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Allergien: Ursachen und Therapieoptionen
Wie entstehen Allergien?
Über die Pathophysiologie und Risikofaktoren allergischer Erkrankungen referierte PD Dr. Stephan Sudowe, Hautklinik der Universität Mainz. Bei den Überempfindlichkeitsreaktionen sind die durch das Immunglobulin E (IgE) vermittelte Reaktion vom Soforttyp (Typ I) und die zellulär vermittelte Spätreaktion (Typ IV) zu unterscheiden.
Bei der Typ-I-Allergie erfolgt nach der Antigenprozessierung in dendritischen Zellen die Antigenpräsentation in T-Lymphozyten. Angeregt durch verschiedene Zytokine, produzieren die B-Lymphozyten IgE-Antikörper. In der Effektorphase schütten die Mastzellen Histamin aus, was für die Symptomatik entscheidend ist. In der Spätreaktion werden dann Entzündungsmediatoren freigesetzt, die zu einer Gewebsschädigung führen.
Pseudoallergien sind nicht-IgE-vermittelte Unverträglichkeitsreaktionen mit allergischen Symptomen wie z. B. Urtikaria. Hier ist keine Sensibilisierung notwendig, sodass die Reaktionen nach dem Kontakt mit den Auslösern (z. B. Acetylsalicylsäure, Röntgenkontrastmittel, Lebensmittelzusätze) sofort auftreten können.
Risikofaktoren für Allergien sind:
Genetische Faktoren: Unter Atopie versteht man eine erbliche Veranlagung, spezifische IgE-Antikörper zu produzieren, die auf Suszeptibilitätsgenen beruht. Sind beide Eltern Atopiker, hat das Kind ein sehr hohes Risiko, ebenfalls Allergien zu entwickeln.
Erhöhte Allergenexposition: Durch den Klimawandel können sich besonders allergene Pflanzen wie Ambrosia artemisiifolia ausbreiten. Durch die verbesserte Isolation von Wohnräumen vermehren sich die Hausstaubmilben. Luftschadstoffe führen möglicherweise zu Stressreaktionen bei Pflanzen, die dann mehr (allergene) Pollen produzieren.
Hygiene-Hypothese: Seltene Infektionen im Kindesalter fördern die Entwicklung von Allergien. Umgekehrt haben Kinder, die auf Bauernhöfen aufwachsen, seltener Allergien. Der frühe Kontakt mit anderen Kindern in Kinderkrippen (ehemalige DDR) führte ebenfalls zu geringen Allergieprävalenzen.
Stress scheint ein weiterer Risikofaktor für allergische Erkrankungen zu sein.
Allergien nehmen zu
Über "Die Allergielast: Häufigkeit und Trends atopischer Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter" berichtete Dr. Frank Friedrichs, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, Aachen. Der Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS) des Robert Koch-Instituts von 2006 nennt folgende Lebenszeitprävalenzen: Asthma 4,7%, Neurodermitis 13,2%, Heuschnupfen 10,7%. Beim Heuschnupfen sind Jungen häufiger betroffen als Mädchen (12,5% vs. 8,9%).
In den letzten fünf Jahren hat die Häufigkeit allergischer Erkrankungen in Deutschland – wie in vielen anderen wohlhabenden Ländern auch – deutlich zugenommen. Die häufigsten Allergene, auf die Kinder in der Blutuntersuchung reagieren, sind Gräserpollen, gefolgt von Hausstaubmilben und Birkenpollen.
Zur primären Prävention von Asthma gibt es unterschiedliche Ansichten. Die schon erwähnte Hygiene-Hypothese spricht dafür, Kinder unter nicht zu keimarmen Bedingungen aufwachsen zu lassen. Allergenkarenz bei Atopie-Hochrisiko-Kindern zeigte keinen eindeutigen Vorteil in Bezug auf die Atemwegssymptome. Die Bedeutung von inhalativen Glucocorticoiden in der Sekundär- und Tertiärprävention (d. h. Verhinderung der Verschlechterung des Gesamtzustands) ist unklar und deren präventiver Nutzen nicht eindeutig bewiesen.
Mögliche Präventionen
Auch PD Dr. Ursula Krämer, Institut für Umweltmedizinische Forschung in Düsseldorf, ging auf Präventionsmaßnahmen bei einer bekannten genetischen Prädisposition für Allergien ein. Wie die breit angelegte deutsche Kohortenstudie GINI (German Infant Nutritional Intervention Program) zeigte, sollte man insbesondere auf eine geeignete Säuglingsernährung achten, wenn ein ausschließliches Stillen über mindestens vier Monate nicht möglich ist. Die Ernährung mit allergenreduzierter HA-Nahrung statt herkömmlicher Säuglingsnahrung auf Kuhmilchbasis in den ersten vier Lebensmonaten reduziert die Ekzembildung bis zum sechsten Lebensjahr.
