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Schwerpunkt Allergie
Wenn Essen zum Problemfall wird
Nahrungsmittelallergien und -intoleranzen
Jeder Fünfte in Deutschland vermutet einen Zusammenhang zwischen bestehenden Beschwerden und der Zufuhr von Nahrungsmitteln. Tatsächlich treten Nahrungsmittelunverträglichkeiten in Deutschland mit einer Prävalenz von zwei bis drei Prozent weitaus seltener auf [Zuberbier 2004]. Bei Kindern, die unter einer atopischen Dermatitis leiden, kommen Nahrungsmittelallergien allerdings bei bis zu einem Drittel der Betroffenen vor [Beyer 2005].
Formen und Symptome
Allgemein unterscheidet man die IgE-vermittelte Nahrungsmittelallergie von den nicht-allergischen Nahrungsmittelintoleranzen. Eine Nahrungsmittelallergie bildet sich oft in den ersten Lebensjahren aus, ca. fünf bis sechs Prozent aller Kinder sind betroffen. Häufig entwickelt sich jedoch eine Toleranz bis zum Erreichen des zehnten Lebensjahres [Asero 2007]. Zu den wichtigsten Nahrungsmittelallergenen bei Kindern zählen Kuhmilch, Hühnerei, Erdnüsse, Weizen und Nüsse. Im Erwachsenenalter spielt dagegen die pollenassoziierte Nahrungsmittelallergie eine bedeutende Rolle. Hierbei kommt es zu Reaktionen durch kreuzreaktive IgE-Antikörper gegen pflanzliche Nahrungsmittel. So tritt z. B. bei 75 Prozent aller Birkenpollenallergiker eine Kreuzreaktion gegenüber Obst (z. B. Apfel), Nüssen und rohem Gemüse (v. a. Sellerie und Karotte) auf [Henzgen 2005]. Ursache sind Proteinhomologien zwischen den Hauptallergenen der Pollen wie Bet v 1 der Birke und der Nahrungsmittelallergene. Klinisch zeigen die Nahrungsmittelallergien ein inhomogenes Bild: Hautreaktionen und Urtikaria, gastrointestinale Symptome (Durchfall, Erbrechen), Rhinitis und Asthma, aber auch schwere anaphylaktische Reaktionen bis zum Kreislaufversagen können auftreten [Beyer 2005]. Häufig berichten Patienten über orale Allergiesymptome, insbesondere Kribbeln, Brennen und Schwellungen im Mund- und Rachenraum.
Reproduzierbare Reaktionen auf Nahrungsmittel und deren Zusatzstoffe, für die sich kein spezifisch-immunologischer Mechanismus nachweisen lässt, werden als nicht-allergische Nahrungsmittelunverträglichkeiten bezeichnet. Hierbei spielen z. B. enzymatische Intoleranzreaktionen wie bei der Laktoseintoleranz eine Rolle. Auch pharmakologische Intoleranzen, z. B. die Histaminintoleranz, zählen zu den Nahrungsmittelunverträglichkeiten. Hierbei können durch ein Ungleichgewicht von Histaminabbau durch das Enzym Diaminooxidase der Darmschleimhaut und zugeführtem Histamin die Symptome von Kopfschmerzen, Diarrhoen, Hypotension, Arrhythmien, Juckreiz und Flush bis hin zu Asthmaanfällen reichen [Jarisch 2004, Fiedler 2006]. Reaktionen auf Nahrungsmittelzusatzstoffe, z. B. Konservierungsmittel, Antioxidanzien, Farbstoffe oder Geschmacksverstärker, werden durch bisher unbekannte Mechanismen ausgelöst und können zur Basophilenaktivierung und Mastzelldegranulation führen [Worm 2001, Werfel 2000]. Die auftretenden Symptome ähneln daher häufig denen der klassischen Nahrungsmittelallergien.
Abzugrenzen von den beschriebenen Nahrungsmittelunverträglichkeiten sind psychosomatische Reaktionen, psychische Aversionen und toxische Reaktionen [Jäger 2002].
Diagnostik
Die Diagnostik einer Nahrungsmittelunverträglichkeit sollte unbedingt durch einen Allergologen und spezialisierten Pädiater durchgeführt werden. Vor der Diagnostik steht an erster Stelle die ausführliche und detaillierte Anamnese, da so bereits ein Zusammenhang zwischen der Nahrungsmittelzufuhr und auftretenden Symptomen hergestellt werden kann. Eventuell kann hierbei das Führen eines Ernährungs-Symptom-Protokolls in Form eines Tagebuches hilfreich sein.
Die Diagnostik der IgE-vermittelten Nahrungsmittelallergie erfolgt in erster Linie durch einen Haut-Pricktest zur Suche nach spezifischen Sensibilisierungen ergänzt durch die Bestimmung des spezifischen IgE. Das Vorliegen einer positiven Reaktion bzw. eines positiven IgE-Nachweises ist jedoch nicht gleichbedeutend mit einer klinischen Symptomatik, daher sollte eine orale Provokationstestung unbedingt angeschlossen werden [Beyer 2005, Sampson 2004, Asero 2007].
