Arzneimittel und Therapie

Datenmanipulation zu Ungunsten von Insulin Glargin?

Die Diskussion um ein erhöhtes Krebsrisiko unter Therapie mit dem langwirksamen Insulinanalogon Glargin (Lantus®) nimmt an Schärfe zu. Besonders deutlich wird der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie, Prof. Dr. Gerhard Ehninger. Er sieht keine Steigerung des Krebsrisikos und wirft dem Leiter des IQWiG, Prof. Dr. Peter Sawicki vor, er bediene sich eines üblen Taschenspielertricks, um das Medikament zu verteufeln. Sawicki ist Mitautor einer Kohortenstudie, die ein erhöhtes Krebsrisiko für Glargin gezeigt hat.

Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) ist im Rahmen seiner Bewertungen der Therapiemöglichkeiten des Diabetes mellitus sowohl bei kurzwirksamen als auch langwirksamen Insulinanaloga zu dem Ergebniss gekommen, dass Diabetiker von diesen im Vergleich zu Humaninsulin teureren Optionen keinen Zusatznutzen erwarten dürfen. Besondere Brisanz erhielt der Anfang Juli veröffentlichte Vorbericht zu langwirksamen Insulinanaloga bei Typ-1-Diabetes durch die kurz vorher erfolgte Publikation zum Krebsrisiko von Insulin Glargin (Lantus®) in der Zeitschrift Diabetologia. Auf Basis einer Datenanalyse von rund 127 000 bei der AOK versicherten Diabetiker hatten Wissenschaftler des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIDO) und des IQWiG, darunter auch dessen Leiter Prof. Dr. Peter Sawicki, Anhaltspunkte dafür gefunden, dass Insulin Glargin möglicherweise das Krebsrisiko erhöht (s.a. DAZ 27/2009 S, 42 – 43). Die zum Teil falsche Widergabe in den Medien hat zu einer großen Verunsicherung von Diabetikern geführt, die mit diesem Insulinanalogon behandelt werden. Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) hat inzwischen die Daten der Publikation näher analysiert und kritisiert vor allem die Auswahl der Vergleichsgruppen und die Anpassung der Studienergebnisse, also die Adjustierung. In einer Pressemitteilung vom 13. Juli 2009 wird erläutert, dass durch die Auswahl der beiden Vergleichsgruppen und durch fehlende wissenschaftliche Anpassung der Daten für andere Krebs-Risikofaktoren das Ergebnis der Studie verzerrt ist. So sei für die Untersuchung zum einen eine Patientengruppe ausgewählt worden, die ausschließlich das lang wirksame Insulinanalogon Glargin erhalten hat. Die Vergleichsgruppe bestand dagegen aus Patienten, die lang wirksames und/oder kurzwirksames Humaninsulin spritzten. Diese Zusammensetzung der Gruppen sei eine problematische Vorauswahl. Denn dadurch sei die Mehrzahl der Patienten – alle diejenigen, die Insulin Glargin zusätzlich zu einem anderen, kurzwirksamen Insulin erhalten haben – aus der Analyse ausgeschlossen worden. Diese Vorauswahl kann nach Ansicht der DDG gravierende Auswirkungen auf die Ergebnisse der Studie gehabt haben. Denn in der ersten Patientengruppe, die ausschließlich Insulin Glargin erhalten hatte, waren nur Patienten mit Typ-2-Diabetes vertreten. Diese sind meistens übergewichtig und haben allein dadurch ein erhöhtes Krebsrisiko. In der Humaninsulin-Gruppe wurden zusätzlich auch kurzwirksame Insuline verwendet. Deshalb ist davon auszugehen, dass in dieser Gruppe ein höherer Anteil schlanker Patienten mit Typ-1-Diabetes vertreten war. Allein diese Faktoren bedingen ein geringeres Krebsrisiko, so die DDG. Diese Probleme hätten die Wissenschaftler transparent machen und überprüfen müssen. Um die Ergebnisse der beiden Gruppen im Ansatz aussagefähig zu machen, hätten sie die Faktoren Übergewicht, aber auch Diabetestyp, Diabetesdauer und Stoffwechseleinstellung berücksichtigen müssen.

Fragwürdige Adjustierung

Auf besondere Zweifel stößt die Schlussfolgerung der WIDO- und IQWiG-Autoren, dass das Krebsrisiko unter Insulin Glargin dosisabhängig steigt. Auch hier spricht die DDG von einer fragwürdigen Adjustierung. Die Autoren hätten die Krebshäufigkeit auf drei Insulindosierungen adjustiert, was wissenschaftlich fragwürdig sei. Sie würden in der Studie unterstellen, dass das Krebsrisiko mit steigender Insulindosis linear ansteige. Doch die Überprüfung diese Linearität sei nicht dokumentiert. Eine wissenschaftliche Analyse zur Prüfung der Frage, ob die adjustierten Ergebnisse korrekt sind, sei deshalb nicht möglich.

Ohne die vorgenommene Anpassung hätten die Studienergebnisse nach Ansicht der DDG ganz anders ausgesehen. Dann wäre sogar mit einem geringeren Krebsrisiko unter der Therapie mit Insulin Glargin im Vergleich zur Humaninsulintherapie zu rechnen gewesen. Auch das Risiko zu sterben, sei unter der Insulin-Glargin-Therapie geringer als in der Vergleichsgruppe gewesen.

