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Arzneimittel und Therapie
Orlistat in niedriger Dosierung bald ohne Rezept erhältlich?
2007 unterzeichneten Roche und GlaxoSmithKline Consumer Healthcare (GSK) eine Vereinbarung, mit der GSK eine exklusive Lizenz für die OTC-Vermarktungsrechte an Orlistat weltweit – mit Ausnahme Japans – erhielt. Roche ist weiterhin Anbieter des rezeptpflichtigen Orlistat 120 mg (Xenical®).
Nach der Novellierung des europäischen Arzneimittelrechts wäre es zum ersten mal der Fall, dass nach Ablauf des Unterlagenschutz die zentralen Zulassungsunterlagen eines Wirkstoffs als Referenz dazu genutzt werden, die Zulassung für eine niedrige, nicht-verschreibungspflichtige Dosierung zu erhalten.
Der CHMP kommt in seiner Empfehlung zu dem Schluss, dass die 60-mg-Dosierung Orlistat:
- effektiv Patienten helfen kann, Gewicht zu verlieren, wenn sie in Verbindung mit einer Diät eingenommen wird.
- weniger unerwünschte Wirkungen hervorruft, als die 120-mg-Dosierung,
- mit Hinweisen auf Verpackung und Beipackzettel versehen werden muss, die eine korrekte Anwendung durch den Verbraucher sicherstellt.
Die Information an den Verbraucher muss auch den Hinweis enthalten, dass der Patient während der Einnahme Blutdruck und Blutzucker ärztlich kontrollieren lassen sollte. Orlistat ist in der 120-mg-Dosierung (Xenical®) zugelassen in Verbindung mit einer leicht hypokalorischen Kost zur Behandlung von adipösen Patienten mit einem Körpermasseindex (body mass index, BMI) von ≥ 30 oder von übergewichtigen Patienten (BMI ≥ 28) mit begleitenden Risikofaktoren. Die jetzt ausgesprochenen Zulassungsempfehlung für eine nicht-verschreibungspflichtige 60-mg-Dosierung Orlistat (Alli®) gilt in Verbindung mit einer leicht hypokalorischen Kost zur Behandlung von übergewichtigen erwachsenen Patienten mit einem BMI ≥ 28. Diese Untergrenze des BMI, ab der Alli® eingesetzt werden soll, gilt in den USA nicht.
Acomplia® zurückgerufenSanofi-Aventis hat als Reaktion auf eine Empfehlung des Ausschusses für Humanarzneimittel (CHMP) der Europäischen Arzneimittelagentur EMEA den Verkauf von Acomplia® in allen EU-Ländern ausgesetzt und eine Rückrufaktion gestartet. Der Ausschuss hatte empfohlen, die Zulassung des Appetitzüglers Rimonabant (Acomplia®) ruhen zu lassen. Hintergrund sind Diskussionen um schwere psychiatrische Nebenwirkungen bis hin zu Suiziden, die für ein ungünstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis sprechen. Die EMEA rückt damit von einer noch im letzten Jahr getroffenen positiven Nutzen-Risiko-Bewertung ab. Rimonabant ist ein Antagonist des endogenen Cannabinoid-1-Rezeptors, der bevorzugt im ZNS, aber auch in peripherem Gewebe zu finden ist. Die endogenen Liganden, die sogenannten Endocannabinoide, sind an vielfältigen physiologischen Prozessen beteiligt. Im Gehirn steuern sie unter anderem kognitive Funktionen und Emotionen. Im Hypothalamus entfalten sie eine appetitsteigernde Wirkung. Sie lässt sich mit Rimonabant antagonisieren. Die Appetithemmung wird aber mit einer Zunahme von neurologischen und psychiatrischen Nebenwirkungen erkauft. Diese unerwünschten Wirkungen haben dazu geführt, dass Rimonabant in den USA erst gar nicht durch die FDA zugelassen worden ist. Jetzt ist auch die EMEA mit der Empfehlung zum Ruhen der Rimonabant-Zulassung der Einschätzung der FDA gefolgt. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) empfiehlt allen mit Rimonabant behandelten Patienten, Rücksprache mit ihrem Arzt zu nehmen. Ein sofortiges Absetzen sei nicht erforderlich. Quelle: Acomplia® (Rimonabant): EMEA hält Ruhen der Zulassung für erforderlich. Risikoinformation des BfArM vom 23. Oktober 2008. du |
Wirkort: Darm
Orlistat ist ein spezifischer und lang anhaltender Inhibitor der gastrointestinalen Lipasen. Die therapeutische Wirkung setzt im Magen und im oberen Dünndarms durch kovalente Bindung an den aktiven Serin-Rest der gastrischen und pankreatischen Lipasen ein. Das inaktivierte Enzym kann die Nahrungsfette nicht in resorbierbare freie Fettsäuren und Monoglyceride hydrolysieren. So werden die Verdauung und die Resorption von bis zu 35% der mit der Nahrung aufgenommenen Fette verhindert. Die unerwünschten Wirkungen von Orlistat erklären sich aus seinem Wirkungsmechanismus. Es treten fettige und flüssige Stühle, Defäkationsdrang und Blähungen mit Stuhlganz auf. Sie sind um so ausgeprägter, je mehr Fett die aufgenommene Nahrung enthält.