Sowohl für die Bestätigung einer IgE-vermittelten Nahrungsmittelallergie als auch die Diagnose nicht-IgE-vermittelter Nahrungsmittelunverträglichkeiten stellt die doppelblinde, placebokontrollierte orale Provokationstestung das Mittel der Wahl dar. Vor jeder Provokation sollte eine spezifische Diät durchgeführt werden, die entweder das zu provozierende Nahrungsmittel oder ganze Nahrungsmittelgruppen eliminiert. Stellt sich nach drei bis vier Wochen Diät eine Besserung der Symptomatik ein, so schließt sich eine stationär durchgeführte orale Provokationstestung mit den Nahrungsmitteln, Nahrungsmittelinhaltsstoffen bzw. -zusatzstoffen an. Bei Zusatzstoffexpositionen kommt es nur selten zu reproduzierbaren Reaktionen auf einzelne Stoffe, daher ist hier die Sammelexposition vorzuziehen.
Viele angebotene Methoden sind dagegen zur Diagnostik einer Nahrungsmittelunverträglichkeit ungeeignet, hierzu zählen z. B. die Bestimmung von spezifischen IgG- oder IgG4-Antikörpern, der Lymphozytentransformationstest (LTT) oder auch Elektroakkupunktur bzw. Bioresonanzmethoden [Kleine-Tebbe 2001].
Therapie von Nahrungsmittelunverträglichkeiten
Für die gesicherte Nahrungsmittelallergie oder -intoleranz bleibt therapeutisch die Karenz und die Verordnung eines Notfallsets bestehend aus Antihistaminikum, Cortison sowie ggf. Adrenalin-Pen und inhalativem β2-Mimetikum. Die Wirksamkeit einer spezifischen Immuntherapie (SIT) auf Nahrungsmittelkreuzallergien ist nicht gesichert, bis zu 50 Prozent der Baumpollenallergiker zeigen jedoch unter SIT auch eine Besserung der Nahrungsmittelallergie [Bauer 1999]. Auch die spezifische orale Toleranzinduktion (SOTI) mit nativen Nahrungsmitteln bzw. Allergenextrakten wird kontrovers diskutiert [Niggemann 2006].
Seit der Umsetzung der neuen europäischen Deklarationsrichtlinie in deutsches Recht 2004 wird die Lebensmittelauswahl für Nahrungsmittelallergiker zusätzlich erleichtert, da versteckte Allergene zumindest auf verpackten Lebensmitteln gekennzeichnet werden müssen. Kennzeichnungspflichtig sind seitdem 14 Allergene, z. B. Gluten, Milch, Hühnereiweiß, Soja, Weichtiere, Erdnuss und Nüsse.
Literatur
Asero, R., et al. IgE-Mediated food allergy diagnosis: Current status and new perspectives. Mol Nutr Food Res 2007; 51(1): 135-47. Beyer, K. and S.S. Teuber. Food allergy diagnostics: scientific and unproven procedures. Curr Opin Allergy Clin Immunol 2005; 5(3): 261-6. Bauer, A., et al. Oral rush desensitization to milk. Allergy 1999; 54(8): 894-5. Fiedler, E., T. Zuberbier, and M. Worm. Atopische Dermatitis und Histaminintoleranz. Haut 2006; 17: 62. Henzgen, M., et al. Nahrungsmittelallergien durch immunologische Kreuzreaktionen. Allergo Journal 2005; 14: 48– 59. Jäger, L. and B. Wüthrich, Nahrungsmittelallergien und -intoleranzen. 2. ed. 2002, München: Urban&Fischer. Jarisch, R., Histamin-Intoleranz, Histamin und Seekrankheit. 2. ed. 2004, Stuttgart: Thieme. Kleine-Tebbe, J., et al. In-vitro-Diagnostik von Nahrungsmittel-Allergien. Allergo J 2001; 10(333-339). Niggemann, B., et al. Specific oral tolerance induction in food allergy. Allergy 2006; 61: 808– 11. Sampson, H.A. Update on food allergy. J Allergy Clin Immunol 2004; 113(5): 805-19; quiz 820. Werfel, T., et al. Vorgehen bei Verdacht auf eine pseudo-allergische Reaktion durch Nahrungsmittelinhaltsstoffe. Allergo J 2000; 23(11): 572-79. Worm, M., et al. Increased leukotriene production by food additives in patients with atopic dermatitis and proven food intolerance. Clin Exp Allergy 2001; 31(2): 265-73. Zuberbier, T., et al. Prevalence of adverse reactions to food in Germany - a population study. Allergy 2004; 59(3): 338-45.
Anschrift der Autorinnen
Claudia Rasche, Sabine Dölle und Margitta Worm
Charité – Universitätsmedizin Berlin Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie Allergie-Centrum-Charité Charitéplatz 1 10117 Berlin
Anaphylaxie-Register
In
aktuellen Studien des Allergie-Centrums-Charité wird derzeit
insbesondere der Einfluss von Reifungsgrad und Sorte verschiedener Obst-
und Gemüsearten in Bezug auf die Nahrungsmittelallergenität untersucht.
Wichtig für die Weiterentwicklung der therapeutischen Standards
insbesondere im Umgang mit schweren anaphylaktischen Reaktionen ist auch
die Etablierung des Anaphylaxie-Registers des deutschsprachigen Raumes
unter der Leitung von Frau Prof. Dr. med. Margitta Worm, in dem unter www.anaphylaxie.net schwere Reaktionen, Auslöser und Therapien durch Krankenhausärzte und niedergelassene Ärzte gemeldet werden können.
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