Gesundheitspolitik

Künftiges Haushaltsloch durch Gesundheitsreform

Langfristige Folgen des neu gestalteten Zusatzbeitrages

DÜSSELDORF (tmb). Beitragssatz für den Gesundheitsfonds festgeschrieben, Deckelung für den Zusatzbeitrag "kleine Kopfpauschale" aufgehoben, Sozialausgleich für den Zusatzbeitrag eingeführt – auf den ersten Blick besteht die geplante Reform der GKV-Einnahmenseite aus eher kleinen Maßnahmen. Doch dieser Schein trügt. Sogar die vermeintlich kleinen Eingriffe in das System könnten massive Folgen haben und den Bundeshaushalt langfristig belasten, wie eine Analyse zeigt.

Das "Handelsblatt" untersuchte in seiner Ausgabe vom 19. Juli, welche beträchtlichen Folgen die vermeintlich "kleine" Kopfpauschale für den Bundeshaushalt haben dürfte. Ein zentrales Problem der neuen Regelung besteht darin, dass der allgemeine Beitragssatz bei 15,5 Prozent eingefroren wird, während die Ausgaben langfristig weiter steigen werden. Für seine Berechnungen unterstellt das "Handelsblatt" im Einklang mit der Bundesregierung, dass die Beitragseinnahmen der Krankenkassen jährlich um 1,5 Prozent steigen, die Ausgaben jedoch um 3 Prozent. Dann entstünde gewissermaßen ein "geplantes" und dynamisch steigendes Defizit, das nur über die neue "kleine" Kopfpauschale ausgeglichen werden kann. Rösler erwartet für 2012 durchschnittliche Zusatzbeiträge von acht Euro monatlich und 2013 bereits 12 Euro. Für 2014 wären es 16 Euro monatlich oder für alle GKV-Versicherten 10 Milliarden Euro im Jahr. Daraus folgt das nächste Problem. Denn nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts können Krankenkassenbeiträge seit 2010 von der Steuer abgesetzt werden. Das "Handelsblatt" kalkuliert daraufhin für 2014 Steuerausfälle von 2,1 Milliarden Euro durch den Zusatzbeitrag. Außerdem muss der neu eingeführte Sozialausgleich für die nun ungedeckelten Zusatzbeiträge aus dem Bundeshaushalt finanziert werden. Rösler habe bei der Vorstellung der Reformeckpunkte angedeutet, dass dafür etwa 900 Millionen Euro im Jahr 2014 aufzubringen wären, heißt es im "Handelsblatt". Für die Folgejahre würden Experten jährlich einen Anstieg des Sozialausgleichs um eine Milliarde Euro erwarten, weil die Zusatzbeiträge immer mehr wachsen. – Doch dann soll der Bund mit einem rigiden Sparkurs das bestehende Haushaltsdefizit abbauen.

Mit der neuen Regelung zum Zusatzbeitrag würde die Bundesregierung die Finanznot der Länder und Kommunen noch vergrößern, kritisiert Elke Ferner, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion. Denn die Einnahmen würden sinken, und zusätzlich müssten die Kommunen über die Grundsicherung die steigenden Zusatzbeiträge aufbringen. Außerdem beklagt die Opposition, dass Gutverdiener die Zusatzbeiträge von der Steuer absetzen können, während Geringverdiener sie in voller Höhe leisten müssen.

Weitere Folgen

Soweit die Darstellung im "Handelsblatt". – Doch die zweifellos überzeugende Berechnung lässt noch weitere Schlussfolgerungen zu. Erstens zeigt sich hier, dass Rösler mit diesem Plan – wenn er denn umgesetzt wird – langfristig offenbar mehr von seinen ursprünglichen Ideen realisieren könnte, als es zunächst schien. Denn der Zusatzbeitrag würde langfristig zu einem beträchtlichen Teil der Finanzierung der GKV werden, und der soziale Ausgleich dafür fände über den Bundeshaushalt statt, so wie es Rösler stets gefordert hat. Dies alles träfe aber nur zu, wenn die Ausgaben tatsächlich in der angenommenen Weise steigen. Denn zweitens steht und fällt die dargestellte Analyse mit der ersten Annahme, dass die Krankenkassenausgaben deutlich mehr steigen als die lohnabhängigen Beiträge. Das wiederum wird von der Konjunktur, vom Arbeitsmarkt und von den Sparmaßnahmen auf der Leistungsseite abhängen. Die Folgen steigender GKV-Ausgaben dürften daher in Zukunft sowohl für die Versicherten als auch für den Finanzminister noch deutlicher zu spüren sein als bisher. Für Leistungserbringer – ob Krankenhäuser, Ärzte oder Apotheker – ist dies nicht erfreulich, denn der öffentliche Druck auf das System wird weiter zunehmen.

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