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Arzneimittel und Therapie
Neue S3-Leitlinie versachlicht die Diskussion
Seit nunmehr fast 50 Jahren werden Hormone zur Behandlung klimakterischer Beschwerden eingesetzt. Die Geschichte der Hormontherapie begann 1960 mit der Einführung der Östrogene. Zehn Jahre später stellt sich heraus, dass Östrogene das Endometriumkarzinom-Risiko erhöhen können. Anfang der Achtziger wurden daher zum Schutz des Endometriums Östrogen-Gestagen-Kombinationen eingeführt. Ebenfalls in den Achtzigerjahren zog man aus Beobachtungsstudien den Schluss, dass eine Hormontherapie das kardiovaskuläre Risiko günstig beeinflussen kann – die Idee der Prävention durch Hormonersatz war geboren.
Ein regelrechter Boom war die Folge, besonders in den USA, wo nahezu jeder peri- und postmenopausalen Frau zur Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen eine Hormontherapie empfohlen wurde. Nachdem jedoch im Jahre 2002 der Östrogen-Gestagen-Arm der Women‘s Health Initiative-Studie (WHI) unter anderem aufgrund eines erhöhten Brustkrebs- und Thromboembolie-Risikos abgebrochen worden war, kam es – auch in Deutschland – zu einem deutlichen Rückgang bei der Anwendung von Hormonpräparaten.
Empfehlungen zu allen klinisch relevanten Fragen
Nutzen und Risiken einer Hormontherapie in der Peri- und Postmenopause werden seitdem kontrovers diskutiert. Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) e.V. entschloss sich daher, eine S3-Leitlinie (siehe Kasten) zu erstellen, die Gynäkologen und Patientinnen umfassende Unterstützung bei der Entscheidung für oder gegen die Indikation zur Hormontherapie geben kann. Die Mitglieder der Leitliniengruppe unter Federführung von Prof. Dr. Olaf Ortmann sichteten dazu die derzeit verfügbare wissenschaftliche Literatur, bewerteten den Grad der Evidenz und formulierten zu allen klinisch relevanten Fragen (z. B. klimakterische Beschwerden, Koronare Herzkrankheit, venöse Thromboembolie, Osteoporoserisiko) entsprechende Empfehlungen.
Was bedeutet S3?Unter dem Dach der Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftlicher Medizinischer Fachgesellschaften (AWMF) werden Leitlinien in einem dreistufigen Prozess entwickelt. Höchste Qualitätsstufe ist die Stufe 3 (S3). S3-Leitlinien sind evidenz- und konsensusbasiert, das bedeutet:
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Schwerpunkt Risikokommunikation
Hitzewallungen, Schweißausbrüche und Trockenheit der Vaginalschleimhaut sind die häufigsten Beschwerden, unter denen Frauen in den Wechseljahren leiden. Von einer Hormontherapie erwarten sie eine Linderung dieser Symptome und damit eine Verbesserung ihrer Lebensqualität.
Die Leitlinie sagt hierzu beispielsweise aus, dass unter Beachtung der möglichen Risiken der betreffenden Frau (z. B. Schlaganfallrisiko) zur Behandlung von Hitzewallungen sowohl Östrogene als auch Östrogen-Gestagen-Kombinationen und Tibolon eingesetzt werden können. Die Praxis zeigt, dass Frauen auch häufig Fragen zu möglichen präventiven Wirkungen einer Hormontherapie bei Erkrankungen, die nach den Wechseljahren entstehen können, stellen. Auch hierzu finden sich Aussagen in der Leitlinie. So wird beispielsweise die Hormontherapie nicht zur Primär- oder Sekundärprävention der Koronaren Herzkrankheit empfohlen. Hierfür sollten andere Strategien, deren Wirksamkeit bewiesen ist, angewendet werden.
