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Stunde Null für traditionelle pflanzliche Arzneimittel

STUTTGART (hb). Für die traditionellen pflanzlichen Arzneimittel, die ihre weitere Verkehrsfähigkeit im Zuge der Nachzulassung über das erleichterte Verfahren gemäß § 109a AMG sichern konnten, war der 1. Januar 2009 eine "Stunde Null", denn mit der europäisch harmonisierten Regelung über eine obligatorische Registrierung wurden für diese Präparate die Uhren neu gestellt. Bis Ende 2008 musste beim BfArM ein entsprechender Antrag gestellt werden, um langfristig weiter im Verkehr bleiben zu können. Viel hat sich diesbezüglich allerdings noch nicht getan, wie die Bearbeitungsstatistiken des BfArM ausweisen. Überhaupt scheint im Phytomarkt derzeit wenig Bewegung zu sein.
Viele pflanzliche Arzneimittel sind bereits über 30 Jahre auf dem Markt und haben das Nachzulassungsverfahren erfolgreich abgeschlossen, wie die Bearbeitungsstatistiken des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte zeigen.
Foto: sket

Zur Erinnerung: Mit der 14. AMG-Novelle war im Jahr 2005 in Umsetzung einer Änderung des Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel ein besonderes Registrierungsverfahren für traditionell angewendete pflanzliche Arzneimittel eingeführt worden. Von der Regelung erfasst sind sowohl rein pflanzliche Arzneimittel als auch solche, die zusätzlich Vitamine und Mineralstoffe enthalten, sofern diese die Wirkung oder die Anwendungsgebiete ergänzen. Um das Verfahren in Anspruch nehmen zu können, muss ein Antragsteller nachweisen, dass sein Arzneimittel unter den angegeben Anwendungsbedingungen unschädlich ist und dass es seit mindestens 30 Jahren, davon mindestens 15 Jahre in der Gemeinschaft, medizinisch verwendet wird (Traditionsnachweis).

Monographien und Traditionsliste als Hilfestellung

Damit die Besonderheiten pflanzlicher Arzneimittel im europäischen Binnenmarkt angemessen berücksichtigt werden, wurde bei der EMEA im Jahr 2004 eigens ein Ausschuss für pflanzliche Arzneimittel eingerichtet (Herbal Medicinal Products Committee – HMPC). Dieser erarbeitet unter anderem

  • europäisch harmonisierte Monographien für Arzneidrogen,
  • eine europäische "Traditionsliste", auf der solche Arzneidrogen und Zubereitungen aufgeführt sind, für die das erleichterte Registrierungsverfahren in Anspruch genommen werden kann.

Die gemeinschaftlichen Pflanzenmonographien bilden die Grundlage sowohl für bibliografische Zulassungsanträge (well-established use) als auch für die vereinfachte Registrierung. Ist ein pflanzlicher Stoff oder eine Zubereitung in der Traditionsliste verzeichnet, so brauchen im Gegensatz zur Well-established-use-Regelung nicht einmal Sicherheitsdaten vorgelegt zu werden, da die Unbedenklichkeit der jeweiligen Zubereitung als erwiesen gilt.

Die Beurteilung der Anträge nehmen nach wie vor die nationalen Zulassungsbehörden vor. Der Ausschuss für pflanzliche Arzneimittel bei der EMEA soll nur dann befasst werden, wenn Zweifel bestehen, ob der Traditionsnachweis ausreichend erbracht wurde.

Eckdaten der Umsetzung

Die Frist für die Umsetzung der Neuregelung in die nationalen Gesetze endete am 30. Oktober 2005. Ende September 2008 veröffentlichte die Europäische Kommission als Mitteilung an das Europäische Parlament und den Rat einen Bericht über die Erfahrung mit der Anwendung der betreffenden Richtlinie. Hiernach war diese bis zum 10. März 2008 in 25 der 27 Mitgliedstaaten vollständig umgesetzt. Bis zum 30. Juni 2007 waren in 17 Mitgliedstaaten 110 Anträge eingereicht worden. Diese Zahl verteilt sich jedoch sehr ungleich, denn in einigen Mitgliedstaaten gab es mehr als 20 Anträge, in den meisten allerdings überhaupt keine oder nur sehr wenige. Insgesamt wurden im Berichtszeitraum 23 Anträge abschließend bearbeitet, keine besonders ermutigende Bilanz.

Wie der Webseite der europäischen Arzneimittelagentur zu entnehmen ist, kann der HMPC demgegenüber eine stattliche Bilanz vorweisen: bereits 42 Gemeinschafts-Monographien sind verabschiedet, darüber hinaus gibt es 22 Entwürfe in verschiedenen Stadien, und weitere etwa 60 Monographien sind in Vorbereitung. Dem HMPC zufolge würde die vollständige Anwendung der Richtlinie die Veröffentlichung von etwa 200 bis 300 Monografien erfordern.

Hinsichtlich der europäischen Traditionsliste sieht es nicht ganz so gut aus: erst zwei Einträge konnten dort im November 2008 vorgenommen werden, und zwar für die Früchte von bitterem und süßem Fenchel.

