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DAZ aktuell
"Die Hütte brennt!"
Die überbordende Bürokratie, die Arbeitsbedingungen und Überstunden junger Ärztinnen und Ärzten, die sich auch noch um ihre Familie kümmern wollen, erschweren den Einstieg in die kurative Medizin, so Hoppe. Auch das wirtschaftliche Risiko und die zunehmende Bedeutung von Haftungsfragen versperren den Weg in die Niederlassung. Hoppe: "Wir haben früh auf diese Defizite aufmerksam gemacht, haben davor gewarnt, dass der Verlust an Attraktivität des Arztberufes sich ganz konkret auf das Niveau der Versorgung auswirken wird. Nun, da die Probleme nicht mehr verschwiegen und auch nicht mehr bemäntelt werden können, jetzt, wo der Ärztemangel in vielerlei Regionen offensichtlich geworden ist, gibt es endlich einen Wettbewerb um Ideen. Und, meine Damen und Herren, es ist auch allerhöchste Zeit, die Hütte brennt!"
Medizinstudium durchlüften
Doch es gebe nicht nur Probleme beim Übergang vom Studium in die kurative Medizin, auch das Medizinstudium selbst müsse durchlüftet werden, fordert der Ärztekammer-Präsident. "Das Studium der Medizin muss endlich praxistauglich werden. Der Patient darf nicht länger eine theoretische Größe sein. Die angehenden Ärztinnen und Ärzte müssen näher und früher an die Patienten herangeführt werden. Sie müssen sehen, was es heißt, später als Arzt zu arbeiten und sie müssen erleben, wie erfüllend es ist, Patienten zu helfen und zu heilen. Und das nicht nur mit hochspezialisierten Methoden, sondern auch und gerade mit denen der hausärztlichen Versorgung durch die Allgemeinmedizin." Er sei sich sicher, dass man dann mehr Absolventen des Medizinstudiums bewegen könne, später als Ärztin bzw. als Arzt in der Patientenversorgung zu arbeiten. Man müsse aber auch darüber nachdenken, die Zulassungskriterien zum Medizinstudium mehr auf die persönliche, soziale Eignung hin zu definieren. Hoppe wörtlich: "Seit Jahren plädieren wir dafür, den Notendurchschnitt nicht überzubewerten, sondern persönliche Motivation und soziales Engagement gleichwertig zu berücksichtigen. Dann heißt es immer, der Notendurchschnitt sei nur für 20 Prozent des Zugangs entscheidend. 60 Prozent könnten die Hochschulen nach eigenen Kriterien auswählen. Aber da muss man ganz ehrlich sein: Die deutschen Hochschulen nutzen diese Möglichkeit leider nur unzureichend. Da brauchen wir endlich frischen Wind an Deutschlands Universitäten."
Rationierung und Priorisierung
Offen sprach Hoppe die Themen Rationierung und Priorisierung im Gesundheitswesen an. "Dass es zu Rationierung in der medizinischen Versorgung kommt, ist mittlerweile wohl unbestritten", so der Präsident der Ärztekammer. Und weiter: "Längst ist die sogenannte heimliche Rationierung öffentlich geworden. Aber wie wollen wir damit umgehen? Seit Jahr und Tag liegt der Anteil der Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung am Bruttoinlandsprodukt konstant bei etwas über sechs Prozent, im Vergleich zu anderen in der OECD organisierten Staaten mit einem Durchschnittswert von mindestens acht Prozent. In den letzten zehn Jahren waren wir Deutschen sogar die Sparsamsten. Die Gesundheitskosten pro Kopf wachsen in Deutschland seit zehn Jahren nur noch um 1,7 Prozent im Jahr – unter den 31 Industrieländern der OECD ist das der 30. Platz. Das ist weit unter dem durchschnittlichen OECD-Wachstum von 4,1 Prozent. Zugleich aber stehen wir vor der Herausforderung einer demografischen Entwicklung, die uns eine Gesellschaft des langen Lebens beschert, die aber auch zu Multimorbidität und zu einer erhöhten Zahl chronisch Kranker führt. Mehr denn je haben wir Möglichkeiten der medizinischen Diagnostik und Therapie. Aber die Schere zwischen dem, was wir leisten können und dem, was wir bezahlen können, klafft immer weiter auseinander. Und so auch zwischen dem, was das Sozialrecht bietet und dem, was das Haftungsrecht fordert. Und deshalb müssen wir darüber reden, wie wir trotz begrenzter Ressourcen eine gerechte Versorgung gestalten können."
