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Gesundheitspolitik
Lauterbach pro Apothekenketten
AZ: Ärztekammerpräsident Jörg-Dietrich Hoppe beklagt eine Rationierung bei der Versorgung von Patienten mit hochwertigen und teuren Medikamenten und sieht das Gesundheitssystem auf dem Marsch in die Zweiklassenmedizin. Teilen Sie diese Einschätzung?
Lauterbach: Nein, überhaupt nicht. Das kann ich nicht nachvollziehen. Ich kenne auch das gegenteilige Problem, dass teure Arzneimittel bei Patienten eingesetzt werden, obwohl keine entsprechende medizinische Indikation vorliegt. Dabei wird häufig mehr Schaden als Nutzen angerichtet. Bei rheumatischen Erkrankungen werden Patienten beispielsweise häufig mit Antikörpern behandelt. Das ist sehr teuer und ohne Nutzen für viele Patienten. Andere Patienten mit klarer Indikation bekommen die Medikamente hingegen nicht. Also: Wer Rationierung beklagt, muss auch über Überversorgung sprechen.
AZ: Was schlagen Sie vor?
Lauterbach: In erster Linie müssen wir die Fortbildung der Ärzte verbessern. Häufig handelt es sich einfach um Wissensdefizite. Die Auswahl des Arzneimittels durch den Arzt ist in Deutschland zu stark davon abhängig, wo die Schwerpunkte der Werbung und der pharmaorientierten Weiterbildung liegen. In Deutschland mangelt es vor allem an unabhängiger Fortbildung für Ärzte.
Zweitens muss die Politik bei der Preisgestaltung von Arzneimitteln aktiver werden. In Deutschland gibt es für neue Arzneimittel im europäischen Vergleich das höchste Preisniveau. Das gilt besonders für sehr teure Arzneimittel. Es kann nicht dabei bleiben, dass die Pharmaindustrie für neue, patentgeschützte Arzneimittel den Preis einseitig festlegen kann.
AZ: Die Bundesregierung denkt über die Möglichkeit von Preisverhandlungen zwischen Krankenkassen und pharmazeutischer Industrie für neue Arzneimittel nach. Ist das Ihrer Ansicht nach der richtige Weg?
Lauterbach: Das ist ein stumpfes Schwert. Sinnvoll wäre stattdessen eine vierte Hürde einzuführen, nämlich eine Kosten-Nutzen-Bewertung für neue Arzneimittel. Wird diese Bewertung parallel zur Sicherheitsprüfung durchgeführt, entstehen keinerlei Verzögerungen bei der Einführung neuer, hilfreicher Arzneimittel.
AZ: Also bringen Preisverhandlungen der Kassen mit der Pharmaindustrie aus Ihrer Sicht nichts?
Lauterbach: Zumindest ist das ein sehr schwerer Weg. Was passiert denn mit einer Krankenkasse, die ein neues Arzneimittel nicht anbietet, weil der Preis zu hoch ist? Eine solche Kasse würde ja in kürzester Zeit diffamiert. So etwas macht nur Sinn bei Arzneimitteln, die schon im Markt sind. Dann sind Kassen nicht erpressbar, weil sie ihre Patienten mit Alternativen versorgen können. Außerdem: Wir können die Entscheidung über den Einsatz neuer Arzneimittel nicht den Kassen überlassen. Damit sind auch ethische Fragen verbunden.
AZ: Können nicht die Apotheker eine wichtigere Rolle bei der Auswahl der richtigen Arzneimittel übernehmen?
Lauterbach: Ich befürworte grundsätzlich immer eine stärkere Einbeziehung der Apotheker bei der Auswahl preiswerter Arzneimittel. Bei neuen, hochpreisigen Arzneimitteln beispielsweise in der Onkologie kann ich mir aber schlecht vorstellen, dass der Apotheker eine allzu große Rolle spielen kann. Es wird und muss der Onkologe sein, der für seinen Patienten eine Empfehlung für das richtige Arzneimittel gibt. Da spielen einfach zu viele medizinische Aspekte eine entscheidende Rolle. Die Apotheker tragen stattdessen eine große Verantwortung bei der Routineversorgung der Patienten mit Arzneimitteln.
