Feuilleton

Dem Hai ins Maul geschaut

"Dem Hai ins Maul geschaut" heißt eine Sonderausstellung, die bis zum 30. Juni im Naturkundlichen Museum Mauritianum Altenburg zu sehen ist. Gezeigt werden präparierte Fische, ihre Kiefer und ein Aquarium mit Süßwasserrochen.
Ei und geschlüpftes Jungtier des Braungebänderten Bambushais (Chiloscyllium punctatum). Haiweibchen können ihren Nachwuchs nicht vollständig aus ihrem Bauch herauspressen. Deshalb sind die Eier oder "Nixen-Täschchen" mit Haltefäden versehen, die sich an Korallen und Wasserpflanzen verhaken. Wenn das Weibchen weiterschwimmt, werden sie aus ihm herausgezogen.
Fotos: Reinhard Wylegalla

Drei Männer sind in einem kleinen Boot dem weißen Hai auf das offene Meer gefolgt. Einer versucht, das blutrünstige Monster von einem schützenden Käfig aus mit der Harpune zu erlegen – vergeblich. Nun eskaliert der Kampf um Leben und Tod: Der Hai zermalmt das Boot und tötet mit seinen messerscharfen Zähnen einen Mann. Darauf schiebt der dritte Mann eine Druckluftflasche in das Maul des Killers und löst mit einem Gewehrschuss eine Explosion aus. – Happy End à la Hollywood.

Eine Serie von Haiunfällen vor der Küste New Jerseys im Jahr 1916 hatte Peter Benchley zu seinem Roman "Jaws" (1974, deutsche Ausgabe: "Der weiße Hai") inspiriert, den Steven Spielberg 1975 bereits verfilmte. Die reißerisch inszenierten Darstellungen des schwimmenden Ungeheuers lösten eine übersteigerte Furcht vor Haien aus. Um Badegäste zu schützen, begann man, vor den Küsten Haie aufzuspüren und zu töten. Die Schlagzeilen über die vermeintlich gefährlichen Monster motivierten zudem manchen Abenteurer, in waghalsigen Aktionen seine Kraft und Geschicklichkeit an ihnen zu messen.

Mittlerweile ist die Hysterie abgeebbt. Heute sind 70 von insgesamt 400 bekannten Hai-Spezies in ihrem Bestand bedroht. Deshalb bemühen sich Umweltschutzorganisationen, durch Aufklärung das schlechte Image der Haie zu korrigieren. Zudem versuchen engagierte Personen, die Lebensgewohnheiten der Haie zu erforschen, um die gefährdeten Populationen besser schützen zu können.

Räuber sorgen für das natürliche Gleichgewicht

Einer dieser Naturfreunde, die eine Lanze für Haie brechen, ist Silvio Heidler. Den 41-jährigen Polizeibeamten aus Gera hatte der "Horrorfilm" von Steven Spielberg in jungen Jahren das Fürchten gelehrt. Doch nach dem ersten Schrecken wollte Heidler wissen, wo in diesem Film die Realität endet und wo die Fiktion beginnt. Seit Anfang der 90er Jahre beteiligt sich der Autodidakt regelmäßig an Expeditionen und publiziert Beiträge in Fachzeitschriften. Als Heidler vor zwei Jahren durch das Naturkundliche Museum Mauritianum Altenburg beauftragt wurde, Haikiefer-Präparate zu bestimmen, entstand die Idee, eine Sonderausstellung über Haie und deren Lebensgewohnheiten zu konzipieren.

Richtig ist, dass weltweit jedes Jahr 30 bis 50 Badegäste von Haien angegriffen werden. Nur sehr wenige Arten sind aber überhaupt für Menschen gefährlich. Im Durchschnitt werden jährlich drei bis neun Personen bei Begegnungen mit Haien getötet – bei weltweit 13 Milliarden Badeereignissen in von Haien bevölkerten Gewässern. Würden Menschen zum Beutespektrum der Haie zählen, wäre die Mortalitätsrate sicher erheblich höher. In der Regel werden Badende, die einem Hai zu nahe kommen, aber nur gebissen. Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass die Fische die ihnen unbekannten Wesen durch einen "Probebiss" näher erkunden wollen. Ebenso ist denkbar, dass sich Haie durch Menschen bedroht fühlen.

Nichtsdestotrotz sind sämtliche Haiarten und die mit ihnen nahe verwandten Rochen unter allen Meeresbewohnern die "Räuber" par excellence. Weil jede Art auf ein bestimmtes Beutespektrum spezialisiert ist, leben unterschiedliche Arten ohne Konkurrenzdruck zusammen. Große Haie ernähren sich vornehmlich von fischfressenden Robben und Delphinen; indirekt sorgen sie dafür, dass sich die Fischbestände immer wieder erholen. Leider stören die Menschen diesen natürlichen Regelprozess, indem sie jedes Jahr hundert Millionen Haie fangen, um ihnen – oft noch bei lebendigem Leib – die Flossen abzuschneiden und in Asien für durchschnittlich hundert Dollar pro Kilogramm zu verkaufen. Heute noch glaubt man dort, Haifischflossensuppe erhalte jung und wirke aphrodisierend.