Einen besonderen Schwerpunkt der Arbeit der Leitliniengruppe bildeten die Empfehlungen zur Risikokommunikation, das heißt der adäquaten Bewertung von Nutzen und Risiken im ärztlichen Gespräch. Hintergrund dafür ist die individuell unterschiedliche Ausprägung von Nutzen und Risiken: Frauen mit bereits bestehenden Erkrankungen müssen anders beraten werden als Gesunde, langjährige Anwenderinnen anders als "Neueinsteigerinnen". "Auf der Basis dieser Leitlinie ist eine individualisierte, umfassende Aufklärung möglich, sodass die Patientin gemeinsam mit ihrer Ärztin oder ihrem Arzt zu einer Entscheidung kommen kann", konstatierte Professor Ortmann. Eine Patientenversion der Leitlinie ist derzeit in Vorbereitung.
Hormontherapie oder Hormonersatztherapie?Im Gegensatz zu anderen Substitutionstherapien besteht das Ziel einer Hormonbehandlung in der Peri- und Postmenopause nicht darin, die physiologischen Verhältnisse wiederherzustellen. Daher wird heute anstelle Hormonersatztherapie (Hormone Replacement Therapy, HRT) die Bezeichnung Hormontherapie (HT) verwendet. |
Die Statements und Empfehlungen im Überblick
Hitzewallungen
Zur Behandlung von Hitzewallungen können Östrogene, ggf. Östrogen-Gestagen-Kombinationen oder Tibolon eingesetzt werden. Bei dieser Indikationsstellung sind die in der Leitlinie dargestellten möglichen Nutzen und Risiken zu beachten.
Vulvovaginale Atrophie
Eine Hormontherapie ist zur Vermeidung und/oder Behandlung der Vaginalatrophie geeignet.
Wenn eine symptomatische Vaginalatrophie die einzige Therapieindikation ist, soll eine lokale ET empfohlen werden.
Harninkontinenz
Zur Therapie der Harninkontinenz sollte keine orale Hormontherapie empfohlen werden. Es stehen andere Medikamente und sonstige Therapieverfahren mit nachgewiesener Wirkung zur Verfügung, die eingesetzt werden sollten.
Rezidivierende Harnwegsinfekte
Eine orale Hormontherapie ist zur Prävention rezidivierender Harnwegsinfekte nicht geeignet. Eine vaginale Östrogenbehandlung ist wirksam und kann empfohlen werden.
Bewegungsapparat und Knochenstoffwechsel
Eine Hormontherapie reduziert signifikant die Inzidenz von Frakturen.
Bei Frauen mit hohem Frakturrisiko kann eine Hormontherapie zur Prävention einer Fraktur unter Berücksichtigung der Nutzen-Risiko-Abwägung eingesetzt werden, sofern eine Unverträglichkeit oder Kontraindikation gegenüber anderen zur Osteoporosetherapie vorrangig empfohlenen Arzneimitteln besteht.
Koronare Herzkrankheit
Eine Hormontherapie ist nicht zur Primär- oder Sekundärprävention der koronaren Herzkrankheit indiziert. Dafür stehen andere Strategien zur Verfügung, deren Wirksamkeit bewiesen ist.
Zerebraler Insult
Eine Hormontherapie erhöht das Risiko für einen zerebralen ischämischen Insult. Die Erhöhung des Schlaganfallrisikos muss in die Nutzen-Risiko-Abwägung einer Hormontherapie eingehen (insbesondere bei älteren Frauen).
Venöse Thromboembolien
Eine Hormontherapie erhöht das Risiko für venöse Thromboembolien und Lungenembolien (VTE).
Das erhöhte Risiko für VTE muss in die Nutzen-Risiko-Abwägung einer Hormontherapie eingehen, wobei das Risiko während des ersten Jahres besonders hoch ist und sich bei Vorliegen weiterer Risikofaktoren zusätzlich erhöht.
Alterungsprozesse und Androgenisierungserscheinungen der Haut
Eine Abmilderung der Alterungsprozesse der Haut und von Androgenisierungserscheinungen durch eine Hormontherapie ist nicht belegt.
Eine Hormontherapie ist nicht indiziert, um Alterungsprozesse oder Androgenisierungserscheinungen der Haut abzumildern.
Erkrankungen der Gallenblase und -gänge
Unter einer Hormontherapie finden sich Hinweise für eine erhöhte Häufigkeit von Gallenblasen/-gangserkrankungen, insbesondere von Cholezystolithiasis und Cholezystitis/Cholangitis sowie auch von Cholezystektomien. Bei der Nutzen-Risiko-Abwägung ist dieses erhöhte Risiko mit einzubeziehen.