AZ: Die Koalition streitet über die Beteiligung der Länder an der Kommission zur Erarbeitung der neuen Gesundheitsreform. Die Länder sind nicht mit an Bord. Ist das ein Konstruktionsfehler?
Lauterbach: Ich halte von dieser Kommission sowieso überhaupt nichts. Die meisten Minister, die darin sitzen, verstehen von Gesundheitspolitik viel zu wenig. Das ist nichts anderes als eine politische Plauderrunde ohne allzu viel Kompetenz. Es geht nur darum, Zeit zu gewinnen bis nach den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen. So gesehen spielt es keine Rolle, ob die Länder dabei sind oder nicht.
AZ: Die Ausgaben im Gesundheitswesen steigen weiter. Auf der Einnahmeseite leiden die gesetzlichen Krankenkassen unter den Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise. Wie beurteilen Sie die Entwicklung der Finanzlage der gesetzlichen Krankenkassen?
Lauterbach: Angesichts der ungebrochenen Kostendynamik sprechen wir nur noch über Monate, bis die ersten Kassen Zusatzbeiträge erheben müssen. Bis jetzt sind ja keine neuen Sparaktivitäten der Bundesregierung zu erkennen. Nach der NRW-Landtagswahl gibt es kein Halten mehr. Dann wird es rund gehen. Vor dem Sommer werden wir die ersten großen Kassen sehen, die Zusatzbeiträge erheben müssen.
AZ: Was muss aus Ihrer Sicht bei den Arzneimittelausgaben geschehen?
Lauterbach: Uns stehen ja schon ein paar ganz gut funktionierende Kostendämpfungsinstrumente zur Verfügung. Beispielsweise die Rabattverträge, auch die Aut-idem-Regelung ist deutlich besser als ihr Ruf. Darauf können wir aufbauen. Vor allem die extreme Preisdynamik bei den hochpreisigen, neuen Arzneimitteln verlangt nach einer vierten Hürde, nach der Kosten-Nutzen-Bewertung. Aber auch beim Instrument der Rabattverträge gibt es noch Möglichkeiten, die für weitere Preissenkungen im Generikabereich sorgen.
AZ: Aber gerade mittlere und kleinere Generikahersteller sorgen sich um ihre wirtschaftliche Existenz.
Lauterbach: Die Sorge ist auf jeden Fall nachvollziehbar. Aber die Politik muss sich überlegen, was sie erreichen will: Eine gute und effiziente Arzneimittelversorgung der Patienten – oder macht man Förderpolitik für kleinere und mittlere Generikahersteller? Aus meiner Sicht ist der primäre Kunde der Politik der Versicherte und Patient, nicht so sehr der Pharmahersteller. Übrigens: Gute Politik sollte dafür sorgen, dass der Forschungsstandort gestärkt wird. Wenn wir wirklich innovative Arzneimittel gut bezahlen würden, dann würde auch der Forschungsstandort gestärkt werden. Dann müssten wir uns keine Sorgen machen, um den einen oder anderen kleinen Anbieter von Generika, der wegen eines Rabattvertrages aufgeben muss.
AZ: In der Vergangenheit sind Sie als vehementer Befürworter von Apothekenketten aufgetreten. Ihre Parteikollegen waren und sind da überwiegend anderer Auffassung. Wollen Sie jetzt die Politik der SPD auf Ihren Kurs zwingen?
Lauterbach: Das ist zurzeit reine Spekulation. Wir müssen abwarten, in welche Richtung sich die Politik der SPD in Bezug auf das Fremd- und Mehrbesitzverbot von Apotheken entwickelt. In nächster Zeit wird die SPD eine Reihe von Anträgen zu Gesundheitspolitik vorlegen. Wir werden uns für die Abschaffung der Praxisgebühr einsetzen. Wir wollen die Zusatzbeiträge wieder abschaffen. Wir wollen bewährte Dinge verbessern und Instrumente, die sich nicht bewährt haben, wieder beseitigen.
