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Fachmedien kurz rezensiert
Pharmakologie für Zahnärzte
Jeder Zahnarzt muss in der Lage sein, seine Patienten angemessen mit Arzneimitteln zu behandeln und wissen, welche unerwünschten Arzneimittelwirkungen und Interaktionen zu erwarten sind, wenn Patienten mit nicht-zahnmedizinischen Begleiterkrankungen sich in zahnärztliche Behandlung begeben. Entsprechend der Approbationsordnung für Zahnärzte findet die Ausbildung im Fach Pharmakologie und Toxikologie mit jeweils zwei Semesterwochenstunden über zwei Semester statt. Jeder Dozent der Pharmakologie weiß, dass es eine nicht zu unterschätzende Herausforderung darstellt, den angehenden Zahnärzten in der recht knappen Zeit neben den Grundlagen der Pharmakologie auch die zahnärztlich relevanten praktischen Aspekte der Pharmakologie beizubringen. Spätestens bei der Frage nach den Buchempfehlungen für die Zahnmedizinstudenten wird die Problematik offenkundig: Praktisch alle der für Humanmediziner geschriebenen Pharmakologiebücher sind einerseits in vielen Kapiteln für Zahnmediziner zu ausführlich, aber andererseits fehlen in den Büchern viele der für die Zahnmedizin wichtigen Themen. So kann man sich als Dozent nur mühsam über viele Jahre einen Wissensfundus über die zahnärztliche Pharmakologie aufbauen. Und auch der Zahnmedizinstudent, der sich auf das Staatsexamen vorbereiten will, ist darauf angewiesen, sich sein Wissen aus verschiedenen Ecken, d. h. ausgewählten Lehrbuchkapiteln und Vorlesungsunterlagen zusammenzusuchen. Der approbierte Zahnarzt, der sich rasch über ein praktisches Gebiet der zahnärztlichen Pharmakologie informieren will, hat ebenfalls ein Problem.
Vor diesem Hintergrund ist es sehr begrüßenswert, dass nunmehr seit vielen Jahren das erste wirklich spezifisch auf die Bedürfnisse der Zahnmedizin zugeschnittene Pharmakologielehrbuch auf den Markt gekommen ist. Das Buch entstand in einer Zusammenarbeit von Zahnmedizinern der Universität Jena (Herausgeberin PD Dr. med. Annegret Balogh) sowie Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Ekkehard Haen von der Universität Regensburg. Herr Kollege Haen ist Facharzt für klinische Pharmakologie und hat selber jahrelange Erfahrung im Zahnmedizinerunterricht sowie in den Staatsexamensprüfungen. Die beiden Herausgeber sind dafür zu beglückwünschen, dass es ihnen gelungen ist, tatsächlich ein sehr gutes praxisorientiertes Pharmakologielehrbuch für Zahnmediziner zu schreiben. Zum Verfassen einzelner Kapitel wurden Experten auf den jeweiligen Gebieten herangezogen. Es war nicht das Ziel der Autoren, und dies wird explizit auch so dargestellt, ein allumfassendes Pharmakologiebuch für Zahnärzte zu schreiben. Um die allgemeinen Prinzipien der Pharmakologie zu lernen oder sich über die Pharmakotherapie wichtiger internistischer, neurologischer oder psychiatrischer Krankheitsbilder zu informieren, wird der Leser auf die existierenden, sehr guten Lehrbücher für Humanmediziner verwiesen. Alternativ dazu kann dem Zahnmediziner auch der Taschenatlas für Pharmakologie und Toxikologie für Zahnmediziner aus dem Thieme-Verlag empfohlen werden, der sich mit dem hier besprochenen Buch sehr gut ergänzt.
Das Buch von Balogh/Haen geht von klinischen Problemen aus, die sich in der Zahnarztpraxis stellen: Angst, Lokalanästhesie, Schmerzen, Infektionen, Blutgerinnungsstörungen sowie wichtige Notfallsituationen stehen im Zentrum des Buches. Außerdem werden typische zahnmedizinische Themen wie Parodontalerkrankungen, Kariesprophylaxe und Speichelsekretion behandelt. Ausführlich dargestellt werden auch die Rezeptkunde sowie die Toxikologie zahnärztlicher Werkstoffe. Abgerundet wird das Buch durch Kapitel zur Pharmakotherapie in verschiedenen Lebenssituationen. Einige Kapitel wie das über Schmerzen sind sehr ausführlich und umfassend, während andere wie das über die Arzneimitteltherapie im Kindesalter sehr knapp und weniger informativ sind. Aber man muss eben auch die Intention der Herausgeber sehen, einen Kompromiss zu schaffen. Positiv hervorzuheben ist, dass die jeweiligen Kapitel einige wichtige Literaturhinweise beinhalten.
Das Buch ist sehr aktuell. So wird auch der erst im September 2009 zugelassene direkte Faktor Xa-Inhibitor Rivaroxaban diskutiert. Auch Kosten der Arzneimitteltherapie werden diskutiert. Aus der Sicht eines ebenfalls über viele Jahre in der Zahnmedizinerausbildung tätigen Pharmakologen ist das Buch eine sehr wichtige Ergänzung zu der sehr guten Auswahl von Pharmakologiebüchern für Humanmediziner und dem bereits genannten Taschenatlas. Inhaltlich ist das Buch auf hohem Niveau, auch wenn sich der Rezensent an einigen Stellen mehr Klarheit gewünscht hätte bzw. anderer Meinung als die Autoren ist. So stellt sich die Frage, welchen Stellenwert ASS heutzutage wegen der immanenten Blutungsgefahr in der Schmerztherapie in der Zahnheilkunde überhaupt noch hat. Dies hätte kritisch diskutiert werden müssen. Die Anwendung von Johanniskraut zur Sedation vor zahnärztlichen Eingriffen erscheint mir ebenfalls unkritisch, zumal wegen der Hemmung der Wiederaufnahme biogener Amine die Wirkung von akzidentell bei der Lokalanästhesie intravasal injiziertem Adrenalin verstärkt werden könnte. Als letztes Beispiel erscheint mir die Empfehlung, bei vasovagalen Synkopen Atropin, Etilefrin oder gar Volumenersatz zu erwägen, überschießend und realitätsfern: Kopftieflagerung, Zufuhr frischer Luft, ein kaltes feuchtes Tuch auf den Kopf und ein kühles Getränk als nicht-pharmakologische Therapie sind eigentlich immer völlig ausreichend. Diese Beispiele sollen zeigen, dass auch ein speziell für Zahnmediziner geschriebenes Pharmakologielehrbuch den geneigten Leser nicht von der Pflicht zum kritischen Nachdenken entbindet.
Das Buch ist kartoniert, kompakt, übersichtlich gegliedert und mit zahlreichen Abbildungen, nützlichen Tabellen sowie Zusammenfassungen (im Buch als "Kernaussagen" bezeichnet) und praktischen Empfehlungen versehen. Der Preis ist mit 42 Euro angemessen.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass jeder Zahnmedizinstudent dieses Buch zur Staatsexamensvorbereitung lesen sollte. Außerdem sollte das Buch in jeder Zahnarztpraxis stehen.
Prof. Dr. med. Roland Seifert,
Direktor des Instituts für Pharmakologie,
Medizinische Hochschule Hannover
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