Feuilleton

Ausgenommen Rizinusöl und ausgenommen Jojobaöl*

Warum zweimal "ausgenommen"? Weil es sich bei Rizinusöl und Jojobaöl um zwei ganz unterschiedliche Ausnahmen handelt.

Bevor wir uns mit diesen beiden Ölen befassen, muss klar sein, was man unter dem Begriff Öl überhaupt versteht. Dazu ein kleiner Test: Ordnen Sie 15 Begriffe, die das Suffix "öl" enthalten, durch Eintragen eines von drei möglichen Buchstaben in die Kästchen (nach Art eines Multiple-choice-Verfahrens) einer der folgenden Gruppen zu:

E = Ätherisches Öl,

F = verseifbares fettes Öl,

M = unverseifbares Mineralöl.

 

1 Distelöl
2 Erdnussöl
3 Latschenkiefernöl
4 Lavendelöl
5 Leichtöl
6 Motoröl
7 Olivenöl
8 Paraffinöl
9 Pfefferminzöl
10 Rosenöl
11 Schmieröl
12 Schweröl
13 Sesamöl
14 Sonnenblumenöl
15 Zimtöl

Auflösung:

 

  • 5, 6, 8, 11 und 12 sind mehr oder weniger gereinigte Gemische flüssiger, gesättigter Kohlenwasserstoffe aus Erdöl (Mineralöle, M).
  • 1, 2, 7, 13 und 14 sind Gemische verschiedener Triacylglyceride (Fettsäuren-Glycerol-Ester), die aus den Samen verschiedener Pflanzen gepresst werden (fette Öle, F).
  • 3, 4, 9, 10 und 15 sind Gemische verschiedener Monoterpene mit weiteren leichtflüchtigen Stoffen, die aus Blättern und Blüten gewonnen werden (ätherische Öle, E).

Notabene

Der Rizinus ist keine Rizinuss.

Rizinusöl – Ester einer Hydroxyfettsäure

Die Monographie Perubalsam der gültigen Ausgabe des Europäischen Arzneibuchs enthält unter "Eigenschaften" folgende Angabe: nicht mischbar mit fetten Ölen, ausgenommen Rizinusöl.

Fast alle fetten Öle sind Triglyceride achiraler Fettsäuren, ausgenommen Rizinusöl. Es enthält in veresterter Form die chirale Hydroxyfettsäure Ricinolsäure.

Alle offizinellen, d. h. im gültigen Arzneibuch monographieartig beschriebenen und die als Lebensmittel angebotenen fetten Öle sind in 96%igem Ethanol schwer, sehr schwer oder unlöslich, ausgenommen Rizinusöl.

Tab. 1: Löslichkeit fetter Öle in 96%igem Ethanol.
Fettes Öl

praktisch

unlöslich

sehr schwer

löslich

schwer

löslich

Mandelöl, raffiniertes  +
Leinöl, natives + 
Baumwollsaatöl, hydriertes + 
Maisöl, raffiniertes + 
Erdnussöl, natives/raffiniertes + 
Olivenöl, natives/raffiniertes+  
Rapsöl, raffiniertes+  
Sesamöl, raffiniertes+  
Sonnenblumenöl, raffiniertes+  
Weizenkeimöl, natives/raffiniertes+  
Rizinusölmischbar mit Ethanol 96%

Die relativen Dichten aller fetten Öle, die im Europäischen Arzneibuch (Ph. Eur.) beschrieben sind, liegen zwischen 0,913 und 0,931 (sofern sie unter "Eigenschaften" angegeben sind), ausgenommen Rizinusöl, dessen Wert mit 0,958 deutlich höher ist.

In keiner der Ph. Eur.-Monographien für fette Öle ist die Hydroxylzahl zu bestimmen, ausgenommen Rizinusöl. In dieser Monographie ist unter "Reinheit" die Hydroxylzahl zu ermitteln und muss mindestens den Wert 150 erreichen.

Der Zusatz fetter Öle in alkoholischen oder wässrig-alkoholischen Haarwässern, womit man eine Rückfettung erreichen will, ist verpönt, ausgenommen Rizinusöl.

Alle derzeit als Laxanzien verwendeten Arzneistoffe, gleich ob nativen oder synthetischen Ursprungs, sind feste Substanzen, ausgenommen Rizinusöl (bei Raumtemperatur).

Die Samen und Nüsse, aus denen die bekannten fetten Öle gepresst werden, sind essbar und bekömmlich, ausgenommen Rizinussamen. Sie enthalten das toxische Glykoprotein Ricin, ein Lectin, das spezifisch an galaktosehaltige Glykoproteine und Glykolipide von Zelloberflächen bindet. Ricin ist ein starker Inhibitor der eukaryontischen Proteinbiosynthese. Da dieses Lectin nicht fettlöslich ist, gelangt es bei kalter Pressung nicht in das Rizinusöl.

