Wissenswert

Algen – mehr als Carrageen

In Ostasien zählen Algen seit Jahrtausenden zu den wichtigen Nahrungsmitteln. Heute ist man dabei, ihre mannigfaltigen Inhaltsstoffe zu analysieren und für den Menschen nutzbar zu machen. Die Forschung steht gerade am Anfang.

Algen haben weder Wurzeln, noch Blätter oder Spross. Sie haben aber einen echten Zellkern und gehören deshalb wie Tiere, Pflanzen und Pilze zu den Eukaryonten. Zusammenfassend werden Algen als Protisten bezeichnet, obwohl sie keine einheitliche taxonomische Gruppe bilden. Sie treiben Photosynthese, doch nur die Rot- und Grünalgen und ihre Verwandten zählen im weiteren Sinne zu den Pflanzen (Archaeplastida), während Braun- und Kieselalgen mit ihren Verwandten eine eigene Gruppe, die Chromalveolata, bilden (Tab. 1).

Tab. 1: Wichtige taxonomische Gruppen der Algen.
Abteilung
Anmerkungen
Chromalveolata
Kieselalgen, Diatomeen –
Bacillariophyta
Mit mehr 100.000 Arten die formenreichste Abteilung; einzellig, 10 μm groß;
Zellwand aus Kieselsäure; fossile Ablagerungen: Kieselgur oder Diatomeenerde
Goldalgen – Chrysophyta
Fähigkeit zur Stärkesynthese fehlt; meistens zellwandlos; goldgelbe bis braune Farbe; überwiegend im Süßwasser; können Überdauerungsstadien (Cysten) bilden; im Meer als Nanoplankton
Gelbgrünalgen – Tribophyta
(Xanthophyta, Heterocontae)
Einteilung widersprüchlich und unsicher; werden auch den Chrysophyta zugeteilt; grüne Farbe; ungleich lange Geißeln
Braunalgen – Fucophyta (Phaeophyta)
1500 Arten; Tang; typische Makroalgen der Küsten; mehrzellig; Thalli werden bis zu 10 m lang
Schlundgeißler – Cryptophyta
Über 80 Arten; sehr häufig im Winter in der Ostsee; Chilomonas paramaecium kommt in riesigen Mengen in Pfützen und faulendem Wasser vor
Archaeplastida
Rotalgen – Rhodophyta
4100 Arten; vielgestaltig; keine Geißeln; ökonomisch interessant (s. Tab. 2)
Grünalgen – Chlorophyta
8000 Arten; 90% im Süßwasser; leben auch in Erde und Luft, in Schnee und Eis; Epi- und Endobionten in niederen Tieren und in Pflanzen; Symbionten in Flechten; teils einzellig wie Chlorella (Nahrungsergänzungsmittel), teils mehrzellig (s. Tab. 2)
Jochalgen – Zygophyta
5000 Arten; unbegeißelt; sexuelle Fortpflanzung als Konjugation; stehen zwischen Chlorophyta und Charophyta
Armleuchtergewächse – Charophyta
80 Arten; schachtelhalmartige Gewächse zwischen 15 und 200 cm; großflächig in stehenden Gewässern als Charawiesen; isolierte Gruppe im gesamten Pflanzenreich; wahrscheinlich schon sehr früh von den Grünalgen abgespalten
Protozoa
Panzergeißler, Dinoflagellaten – Dinophyta
2000 Arten; wichtige Primärproduzenten in Süß- und Salzwasser;
Noctiluca scintillans verursacht Meeresleuchten (brennendes Wasser);
Glenodinium sanguineum färbte früher den Lago di Tovel (Trentino) rot
Schönaugengeißler –
Euglenophyta
800 Arten; besitzen Chloroplasten und weitere Gemeinsamkeiten mit den Grünalgen; "Schönauge" wegen eines orangeroten Flecks in der Zelle; sehr groß; leicht kultivierbar; Euglena gracilis ist ein beliebtes Forschungsobjekt
Tab. 2: Einige nutzbare Algen.
Spezies
Nutzung
Braunalgen u. Kieselalgen**
Wakame
(Undaria pinnatifida)
Leuchtend-grün; mild, zart, enthält zehnmal mehr Calcium als Milch; für Salate, als Gemüse, in Nudeln, Reis, Suppen, Soßen, Tofugerichten;
Mekabu, das Rhizoid der Wakame, ist sehr mineralstoffreich und hat einen sehr hohen Nährwert. Die beste Qualität wird von Frauen beim Tauchen mit der Hand gepflückt
Kelp oder Kombu
(Laminaria spp.)
bis 10 m lang; Verwendung als natürliches Glutamat; Suppengrundlage; geröstet als Streuwürze; macht Bohnen leichter verdaulich
** Phaeodactylum tricornutum
Produziert Eicosapentaensäure (Omega-3-Fettsäure)
Rotalgen
Dulse
(Rhodymenia palmata)
Rot-lila, sehr eisenhaltig; wächst an der Atlantikküste; würzig; wird wegen ihrer Magen- und Darmverträglichkeit besonders in Frankreich und Irland geschätzt
Nori
(Porphyra umbilicalis)
60 cm lang; Ernte von Mai bis Oktober; bekanntestes Meeresgemüse, wichtigste Speisealge; zart und würzig, 35% Proteingehalt; vitaminreich; Sushi-Hülle
Knorpeltang
(Chondrus crispus)
Produziert Carrageen; Droge hieß früher "Irländisch(es) Moos";
verwandte Arten von Gelidium und Gracilaria produzieren Agar-Agar
Grünalgen
Darmtang, Aonori
(Enteromorpha compressa)
Bis 1 m lang; würziges Aroma, reich an Eisen; in vielen japanischen Speisen enthalten; wird in einigen Buchten Japans kultiviert
Meersalat, Meerlattich
(Ulva lactuca)
Bis 20 cm lang; wächst vor allem auf Steinen und Felsen in dichten Beständen; wird in Frankreich kultiviert und zweimal im Jahr geerntet; enthält besonders viel Magnesium, Calcium und Vitamine
Haematococcus pluvialis
Blutregenalge; einzellig; produziert den roten Farbstoff Astaxanthin