Kognition
Eine Hormontherapie hat keine positive Wirkung auf die Kognition bei älteren postmenopausalen Frauen.
Eine Hormontherapie soll nicht zur Verringerung kognitiver Beeinträchtigungen bei postmenopausalen Frauen empfohlen werden.
Demenz
Eine Hormontherapie zeigt keinen Nutzen in Bezug auf Demenzsymptome bei Frauen mit Alzheimer-Erkrankung. Eine kombiniert kontinuierliche Hormontherapie erhöht das Risiko einer Demenz für Frauen im Alter über 65 Jahren.
Eine Hormontherapie soll zur Verringerung des Risikos einer Demenz nicht empfohlen werden.
Mammakarzinom
Eine Östrogen-Gestagen-Therapie erhöht das Brustkrebsrisiko, eine ET weniger. Die Erhöhung des Brustkrebsrisikos muss in die Nutzen-Risiko-Bewertung der Hormontherapie eingehen.
Endometriumkarzinom
Eine Östrogentherapie erhöht das Endometriumkarzinom-Risiko, eine kombinierte Östrogen-Gestagen-Therapie mit mindestens zehn-, besser zwölftägiger Gestagenanwendung pro Behandlungsmonat nicht.
Eine Östrogentherapie soll nur bei hysterektomierten Frauen durchgeführt werden. Bei nicht hysterektomierten Frauen soll eine kombinierte Östrogen-Gestagen-Therapie eine mindestens zehn-, besser zwölftägige Gestagenanwendung pro Behandlungsmonat enthalten.
Ovarialkarzinom
Eine Hormontherapie erhöht das Ovarialkarzinomrisiko; inwieweit Unterschiede zwischen Östrogentherapie und Östrogen-Gestagen-Therapie bestehen, ist unklar.
Die Erhöhung des Ovarialkarzinomrisikos muss in die Nutzen-Risiko-Bewertung einer Hormontherapie eingehen.
Kolorektale Karzinome
Eine Östrogen-Gestagen-Therapie senkt das Risiko für kolorektale Karzinome, eine Östrogentherapie nicht. Hieraus ergibt sich keine Indikation für eine Hormontherapie.
Hormontherapie nach Malignomerkrankung
Eine Hormontherapie steigert das Risiko für ein Rezidiv nach behandeltem Mammakarzinom, sie ist daher kontraindiziert. Das Risiko nach behandelten Endometrium-, Ovarial- oder kolorektalen Karzinomen ist nicht ausreichend untersucht, zu anderen Tumorentitäten können aufgrund fehlender Daten keine Aussagen gemacht werden.
Prämature Menopause
Eine Hormontherapie ist bei symptomatischen Frauen mit prämaturer Menopause (Eintritt vor dem 40. Lebensjahr) zur Behandlung von Hitzewallungen und vaginaler Atrophie geeignet. Sie kann bis zum durchschnittlichen Menopausealter durchgeführt werden.
Alternative Therapien
Isoflavonhaltige Nahrungsergänzungsmittel aus Soja und Rotklee oder eine phytoöstrogenreiche Ernährung vermindern Hitzewallungen nicht oder, wenn überhaupt, dann nur marginal. Mögliche Risiken alternativer Therapien können heute nicht ausreichend bewertet werden.
Phytoöstrogene, andere pflanzliche und nichthormonale Therapien können nicht als Alternative zur Hormontherapie empfohlen werden.
Quelle
Prof. Dr. Rolf Kreienberg, Ulm; Prof. Dr. Ina Kopp, Marburg; Prof. Dr. Olaf Ortmann, Regensburg: "Neue interdisziplinäre Leitlinie zur Hormontherapie in der Peri- und Postmenopause", Berlin, 7. September 2009, veranstaltet von der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) e.V.
Hormontherapie in der Peri- und Postmenopause (HT). Interdisziplinäre S3-Leitlinie (AWMF 015/062), www.dggg.de
Apothekerin Dr. Claudia Bruhn
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