Arzneimittel und Therapie

Suizidgefahr unter Leukotrien-Rezeptorantagonisten?

Postmarketing-Berichte hatten den Verdacht aufkommen lassen, dass die bei allergischem Asthma und allergischer Rhinitis eingesetzten Leukotrien-Rezeptorantagonisten und -Syntheseinhibitoren für schwere neuropsychiatrische Komplikationen bis hin zum Suizid verantwortlich sein könnten. Die FDA hat daraufhin die Daten aller kontrollierten klinischen Studien von Montelukast, Zafirlukast und Zileuton überprüfen lassen. Doch die Sichtung dieser Daten ließ kein erhöhtes Suizidrisiko erkennen. Trotzdem will die FDA noch keine Entwarnung geben.

Während in Deutschland aus der Gruppe der Arzneistoffe, die in den Leukotrienstoffwechsel eingreifen, nur Montelukast (Singulair®) im Handel ist, stehen in den USA neben Montelukast auch Zafirlukast und Zileuton zur Behandlung des allergischen Asthmas und der allergischen Rhinitis zur Verfügung.

Im März vergangenen Jahres hatte die FDA die Hersteller der Leukotrien-Rezeptorantagonisten Montelukast und Zafirlukast sowie des Leukotrien-Syntheseinhibitors (5-Lipoxygenase-Hemmers) Zileuton gebeten, alle Daten aus kontrollierten klinischen Studien zu suizidalen Nebenwirkungen, Stimmungs- und Verhaltensänderungen zur Verfügung zu stellen. Merck hat daraufhin mitgeteilt, dass 41 Placebo-kontrollierte Studien mit Patienten von sechs Jahren und älter vorliegen würden, in denen 9929 Patienten mit Montelukast und 7780 mit Placebo behandelt worden waren. In diesen Studien sei ein erwachsener, mit Montelukast behandelter Patient registriert worden, der sich mit Suizidgedanken auseinandergesetzt habe (0,01%). Suizide habe es keine gegeben.

Keine erhöhte Suizidalität in klinischen Studien

Astra Zeneca übermittelte für Zafirlukast Daten aus 45 placebokontrollierten Studien mit Patienten ab einem Alter von fünf Jahren. Hier waren 7540 Patienten mit Zafirlukast und 4659 mit Placebo behandelt worden. Während in der Zafirlukast-Gruppe weder Suizidgedanken noch Suizide zu verzeichnen waren, hatte in der Placebo-Gruppe ein Patient einen Suizidversuch unternommen, einer hatte über Selbstmordgedanken berichtet (0,04%).

Für Zileuton (Hersteller Cornerstone Therapeutics) liegen Daten aus elf placebokontrollierten Studien mit Patienten von zwölf Jahren und älter vor (1745 Zileuton, 1063 Placebo). Weder in der Zileuton- noch in der Placebo-Gruppe soll es Hinweise für suizidales Verhalten gegeben haben.

Komplikationen inBetracht ziehen

Auch wenn die Daten den Verdacht, dass Leukotrien-Rezeptorantagonisten und -Syntheseinhibitoren das Suizidrisiko steigern, nicht erhärten, will die FDA keine Entwarnung geben. Denn die Studien seien alle nicht darauf angelegt gewesen, neuropsychiatrische Komplikationen zu erfassen. Postmarketing-Berichte zu neuropsychiatrischen Komplikationen vor allem unter dem am häufigsten verwendeten Montelukast scheinen ernstzunehmende Hinweise dafür zu geben, dass durch den Eingriff in den Leukotrien-Stoffwechsel neuropsychiatrische Veränderungen induziert werden können. Patienten und verordnende Ärzte sollten diese Möglichkeit in Betracht ziehen. Die Bewertung der Daten hinsichtlich weiterer neuropsychiatrischer Komplikationen durch die FDA dauert noch an.

 

Quelle
FDA – Update of Safety Review. Follow-up of the March 27,2008, Communication about the ongoing Safety Review of Montelukast (Singulair) 13. Januar 2009.

 


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Nachgefragt


Wie lassen sich neuropsychiatrische Wirkungen von Arzneistoffen, die in den Leukotrienstoffwechsel eingreifen, erklären? Prof. Dr. med. Thomas Herdegen und Ruwen Böhm vom Institut für Pharmakologie der Universität Kiel sind dieser Frage nachgegangen. Sie erläutern die Möglichkeiten anhand von Montelukast und kommen zu folgendem Ergebnis:


Eine Analyse von Verhaltens- und Stimmungsveränderungen an 11.673 Patienten mit Montelukast und 8827 Patienten mit Placebo zeigte Inzidenzen von 2,73% bzw. 2,27% (statistisch nicht signifikant) [1]. Dem gegenüber stehen dramatische Einzellfallberichte, die zu Änderungen der deutschen Fachinformationen geführt haben, in denen nun auch neuropsychiatrische Störungen aufgeführt werden.

