DPhG-Jahrestagung

Selbstmedikation: Wann zuraten? Wann abraten?

Nach drei praxisorientierten Fachvorträgen zum sachgerechten Umgang mit OTC-Arzneimitteln in der Apotheke gab es beim diesjährigen Nachmittag der Offizinpharmazie am 1. Oktober innerhalb der DPhG-Jahrestagung 2009 in Jena, durchgeführt von der Landesapothekerkammer Thüringen, auch ein Novum: Die rund 100 Teilnehmer aus der Region konnten anhand von Rollenspielen diskutieren und die richtige Beratung üben. Die Diskussion wurde interdisziplinär begleitet von einer Apothekerin und einem Arzt. Moderiert wurde die Veranstaltung von der Vizepräsidentin der DPhG, Prof. Dr. Susanne Alban, Kiel.

Seitdem OTC-Arzneimittel nicht mehr von der GKV erstattet werden, ziehen immer mehr Patienten deren Nutzen in Zweifel. Umso mehr sollten die Patienten in der öffentlichen Apotheke immer wieder darauf hingewiesen werden, dass der GKV-Ausschluss nicht auf einer Qualitätsminderung der Präparate beruht, so die generelle Empfehlung von Prof. Dr. Hartmut Morck, Eschborn, der zunächst eine allgemeine Einführung in den Selbstmedikationsmarkt gab. So schlecht sieht die aktuelle Marktentwicklung nicht aus: Immerhin ist im ersten Quartal 2009 gegenüber dem 1. Quartal 2008 ein Zuwachs um 0,82% nach Packungen bzw. 0,69% nach Umsatz zu verzeichnen, den Morck wesentlich auf die BHA-Initiative zum grünen Rezept zurückführte.

Schmerz, Venenleiden. Herzbeschwerden

Die Einzel-Facetten einer sachgerechten OTC-Beratung machte Morck an Apotheken-typischen Beispielen für verschiedene Indikationsgruppen fest. Auch die Einnahme vermeintlich harmloser Schmerzmittel wie ASS, Paracetamol, Diclofenac und Ibuprofen sollte durch den Apotheker fachlich begleitet werden. Morck hält es für unverantwortlich, Schmerzmittel als Sonderangebote anzupreisen, da dies einem Missbrauch und damit dem Entstehen eines Analgetika-Kopfschmerzes Vorschub leisten kann. Er zitierte in diesem Zusammenhang eine Studie aus dem Jahr 1998, nach der die kritische Monatsdosierung für Paracetamol bereits bei 5 g liegt, gab demgegenüber jedoch auch zu bedenken, dass die Nichtbehandlung von Schmerzen über die Bildung eines Schmerzgedächtnisses zu chronischen Schmerzen führen kann.

Ein weiteres klassisches Feld für die pharmazeutisch begleitete Selbstmedikation sind Venenleiden und leichte Herzbeschwerden. Hier bieten Phytopharmaka gute Therapieansätze, darunter in erster Linie Präparate mit Rosskastaniensamenextrakt. Daneben sind wenige Präparate mit Oxerutin/Troxerutin sowie Zubereitungen aus rotem Weinlaubextrakt, Mäusedorn, Buchweizen, Steinkleekraut im Handel.

In der Selbstbehandlung der leichten Herzinsuffizienz (Stadium NYHA I oder II) nach ärztlich gesicherter Diagnose dominiert ein in vielen Präparaten enthaltener standardisierter Crataegus-Extrakt, dessen Wirksamkeit klinisch gut belegt ist.

Abzulehnen ist dagegen der regelmäßige Gebrauch von Laxanzien. Gerade dieses Beispiel belegt nach Meinung von Morck, wie wichtig die Überwachung der Selbstmedikation durch die Apotheke ist.

Beratung hilft, ABPs zu verhindern

Abschließend ging Morck auf die Ergebnisse einer bundesweiten Untersuchung der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände – ABDA zur Erfassung von arzneimittelbezogenen Problemen (ABPs) im Rahmen der Selbstmedikation im November/Dezember 2007 ein. Diese Untersuchung sollte nicht nur die Häufigkeit von ABPs ermitteln, sondern auch zeigen, dass die öffentlichen Apotheken die Arzneimittelsicherheit und Effektivität der Selbstbehandlung deutlich erhöhen können.

