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- DAZ 25/2010
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Arzneimittel und Therapie
"Keine routinemäßige Ezetimib-Verordnung!"
Berthold: Es handelt sich dabei um eine rein mechanistische Studie, deren Ergebnisse nicht überbewertet werden dürfen. Was wir gefunden haben, sind sicher valide Effekte. Aber es ist keine Endpunktstudie. Sie sagt noch nichts darüber aus, ob die Erhöhung der sdLDL-Subfraktionen tatsächlich arteriosklerotische Prozesse fördert und das kardiovaskuläre Risiko der Patienten erhöht. Zudem haben wir diese Studie mit gesunden Probanden durchgeführt. Wie die Situation bei Risikopatienten mit einem Lipidprofil vom Typ B aussieht, wie wir es beispielsweise bei Typ-2-Diabetikern häufig sehen, können wir nicht sagen. Ich gehe aber davon aus, dass auch hier unter Ezetimib die proatherogenen sdLDL-Subfraktionen in ähnlichem, möglicherweise größerem Ausmaß zunehmen. Wir wollen das in einer entsprechenden Studie mit Typ-2-Diabetikern überprüfen.
DAZ: Nun spricht der Hersteller von Ezetimib, die Firma MSD Sharp & Dohme, von einer völlig überzogenen Interpretation von Laborergebnissen auf ein klinisches Wirkprofil einer Substanz. Eine Atherogenität von Ezetimib sei angesichts der aktuellen Datenlage nicht belegt (s. Stellungnahme von MSD)
Berthold: Sie ist aber auch nicht widerlegt. Unbestritten ist jedenfalls, dass die kleinen dichten LDL-Partikel hochatherogen sind und Ezetimib sie erhöht. Was noch schlimmer ist, Ezetimib hebt in der Kombinationsbehandlung mit einem Statin sogar dessen günstigen Effekt auf die sdLDL auf. Antwort können hier nur Endpunktstudien geben. Paradoxerweise konnte in den wenigen vorhandenen Endpunktstudien trotz zusätzlicher LDL-Senkung kein klinischer Zusatznutzen gezeigt werden. Unsere aktuelle Studie könnte hierfür eine plausible Erklärung bieten. Anders als der Hersteller bin ich im Übrigen der Auffassung, dass nicht wir nachweisen müssen, dass Ezetimib atherogen ist. Der Hersteller steht mit seinem Indikationsanspruch in der Pflicht, zu zeigen, dass Ezetimib antiatherogen wirkt bzw. patientenrelevante Endpunkte günstig beeinflusst.
DAZ: Nun sind ja Ihre Ergebnisse im Kontext mit klinischen Studien wie ENHANCE oder ARBITER-6 zu sehen, die ebenfalls Zweifel an Ezetimib aufkommen ließen. Sind Konsequenzen notwendig?
Berthold: Die Aussagekraft dieser Studien ist durchaus unterschiedlich. Sie bilden aber zusammengenommen die beste verfügbare Evidenz, und die sieht schlecht aus für Ezetimib. So ist das negative Ergebnis der ENHANCE-Studie, die mit Patienten mit familiärer Hypercholesterolämie (FH) durchgeführt worden ist, nicht einfach übertragbar. Patienten mit FH haben eine genetisch bedingte, schon seit Geburt bestehende Fettstoffwechselstörung und sind insofern nicht mit "normalen" Patienten mit kardiovaskulärem Risiko vergleichbar. Außerdem waren sie bereits maximal mit Statinen vortherapiert und ihre Intima-Media-Dicke war ausgangs weitgehend normal. Am aussagekräftigsten ist die ARBITER-6-Studie. Hier konnte nämlich gezeigt werden, dass im Gegensatz zu Ezetimib durch die Kombination eines Statins mit Nicotinsäure tatsächlich eine Reduktion der Intima-Media-Dicke zu erzielen ist – wenn MSD davon spricht, dass in der Ezetimib-Gruppe keine Progression der Arteriosklerose stattfand, dann ist das nur die halbe Wahrheit. Das Ergebnis untermauert ganz klar die Empfehlung, dass Nicotinsäure nach den Statinen das Mittel der zweiten Wahl ist, um das Lipidprofil günstig zu beeinflussen. Erst wenn die Ziele unter Statin- plus Nicotinsäure-Therapie nicht erreicht werden, sollte man Ezetimib oder andere Lipidsenker in Betracht ziehen. Eine solche Behandlung gehört dann allerdings in die Hände von Lipidspezialisten. Für weitergehende Empfehlungen müssen wir allerdings die Ergebnisse von Endpunktstudien wie der IMPROVE-IT-Studie abwarten. Wir können nur hoffen, dass diese Ergebnisse vom Sponsor unverzüglich mitgeteilt werden und dass sich nicht, wie im Falle von ENHANCE, lange Verzögerungen ergeben.