Die Eltern sollten auf das Rauchen sowie auf eine Katze und Nagetiere verzichten, und zwar schon während der Schwangerschaft.
Heuschnupfen mindert Lebensqualität
Dr. Julia Thern, St. Bernward Krankenhaus Hildesheim, berichtete über Untersuchungen zur Lebensqualität von Patienten mit allergischer Rhinokonjunktivitis (Heuschnupfen). Das Konzept der gesundheitsbezogenen Lebensqualität (Health-Related Quality of Life, HRQoL) erfasst vor allem die subjektive Beeinträchtigung des Patienten durch die Krankheit, die er selbst anhand von standardisierten Fragen bewertet, z. B. anhand der siebenstufigen Likert-Skala. Eine europaweite Untersuchung aus dem Jahr 2007 zeigte, dass sich 81% der Patienten durch die Rhinokonjunktivitis in ihrem täglichen Leben zumindest teilweise eingeschränkt fühlen. Neben den direkten Symptomen (Augenreizung und laufende Nase) klagten die meisten Patienten über Müdigkeit, da sie nachts wegen ihrer Erkrankung nicht durchschlafen können.
Pharmakotherapie des Heuschnupfens
Wie Dr. Martin Wagenmann, HNO-Klinik der Universität Düsseldorf, darlegte, richten sich die Diagnostik und Pharmakotherapie der allergischen Rhinokonjunktivitis nach den ARIA-Leitlinien (Allergic Rhinitis and its impact on Asthma; www.whiar.org). Die Diagnostik umfasst neben der Anamnese und klinischen Untersuchung die klassischen Hauttests wie Prick-, Scratch- und Intrakutantest, ergänzt durch die In-vitro-Diagnostik (RAST, Elisa auf spezifisches IgE) und den nasalen Provokationstest.
Die Pharmakotherapie erfolgt symptomatisch. Bei geringen intermittierenden Symptomen können oral oder nasal H1 -Antihistaminika eingesetzt werden, vorzugsweise solche der 3. Generation (Desloratadin, Levocetirizin, Fexofenadin) mit hoher H1 -Rezeptor-Selektivität, schneller Resorption und hoher Bioverfügbarkeit. Sie weisen eine 24-stündige Wirksamkeit bei geringer Sedierung auf. Außerdem sind derzeit keine relevanten Arzneimittelinteraktionen bekannt.
Alternativ eignet sich der Leukotrien-Rezeptorantagonist Montelukast, der sowohl als Monotherapeutikum als auch in Kombination mit H1 -Blockern der 3. Generation untersucht wurde und in den meisten Studien wirksam war.
Bei etwas stärkerer Symptomatik treten intranasale Corticoide mit geringer systemischer Wirksamkeit (z. B. Mometasonfuroat) hinzu. Sie unterdrücken nahezu alle der allergischen Rhinitis zugrundeliegenden Pathomechanismen. Allerdings können ein bis zwei Wochen mit regelmäßiger Anwendung verstreichen, ehe eine spürbare Wirkung eintritt.
Bei mäßig schweren persistierenden Symptomen sollte zuerst ein intranasales Corticoid verabreicht und bei unzureichendem Erfolg mit einem H1 -Antihistaminikum oder Montelukast kombiniert werden. Bei weiter bestehender nasaler Hypersekretion kann zusätzlich das Anticholinergikum Ipratropiumbromid eingesetzt werden. Anticholinergika wirken durch kompetitive Hemmung muscarinerger Acetylcholinrezeptoren, die in der Nasenschleimhaut an Drüsenzellen vorkommen. Bei ihrer Langzeitanwendung kommt es wegen zu trockener Schleimhäute zu Nasenbluten und Borkenbildung. Bei verstopfter Nase kann zusätzlich ein Dekongestivum oder kurzzeitig ein orales Corticoid eingesetzt werden.
Eine zusätzlich bestehende Konjunktivitis sollte ergänzend durch oral oder topisch applizierte H1 -Antihistaminika oder auch topische Cromone (DNCG, Nedocromil) behandelt werden.
Beratung zur Selbstmedikation
Apotheker Dr. Eric Martin, Marktheidenfeld, gab einen Überblick über die Beratung zur Selbstmedikation beim Heuschnupfen. Dabei ist zuerst anhand der Kardinalsymptome eine nicht-allergische Rhinitis auszuschließen. Rezeptfreie Arzneimittel der ersten Wahl sind topische und systemische H1 -Antihistaminika. Insbesondere die Antihistaminika der 2. Generation bessern die konjunktivalen und nasalen Symptome, wobei neuere Vertreter auch entzündungshemmend wirken.
