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DAZ aktuell
Gesundheitsprämie steht auf der Kippe
Am Tag danach sitzt der Kater fest im Konrad-Adenauer-Haus, dem Hauptquartier der CDU am Rande des Berliner Tiergartens. Nichts wird nun leichter für die Koalition aus CDU, CSU und FDP. Gequält wirkt der Hinweis der Regierungschefin, seit der Föderalismusreform sei bei 75 Prozent der Gesetzgebung die Zustimmung des Bundesrates nicht erforderlich. Das ist zwar korrekt, aber Angela Merkel unterschlug das Wesentliche: Die wichtigen Reformvorhaben zählen zum restlichen Viertel. Immer wenn die Interessen oder Verwaltung der Länder durch Bundesgesetze berührt werden, muss der Bundesrat seine Zustimmung geben. Das gilt auch für die Gesundheitsprämie. Zwar kann der Bundestag die Einführung der Prämie alleine regeln. Aber beim notwendigen Sozialausgleich wird es kompliziert. Sobald das Steuersystem ins Spiel kommt, sitzen die Bundesländer bei der Gesetzgebung mit im Boot. Vor allem bei der für den Sozialausgleich entscheidenden Einkommenssteuer: Die Gemeinden erhalten 15 Prozent des Aufkommens, die restlichen 85 Prozent teilen sich Bund und Länder zu gleichen Teilen. Daher hat sich die Koalition längst auf den Weg begeben, nach Alternativen zu suchen, um den Bundesrat umgehen zu können.
Sozialausgleich am Finanzamt vorbei?
Eine Arbeitsgruppe der Regierungskommission zur Neuordnung der GKV-Finanzierung durchforstet zurzeit alle Behörden und Sozialsysteme nach den vollständigen Finanzdaten der Bürger, schließlich hat nicht jeder automatisch Kontakt zum Finanzamt. Wichtige Daten zur tatsächlichen Einkommenslage schlummern bei der Rentenversicherung, den Wohngeldstellen, beim BAföG-Amt und den Arbeitsämtern. Nun soll untersucht werden, ob es für den Sozialausgleich einen Weg an den Finanzämtern vorbei geben kann. Vermutlich liefe die Aufgabe auf die gesetzlichen Krankenkassen zu, die für ihre freiwillig Versicherten ohnehin bereits spezielle Konten mit den Einkommensdaten führen.
FDP: Prämie nicht aufgeben
Trotz der schmerzlichen Wahlniederlage in NRW gibt sich daher die FDP pflichtgemäß noch zuversichtlich, das zweite Kernthema ihrer Wahlversprechen wenigstens in Teilen zu retten: "Wir müssen und werden die Prämie nicht aufgeben", sagte FDP-Gesundheitspolitikerin Ulrike Fach im Gespräch mit der DAZ. Die schwarz-gelbe Bundesregierung werde sich jetzt "gezielt damit befassen, wie man den notwendigen Sozialausgleich so abwickeln kann, dass wir die Zustimmung des Bundesrates nicht benötigen. Wir wollten immer schrittweise an die Einführung der Gesundheitsprämie herangehen. Diesen Weg werden wir unabhängig vom Wahlausgang in NRW weiter verfolgen", so Flach zur DAZ.
Handlungsfähigkeit nicht tangiert
Keine Auswirkungen sieht die FDP-Gesundheitspolitikerin auf das Arzneimittelsparpaket von Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP): "Für das Preismoratorium und die Erhöhung des Herstellerrabattes von sechs auf 16 Prozent brauchen wir die Zustimmung des Bundesrates nicht", sieht Flach hier freie Bahn. Auch die anderen vorgesehenen Maßnahmen wie die Einführung von Preisverhandlungen für neue Arzneimittel seien "zu großen Teilen nicht zustimmungspflichtig". Flach: "Die Handlungsfähigkeit in der Gesundheitspolitik ist durch die Wahlniederlage in NRW nicht tangiert."
Arzneimittelsparpaket nicht umstritten
Keine Auswirkungen auf das Arzneimittelsparpaket mit Preisstopp und erhöhtem Zwangsrabatt sieht auch der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionschef: "Der Bundesrat muss nicht zustimmen. Zudem sind die Sparmaßnahmen politisch nicht umstritten", so Johannes Singhammer (CSU). Skeptischer zeigt sich der führende Gesundheitspolitiker der Bundestagsfraktion der Union jedoch mit Blick auf die Prämie: "Ich erwarte, dass jetzt konkrete Modelle auf den Tisch kommen, über die wir beraten können", forderte Singhammer von Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP). "Derzeit gibt es keine Modelle", sagte Singhammer im Gespräch mit der DAZ. Daher könne die Frage noch gar nicht beantwortet werden, ob die neuen Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat nach der NRW-Landtagswahl sich auf die Gesundheitspolitik der Berliner Koalition auswirken: "Zunächst einmal müssen sich Union und FDP in Berlin auf ein Prämienmodell einigen." Und das wird nach der NRW-Wahl noch schwieriger als zuvor. Der Widerstand in der CSU gegen die Kopfprämie dürfte mit der Wahlniederlage in NRW nicht geringer geworden sein. Auch die zahlenmäßig starke NRW-Landesgruppe in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, in der besonders viele Vertreter des Arbeitnehmerflügels CDA sitzen, hat im Wahlkampf die Abneigung der NRW-Bürger gegenüber einem radikalen Umbau der Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen registriert. Die NRW-Wahl hat nicht nur die Gewichte im Bundesrat verschoben.
Kein Durchmarsch
Einen Durchmarsch für die FDP und ihre Gesundheitsprämie wird es nun erst recht nicht geben. Ob es am Ende mit der neuen Landesregierung in NRW einen Kompromiss geben kann, oder ob schon bald die Erhöhung des Einheitsbeitrages als einziger Ausweg droht, steht in den Sternen. In der CDU-Zentrale jedenfalls sitzt die Enttäuschung tief. Es wird jetzt viel im Konjunktiv diskutiert: hätte wäre, könnte. "Politische Feigheit zahlt sich nicht aus", sagte einer, der lieber ungenannt bleiben möchte: "Alles hätten sie machen können." Nun geht nicht mehr viel.
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