Zudem sei die durchschnittliche Beobachtungszeit mit 1,3 Jahren ungewöhnlich kurz. Es bleibe unklar, warum die Autoren nicht über einen längeren Zeitraum berichten, was die Ergebnisse zuverlässiger machen würde. Die DDG fordert daher, dass alle verfügbaren Daten umgehend vorgelegt werden.

Die Analyse macht nach Ansicht der DDG deutlich, dass weiterer Informationsbedarf besteht, um mit eindeuigen Ergebnissen Ärzten und Patienten eine solide Grundlage für ihre Therapieentscheidungen zu geben.

"Üble Taschenspielertricks!"

Deutlichere Worte findet der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO), Prof. Dr. Gerhard Ehninger.

Sawicki vergleiche, gestützt auf Versichertendaten, Äpfel mit Birnen. Bei den Zusammenstellungen könne er nicht angeben, welcher Diabetestyp vorliege. Ehninger spricht von üblen Taschenspielertricks und wirft den Autoren und speziell dem Leiter des IQWiG, Prof. Dr. Peter Sawicki, Datenmanipulation vor. In einer DGHO-Pressemitteilung vom 15. Juli 2009 wird Ehninger mit den Worten zitiert:

"Er hat die Daten durch falsch angewendete mathematische Methoden so verändert, dass aus einem verminderten ein erhöhtes Krebsrisiko wird."

Ehninger verweist darauf, dass

Diabetiker insgesamt im Vergleich zu Gesunden ein höheres Krebsrisiko haben. Die Ursache hierfür sei letztlich nicht geklärt. Ernährungsgewohnheiten, Übergewicht und eine über längere Zeit erhöhte eigene Insulinproduktion werden als Erklärungsversuche herangezogen. Nach heutigen Erkenntnissen liege dies aber nicht an einer zusätzlichen Therapie mit Insulinen.

Ehninger beruft sich auch auf die Einstufung der amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA, die die Ergebnisse der Beobachungsstudie als verwirrend bezeichnet. Die FDA würde bezweifeln, dass ein wirklicher Zusammenhang zwischen Lantus® und Krebsentstehung bestehe. Für Ehninger ist die Studie ein Lehrbeispiel, wie man Daten so lange bearbeitet und knetet, bis das gewünschte Ergebnis herauskommt. Damit werde der Krebs instrumentalisiert, um ein Medikament zu diskreditieren.

Weiterhin wirft Ehninger Sawicki vor, Patienten durch seine Veröffentlichungen zu verwirren und lebensbedrohliche Umstellungen auf andere Medikamente zu riskieren. Ihm seien Fälle bekannt, bei denen Menschen in lebensbedrohliche Schockzustände gekommen sind. Ehninger verweist darauf, dass Insulin Glargin gerne eingesetzt würde, weil es weniger lebensbedrohliche Unterzuckerungen auslöse, vor allem bei Ältern, die diese nicht spürten. Entsprechende Vorteile gegenüber Humaninsulin konnte allerdings das IQWiG auch in seinem letzten Vorbericht nicht erkennen. Auf Nachfrage der DAZ hat Sawicki Stellung zu den Vorwürfen Ehningers genommen und seine Position verteidigt (s. Kasten). Für ihn gibt es einen dringenden Verdacht darauf, dass Insulin Glargin das Krebsrisiko erhöht. Diesem Verdacht müsse ernsthaft nachgegangen werden.

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"Dringender Verdacht, dem ernsthaft nachgegangen werden muss!"

Die Unterstellungen von Professor Ehninger sind ehrenrührig. Ihm scheint es nicht wirklich um eine gute und sichere Insulintherapie bei Diabetes zu gehen, sondern um eine Beschädigung des Institutes. Das IQWiG hat in den letzen Jahren auch den Nutzen bestimmter Formen der Stammzelltransplantation bei Krebserkrankungen bewertet. Mit diesen Berichten ist Professor Ehninger nicht einverstanden, er kann sie aber wissenschaftlich nicht entkräften. Zudem hat er unsere Publikation in Diabetologia entweder nicht richtig gelesen oder nicht verstanden. Daraus geht beispielsweise klar hervor, welche Daten sich auf Patienten mit oraler blutzuckersenkender Therapie (Typ-2-Diabetes) beziehen (Tab.4 aus Hemkens L G et al.: Diabetologia 2009; doi: 10.1007/s00125-009-1418-4.). Im Übrigen ist in Kohortenstudien die von uns durchgeführte biometrische Adjustierung auf Grund von Störfaktoren zwingend und seit langem internationaler Standard der Biometrie.
Zur Sachlage: In experimentellen Studien steigert Glargin das Wachstum von Krebszellen deutlich mehr als Humaninsulin. Dafür existiert eine plausible pathophysiologische Erklärung aufgrund pharmakologischer Unterschiede zwischen Glargin und Humaninsulin. Zumindest zwei voneinander unabhängige Kohortenstudien zeigen ein signifikant höheres Krebsrisiko unter Glargin. Unsere Daten beschreiben eine Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen Glargin und dem Krebsrisiko. Aussagekräftige entlastende Studien gibt es nicht. Dies alles begründet einen dringenden Verdacht, dem nun ernsthaft nachgegangen werden muss. Die Vorteile von Glargin in der Diabetestherapie sind bestenfalls marginal. Angesichts dieser Datenlage davon zu sprechen, dass Patienten sicher sein können und unbedingt bei Glargin bleiben sollen, ist verantwortungslos."
Prof. Dr. Peter Sawicki

Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) Dillenburger Straße 27 51105 Köln

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