Topische H1 -Antihistaminika wie Levocabastin und Azelastin sind rasch und effektiv wirksam, haben allerdings eine relativ kurze Wirkdauer und müssen zweimal täglich angewendet werden. Nachteilig sind die relativ hohen Kosten, die Konservierung mit Benzalkoniumchlorid (Probleme mit weichen Kontaktlinsen) und ein bitterer Geschmack bei Azelastin.
Systemische H1 -Antihistaminika wie Cetirizin und Loratadin sind nach zügiger Resorption rasch den gesamten Tag lang wirksam und kostengünstiger. Nachteilig sind hier unerwünschte systemische Wirkungen wie Sedierung und Kardiotoxizität sowie mögliche Wechselwirkungen. Cetirizin weist das günstigste Sicherheitsprofil auf, da es unverändert renal eliminiert wird und keine QT-Strecken-Verlängerung aufweist (Terfenadin und Astemizol sind nicht mehr im Handel, weil sie die QT-Strecke verlängern, was bei Überdosierung und Interaktion mit CYP3A4-Inhibitoren zu Torsades-de-Pointes-Arrhythmien führen kann). Loratadin hat aufgrund der hepatischen Elimination ein zwar geringes, aber immerhin vorhandenes Interaktionsrisiko. Dagegen ist sein sedierende Potenzial nicht so stark ausgeprägt.
OTC-Arzneimittel der zweiten Wahl sind die Cromone DNCG und Nedocromil, die zur saisonalen Dauerprophylaxe dienen. Ihre Anwendung beginnt bereits drei Wochen vor dem ersten Pollenflug. Sie sind gut verträglich und auch für Schwangere geeignet, müssen aber zwei- bis viermal täglich angewendet werden und zeigen nur eine mäßige Wirkung.
OTC-Reservemittel sind Dekongestiva (α-Sympathomimetika) und topische Glucocorticoide. Die α-Sympathomimetika sollten wegen ihrer Risiken (Privinismus, Tachykardie) nur kurzfristig eingesetzt werden.
Intranasal angewendete topische Glucocorticoide reduzieren rasch alle Symptome der Rhinitis und sind bei korrekter Anwendung auch in der Langzeittherapie gut verträglich. Dagegen sind topische Glucocorticoide an der Bindehaut den oralen H1 -Antihistaminika unterlegen.
Die Apotheke sollte auch über Allergenkarenz und -minderung (z. B. Pollenflugkalender, allergikergerechtes Wohnen und Essen, Tagebuch, Nasendusche) informieren.
Hyposensibilisierung subkutan oder sublingual
Prof. Dr. Natalija Novak, Dermatologin an der Universität Bonn, berichtete über neue Erkenntnisse zur allergenspezifischen Immuntherapie (Hyposensibilisierung). Diese ist neben der Allergenkarenz die einzig kausale Therapie allergischer Erkrankungen und sollte möglichst früh eingesetzt werden. Derzeit gibt es die subkutane Immuntherapie (SCIT) und die sublinguale Immuntherapie (SLIT). Bei der SCIT wird der Allergenextrakt nach einem bestimmten Schema in aufsteigenden Dosen subkutan injiziert. Üblicherweise beginnt im Herbst eine etwa achtwöchige Aufsättigungsphase, gefolgt von einer Erhaltungstherapie in vier- bis sechswöchigen Abständen über drei Jahre. Bei der SLIT wird der Allergenextrakt unter die Zunge geträufelt oder in einer Tablette unter die Zunge gelegt. Die klinische Wirksamkeit der SLIT bei der Birkenpollen- und Gräserpollenallergie wurde in den letzten Jahren belegt.
Als Wirkmechanismus wird ein Wechsel von einer TH 2- zu einer TH 1-Immunantwort angenommen. Bei der TH 2-Immunantwort produzieren die T-Lymphozyten vermehrt die Interleukine IL-4 und IL-5, während sie bei der TH1 -Immunantwort vermehrt die immunsuppressiven Zytokine IL-10 und TGF-β (transforming growth factor β) produzieren. Außerdem werden bei der TH 1-Immunantwort die Langerhans-Zellen in der Haut und Mundschleimhaut aktiviert, die mittels hochaffiner IgE-Rezeptoren Allergene binden und so die Immunantwort abschwächen; dies zeigte sich bei In-vitro-Untersuchungen mit Birkenpollen. Durch die Zugabe von Adjuvanzien zum Allergen traten zudem kostimulatorische Moleküle auf der Oberfläche der Langerhans-Zellen auf, die modulierend auf die T-Zellen einwirken und Einfluss darauf haben, ob es zu einer Allergentoleranz oder zu einer Entzündung kommt.
Die DPhG-Veranstaltung wurde freundlicherweise von der Firma Alk-Scherax Arzneimittel, Hamburg, finanziell unterstützt.
Georg Hempel, Münster
Torsten Wessel, Moers
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