Arzneimittel und Therapie

Amifampridin gegen Muskelschwäche

Amifampridin (3,4-Diaminopyridin, Firdapse®) ist zur symptomatischen Behandlung des seltenen Lambert-Eaton-Myasthenischen Syndroms (LEMS) bei Erwachsenen indiziert. Der Wirkstoff blockiert spannungsabhängige Kaliumkanäle, verlängert dadurch die Depolarisation der präsynaptischen Zellmembran, verbessert die Acetylcholinfreisetzung an den Synapsen, beschleunigt die Erregungsleitung und verbessert letztendlich die Muskelfunktion.
Abb. Amifampridin

Bisher war in Deutschland kein Fertigarzneimittel mit Amifampridin (Abb.) zugelassen; es wurde nur im Rahmen einer Individualrezeptur auf ärztliche Verordnung und nach den Angaben im Neuen Rezeptur-Formularium (NRF) verarbeitet. Dort werden als Indikationen neben dem Lambert-Eaton-Syndrom weitere myasthenische Syndrome genannt, außerdem postsynaptisch bedingte Störungen, multiple Sklerose, spinale Läsionen, Augenmotilitätsstörungen, Vergiftungen mit Calciumkanalblockern und Botulismus.

Gestörte Signalübertragung

Das Lambert-Eaton-Myasthenische Syndrom (LEMS) ist eine seltene Autoimmunerkrankung der neuromuskulären Endplatte, bei der es zu einer ausgeprägten Muskelschwäche kommt. Das Lambert-Eaton-Myasthenische Syndrom gehört in die Gruppe der paraneoplastischen Syndrome. Das sind neurologische Erkrankungen, die mit für das jeweilige Syndrom typischen Tumoren einhergehen. Häufig entsteht das LEMS in Zusammenhang mit einem kleinzelligen Bronchialkarzinom. Es ist sogar möglich, dass es auftritt, bevor die Krebserkrankung bekannt ist.

Die Inzidenz des LambertEaton-Syndromes beträgt 1:100.000, Männer sind zwei- bis fünfmal so häufig betroffen wie Frauen. Da gegenwärtig Frauen zunehmend häufiger an Lungenkrebs erkranken, steigt auch der Frauenanteil beim Lambert-Eaton-Syndrom. In der EU sind derzeit 2000 bis 5000 Patienten von der Erkrankung betroffen.

Schwache Beine

Typisch für das LEMS ist eine beinbetonte Muskelschwäche, insbesondere der Oberschenkel, welche sich vor allem beim Treppensteigen äußert. Bei Willkürbewegungen kann die maximale Kraft erst nach einigen Sekunden entwickelt werden, bei fortgeschrittener Kraftanstrengung kommt es zur Ermüdung der betreffenden Muskulatur.

Die Erkrankung entsteht durch eine gestörte Signalübertragung zwischen Nerv und Muskel. Ursache ist eine Antikörperbildung gegen präsynaptische Calciumkanäle. Als Folge wird die Ausschüttung des Neurotransmitters Acetylcholin behindert, die erregenden Reize werden lediglich geschwächt vom Nerv auf die Muskelzelle übertragen; der Muskel reagiert träge. Hält der Nervreiz längere Zeit an, sammelt sich Acetylcholin im synaptischen Spalt, und die Muskelkraft nimmt bis zum gewohnten Maß zu (Lambert-Zeichen).

Verbesserte Acetylcholinfreisetzung

Amifampridin blockiert spannungsabhängige Kaliumkanäle und verlängert dadurch die Depolarisation der präsynaptischen Zellmembran. Diese Verlängerung fördert den Calciumtransport in die Nervenenden. Die daraus resultierende Erhöhung der intrazellulären Calciumkonzentrationen erleichtert die Exozytose acetylcholinhaltiger Vesikel, was wiederum die neuromuskuläre Transmission fördert.

