, dass aufgrund der Studie keine klare Zuordnung zwischen bestimmten Farbstoffen und dem Auftreten von Hyperaktivitätssymptomen festzustellen ist. Dennoch gäbe es, so die Zusammenfassung der EFSA, statistisch signifikante, wenn auch nur kleine Effekte bezüglich der Aktivität und Aufmerksamkeit in der untersuchten Studiengruppe.

Auf Grundlage dieser Bewertung hat, auch im Sinne des allgemeinen Verbraucherschutzes, das Europäische Parlament eine neue Deklarationspflicht beschlossen. Ab dem 20. Juli 2010 müssen Lebensmittel, die einen der in der Tabelle aufgeführten Azo-Lebensmittelfarbstoffe enthalten, folgenden Warnhinweis tragen: "Kann Aktivität und Aufmerksamkeit bei Kindern beeinträchtigen."

Die Datenlage war aber nach Meinung der europäischen Experten nicht aussagekräftig genug, um auch eine Änderung der ADI-Werte (acceptable daily intake) für die betroffenen Azo-Lebensmittelfarbstoffe zu verabschieden. Die ADI-Werte legen die Menge fest, die bei täglicher Aufnahme über die gesamte Lebenszeit keinen negativen Effekt auf die Gesundheit haben.

Zwar keine Evidenz, aber kaum gute Studien

Angeregt durch die Ergebnisse der EFSA und der Entscheidung des Europäischen Parlaments wurde aktuell ein systematischer Review zur Frage des Zusammenhangs zwischen künstlichen Lebensmittelfarbstoffen und hyperaktivem Verhalten bei Kindern und Jugendlichen durchgeführt. Insgesamt konnten 167 Artikel oder Hinweise zu Untersuchungen und Studien in Datenbanken und HTA-Agenturen zu diesem Thema identifiziert werden. Aus diesen wurden nach PIKO-Kriterien 13 geeignete Studien ausgewählt und bewertet. Unter PIKO-Kriterien werden die Einschlusskriterien und Fragestellungen für die Auswahl der Studien für einen systematischen Review zusammengefasst: Population, Intervention, Kontrollintervention und Outcome. Das bedeutet, dass Kinder und Jugendliche im Alter von Null bis 18 Jahren Azo-Lebensmittelfarbstoffe in einer bestimmten Dosierung erhalten haben und die Veränderung ihres Verhaltens erfasst wurde im Vergleich zu einem Placebo. Zudem wird noch das Studiendesign als Auswahlkriterium genutzt.

Review bestätigt EFSA-Ergebnisse

Der Review bestätigt die Ergebnisse, zu denen die EFSA gekommen war. Auch wenn in jüngerer Zeit die Qualität der Studien zu Lebensmittelfarbstoffen und Hyperaktivität zugenommen hat, so lassen sich die gewonnenen Ergebnisse kaum auf den Alltag übertragen. So haben lediglich zwei der 13 Studien die Normalbevölkerung berücksichtigt – die anderen elf hatten nur bereits diagnostizierte Kinder oder ADHS-Verdachtsfälle aufgenommen. Knapp die Hälfte der Studien hatte eine über einen jeweils festgelegten Zeitraum triggerfreie Diät als Teilnahmebedingung (open challenge). Zum Teil sind die Studien über einen zu kurzen Zeitraum oder mit einer zu geringen Probandenzahl durchgeführt worden. Der überwiegende Teil der Studien erfüllte jedoch die notwendigen Voraussetzungen einer Doppelverblindung.

Fazit: Noch ist alles offen

Alles in allem lässt sich aufgrund des systematisch durchgeführten Reviews die Hypothese, dass bestimmte Azo-Lebensmittelfarbstoffe bei Kindern und Jugendlichen zu Verhaltens- und Aufmerksamkeitsänderungen führen, weder bestätigen noch widerlegen.

Quellen Schumacher, Ines. Lebensmittelfarbstoffe und Hyperaktivität. HTA-Projektbericht 2009, Nr. 34.

 

 www.efsa.europa.eu
Autorin 

 

Dr. Constanze Schäfer

Kurzkommentar: Knackige Farben wirken attraktiv


Rote und gelbe Lebensmittel wirken attraktiv und ansprechend. Surimi und Lachsersatz betrifft es genauso wie Blätterteig oder Süßigkeiten. Doch ist der Verbraucher bereit, auf perfektes Aussehen zu verzichten – sicher, das Auge isst mit, aber muss die Erdbeermarmelade wirklich in frischem Rot erstrahlen? Beim Bioapfel hat man sich auch daran gewöhnt, dass hier und da eine braune Stelle akzeptiert werden muss.

Andererseits wird es dem Verbraucher relativ schwer gemacht, wenn er nicht vollends auf alle Convenience-Produkte – und dazu gehören dann auch Käse, Wurst oder Brot – verzichten möchte, sich farbstofffrei zu ernähren. Und selbst wenn er dies schafft, aber wegen seines Blutdrucks dann ein Arzneimittel benötigt, steht er erneut vor dem Problem. Auch Tablettenüberzüge, Säfte und Kapselhüllen enthalten die Buntmacher. Schön, dass wenigstens in der Zutatenliste der Arzneimittel gegen ADHS bei Kindern die sechs erwähnten Azo-Lebensmittelfarbstoffe nicht verzeichnet sind.

Inwiefern die von dem EU-Parlament beschlossene Deklarationspflicht also für mehr Entscheidungssicherheit insbesondere für Eltern und Verbraucher allgemein sorgt, bleibt abzuwarten. Zumindest erleichtert der Hinweis das Bewerten der Zutatenliste während des alltäglichen Einkaufs und erlaubt vielleicht teilweise einen bewussten Verzicht.


Constanze Schäfer

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