DAZ: Was spricht denn für einen Einsatz von Ezetimib?
Berthold: "The lower the better" beim LDL-Cholesterin ist nach wie vor ein wichtiger Leitsatz in der Therapie von erhöhten Lipidwerten bei Hochrisikopatienten. Daher setzen wir Ezetimib immer dann ein, wenn wir die Möglichkeiten von Statinen und Nicotinsäure ausgereizt haben. Denn unbestritten ist, dass sich durch die zusätzliche Gabe von Ezetimib das LDL-Cholesterin weiter senken lässt und ebenso unbestritten ist, dass Ezetimib im Allgemeinen sehr gut verträglich ist. Doch diese Entscheidung muss, wie schon gesagt, von Spezialisten und nicht vom Hausarzt getroffen werden.
DAZ: Und was empfehlen Sie dem Hausarzt?
Berthold: Es gibt meiner Meinung nach für den Hausarzt meist keinen wirklichen Grund Ezetimib zu geben. Schon gar nicht, um "Statine einzusparen". Denn Statine sind gut verträglich und die Patienten profitieren wahrscheinlich vor allem auch von den pleiotropen Effekten dieser Substanzklasse. Der Hausarzt sollte zunächst alle Möglichkeiten einer Statintherapie ausreizen – also Dosiserhöhung bei Nichterreichen der Zielwerte, Dosisreduzierung oder die Wahl eines anderen Statins bei Nebenwirkungen –bevor er sich für eine Kombinationstherapie entscheidet. Dann ist die bei uns immer noch selten verordnete Nicotinsäure sicher der Kombinationspartner der Wahl. Sollte so kein ausreichender Erfolg zu erzielen sein, sind Experten von spezialisierten Lipidambulanzen gefragt.
DAZ: Herr Professor Berthold, vielen Dank für das Gespräch!
Prof. Dr. med. Heiner K. Berthold, Interdisziplinäres Stoffwechsel-Centrum, Lipidambulanz, Lipidapherese und Ernährungsmedizin, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Campus Virchow-Klinikum, Augustenburger Platz 1, 13353 Berlin
Interview Dr. Doris Uhl, Stuttgart
Hintergrund – Studien zu EzetimibStudie von Berneis K, Rizzo M, Berthold HK, Giatgen A, Krone W, Gouni-Berthold I: European Heart Journal Wissenschaftler der Universität Köln haben in Zusammenarbeit mit der Charité Berlin und dem Universitätsspital Zürich die proatherogenen sdLDL-Subfraktionen (sdLDL = small density LDL) von 72 gesunden Probanden näher untersucht, die 14 Tage lang entweder Ezetimib (10 mg/Tag), Simvastatin (40 mg/Tag) oder eine Kombinationstherapie der beiden Arzneistoffe erhalten hatten. Unter Ezetimib nahmen die sdLDL-Subfraktion LDL-IVA um 14,2% und die sdLDL-Subfraktion IVB signifikant um 16,7% zu. Unter der Statintherapie sank dagegen der LDL-IVB-Wert signifikant um 13,9%. Diese positive Wirkung wurde durch die Zugabe von Ezetimib wieder aufgehoben, der LDL-IVB-Wert stieg signifikant um 14,3%. Der negative Einfluss von Ezetimib auf proatherogene LDL-Subfraktionen könnte demnach für ausbleibende Erfolge einer Ezetimib-Statin-Kombinationstherapie verantwortlich sein. ENHANCE-Studie In der ENHANCE-Studie (Effect of Combination Ezetimibe and High-Dose Simvastatin versus Simvastatin Alone on Atherosclerotic Process in Patients with Heterozygous Familial Hypercholesterolemia) sollte gezeigt werden, dass eine durch Kombinationsbehandlung verbesserte Cholesterinsenkung zu einer deutlich geringeren atherosklerotischen Verdickung der Intima Media in der Halsschlagader führen wird. An der Studie nahmen 702 Patienten