Tatsächlich exprimieren neben peripheren Immunzellen sowohl Neuronen als auch Gliazellen CysLT-Rezeptoren (Leukotrien-Rezeptoren). Montelukast und Zafirlukast gelangen über die Blut-Hirn-Schranke ins Gehirn [2]. Dort kann Montelukast z. B. den Zelltod von Astrozyten abschwächen [3] und das Überleben von Neuronen unter bestimmten experimentellen Bedingungen verbessern [4]. Ob auch die Neurotransmission durch Leukotriene beeinflusst wird, ist unklar [5-6]. Pharmaka und Krankheitszustände, die Immunzellen stimulieren oder hemmen (z. B. Cyclooxigenase-Hemmstoffe oder Glucocorticoide bzw. Asthma oder Fieber), haben wahrscheinlich ein psychogenes Nebenwirkungspotenzial, so dass sich mittlerweile eine eigene Disziplin, die Neuroimmunologie, damit beschäftigt. Erschwert wird die Erkennung kausaler Zusammenhänge durch den Befund, dass Allergiker ein höheres Suizidrisiko aufweisen [7], evtl. bedingt durch eine Aktivierung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse oder durch Zytokine, die den Schlaf stören und zu Albträumen führen können [7].

Auch Polymorphismen von Enzymen des Arachidonsäurenmetabolismus können mit neuropsychiatrischen Störungen assoziiert sein. So wird ein Polymorphismus der Leukotrien-C4-Synthase mit bipolaren Störungen in Verbindung gebracht [8]. Prominentestes Beispiel für unerwünschte Arzneimittelwirkungen durch pharmakologisch induzierte Blockade von Arachidonsäurederivaten ist der inverse CB1 -Rezeptoragonist Rimonabant (Acomplia®), der aufgrund erhöhter Inzidenz von Depressionen und Suizidgedanken vom Markt genommen werden musste.

Zuletzt ist noch auf eventuell unterschiedliche Wirkungen von zentral wirksamen Pharmaka in verschiedenen Altersgruppen hinzuweisen. Ein sich noch in der Entwicklung befindliches juveniles Nervensystem reagiert anders als ein adultes. Die gegenwärtigen Publikationen erlauben keine Aussage über eine besondere Gefährdung von Kindern und Jugendlichen.

Zusammenfassend kann man sagen, dass eine Wirkung von Montelukast und anderer Leukotrien-Rezeptorantagonisten auf das Gehirn pharmakokinetisch und -dynamisch (z. B. via CysLT-Rezeptoren) möglich ist.


Literatur


[1] Merck-Pressemitteilung vom 13.1.2009. http://www.merck.com/newsroom/press_releases/product/2009_0113.html
[2] Savidge et al. Metabolism and excretion of zafirlukast in dogs, rats, and mice. Drug Metab Dispos. 1998 Nov;26(11):1069-76.
[3] Huang et al. Activation of CysLT receptors induces astrocyte proliferation and death after oxygen-glucose deprivation. Glia. 2008 Jan 1;56(1):27-37.
[4] Yu et al. Montelukast, a cysteinyl leukotriene receptor-1 antagonist, dose- and time-dependently protects against focal cerebral ischemia in mice. Pharmacology. 2005 Jan;73(1):31-40.
[5] Liu et al. Actions of cysteinyl leukotrienes in the enteric nervous system of guinea-pig stomach and small intestine. Eur J Pharmacol. 2003 Jan 10;459(1):27-39.
[6] Hu et al. Effects of cysteinyl receptor agonist and antagonists on rat primary cortical neurons. Zhejiang Da Xue Xue Bao Yi Xue Ban. 2007 Mar;36(2):117-22.
[7] Postolache et al. Allergy: a risk factor for suicide? Curr Treat Options Neurol. 2008 Sep;10(5):363-76.
[8] Bennett CN, Horrobin DF. Gene targets related to phospholipid and fatty acid metabolism in schizophrenia and other psychiatric disorders: an update. Prostaglandins Leukot Essent Fatty Acids. 2000 Jul-Aug;63(1-2):47-59.

Autoren

Ruwen Böhm
Prof. Dr. med. Thomas Herdegen
Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein
Arnold-Heller-Str. 3, Haus 30, 24105 Kiel

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