Ernährung aktuell

Therapie bei Adipositas im Kindesund Jugendalter

Adipositas bei Kindern und Jugendlichen ist in Deutschland eine ernst zu nehmende Gesundheitsstörung, wie wir bereits in der letzten Folge "Basiswissen Kinderernährung (DAZ Nr. 11/2009) dargestellt haben. In dieser Folge sollen Therapiemöglichkeiten vorgestellt werden, um dem bedeutenden Gesundheitsproblem wirksam begegnen zu können [1].

Die Indikation zur Therapie von Übergewicht oder Adipositas im Kindes- und Jugendalter ist von funktionellen Einschränkungen und der psychosozialen Beeinträchtigung sowie vom Risiko des Fortbestehens im Erwachsenenalter abhängig. Liegt das Körpergewicht in den alters- und geschlechtsspezifischen Kurven über der 90. Perzentile, müssen die Ursache und eventuell begleitende Komorbiditäten abgeklärt werden. Allen adipösen Patienten, also mit einem BMI > 97. Perzentile, sollte grundsätzlich eine Therapie ermöglicht werden. Bei Kindern und Jugendlichen mit Übergewicht sollte versucht werden, die Entwicklung einer Adipositas zu verhindern. Konnten andere ursächliche Grunderkrankungen wie Erbkrankheiten ausgeschlossen werden, verfolgt die Therapie des Übergewichts und der Adipositas in dieser Altersgruppe eine Langzeitstabilisierung des Körpergewichts und des Körperfettgehalts innerhalb eines normalen Rahmens. Wichtig ist auch, dass eine gute Lebensqualität und die Überwachung der Therapie bezüglich möglicher Nebenwirkungen gewährleistet ist [2].

Im Folgenden sollen die aktuellen Leitlinien "Therapie der Adipositas im Kindes- und Jugendalter" (Version 2009) der Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter (AGA) und der beteiligten medizinischen-wissenschaftlichen Fachgesellschaften, Berufsverbände und Patientenvertreter vorgestellt werden. Ziele dieser Leitlinie sind das Bewusstsein für das Gesundheitsproblem Adipositas zu stärken, Therapeuten und Patienten eine Orientierungshilfe zu geben und krankheitsspezifische Informationen und Empfehlungen zur Therapie der Adipositas für alle Personen, die im Gesundheitswesen oder in der Gesundheitspolitik tätig sind, bereitzustellen. Die Inhalte dieser Leitlinien basieren auf nationaler und internationaler Literatur (klinische Studien und Metaanalysen) aus dem Zeitraum 1988 bis 2006 sowie auf bereits vorhandenen Leitlinien, Empfehlungen, Expertenmeinungen und deren Referenzen [3].

Die Basis: Ernährungstherapie und Sport

In jeder Altersgruppe sollte eine Adipositastherapie als multimodales Programm angelegt sein, das die Komponenten der Ernährungs-, Bewegungs- und Verhaltenstherapie beinhaltet. Werden die Bausteine isoliert angewendet, führen sie erfahrungsgemäß nicht zu einem langfristigen Erfolg. Bei Patienten im Kindesalter sind die Eltern bzw. die Familie oder die Betreuer eine gleichbewertete Zielgruppe für die Therapie (familienbasierte Therapie). Für Jugendliche ist dies nur im verminderten Maß gültig, da in dieser Phase die Familie deutlich an Einfluss verliert. Weiterhin ist zu beachten, dass ein Programm zum Gewichtsmanagement in zwei Phasen gegliedert werden soll: die Phase der Übergewichtsreduktion und die Stabilisierungsphase mit langfristiger Umstellung des Lebensstils [3].

Therapieziele

  • Langfristige Gewichtsreduktion (d. h. Reduktion der Fettmasse) und Stabilisierung
  • Verbesserung der adipositasassoziierten Komorbidität und der assoziierten Risikofaktoren
  • Verbesserung des aktuellen Ess- und Bewegungsverhaltens unter Einbeziehung seiner Familie, Erlernen von Problembewältigungsstrategien und langfristiges Sicherstellen von erreichten Verhaltensänderungen
  • Vermeiden unerwünschter Therapieeffekte
  • Förderung einer normalen körperlichen, psychischen und sozialen Entwicklung und Leistungsfähigkeit

Quelle: [4]

Ernährung: Die glykämische Last senken

In Bezug auf Ernährungstherapien konnte gezeigt werden, dass es wichtig ist Patient und Eltern über die Prinzipien der Ernährungsumstellung zu informieren. Erfolgt die Beratung durch geschulte Fachkräfte, gibt es nur minimale Risiken hinsichtlich Essstörungen. Therapiestrategien sollten so angelegt sein, dass die soziale Bedeutung des Essens gefördert und Lebensmittelvorlieben berücksichtigt werden. Weiterhin sollten die Therapien zu einer flexiblen Kontrolle des Essverhaltens ermutigen.