mit familiärer Hypercholesterolämie teil. Sie erhielten über 24 Monate randomisiert entweder 80 mg Simvastatin oder eine Kombination von ARBITER-6 In der ARBITER-6-Studie wurde untersucht, welchen Einfluss die zusätzliche Gabe von Ezetimib oder Nicotinsäure auf die Intima-Media-Dicke der Halsschlagader hat. Aufgenommen wurden Patienten mit koronarer Herzkrankheit oder koronaren Risikofaktoren, die schon mit einer Statin-Monotherapie behandelt worden waren. Primärer Endpunkt war die Veränderung der Intima-Media-Dicke gemessen zu Beginn der Studie und nach 14 Monaten. Die Studie war vorzeitig beendet worden, nachdem die Ergebnisse von 208 Patienten vorlagen. In der Nicotinsäure-Gruppe war der HDL-Cholesterin-Spiegel um 18,4% gestiegen, LDL-Cholesterol- und Triglyceridwerte waren signifikant gesunken. Ezetimib reduzierte signifikant den LDL-Cholesterol-Spiegel um 19,2%. Auch die Triglycerid-Werte konnten gesenkt werden, allerdings nahmen auch die HDL-Cholesterol-Werte ab. Im Vergleich zu Ezetimib nahm die mittlere und maximale Intima-Media-Dicke unter der Nicotinsäure-Zusatztherapie signifikant ab. Unter Ezetimib war keine Reduktion der mittleren Intima-Media-Dicke zu verzeichnen. Paradoxerweise war eine durch Ezetimib verbesserte LDL-Cholesterolsenkung mit einer Zunahme der Intima-Media-Dicke assoziiert. Die Inzidenz schwerer kardiovaskulärer Ereignisse war in der Ezetimib-Gruppe größer als in der Nicotinsäure-Gruppe. Damit war die Nicotinsäure-Statin-Kombinationstherapie einer Ezetimib-Statin-Kombinationstherapie überlegen. SEAS In der SEAS-Studie (Simvastatin and Ezetimibe in Aortic Stenosis) sollte geprüft werden, ob durch eine aggressive Cholesterinsenkung mit Ezetimib und Simvastatin das Fortschreiten einer schon vorliegenden Aortenstenose aufzuhalten ist. Als primärer Endpunkt wurden schwere kardiovaskuläre Ereignisse als Folge einer Aortenklappenerkrankung oder der atherosklerotischen Erkrankung definiert. Hier ergab sich kein signifikanter Unterschied zwischen Verum und Placebo. Darüber hinaus wurden zwei sekundäre Endpunkte festgelegt: Ereignisse, die in direktem Zusammenhang mit der Aortenstenose bzw. der Erkrankung der Aortenklappe standen und Ereignisse, die sich auf atherosklerotische Prozesse zurückführen lassen. Auch bei den Aortenklappen-assoziierten Erkrankungen konnten die Patienten von der Kombinationstherapie nicht profitieren. Dagegen ließen sich atherosklerotische Ereignisse signifikant um 22% reduzieren. Dies entspricht der Größenordnung, die mit einer Simvastatin-Monotherapie zu erreichen ist. IMPROVE-IT In dieser Endpunktstudie wird eine Simvastatin-Monotherapie (40 mg) verglichen mit einer Ezetimib-Simvastatin-Kombinationstherapie (10 mg/40 mg). Es handelt sich um eine randomisierte, doppelblind durchgeführte Studie mit 18.000 Patienten mit akutem Koronarsyndrom. Als primärer Endpunkt wurden kardiovaskuläre Todesfälle sowie nichttödlich verlaufende Koronarereignisse und Schlaganfall definiert. Die Ergebnisse dieser großen Endpunktstudie werden für 2012 erwartet und sollen die Frage beantworteten, ob kardiovaskuläre Hochrisikopatienten tatsächlich von einer Ezetimib-Zusatztherapie profitieren. |
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