Von der einzelligen Kieselalge mit 10 Mikrometern Durchmesser bis zur vielzelligen Makroalge, die, wie der Kelp oder Birnentang (Macrocystis pyrifera), bis zu 50 Meter lang wird, treten Algen sehr vielgestaltig auf. Erstaunlicherweise wurde sogar ein baumähnliches Fossil (Prototaxitis) aus dem Erdaltertum als Verwandter der Braunalgen angesehen. Nicht zu den Algen gehören die Blaualgen; sie sind Prokaryonten, die korrekt als Cyanobakterien bezeichnet werden.

Wertvolle Nährstoffe

Als wichtigste Primärproduzenten der Meere stellen Algen 95 Prozent des Phytoplanktons. Ein Viertel dessen wächst in der meist schmalen neritischen Zone der Kontinentalschelfe. Das sind die ersten 200 Meter Wassertiefe der Küstensäume. Nährstoffe nehmen sie osmotisch über die gesamte Oberfläche auf. Dadurch erreichen sie die höchste Nährstoffdichte aller Pflanzen.

Algen sind besonders reich an Mineralstoffen (z. B. Iod in Fucus vesiculosus), langkettigen Polysacchariden, mehrfach ungesättigten Omega-3-Fettsäuren (die in Fischen akkumulieren), Aminosäuren, Vitaminen und Carotinoiden (ß-Carotin, Astaxanthin u. a.). Einige Algen enthalten mehr Vitamin C als Zitrusfrüchte. Von den geschätzten weit mehr als 100.000 Algenarten eignen sich jedoch nur ein paar wenige als Speise und bisher vielleicht 100 für die Gewinnung sekundärer Inhaltsstoffe.


Alge des Jahres

Die Deutsche Botanische Gesellschaft, Sektion Phykologie hat den Seetang (Laminaria) zur Alge des Jahres 2007 ausgerufen. Er wird mehrere Meter lang und bildet mit anderen Makroalgen den "Regenwald des Meeres". In der Nord- und Ostsee krallen sich der Palmentang (L. hyperborea, siehe Foto), der Zuckertang (L. saccharina) und der Fingertang (L. digitata) auf felsigem Meeresgrund fest und streben dem Licht entgegen.

Sekundärstoffe – ein ungehobener Schatz

Ihr größtes Potenzial für den Menschen ist der noch ungehobene Schatz an biologisch aktiven Sekundärstoffen. Die Suche nach neuartigen kosmetisch, pharmazeutisch und biotechnologisch nutzbaren Inhaltsstoffen, die andere Lebewesen nur in geringen Mengen oder gar nicht synthetisieren können, hat gerade erst begonnen. Man erhofft sich Verbindungen mit zytostatischen, antiviralen, anthelminthischen, antiinflammatorischen, antitumoralen, antifungalen oder antibakteriellen Eigenschaften. Beispielsweise sind Wirkstoffe gegen das humane Zytomegalievirus (HCMV) gefunden worden.


Algen in Kultur

Seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert gibt es in Japan eine Aquakultur von Algen. Heute werden weltweit mehr als 3,5 Millionen Tonnen Algen jährlich geerntet, gegessen und weiterverarbeitet. Japan produziert alleine für 1 Mrd. US $ Nori pro Jahr.