Das Problem der Genotoxizitätsdaten

Die Einführung des vereinfachten Registrierungsverfahrens beruhte auf der Annahme, dass sich Unbedenklichkeit und Wirksamkeit durch den Nachweis der langjährigen Anwendung angemessen belegen lassen müsste. Tatsächlich hapert es jedoch in vielen Fällen daran, dass speziell das genotoxische Potenzial pflanzlicher Zubereitungen in der Regel kaum untersucht wurde. Dessen regelmäßige Bewertung hält der Ausschuss für die Aufnahme in die Traditionsliste jedoch für unerlässlich und forderte daher in der Vergangenheit immer wieder zusätzliche Untersuchungen. Hierdurch stockte zum einen die Erstellung der Liste, und zum anderen ist dies wahrscheinlich auch ein Grund dafür, dass bislang so wenige Anträge eingereicht wurden. Nun konnte nach der Mitteilung der Kommission eine Einigung dahingehend herbeigeführt werden, dass Genotoxizitätsdaten für die Bewertung traditioneller pflanzlicher Arzneimittel nur von Fall zu Fall verlangt werden, und zwar dann, wenn besondere Bedenken in Bezug auf ihre Sicherheit bestehen.

Erweiterung der "Tradi-Regelung"

Der Geltungsbereich des Registrierungsverfahrens wurde zunächst bewusst auf traditionelle pflanzliche Arzneimittel begrenzt, um erste Erfahrungen zu sammeln. Allerdings kommen grundsätzlich auch andere Produkte hierfür in Frage, wie etwa Heilmittel aus der anthroposophischen Medizin, Ayurveda oder der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM). Aus der Sicht der Kommission gibt es hierfür jedoch einige mögliche Hinderungsgründe:

  • die Zusammensetzung des Arzneimittels (d. h. sie enthalten evtl. mineralische, tierische oder metallische Inhaltsstoffe)
  • der Verabreichungsweg (etwa die Gabe per Injektion),
  • die unbeaufsichtigte Verwendung und Indikationen (die Arzneimittel müssen ohne ärztliche Aufsicht angewendet werden können),
  • Nachweis der traditionellen Verwendung in der Gemeinschaft (für Arzneimittel aus anderen Teilen der Welt ist es häufig schwer, eine mindestens 15-jährige Verwendung in der Europäischen Union nachzuweisen).

Ungeachtet dessen besteht bei der Europäischen Kommission jedoch grundsätzlich durchaus die Bereitschaft, das vereinfachte Registrierungsverfahren auf andere, nichtpflanzliche Arzneimittel mit einer langen und sicheren traditionellen Verwendung in Betracht zu ziehen (wie Honig, Gelée Royale, Propolis, Fischöl, Minerale, Mikroorganismen und weitere Stoffe). Allerdings sollten die Kernvorschriften des Verfahrens nach Auffassung der Kommission auf jeden Fall bestehen bleiben.

Stunde Null für die 109a-Präparate

Speziell für Deutschland war die Einführung der Registrierung traditionell angewendeter pflanzlicher Arzneimittel nichts substantiell Neues. Bereits im Zuge der Nachzulassung war für diese Arzneimittelgruppe ein gesondertes Verfahren eingerichtet worden (Verfahren nach § 109a AMG), mit dem die Präparate in den Genuss einer erleichterten Nachzulassung kamen. Die in der Folge erstellte § 109a Liste (Traditionsliste) mit über 1000 Positionen stand in ihrer Konzeption Pate für die spätere europäische Traditionsliste. Nun kommen die auf Basis der Liste nachzugelassenen, sogenannten "109a-Präparate" erneut auf den Prüfstand. Bis zum 31. Dezember 2008 mussten die Antragsteller beim BfArM Registrierungsanträge einreichen, sofern die Präparate nach der Neuregelung (§ 39a AMG) unter die Definition für traditionelle pflanzliche Arzneimittel fallen. Wird diese Frist versäumt, erlöschen die betroffenen Nachzulassungen am 30. April 2011.

Über 600 Präparate müssen neu registriert werden

Um wie viele Präparate es überhaupt geht, ist aus den Bearbeitungsstatistiken des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte ersichtlich. Tabelle 1 zeigt, dass der deutsche Phytopharmaka-Markt im November 2008 rund 2500 Arzneimittel umfasste. Rund die Hälfte aller pflanzlichen Arzneimittel ist bereits mehr als 30 Jahren auf dem Markt und hat das Nachzulassungsverfahren erfolgreich abgeschlossen. Das Segment der traditionellen Arzneimittel ist Tabelle 2 zu entnehmen. Nicht alle 1011 109a-Präparate müssen automatisch in die "Neu-Registrierung", denn es werden, wie oben dargelegt, nur die rein pflanzlichen bzw. Kombinationen mit Vitaminen und Mineralstoffen hiervon erfasst, das sind de facto zwischen 600 und 700 Präparate.

Aktuelle Zahlen zu den tatsächlich eingegangenen Anträgen sind am 1. Januar 2009 selbstverständlich noch nicht verfügbar. Offensichtlich haben die meisten Antragsteller sich mit dem Antrag auf Registrierung wie seinerzeit bei der Nachzulassung "bis auf den letzten Drücker" Zeit gelassen.