Bei der Diätauswahl hat sich für Jugendliche eine Ad-libitum-Ernährung mit reduzierter glykämischer Last als günstig erwiesen. In Studien führte sie bei adipösen Jugendlichen zu einer größeren Gewichts- und Fettmassereduktion als eine konventionelle energie- und fettreduzierte Diät. Balancierte Kostformen mit sehr niedriger Energiezufuhr, z. B. als Formulardiät oder proteinsparendes modifiziertes Fasten (Gesamtenergie zwischen 800 und 1200 kcal/Tag) ermöglichen zwar einen starken Gewichtsverlust in kurzer Zeit, haben allerdings keinen langfristigen Effekt. Sie sollten nur für spezielle Indikationen und unter intensiver Betreuung eingesetzt werden.

Von starren Diätplänen oder Kostformen mit extremen Nährstoffrelationen rät die AGA ab. Dazu zählen z. B. totales Fasten, "Heilfasten", Schrothkur, Mayr-Kur und die Ananasdiät. Grund für die Ablehnung sind potenzielle medizinische Risiken und der fehlende Langzeiterfolg.

Insgesamt bedauert die AGA, dass zu vielen wichtigen Fragestellungen bislang kontrollierte Studien bei Kindern und Jugendlichen fehlen. Dazu zählen Themen wie die Bedeutung des Gehalts einzelner Makronährstoffe in der Diät, die Verteilung der Lebensmittel zu den Mahlzeiten sowie der Verzehr von Snacks, Ernährungsgewohnheiten und Lebensmittelvorlieben [3].

Bewegung:Eine Stunde täglich

Querschnitts- und Längsschnittuntersuchungen konnten zeigen, dass mangelnde körperliche Aktivität und sitzende Tätigkeiten mit Adipositas im Kindes- und Jugendalter verbunden sind. Der Fokus der Studien, die sich mit Therapiemaßnahmen zur Bewegung befassen, liegt auf einer Lebensstiländerung. Inhalte sind oft eine Steigerung der körperlichen Aktivität im Alltag und durch Sport sowie eine Verminderung der inaktiven Freizeitgestaltung wie Fernsehen etc. Als günstig haben sich Gruppenmaßnahmen erwiesen, da sich die Teilnehmer hierbei gegenseitig motivieren können. Wichtig ist dabei, dass kein Leistungsanspruch im Vordergrund steht. Neben den Patienten selbst sollten auch die Eltern im Rahmen von Elternschulungen über den Effekt und Nutzen von körperlicher Aktivität theoretisch informiert werden.

Insgesamt wird eine moderate körperliche Bewegung von mindestens 60 min/Tag empfohlen. Kraft- und Ausdauertraining sollten sich dabei ergänzen. In Langzeituntersuchungen konnte gezeigt werden, dass die Steigerung der körperlichen Bewegung im Alltag als primäres Ziel einer Bewegungstherapie gesteckt werden sollte, denn sie ist langfristig wesentlich effektiver bezüglich einer Gewichtsreduktion als die Teilnahme an zeitlich begrenzten Sportprogrammen. Eine wichtige Bedeutung für den Erfolg solcher Maßnahmen ist die Unterstützung aus dem sozialen Umfeld, zu dem neben der Familie auch Mitschüler und Lehrer zählen [3].

Verhaltenstherapie: Lob motiviert

Verhaltenstherapeutische Maßnahmen sind notwendig, um die erzielten Veränderungen im Ernährungs- und Bewegungsverhalten umzusetzen und aufrechtzuerhalten. Auch kann mit ihnen die Patientencompliance unterstützt werden. Da die Verhaltensweisen hinsichtlich Ernährung und Bewegung größtenteils erlernt sind, ist eine Veränderung prinzipiell möglich. Um langfristig das Körpergewicht zu reduzieren und zu stabilisieren, wird daher der Einsatz von Techniken zur Verhaltensmodifikation empfohlen. Konnte eine Verhaltensänderung erreicht werden, sollte diese durch Verstärkungsmechanismen wie z. B. durch Loben unterstützt werden, da dies das erlernte Ess- und Bewegungsverhalten stabilisieren und das Selbstbewusstsein der Patienten verbessern kann. Zudem werden Rückfälle besser vermieden. Insgesamt empfiehlt es sich, verschiedene verhaltenstherapeutische Techniken wie Kontrolle/Stimuluskontrolle, Belohnung und Verstärkung miteinander zu kombinieren. Dadurch verbessert sich sowohl das Wissen als auch das Verhalten der Kinder bezüglich Adipositas, den damit verbundenen Risiken und dem adipositasfördernden Verhalten [3].

Nebenwirkungen einer Adipositasbehandlung

Eine Adipositastherapie kann auch mit unerwünschten Nebenwirkungen einhergehen (siehe Kasten). Daher ist eine ärztliche Betreuung sehr wichtig. Auch müssen die Nebenwirkungen dem Nutzen der Behandlung gegenübergestellt werden und ggf. der weitere Behandlungsverlauf neu überdacht werden.