Amifampridin verbessert die Muskelstärke und die Amplituden des Summen-Muskelaktionspotenzials in Ruhe mit einer gewichteten mittleren Gesamtdifferenz von 1,69 mV. In mehreren klinischen Studien war Amifampridin in Dosierungen von 60 bis 100 mg pro Tag bei der Behandlung autonomer und motorischer Symptome von LEMS wirksam. Weil die Erkrankung selten ist, wurden für die Zulassung auch Daten aus der wissenschaftlichen Literatur herangezogen. In zwei Studien mit 38 erwachsenen LEMS-Patienten wurde Amifampridin mit Placebo verglichen. Dabei war eine verbesserte Muskelfunktion und elektrische Aktiviät unter der Behandlung mit Amifampridin im Vergleich zu Placebo nachweisbar.

Mehrmals täglich

Amifampridin wird drei- bis viermal täglich zu den Mahlzeiten eingenommen. Die Anfangsdosis beträgt 15 mg pro Tag und kann alle vier bis fünf Tage um 5 mg auf eine Tageshöchstdosis von 60 mg gesteigert werden. Eine Einzeldosis darf maximal 20 mg enthalten.

Bei Patienten mit mäßiger oder schwerer Leber- oder Nierenfunktionsstörung wird eine Anfangsdosis von 5 mg empfohlen, bei Patienten mit leichter Nieren- oder Leberfunktionsstörung eine Anfangsdosis von 10 mg; die Dosen sind in Schritten von 5 mg alle 7 Tage zu steigern. Wenn Nebenwirkungen auftreten, sollte die Dosissteigerung abgebrochen werden.

Amifampridin wird schnell resorbiert, Spitzenkonzentrationen werden 20 Minuten bis eine Stunde nach Aufnahme erreicht. Bei Patienten mit Leber- und Nierenfunktionsstörungen ist Vorsicht geboten, hier wird eine niedrigere Anfangsdosis und langsamere Dosissteigerung empfohlen.

Unerwünschte Wirkungen

Das Lambert-Eaton-Myasthenische Syndrom ist eine sehr seltene genetische Störung. Folglich gibt es aufgrund der kleinen Anzahl betroffener Patienten sehr wenig Informationen über die unerwünschten Wirkungen der Behandlung mit Amifampridin. Da nur sehr begrenzte Daten vorliegen, ist es nicht möglich, die Häufigkeiten einzelner unerwünschter Wirkungen einzuschätzen.

Die häufigsten unerwünschten Wirkungen aus der Literatur sind Parästhesien (wie periphere und peribukkale Parästhesien) und gastrointestinale Beschwerden (wie Epigastralgie, Diarrhö, Übelkeit und Bauchschmerzen). Die Intensität und Inzidenz der meisten unerwünschten Wirkungen ist dosisabhängig.

Weitere unerwünschte Wirkungen sind Schlafstörungen; Konvulsionen, Angstzustände, Schläfrigkeit, Benommenheit, Schwächegefühl, Müdigkeit, Kopfschmerzen, Chorea, Myoklonie; verschleiertes Sehen; Herzrhythmusstörungen, Palpitation; Raynaud-Syndrom, kalte Extremitäten; Husten, bronchiale Hypersekretion, Asthma-Anfall bei asthmatischen Patienten oder Patienten mit Asthma in der Vorgeschichte; erhöhte Leberenzymwerte (Transaminasen).

Besondere Vorsicht ist bei Patienten geboten, die gleichzeitig mit Arzneimitteln behandelt werden, die durch Stoffwechsel oder aktive Sekretion ausgeschieden werden. Die gleichzeitige Anwendung von Arzneimitteln mit geringer therapeutischer Breite ist kontraindiziert.

Die Exposition gegenüber Amifampridin ist mit einem erhöhten Risiko für epileptische Anfälle verbunden. Das Risiko für Anfälle ist dosisabhängig und bei Patienten mit Risikofaktoren, die die epileptische Krampfschwelle erniedrigen, erhöht; dazu gehört die Anwendung in Kombination mit anderen Arzneimitteln, die bekanntlich die Schwelle für das Auftreten epileptischer Anfälle erniedrigen. Wenn ein Krampfanfall auftritt, ist die Behandlung abzubrechen.


