DPhG-Jahrestagung

Neues aus der industriellen Pharmaforschung

Dr. Michael Ausborn, Leiter der Abteilung Forschung und Entwicklung der Hoffmann-La Roche AG in Basel, skizzierte die Anforderungen an die industrielle Pharmaforschung im 21. Jahrhundert.
Michael Ausborn

Mindestens acht bis 13 Jahre dauert es heute, bis ein neuer Wirkstoff auf dem Markt ist. Die geschätzten Entwicklungskosten belaufen sich laut Ausborn auf 800 Mio. bis 1 Mrd. USD pro Arzneimittel. Neun von zehn Molekülen, die bereits klinisch getestet worden sind, gelangen nicht zur Marktreife. Durch den Trend in Richtung personalised care wird die moderne Arzneistoffentwicklung zwar komplizierter, aber dieser Ansatz erhöht auch den Behandlungserfolg. So lässt sich die klinische Entwicklung durch die Differenzierung von Subpopulationen und die daraus resultierenden geringeren Patientenzahlen erheblich effizienter gestalten.

Ausborn umriss den Status quo in der industriellen Pharmaforschung mit Fokus auf drei Gruppen von Arzneistoffen:

  • small molecules,
  • Proteine und Antikörper und
  • den Ansatz der RNA-Interferenz (RNAi).

In den USA hat die Anzahl der neuzugelassenen small molecules seit 1996 immer weiter abgenommen. Bei den kleinen Molekülen werden zunehmend Wirkstoffe mit einer höheren Molekularmasse zugelassen, die sich außerdem durch eine stärkere Lipophilie und eine schlechte Löslichkeit auszeichnen. Diesen ungünstigen biopharmazeutischen Eigenschaften kann heute allerdings in vielen Fällen mit modernen Freisetzungssystemen, wie Nanopartikeln, amorphen Systemen und Lipid-basierten Formulierungen zumindest teilweise abgeholfen werden.

Spezielle Probleme bei den Proteinen und Antikörpern bereiten die Deamidierung und Oxidation, physikalische Instabilitäten sowie die starke Konzentration der Zubereitungen, die mit einer hohen Viskosität einhergeht. Durch die Anwendung von Hyaluronidase können nicht nur höhere Volumina verabreicht werden, auch die Verträglichkeit wird verbessert und die subkutane statt der intravenösen Verabreichung ermöglicht. Als alternative Verabreichungswege erwähnte Ausborn den transdermalen Weg über Mikroporen (z. B. PassPort™ System für Insulin von Altea Therapeutics) sowie implantierbare Mikrochips, die eine kontrollierte Freisetzung ermöglichen.

Ein "Trauerspiel" nannte Ausborn die Bemühungen um die pulmonale Verabreichung von Insulin, in die, ohne zum Erfolg zu kommen, sehr viel Geld investiert wurde. Zwar hält er diesen Ansatz nach wie vor für interessant. Das "Ziel für alle", Peptide oral zu verabreichen, bleibt aber seiner Einschätzung nach schwierig. Selbst auf lange Sicht werden wohl nur wenige Peptide auf diese Weise applizierbar sein.

Die Entdeckung der RNA-Interferenz (RNAi) wurde im Jahr 2006 mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet. Vereinfacht dargestellt, wird die doppelsträngige Ribonucleinsäure im Cytoplasma einer Zelle von dem Enzym Dicer in kurze Fragmente, die short interfering RNA (siRNA), gespalten. Die SiRNA werden in den Proteinkomplex RISC (RNA-induced silencing complex) aufgenommen, der komplementär an die Ziel-mRNA bindet. Die Folge ist ein Entwinden und Spalten der Ziel-mRNA, die nun in ungeschützter Form vorliegt und schnell durch intrazelluläre Nucleasen abgebaut wird. Es kommt zum "Gene silencing".

Synthetische siRNA können auch von außen direkt in die Zelle eingebracht werden. Die RNAi stellt damit einen völlig neuen Ansatz zur wahlweisen "Abschaltung" oder Deaktivierung von Genen dar und hat somit möglicherweise das Potenzial, eine neue Wirkstoffklasse zur Behandlung unterschiedlicher Erkrankungen zu generieren.

So eröffnen synthetische siRNA vielversprechende Optionen für eine hochdifferenzierte Arzneimitteltherapie, jedoch sind bis zur therapeutischen Anwendung noch etliche Hürden zu überwinden, so zum Beispiel die gezielte, zellspezifische Freisetzung, die wichtig für den Behandlungserfolg ist. Darüber hinaus sind wichtige Grundfragen zur Vorhersagbarkeit der Wirkungen noch im Wesentlichen unbeantwortet. Fünfzehn klinische Entwicklungen sind laut Ausborn bereits im Gang.


hb

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