Fragwürdige Haipräparate

Auch in Europa und in der Neuen Welt ist Haifleisch eine begehrte Komponente für verschiedene Speisen und Delikatessen. Zudem werden aus dem in den Knorpeln enthaltenen Kollagen sowie aus dem Lebertran Antiaging-Produkte hergestellt. Aus Haiknorpeln gewonnene Präparate sollen den Knochen- und Muskelaufbau fördern. In vitro wurde beobachtet, dass Knorpelextrakte das Wachstum von Tumorzellen verlangsamen. Entsprechende Prüfpräparate von Rindern zeigten allerdings einen ähnlichen Effekt. Zudem konnten die Erkenntnisse aus dem Labor in der Klinik bisher nicht bestätigt werden.

Innovative "Veteranen der Entwicklungsgeschichte"

Mittlerweile macht sich der Mensch auch die einzigartigen anatomischen und physiologischen Eigenarten der Haie zunutze, wie manche Neuentwicklung der Bionik zeigt. Im Gegensatz zur Nutzung von Haien in der Nahrungsergänzungsmittel- und Kosmetikindustrie dezimiert die Nutzung ihres Know-how erfreulicherweise nicht die Bestände.

Haie sind "Veteranen der Entwicklungsgeschichte" – die ältesten bekannten Knorpelfische jagten vor 400 Millionen Jahren noch im Süßwasser, erst vor 200 Millionen Jahren passten sie sich an das Leben im Salzwasser an – und hatten viel Zeit für "technische Innovationen". In "Leichtbauweise" mit einem Knorpelskelett ausgestattet, benötigen sie keine Schwimmblase wie die Knochenfische. Allein die große, fettreiche Leber sowie tragflächenartige Brustflossen bewirken den Auftrieb.

"Sinnliche" Tiere

Ähnlich wie nachtaktive Raubsäuger nehmen Haie über eine reflektierende Schicht hinter der Netzhaut, das Tapetum lucidum, einfallendes Licht verstärkt wahr. Dadurch erkennen sie auch bei geringer Lichtintensität ihre Beutetiere und Farben.

Geschmackssinneszellen besitzt der Hai nicht nur im Maul, sondern an der ganzen Körperoberfläche. Daher kann er im Vorbeischwimmen die Beute "kosten" – vielleicht eine Erklärung für Badeunfälle mit Haien. Aufgrund ihres hochsensiblen Geruchssinns können Haie Blut noch in milliardenfacher Verdünnung wahrnehmen und Beute in mehreren Kilometern Entfernung aufspüren.

Das Gehör der Haie – zwei winzige Poren am oberen Kopf – registriert vornehmlich niedrige Frequenzen. Druckveränderungen nehmen die Tiere mit den seitlich vom Kopf bis zur Schwanzflossenspitze befindlichen Seitenlinienorganen wahr. Weil Töne unter Wasser Druckwellen bewirken, ist die Wahrnehmung von Geräuschen und Druck eng miteinander verbunden. Überdies können Haie mithilfe der Lorenzinischen Ampullen unter der Kopfhaut auch elektrische Felder orten, die durch andere Lebewesen oder durch Meeresströmungen ausgelöst werden, und Temperaturunterschiede bis zu einem tausendstel Grad Celsius wahrnehmen.

Schneller mit Plakoidschuppen

Viel Potenzial also, das für neue technische Entwicklungen genutzt werden kann. Zumindest die besondere Hautstruktur der Knorpelfische hat Wissenschaftler schon zu mancher Innovation inspiriert. Im Gegensatz zu Knochenfischen haben Haie keine Schuppen, sondern ihre Haut ist mit Tausenden kleiner "Zähnchen", den Plakoidschuppen, besetzt. "Gegen den Strich" gestreichelt fühlen sich diese so rau an wie etwa die Oberfläche von Schmirgelpapier. Diesen Effekt hat man sich unter anderem bei der Ausstattung von Schiffsrümpfen zunutze gemacht: Durch das Bekleben mit einer der Haihaut nachempfundenen Folie kann der Bewuchs mit Seepocken verhindert und somit der Reibungswiderstand verringert werden. In der Vergangenheit sind dafür hochtoxische Schutzanstriche notwendig gewesen, die wiederum das Fahrwasser kontaminierten.

Auch im Flugzeugbau (z. B. Airbus) ist die Verwendung solch einer Folie längst üblich, denn sie verringert spürbar den Luftwiderstands und somit den Treibstoffverbrauch. Sportschwimmer gewannen in speziellen, mit Plakoidschuppen ausgestatteten Wettkampfanzügen auf 200 m Distanz einen Vorsprung von sechs Metern. Seitdem wird ein olympischer Schwimmrekord nach dem anderen gebrochen. Anders im Segelsport: Ein Segler, der seine Yacht mit Haihautfolie beklebt und bei der renommierten Regatta "America‘s Cup" mit spektakulärem Vorsprung gewonnen hatte, wurde disqualifiziert. Zumindest für Teilnehmer des "America‘s Cup" ist es noch heute tabu, von den Haien zu lernen.

Reinhard Wylegalla

Ausstellung


Naturkundliches Museum Mauritianum
Parkstraße 1, 04600 Altenburg
Tel. (0 34 47) 25 89, Fax 89 21 63
Geöffnet: dienstags bis freitags 13 – 17 Uhr; samstags, sonntags 10 – 17 Uhr
"Hai-Tech" Mit Plakoidschuppen versehener Schwimmanzug der deutschen Olympia­mannschaft.
Junger Pfauenaugen-Stechrochen (Potamotrygon motoro) aus Südamerika. Er zählt zu den wenigen im Süßwasser lebenden Rochen-Spezies. Rochen verändern ihre Form mit zunehmendem Alter und sind aufgrund ihrer Tarnfärbung kaum vom ­Gewässergrund zu unterscheiden.

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.