DAZ aktuell

Globalisierung und Arzneimittelsicherheit

Die weltweite Finanzkrise hat die Grenzen des globalen Wettbewerbs in der Weltwirtschaft, insbesondere in der Bankenwelt, in dramatischer Weise aufgezeigt. Die Ohnmacht der Nationalstaaten gegenüber den globalen Wirtschaftskräften war schon bei der Energieversorgung und den Ölpreisen offensichtlich geworden. Das nationale und internationale Krisenmanagement der Regierungen unter Mitwirkung der Europäischen Kommission soll nun die Spareinlagen und die Renten sichern, aber auch eine Rezession der Weltwirtschaft dämpfen. Die wichtigsten Regierungen haben unter dem großen Zeitdruck der Ereignisse effektiv zusammengearbeitet. Die große Koalition hat schnell reagiert und die notwendigen Sofortmaßnahmen beschlossen. Noch während der Krise stellt sich nun die Frage nach einer Neuordnung der Rahmenbedingungen, die eine Wiederholung der Vorkommnisse verhindern soll. Wie aus den politischen Kommentaren zu entnehmen ist, muss die soziale Marktwirtschaft neu definiert oder justiert werden.

Auch der Arzneimittelmarkt unterliegt als ein Teil des Weltmarktes der Globalisierung. Arzneimittel und deren Wirkstoffe werden international gehandelt. Die Arzneimittelversorgung ist weltweit sehr unterschiedlich. In einzelnen Bereichen kommt es sogar in Europa zu Engpässen in der Versorgung. Bestimmte Wirkstoffgruppen werden überwiegend nur noch in Indien und China hergestellt. Fälschungen und Verfälschungen von Arzneimitteln und Wirkstoffen nehmen zu. Die organisierte Kriminalität hat die Arzneimittel und die Wirkstoffe als gewinnträchtiges Betätigungsfeld entdeckt. Die für die Überwachung und die Strafverfolgung zuständigen Behörden sind oftmals für die globalen Aufgaben strukturell und personell unzureichend ausgestattet.

Wenn für den Finanzmarkt in der globalen Welt neue Regeln aufgestellt werden müssen, die präventiv Zusammenbrüche von Banken und Staatskonkurse verhindern sollen, so stellt sich die Frage, ob rechtzeitig auch präventiv Regeln für die Arzneimittelversorgung und die Arzneimittelsicherheit aufgestellt werden müssen, die der globalen Herausforderung gerecht werden. Immerhin geht es um die Erhaltung der Gesundheit des Menschen und die notwendige Behandlung der Patienten mit sicheren Arzneimitteln. Gesetzliche Ermächtigungen für Ausnahmevorschriften in Krisenzeiten reichen im Einzelfall nicht aus, da sie nur nationale Geltung haben und die konkrete Krise bereits erkennbar sein muss.

Eine Antwort auf die neuen Fragen, die die Globalisierung des Arzneimittelmarktes aufwerfen, sollte ein Konzept sein, das von einer Kommission aller Experten der beteiligten Kreise erarbeitet wird, wie die Bundeskanzlerin es für das globale Finanzwesen vorgeschlagen hat. Einige Beispiele sollen die Notwendigkeit eines solchen Konzepts verdeutlichen:

1. Engpässe in der Arzneimittelversorgung sind bisher nur in wenigen Fällen aufgetreten. Erinnert sei jedoch an die Beschaffung vom Wirkstoff zur Bekämpfung der Vogelgrippe. Probleme gibt es bei der Arzneimittelversorgung mit bestimmten Radiopharmaka, weil europäische Forschungsreaktoren nicht liefern können. Bei der Verunreinigung von Heparin konnte ein ernsthafter Versorgungsengpass vermieden werden. Die Versorgungslage sollte in Zukunft auf europäischer Ebene ständig beobachtet und Maßnahmen zur Verhinderung von Engpässen frühzeitig eingeleitet werden.