Abb. 1: R(+)-Ricinolsäure.
Foto: DAZ Archiv

Zusammenfassend kann gesagt werden:

Unter den kommerziellen fetten Ölen enthält nur das Rizinusöl eine hydroxylierte Fettsäure, die Ricinolsäure ((R)-12-Hydroxy-ölsäure, Abb. 1), und zwar zu 85 bis 90% berechnet als freie Säure bzw. zu 68 bis 77% gebunden als Triricinolein (Triricinoleylglycerid, Glyceryltriricinoleat).

Die ungewöhnlichen physikochemischen Eigenschaften des Rizinusöls sind dem hohen Gehalt an Ricinolsäure zuzuschreiben. Es besitzt eine sehr hohe und nur wenig temperaturabhängige Viskosität, eine höhere Dichte als andere fette Öle und ist in polaren organischen Lösungsmitteln löslich.

Auch die Anwendung des Rizinusöls als Laxans ist auf den Gehalt an Ricinolsäure zurückzuführen. Man kann das Triricinolein als Prodrug des Wirkstoffs Ricinolsäure betrachten, der im Dünndarm durch die Einwirkung einer Lipase freigesetzt wird und dann seine indirekte hydragoge Wirkung entfaltet.

Jojobaöl – ein flüssiges Wachs

Olivenöl, Erdnussöl, Mandelöl, Rapsöl, Distelöl und viele weitere offizinelle und kommerzielle Öle sind fette Öle, ausgenommen Jojobaöl; es ist ein flüssiges Wachsgemisch.

Fette und fette Öle sind bekanntlich Gemische von Triacylglyceriden (s. o.). Pflanzliche Wachse wie Carnaubawachs oder Japanwachs und tierische Wachse wie Bienenwachs oder Wollwachs bestehen hingegen überwiegend aus Estern von Wachssäuren mit einwertigen (gelegentlich auch zweiwertigen) Wachsalkoholen; Wachssäuren und -alkohole sind relativ lange, gesättigte Fettsäuren und -alkohole mit 24 bis 36 C-Atomen. Wachse können außerdem unverseifbare Kohlenwasserstoffe, freie Säuren und freie Alkohole in geringen Konzentrationen enthalten.

Jojobaöl spielt unter den pflanzlichen Wachsen eine Sonderrolle, weil es im Wesentlichen aus den Estern der relativ kurzen, einfach ungesättigten Fettsäuren Eicosen- und Docosensäure (20 bzw. 22 C-Atome) mit den korrespondierenden Alkoholen Eicosenol und Docosenol besteht (Abb. 2).

Seine kosmetische Beliebtheit verdankt das Jojobaöl verschiedenen Eigenschaften: Es zieht leicht und rasch in die Haut ein, ohne einen Fettfilm zu hinterlassen, macht die Haut weich, strafft sie und schützt sie sogar vor UV-Licht, denn es verfügt über einen natürlichen Lichtschutzfaktor der Stärke 4.

 

Abb. 2: Säure- und Alkohol-Komponenten des Jojobawachses.

Zudem ist es über Jahre haltbar und oxidationsstabil, d. h. dass es nicht ranzig wird. Jojobaöl wird durch kaltes Pressen aus den reifen Samen des mannshohen Jojobastrauches Simmondsia chinensis (Simmondsiaceae, früher Buxaceae) gewonnen, der in der Sonora-Wüste im Grenzgebiet von Kalifornien und Mexiko heimisch ist, inzwischen aber in Plantagen kultiviert wird (der Artname "chinensis" geht auf einen Irrtum des Erstbeschreibers Heinrich Friedrich Link, 1822, zurück).

Die Nutzung und wirtschaftliche Bedeutung des Jojobaöls ist durch das Handelsverbot des vom Pottwal stammenden Walrats und Spermöls (Washingtoner Artenschutzabkommen vom 1. 1. 1981), die ebenfalls Wachsgemische darstellen und eine vergleichbare molekulare Zusammensetzung aufweisen, sprunghaft angestiegen.


* Herrn Prof. Dr. Peter C. Schmidt in angenehmer und freundlicher Verbundenheit zum 70. Geburtstag gewidmet.

Weitere Informationen


Über Rizinusöl: die beiden Monographien Natives Rizinusöl / Ricini oleum virginale und Raffiniertes Rizinusöl / Ricini oleum raffinatum im Europäischen Arzneibuch.

Über Jojobaöl: die Monographien Natives Jojobawachs und Raffiniertes Jojobawachs des Deutschen Arzneimittelcodex (DAC), Ergänzungsband 1989.


Autor:
Prof. Dr. rer. nat. Dr. h. c. Hermann J. Roth, Friedrich-NaumannStr. 33, 76187 Karlsruhe, www.h-roth-kunst.com, info@h-roth-kunst.com

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