Unerwünschte Wirkungen
Insgesamt sind im deutschen Spontanmeldesystem (gemeinsame Datenbank von BfArM und AkdÄ, Stand: Juli 2008) 173 Verdachtsfälle unerwünschter Arzneimittelwirkungen nach Gabe von Orlistat erfasst. Am häufigsten sind gastrointestinale Beschwerden wie Bauchschmerzen, Diarrhö und Übelkeit. Über eine Nephrolithiasis wird zweimal berichtet, drei Fälle von Nierenversagen unter Orlistat werden im Zusammenhang mit anderen schwerwiegenden Erkrankungen genannt. Es wird diskutiert, dass es durch Einnahme von Orlistat zu einer enteral bedingten Oxalurie kommen kann, die bei bereits vorgeschädigten Niere zur akuten Verschlechterung der Nierenfunktion führen kann. Unter der hohen Dosierung Orlistat traten rektale Blutungen auf. Bei Patienten, die gleichzeitig mit oralen Antikoagulanzien behandelt werden, müssen die Gerinnungsparameter überwacht werden. Orlistat senkte in Studien den Ciclosporinplasmaspiegel, die gleichzeitige Anwendung zusammen mit Ciclosporin wird daher nicht empfohlen.
Quelle EMEA recommends first switch from prescription-only to non-prescription for a centrally authorised medicine. Pressemitteilung der EMEA, 23. Oktober 2008. Pressemitteilung von GlaxoSmithKline, 23. Oktober 2008. Fachinformation Xenical® 120 mg Hartkapseln, Stand Juni 2008.
ck
KommentarÜbergewicht ist ein zunehmendes Problem in Deutschland. Eine Tablette zu entwickeln, die zuverlässig ohne Nebenwirkungen langfristig dabei hilft, das Idealgewicht zu erreichen und zu halten, ist ein Traum. Der Cannabinoidrezeptorantagonist Rimonabant schien so ein Mittel zu sein. Jetzt darf Rimonabant auf Grund psychiatrischer Nebenwirkungen nicht mehr als Appetitzügler eingesetzt werden. Der Eingriff in das Endocannabinoidsystem birgt zu große Risiken, die den Nutzen bezüglich einer Appetithemmung offensichtlich überwiegen. Zeitgleich mit dem Aus für Rimonabant wird in Europa empfohlen, den Lipasehemmer Orlistat in der niedrigen Dosierung von 60 mg aus der Verschreibungspflicht zu entlassen. Damit soll Übergewichtigen im Rahmen der Selbstmedikation – ohne die Hemmschwelle Arztbesuch – es erleichtert werden, den überflüssigen Pfunden zu Leibe zu rücken. Orlistat wird offensichtlich als so unbedenklich eingestuft, dass ein Besuch beim Arzt als nicht notwendig angesehen wird. Der Lipasehemmer wirkt nur lokal im Darm und zeigt keine systemischen Wirkungen, so in der Begründung des CHMP. Ist Orlistat wirklich so harmlos? Sind übel riechende Fettstühle keine ernst zu nehmenden Nebenwirkungen? Es wurden auch unerwünschte Schwangerschaften, Fälle von Nierenversagen oder Brustkrebs mit Orlistat in Zusammenhang gebracht. Ist die Entlassung des Lipasehemmers aus der Verschreibungspflicht der richtige Weg, Menschen beim Abnehmen zu helfen? Ganz sicher fühlt sich scheinbar auch das CHMP nicht: Verpackung und Beipackzettel des rezeptfreien 60-mg-Orlistat sollen mit Hinweisen versehen werden, die den Anwender zu einem Arztbesuch raten. Das niedrig-dosierte Orlistat soll erst ab einem BMI von 28 zugelassen werden. Doch wer will das denn beim Erwerb kontrollieren? Wer denkt an die Mädchen (und auch Jungen) mit niedrigerem BMI, die sich das Produkt im Internet besorgen und es unkontrolliert einnehmen? Besteht nicht die Gefahr, dass nach dem Motto "viel hilft viel" schnell mal zwei oder mehr Kapseln geschluckt werden? Ist das nicht gefährlich? In der Selbstmedikation mit Orlistat wird den Patienten geraten, zur Kontrolle von Blutdruck- und Blutzuckerwerten in ärztlicher Behandlung zu bleiben – ist diese Forderung realistisch? Ist das der richtige Weg? Lernen Übergewichtige so den richtigen Umgang mit Essen? Ich fürchte, die Möglichkeit mit einer rezeptfreien Pille Gewicht zu verlieren behindert eher die einzig erfolgsversprechenden Maßnahmen zur langfristigen Gewichtsreduktion, als diese zu unterstützen: nämlich sein Essverhalten zu hinterfragen und die Ernährungs- und Bewegungsgewohnheiten umzustellen. |
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