AZ: … und am Fremdbesitzverbot bei Apotheken festhalten?
Lauterbach: Ich persönlich halte einen stärkeren Wettbewerb im Apothekenmarkt für richtig. Ich bin davon überzeugt, dass mehr Wettbewerb auch für die Apotheker zum Schluss von Vorteil ist. Sonst entsteht eine Situation, dass die deutschen Apotheker im entstehenden europäischen Markt nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Niemand sollte unterschätzen, unter welchen Druck die deutschen Apotheken geraten, wenn der Versandhandel in Deutschland erst einmal richtig greift.
AZ: Aber der Europäische Gerichtshof hat doch eben erst das Fremdbesitzverbot in Deutschland bestätigt. Und warum meinen Sie, dass nicht schon heute zwischen Apotheken Wettbewerb besteht?
Lauterbach: Bei jedem Versuch, den Wettbewerb in Deutschland abzuwenden, gewinnt man höchstens etwas Zeit. Das hat aber gleichzeitig den Nachteil, dass andere vorpreschen, sich vorbereiten, investieren. Klar und unabwendbar ist doch: Das Apothekengeschäft wird immer mehr ein europäisches Geschäft. Wenn der deutsche Apotheker sich von diesem Wettbewerb abschottet, hat er langfristig gegenüber seinen europäischen Konkurrenten einen erheblichen Wettbewerbsnachteil. Ich glaube daher, dass dieser Weg nicht funktioniert und sogar zum Nachteil für die deutschen Apotheker gereicht. Wir werden erleben, dass in unseren europäischen Nachbarstaaten in absehbarer Zeit der Versandhandel komplett aufgebaut sein wird und dann nach und nach durch EU-Beschlüsse auch der deutsche Markt geöffnet werden muss.
AZ: Und das EuGH-Urteil?
Lauterbach: Der EuGH hat den deutschen Apotheken nur das Recht gegeben, ihren Sonderweg noch eine gewisse Zeit fortzusetzen. Darüber waren viele Experten sehr erstaunt.
AZ: Na ja, bei Weitem nicht alle. Und warum Sonderweg? Für über zwei Drittel der Apotheken in Europa gilt das Fremdbesitzverbot …
Lauterbach: Ich glaube trotzdem nicht, dass dieses Urteil allzu lange Bestand haben wird. Das letzte Wort ist damit noch nicht gesprochen. In absehbarer Zeit wird es erneut Bestrebungen geben, den deutschen Apothekenmarkt, einen der lukrativsten in Europa, für den Wettbewerb zu öffnen. Ich rate den deutschen Apothekern, den Wettbewerb anzunehmen. Die Apotheker sollten sich durch das EuGH-Urteil nicht in falscher Sicherheit wiegen lassen. Darauf sollte sich niemand ausruhen. Die deutschen Apotheker sollten versuchen, dem Wettbewerb etwas Positives abzugewinnen. Vor allem: Die deutschen Apotheker müssen sich mit ihren Leistungen ja nicht verstecken. Die Dienstleistung, die Kompetenz des Apothekers muss stärker in den Vordergrund gerückt werden. Damit der Apotheker wieder Berater des Patienten werden kann, müssen wir aber die Voraussetzungen schaffen.
AZ: Was gehört Ihrer Ansicht nach dazu?
Lauterbach: Wir müssen das Apothekenrecht entrümpeln und dem Apotheker größeren Freiraum einräumen, seine Fähigkeiten in der Beratung, in der Prävention und im Gesundheitsmanagement besser einbringen zu können. Dann ist mir um die Existenz der deutschen Apotheken nicht bange.
AZ: Herr Professor Lauterbach, wir danken Ihnen für das Gespräch!
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