Technische Hilfsstoffe

Vor allem Braun-, Rot- und Grünalgen dienen als Rohstoff zur Gewinnung langkettiger Polysaccharide und von Phycokolloiden. Das sind stark hydrophile Substanzen, die als Gelier,- Suspendier- und Emulgiermittel dienen. Etwa 15.000 Tonnen Alginate werden jährlich aus Braunalgen gewonnen und in Speiseeis, Poliermitteln, Farben, Pharmazeutika und Kosmetika verwendet. Aus Rotalgen wird Agar-Agar erzeugt und das Carrageen, das in Puddings, Pflegemitteln und Konserven verwendet wird oder als Imprägniermittel in der Textil- und Papierindustrie. Carrageen ist ein lineares, anionisches Hydrokolloid mit verschiedenen Typen, die sich in erster Linie durch den Anteil an Galaktose und 3,6-Anhydrogalaktose sowie durch die Anzahl der Sulfatgruppen unterscheiden. Aus den Arten Eucheuma spinosum und E. cottonii werden besonders reine Carrageentypen gewonnen.

Interessante Substanzen sind auch Lipide, Sterole oder Phycobiliproteine – das sind akzessorische Pigmente, die außerhalb des Chlorophyllbereiches Licht absorbieren. Darüber hinaus kann die Algenbiomasse zur biotechnischen Produktion von Energie (Biogas, Methanol oder Biodiesel) verwendet werden.

Es scheint kaum Grenzen für diese meistens unscheinbaren Organismen zu geben. Deshalb rücken sie auch unter dem Aspekt des nachhaltigen Wirtschaftens in den Blickpunkt. Allerdings hat die Kultur der Algen ihre Tücken. Wirtschaftlich arbeitende Photobioreaktoren befinden sich noch in der Entwicklung.

Photosynthese im Licht-Dunkel-Rhythmus

Die für Bakterien- und Hefekulturen üblichen Fermenter eignen sich nicht für Algen, denn die phototrophen Lebewesen brauchen Licht. Algen absorbieren das Licht sehr effektiv, sodass das in einen Photobioreaktor eingestrahlte Licht schon nach wenigen Zentimetern "verbraucht" ist und nicht tiefer in das Behältnis eindringt. Daher funktionieren Photobioreaktoren für Algen nur, wenn sie eine Tiefe von 3 bis 5 cm haben.

Das Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB in Stuttgart arbeitet derzeit mit Privatunternehmen an einem sogenannten Flachplatten-Airlift-Reaktor (Flat Panel Airlift Reactor, FPA, Fa. Subitec, Stuttgart), der für eine optimale Umwandlung des eingestrahlten Lichts in Biomasse sorgen soll und gleichzeitig die Algenzellen von Scherkräften verschont, für die sie sehr empfindlich sind.

Der FPA-Reaktor ist ein rechteckiges Behältnis mit sehr schmalen Seitenwänden und mehreren Etagen. Aufsteigende Gasblasen sorgen dafür, dass die Algen innerhalb ihrer Etage regelmäßig zirkulieren. Dabei durchwandern sie in einer definierten Zeit drei Zonen unterschiedlicher Lichtstärke (s. Grafik).

FPA-Reaktor Querschnitt durch eine Etage. An der Vorderwand (links) herrscht eine Beleuchtungsstärke von 2000 μE/m2 /s, während sie an der Rückwand gegen 0 geht. Dazwischen liegt der für die Photosynthese optimale Bereich mit 400 μE/m2 /s. Die kontinuierliche Kreisbewegung der Algen wird durch aufsteigende Blasen erzeugt. (E = Lux)Quelle: Fraunhofer-Institut IGB, Stuttgart

Auf diese Weise nutzt man den Blitzlichteffekt (flashing light effect). Er besteht darin, dass bei der Photosynthese die Lichtreaktion zur ATP-Bildung etwa zehnmal schneller abläuft als die Dunkelreaktion, bei der das ATP zur Fixierung von Kohlendioxid verbraucht wird. Die Algen halten sich im FPA-Reaktor dementsprechend länger in der Dunkelzone als in der Lichtzone auf.

Auf Algen werden derzeit große Hoffnungen gesetzt. Ob sie sich alle erfüllen, bleibt abzuwarten. Sicher ist, dass es einige dieser Sonderlinge in Europa noch zu entdecken gilt – zumindest als schmackhaftes Gemüse.


Algen im Netz

Deutsche Botanische Gesellschaft, Sektion Phykologie
Universität Hamburg, Botanik online
Universität Mainz; viele Algenbilder unter "Lehre, Exkursionen"
Botanischer Garten Berlin-Dahlem
Universität Göttingen – größte Algenstammsammlung der Welt


Dr. Uwe Schulte
Händelstraße 10, 71640 Ludwigsburg
schulte.uwe@t-online.de

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