Mögliche Nebenwirkungen sind:

  • Entwicklung von Essstörungen
  • Entwicklung oder Verstärkung orthopädischer Komplikationen
  • Bildung von Gallensteinen
  • Verringerung der Wachstumsgeschwindigkeit (hier handelt es sich am ehesten um eine Normalisierung des akzelerierten Längenwachstums
  • Psychische Destabilisierung (z. B. Beeinträchtigung des Selbstwertgefühls) durch die Auseinandersetzung mit dem erhöhten Körpergewicht
  • Eine übermäßig schnelle Gewichtsabnahme kann zum Jo-Jo-Effekt führen

Quelle: [4]

Ambulante versus stationäre Behandlung

Wie bei anderen chronischen Erkrankungen kann eine Adipositas langfristig besser ambulant als stationär behandelt werden. Stationäre Behandlungen haben jedoch den Vorteil, dass das Ernährungs-, Ess- und Bewegungsverhalten in speziell dafür eingerichteten Institutionen kontinuierlich kontrolliert werden kann. Unter Nutzung von Gruppeneffekten kann in dieser optimierten Umwelt neues Verhalten erlernt und eingeübt und die Motivation gesteigert werden. Solche stationären Programme sind insbesondere für ältere Kinder und Jugendliche geeignet. Eine stationäre Langzeittherapie von etwa sechs Monaten kann zu Erfolgen bei Fällen von extremer juveniler Adipositas und nach Versagen von ambulanter und kurzzeitstationärer Therapie erfolgreich sein. Nach einer stationären Behandlung müssen die Patienten jedoch ambulant weiter betreut werden. Andernfalls geht ein Teil des Therapieerfolgs wieder verloren.

Ambulante Behandlungen sind bei kleineren Kindern von Vorteil, da man so die Familie leichter einbinden kann, das Kind in seinem gewohnten Umfeld behandelt wird und damit geringere Kosten verbunden sind. So können auch Alltagsschwierigkeiten und Rückfälle besser berücksichtigt werden [3].

Im Einzelfall: Medikamentöse Therapie

In Einzelfällen kann bei Adipositas im Kindes- und Jugendalter eine medikamentöse Therapie zur Übergewichtsreduktion erwogen werden. Insbesondere dann, wenn die Adipositas mit erheblicher Komorbidität und einem extrem erhöhten Gesundheitsrisiko verbunden ist sowie wenn herkömmliche verhaltensorientierte Therapiemaßnahmen über mindestens neun bis zwölf Monate versagt haben. Grundsätzlich muss diese Maßnahme im Rahmen eines langfristig angelegten, interdisziplinären Therapieprogramms durchgeführt werden [3].

Letzte Hoffnung: Chirurgische Eingriffe

Adipositaschirurgische Eingriffe sollten ausschließlich als letzte therapeutische Möglichkeit nach Scheitern sämtlicher konservativer Therapien bei extrem adipösen Patienten mit erheblicher Komorbidität in Betracht gezogen werden. Dazu zählen das Magenband, eine Magen-Bypass-Operation sowie die Liposuktion. Die Effektivität solcher Maßnahmen in Bezug auf eine Gewichtsreduktion konnte bei Jugendlichen in klinischen Studien belegt werden. Allerdings müssen Nebenwirkungen und Komplikationen berücksichtigt werden. Darüber hinaus ist ein langfristig multidisziplinäres Behandlungskonzept auch für diese Patientengruppe unabdingbar [3].

 

Literatur

 [1] Wabitsch, M (2004): Kinder und Jugendliche mit Adipositas in Deutschland: Aufruf zum Handeln. Bundesgesundheitsblatt, Band 47, Heft 3, S. 251– 255.

 [2] Rauh-Pfeiffer, A.; Koletzko, B. (2007): Übergewicht und Adipositas im Kindes- und Jugendalter. Monatsschr Kinderheilkd 155: 469 – 483.

 [3] Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter (2009): Therapie der Adipositas im Kindes- und Jugendalter – Evidenzbasierte Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter (AGA) und der beteiligten medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften, Berufsverbände und weiterer Organisationen. Abrufbar unter: www.a-g-a.de, Stand 05.04.2009.

 [4] Wabitsch, M. (2008): Behandlung der Adipositas in Kindheit und Adoleszenz. 317 – 321. In: Herpertz, S.; de Zwaan, M und Zipfel, S.: Handbuch Essstörungen und Adipositas. Springer Berlin Heidelberg.

 

Autorin

Katja Aue, M. Sc. (Ökotrophologie)

katja_aue@web.de

 

Das könnte Sie auch interessieren

Die Adipositastherapie kann kaum richten, was die Prävention in Deutschland versäumt hat

Wenn Kinder zu dick werden

Adipositas ist kein Babyspeck, sondern riskant

K(l)eine Wonneproppen

Adipositas bei Kindern und Jugendlichen

Zeit zu handeln

Adipositas neu betrachtet: Fettleibigkeit ist eine Krankheit, kein Lebensstil-Problem

Mit Arzneimitteln abnehmen

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.