In 109 Apotheken wurden insgesamt 12.567 Selbstmedikationswünsche dokumentiert, davon 27% über eine Medikationsdatei. Bei fast jedem fünften Fall (17,6%) trat ein ABP auf. Drei Viertel der ABPs betrafen nur vier Indikationsbereiche:

Schmerzen (23,6%),

Respirationstrakt (19,9%),

Magen-Darm-Trakt (16,6%) und Haut (11,0%). Die häufigsten Ursachen für ABPs waren:

  • Aufgrund der Symptome war eine Selbstmedikation nicht geeignet (29,7%),
  • das Präparat passte nicht (20,5%),
  • es lag ein Missbrauch vor oder das Präparat wurde zu lange angewendet (17,1%),
  • die Dosierung war falsch (6,8%).

Durch Interventionen des beratenden Personals in der Apotheke (z. B. Arztverweis oder anderes Arzneimittel) konnten 90% der Fälle ganz oder teilweise gelöst werden, was die Bedeutung der pharmazeutischen Beratung in der Selbstmedikation einmal mehr eindrucksvoll unterstreicht. Dabei sind konkrete Präparatewünsche besonders problemanfällig: Nach der Untersuchung waren drei Viertel aller OTC-Wünsche Präparatewünsche, und 80% aller ABPs traten gerade hier auf.

Neu im OTC-Bereich: Triptane und PPI

Auf Qualitätsaspekte bei der Selbstmedikation inklusive Phytopharmaka und Versandhandel ging Prof. Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz, Frankfurt, ein. Konkret bezog er sich eingangs auf zwei noch junge Vertreter im OTC-Bereich. Einzelne Substanzen der Wirkstoffklasse der Triptane wurden kürzlich mit Einschränkungen für die Selbstmedikation freigegeben ("switched"), oder es liegt eine entsprechende Empfehlung vor (Naratriptan, Almotriptan, Sumatriptan). Schubert-Zsilavecz gab sich absolut überzeugt, dass dies auch aus ethischen Gründen vertretbar und geboten ist. Ähnlich äußerte er sich hinsichtlich der Protonenpumpenhemmer (PPI), die bis vor wenigen Monaten alle rezeptpflichtig waren und deren erster Vertreter Omeprazol jüngst unter bestimmten Bedingungen auch für den OTC-Bereich freigegeben wurde. Er sieht hier ebenfalls keine Probleme, soweit diese indikationsgemäß, d. h. unter Beachtung möglicher Wechselwirkungen mit Clopidogrel, eingesetzt werden.

Pflanzliche Präparate sorgfältig auswählen

Im Hinblick auf Phytopharmaka beklagte Schubert-Zsilavecz die aus seiner Sicht immer noch bestehende Unübersichtlichkeit des Marktes, vor allem außerhalb der Apotheke.

Bei der Auswahl eines Präparates sollte eine Differenzierung erfolgen zwischen gut belegten Zubereitungen und traditionellen Präparaten. Den Patienten sollte vermittelt werden, dass pflanzliche Präparate bestimmte Anforderungen erfüllen müssen und dass "Extrakt nicht gleich Extrakt" ist, reklamierte Schubert-Zsilavecz. Als Beispiele führte er die genauen Spezifikationen für Ginkgo- und Johanniskrautextrakte mit klinisch belegter Wirksamkeit an. Für die meisten der apothekenpflichtigen Präparate sind diese Vorgaben erfüllt, weshalb sie guten Gewissens empfohlen werden können. Weitaus größere Bedenken hegt er demgegenüber im Hinblick auf Nahrungsergänzungsmittel, mit denen häufig keine therapeutischen Wirkstoffspiegel erreicht werden und unter denen auch allerlei obskure Produkte zu finden sind. Auch hier forderte er die Apotheker auf, aufzuklären und differenzieren zu helfen.

Blindes Vertrauen und Schnäppchenmentalität

Dass viele Verbraucher Arzneimittel unvorsichtig per Internet bestellen, machte Schubert-Zsilavecz im Wesentlichen an dem Grundvertrauen fest, das die Verbraucher zu Arzneimitteln haben: "Die Leute kennen meist aus eigener Erfahrung keine minderwertigen Produkte oder Fälschungen, da die deutschen Apotheken sicher sind. Dieses blinde Vertrauen übertragen sie dann auch auf andere Arzneimittel." Hinzu komme die allerorten herrschende "Schnäppchenmentalität", die durch die stereotype Klage in den Medien über angeblich zu hohe Apothekenpreise gefördert wird.