Im derzeitigen System sieht Hoppe daher nur einen Weg aus der Rationierung, nämlich: "Die Diskussion um die Priorisierung." Es sei ethisch nicht mehr vertretbar, diese Diskussion nicht zu führen. Die Ärzte hätten daher einen Gesundheitsrat vorgeschlagen mit Philosophen, Theologen, Juristen, Patientenvertretern, Ärzten und Gesundheitsberufen, der diese Fragen im vorpolitischen Raum eingehend diskutieren solle. Hoppe: "Wir wollen die Menschen mitnehmen, wollen sie in die Entscheidungsprozesse einbinden. Sie müssen verstehen können, um was es geht – nur dann auch werden sie Verständnis für die Entscheidungen haben."
Sterben in Würde ohne Schmerzen
Der Ärztekammer-Präsident rief dazu auf, sich mehr um die unheilbar kranken Menschen zu kümmern. "Wir müssen ihnen qualifizierte Schmerztherapie und bestmögliche Pflege bieten, so Hoppe, "sie müssen menschliche Nähe und Zuwendung spüren. Dazu brauchen wir palliativmedizinische Versorgungsstrukturen im gesamten Land. Wenn wir diese Strukturen flächendeckend aufgebaut haben und die Menschen mehr über die Möglichkeiten der Schmerztherapie informieren, dann wird auch der Ruf nach aktiver Sterbehilfe verhallen. Sterben in Würde und ohne Schmerzen ist möglich."
Hoppe fügte hinzu: "Sterben ist ein Teil des Lebens. Wir Ärzte sind dem Leben und dem Patienten verpflichtet, nicht dem Zeitgeist, der nach Tod ohne Sterben schreit. Sterben ist nicht normierbar. Krankheitsverläufe sind immer individuell und lassen sich in Gesetzen – auch dem zur Patientenverfügung – nicht wirklich abbilden." Er bezweifelte ob in diesem Zusammenhang das neue Betreuungsrechtsänderungsgesetz wirklich hilfreich sei. Die Bundesärztekammer habe daher gemeinsam mit der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer die Empfehlungen zum Umgang mit Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung überarbeitet. Die Empfehlungen geben den Ärztinnen und Ärzten, aber auch den Patienten eine grundlegende Orientierung im Umgang mit vorsorglichen Willensbekundungen. Zwar könne der Arzt dem Patienten die oftmals schwierige und als belastend empfundene Entscheidung über das Ob und Wie einer vorsorglichen Willensbekundung nicht abnehmen, wohl aber Informationen für das Abwägen der Entscheidung. Der Arzt könne über die medizinisch möglichen und indizierten Behandlungsmaßnahmen informieren, auf die mit Prognosen verbundenen Unsicherheiten aufmerksam machen und über seine Erfahrungen mit Patienten berichten, die sich in vergleichbaren Situationen befunden haben.
Unabhängige Studien fördern!Eine Förderung unabhängiger Studien ist unumgänglich. Diese Forderung erhob der diesjährige Deutsche Ärztetag in Dresden. Wie der Ärztetag in seinem Beschlussprotokoll ausführte, habe eine Untersuchung gezeigt, dass "publizierte Arzneimittelstudien, die von pharmazeutischen Unternehmen finanziert werden oder bei denen ein Autor einen finanziellen Interessenskonflikt hat, häufiger ein für das pharmazeutische Unternehmen günstiges Ergebnis haben als aus anderen Quellen finanzierte Studien". Ergebnisse von Expertisen zum Einfluss der pharmazeutischen Industrie auf die wissenschaftlichen Ergebnisse und die Publikation von Arzneimittelstudien hätten gezeigt, so heißt es dort weiter, dass eine Arzneimittelforschung notwendig sei, die sich schrittweise befreit von den Einflüssen der pharmazeutischen Industrie. Dazu müssten die Forschungsmittel der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) entsprechend aufgestockt werden. Der 110. Deutsche Ärztetag hatte 2007 eine Expertise in Auftrag gegeben, die den "Einfluss der pharmazeutischen Industrie auf die wissenschaftlichen Ergebnisse und die Publikation von Arzneimittelstudien" untersuchen sollte. Am 1. Dezember 2008 hat die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (Vorsitzender: Prof. Dr. Ludwig) das Ergebnis dieser 38-seitigen Studie vorgelegt und auf dem Deutschen Ärztetag 2009 in Mainz vorgestellt. Im Fazit kommt die Expertise zum oben dargestellten Ergebnis. Da die Studienergebnisse der Arzneimittelstudien die Basis für die Leitlinienerstellung der ärztlichen Therapie darstellen und zugleich maßgebend für die Arzneimittelzulassung sind, ist eine Förderung unabhängiger Studien unumgänglich, so der Deutsche Ärztetag. |
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