Tab. 1: Markt der pflanzlichen Arzneimittel (Stand: 3. 11. 2008, www.bfarm.de)
Phytopharmaka
zugelassen
Nachzugelassen
Gem. § 105 AMG oder § 105 AMG in Verbindung mit § 109a AMG:
Summe
Monopräparate
935
1038
1973
Kombinationspräparate
74
425
499
Summe
1009
1463
2472

Tab. 2: Markt der traditionellen Arzneimittel (Stand: 3. 11. 2008, www.bfarm.de)
Traditionelle Arzneimittel
nach § 109a AMG
Monopräparate
Kombinations-
präparate
Summe
Phytopharmaka
309
280
589
Pflanzliche + chemische Wirkstoffe
135
135
Homöopathika
0
37
37
Sonstige
156
94
250
Summe
465
546
1011

Erst sechs Registrierungen erteilt

Jedenfalls ist die Bilanz hinsichtlich Tradi-Registrierungen nach den neuen Regelungen in Deutschland bis dato außerordentlich dürftig (Tab. 3). In den Jahren 2005 bis 2008 gingen beim BfArM im Schnitt nicht mehr als zwölf Anträge pro Jahr ein. Unter diesen können sich im übrigen auch solche Präparate befinden, die vormals gar keine 109a-Präparate waren, denn die Regelung steht auch "Neu-Registrierungen" offen. Lediglich sechs Präparate (zwei Monopräparate, vier Kombinationen) haben die Hürde bislang genommen, eines im Jahr 2005, fünf weitere im Jahr 2007, während in den Jahren 2006 und 2008 kein einziger positiver Bescheid erging. Im Jahr 2007 wurden acht Anträge versagt, was viele Antragsteller zusätzlich verschreckt und dazu bewogen haben mag, nicht zu früh "ins Rennen zu gehen".

Obwohl die Präparate allein durch das Faktum der erfolgreichen Nachzulassung nachgewiesenermaßen seit mehr als 30 Jahren auf dem europäischen Binnenmarkt sind, macht Erfahrungen von Branchenexperten zufolge in vielen Fällen gerade der Traditionsnachweis Probleme. Zahlreiche Arzneimittel, vor allem Kombinationspräparate, wurden im Zuge der Nachzulassung wunschgemäß an den Stand von Wissenschaft und Technik angepasst, das heißt hier und da geändert, und könnten nun deswegen, obwohl sie substanziell gleich geblieben sind, in dem strengen und engmaschigen Beurteilungsraster des BfArM, das eine durchgehende Tradition vorschreibt, "hängenbleiben".

Tab. 3: Jahresstatistiken des BfArM für Phytopharmaka in der Zulassung (für 2008, bis Nov.) und der traditionellen Registrierung (2005 bis Nov. 2008)
Zulassung
Registrierung als traditionelles Arzneimittel
2008
2008
2007
2006
2005
Antragseingänge
Neue Stoffe: 0
Bekannte Stoffe: 30
14
13
11
12
Erteilte Zulassungen/
Registrierungen
Neue Stoffe: 0
Bekannte Stoffe: 14
0
5
0
1
Rücknahmen von Anträgen durch die Antragsteller
5
1
0
0
0
Versagungen
0
1
8
0
0
Offene Anträge, auch aus den Vorjahren (Stand:11/2008)
Neue Stoffe: 0
Bekannte Stoffe: 58
24
22
22
11

Die Engländer machen es vor

Wie es die anderen machen, soll am Beispiel England verdeutlicht werden. Die britische Zulassungsbehörde Medicines and Healthcare Products Regulatory Agency (MHRA) konnte im Oktober 2008 immerhin bereits mit der recht erklecklichen Zahl von 21 Registrierungen für traditionelle pflanzliche Arzneimittel aufwarten, darunter für Zubereitungen aus den Arzneipflanzen Baldrian, Echinacea, Hypericum, Teufelskralle, etc. Die Bewertungsberichte zu den erteilten Registrierungen sind auf der Webseite der Behörde eingestellt. Unter denjenigen, die die "Ziellinie erreicht haben", sind übrigens auch einige deutsche Antragsteller, die wegen der Schwierigkeiten in Deutschland dorthin ausgewichen sind.

Kaum Bewegung bei Phyto-Zulassungen

Nicht nur in Sachen traditionelle Phytopharmaka hat sich auf dem deutschen Pharma-Markt im abgelaufenen Jahr kaum etwas bewegt. Diese Entwicklung zeichnet sich, gemessen an den Zulassungsstatistiken, vielmehr im gesamten Markt pflanzlicher Arzneimittel ab. So geht die Innovationstätigkeit gegen "Null". In 2008 wurden weder Anträge für neue (innovative) pflanzliche Zubereitungen gestellt, noch sind solche Anträge aus den Vorjahren offen. Lediglich im Bereich bekannte Stoffe gab es in 2008 positive Bescheide, jedoch auch nicht mehr als 14, eine angesichts von insgesamt 1701 Zulassungen für bekannte Stoffe verschwindend geringe Anzahl.

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