Als weitere Gründe nannte Schubert-Zsilavecz den Wunsch nach Anonymität, besonders bei "heiklen" Produkten, etwa gegen Impotenz oder Haarausfall, und last not least die Unerfahrenheit im Umgang mit dem Internet. Der Arzneimittelkauf in der Apotheke ist für ihn angesichts der im Internet lauernden Gefahren für die Arzneimittelsicherheit "Verbraucherschutz im besten Sinne des Wortes".

Erhöhte Vigilanz bei älteren Patienten

Dr. Jörg Wittig, öffentlicher Apotheker in Schleiz/Thüringen, schilderte seine Erfahrungen mit älteren Selbstmedikationskunden. Hier handelt es sich meist um multimorbide Patienten mit vielen Arzneimitteln, das heißt einem hohen Wechselwirkungspotenzial. Sorgfältiges Recherchieren in den einschlägigen Datenbanken hat sich in seiner Apothekenpraxis in diesen Fällen als unerlässlich erwiesen. Außerdem ist häufig eine altersabhängige Dosisanpassung der Präparate geboten, d. h. eine Herabsetzung der empfohlenen Dosis. "Hier muss der Apotheker Verantwortung übernehmen, und es ist eine erhöhte Vigilanz erforderlich", meinte Wittig.

In der Beratung mehr in Vorleistung gehen

Im Übrigen lassen sich – so Wittigs tägliche Erfahrung – typische Probleme alter Patienten oft ohne großen Aufwand in der Apotheke lösen, zum Beispiel mit Tablettenteilern und durch Unterstützung bei der Anwendung von Augentropfen oder bei der Bedienung von Inhalatoren. Empfehlenswert ist auch ein Krückenhalter am Handverkaufstisch, damit gehbehinderte Patienten in aller Ruhe eine Beratung in Anspruch nehmen können.

Die effektive Zeitausnutzung im Handverkauf stößt gerade bei älteren multimorbiden Patienten oft an ihre Grenzen, doch gibt es laut Wittig auch hier Möglichkeiten zur Rationalisierung, etwa durch abgeschirmte Kassen für kurze Intensivberatungen, Handzettel für komplizierte oder immer wiederkehrende Probleme oder auch über pharmazeutische Sprechstunden. Wittig regte an, in der Beratung älterer Patienten generell mehr in Vorleistung zu gehen, die Kommunikation so gut wie möglich auf das jeweilige Problem zu fokussieren und sich darum zu bemühen, nicht nur fachlich, sondern auch emotional zu überzeugen; dies ist für ihn eine wichtige Voraussetzung, dass die Beratung im Handverkauf wirklich als aktive Werbung für die Apotheke und für den gesamten Berufsstand herhält.

Beratung üben mit Rollenspielen

Mit Spannung verfolgten die Teilnehmer des Nachmittags der Offizinpharmazie schließlich zwei Rollenspiele zur Patientenberatung in der Apotheke, die von Schauspielern mit Apothekerin Dr. Birgid Merk, München, dargeboten und zusätzlich von dem Sportmediziner Priv.-Doz. Dr. Arno Schmidt-Trucksäss, München, fachlich begleitet wurden.

Die von den "Patienten" vorgebrachten Beschwerden lagen schwerpunktmäßig im Bereich Herz und Kreislauf. Sachkundig fragte die beratende Apothekerin nach dem erstmaligen Auftreten der Probleme, deren Dauer, ob schon etwas dagegen unternommen worden sei, ob ein Arzt konsultiert worden sei, wie es mit den Lebens- und Ernährungsgewohnheiten stehe usw., bevor sie ein passendes OTC-Präparat empfahl.

Gemeinsam mit Schmidt-Trucksäss wurden die Eckpunkte der lebensnah simulierten Beratung nachfolgend unter reger Beteiligung des Auditoriums diskutiert und der Nutzen und die Grenzen der Selbstmedikation anschließend noch an weiteren praxisnahen Fallbeispielen aus anderen Indikationsbereichen fortentwickelt.


hb

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