2. Antibiotika und Vitamine werden aus Kostengründen in nennenswerten Mengen nur noch in Indien und China hergestellt und angeboten. Die Kosten werden in absehbarer Zeit wegen des monopolartigen Marktes steigen und die Krankenkassen werden dafür zahlen müssen. Eine staatliche Einlagerung lebenswichtiger Arzneimittel und Wirkstoffe, wie es früher durch den Zivilschutz ermöglicht wurde, gibt es praktisch nicht mehr. Einer politischen Abhängigkeit bei lebenswichtigen Arzneimitteln muss mit einem europäischen Konzept entgegengewirkt werden.

3. Fälschungen und Verfälschungen nehmen weltweit zu. Besonders betroffen sind nicht nur Lifestyle-Arzneimittel. Der Versandhandel per Internet und die teilweise offenen Grenzen ermöglichen der organisierten Kriminalität große Gewinne. Die Überwachungsbehörden müssen mit dem Bundeskriminalamt und dem Zollkriminalamt eng zusammenarbeiten. Die organisatorischen Strukturen müssen verbessert und die personelle Ausstattung angepasst werden. Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften wurden mehrfach gefordert. Die europäischen Institutionen wie die Emea und Europol sowie Interpol müssen genutzt werden.

4. Die Herstellung von Arzneimitteln wird zunehmend über viele Staaten hinweg in Teilabschnitten vorgenommen. Dabei stehen Kostengründe im Vordergrund. Von der Wirkstoffsynthese bis zur Vermarktung (Herstellung, Formulierung, Konfektionierung, Abpacken, Kennzeichnen, Mitvertrieb, Export, Transport) werden Auftragnehmer in großer Zahl und in mehreren Ländern und Staaten in Anspruch genommen. Eine lückenlose Überwachung des Produktes durch eine nationale Überwachungsbehörde ist kaum mehr möglich. Bei grenzüberschreitender Herstellung und Fertigung sollte innerhalb der Europäischen Union nur die Emea oder eine von ihr beauftragte nationale Behörde tätig werden.

5. Klinische Prüfungen werden zunehmend in multizentrischen Studien in einer Reihe von europäischen und außereuropäischen Staaten durchgeführt. Eine einheitliche Überwachung ist schwierig und nationalstaatlich nur mit hohem organisatorischem und personellem Aufwand möglich. Schon die koordinierte Überwachung in verschiedenen Bundesländern ist schwierig. Die ethischen Probleme werden dezentral durch nationale Ethik-Kommissionen geprüft. Ein Informationsaustausch zwischen den Ethik-Kommissionen über Abbruch oder Abschluss der klinischen Prüfungen ist in Europa mit großem Aufwand verbunden. Die Kontakte mit den Ethik-Kommissionen in Drittstaaten sind noch schwieriger.

6. Der Arzneimittelgroßhandel kann über die europäischen Grenzen hinweg agieren. Sollten – je nach Ausgang des Verfahrens beim Europäischen Gerichtshof – Kettenbildungen von Apotheken grenzüberschreitend durch Großhändler möglich werden, könnten sich in einzelnen Gebieten Europas monopolartige Strukturen entwickeln. Die Arzneimittelversorgung muss in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union gleichermaßen gewährleistet sein. Das setzt eine einheitliche präventive Überwachung des Groß- und Einzelhandels mit Arzneimitteln voraus.

Die Probleme sind hiermit nicht abschließend aufgeführt. Sie sollen nur zur Diskussion eines umfassenden Konzeptes anregen. Die Erfahrungen mit der Finanzkrise haben sicher die politische Bereitschaft erleichtert, eine Analyse durchzuführen und entsprechende Schlussfolgerungen zu ziehen. Die Chance zum Umdenken und zur Realisierung der Konsequenzen aus der Globalisierung sollten genutzt werden.


Dr. Karl Feiden, Fachapotheker

für Öffentliches Gesundheitswesen, Augustastraße 33, 53173 Bonn

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