Quelle

Fachinformation von Firdapse® , Stand Dezember 2009.

hel

Steckbrief: Amifampridin


Handelsname: Firdapse

Hersteller: BioMarin Europe

Einführungsdatum: 15. März 2010

Zusammensetzung: Jede Tablette enthält Amifampridinphosphat, entsprechend 10 mg Amifampridin. Sonstige Bestandteile: mikrokristalline Cellulose, hochdisperses Siliciumdioxid, Calciumstearat (Ph.Eur.).

Packungsgrößen, Preise und PZN: 100 Tabletten, 2917,00 Euro, PZN 6129083.

Stoffklasse: Neurotrope Mittel; Kaliumkanalblocker. ATC-Code: N07XX05.

Indikation: Zur symptomatischen Behandlung des Lambert-Eaton-Myasthenischen Syndroms (LEMS) bei Erwachsenen.

Dosierung: 15 mg pro Tag, aufgeteilt auf mehrere Dosen, drei- bis viermal täglich, kann durch Erhöhung um 5 mg alle vier bis fünf Tage bis auf ein Maximum von 60 mg pro Tag gesteigert werden; eine Einzeldosis darf 20 mg nicht überschreiten. Die Tabletten sind mit den Mahlzeiten einzunehmen.

Gegenanzeigen: Epilepsie, nicht kontrolliertes Asthma bronchiale, gleichzeitige Anwendung von Sultoprid sowie von Arzneimitteln mit geringer therapeutischer Breite oder von solchen mit einem bekannten Potenzial für die Auslösung von QTc-Verlängerung, Patienten mit kongenitalen QT-Syndromen.

Nebenwirkungen: Parästhesien, gastrointestinale Beschwerden

Wechselwirkungen: Besondere Vorsicht ist bei gleichzeitiger Behandlung mit Arzneimitteln geboten, die durch Stoffwechsel oder aktive Sekretion eliminiert werden. Wenn die Behandlung mit einem potenten Enzyminhibitor eingeleitet oder abgesetzt wird, sind die Patienten engmaschig zu überwachen. Bei Einleitung oder Beendigung einer Behandlung mit Induktoren von Enzymen, die Arzneimittel verstoffwechseln, kann eventuell eine Dosisanpassung erforderlich sein. Die gleichzeitige Anwendung von Amifampridin und Substanzen, die die epileptische Krampfschwelle herabsetzen, erhöht das Risiko für epileptische Anfälle. Die gleichzeitige Anwendung von Amifampridin und Arzneimitteln mit anticholinerger Wirkung kann die Wirkung beider Wirkstoffe herabsetzen; die gleichzeitige Anwendung von Amifampridin und Arzneimitteln mit cholinerger Wirkung kann die Wirkung beider Arzneimittel erhöhen. Die gleichzeitige Anwendung von Amifampridin und nicht-depolarisierenden oder polarisierenden Muskelrelaxanzien kann zu einer verminderten Wirkung beider Gruppen führen.

Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen: Die Amifampridin-Dosis ist bei Patienten mit Nieren- oder Leberinsuffizienz langsamer zu titrieren als bei Patienten mit normaler Nieren- und Leberfunktion. Die Exposition gegenüber Amifampridin ist mit einem erhöhten Risiko für epileptische Anfälle verbunden; wenn ein Krampfanfall auftritt, ist die Behandlung abzubrechen. Die Anwendung von Amifampridin bei Patienten mit der nicht-paraneoplastischen Form von LEMS sollte erst nach sorgfältiger Einschätzung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses für den Patienten eingeleitet werden. Klinische und EKG-Überwachung sind bei der Einleitung der Behandlung und danach jährlich angezeigt; bei Zeichen und Symptomen, die auf kardiale Arrhythmien hindeuten, ist sofort ein EKG durchzuführen.

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.