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DPhG-Jahrestagung
Arzneimittelversorgung im Alter
Mit etwa 100 Teilnehmern fand die von der DPhG-Regionalgruppe Rheinland und der Apothekerkammer Nordrhein organisierte Veranstaltung eine beachtliche Resonanz. Moderiert wurde sie von Prof. Dr. Ulrich Jaehde, Professor für Klinische Pharmazie an der Universität Bonn. Der Vizepräsident der Apothekerkammer Nordrhein, Hans Kühle, erinnerte in seinem Grußwort daran, dass Nordrhein als erste Kammer in Deutschland die Weiterbildung "Geriatrische Pharmazie" aus der Taufe gehoben hat. Seiner Ansicht nach war dies ein sehr wichtiger Schritt, denn mit der wachsenden Zahl älterer Patienten werde die Geriatrische Pharmazie zum "Normalfall" werden.
Arzneitherapie bei älteren Menschen
Prof. Dr. med. Wolfgang von Renteln-Kruse, Chefarzt der Geriatrischen Klinik im Albertinen-Haus, Hamburg, gab in seinem Vortrag einen Überblick über die besonderen Probleme der Arzneitherapie älterer Patienten. Beispielsweise erhöht eine eingeschränkte Nieren- bzw. Leberfunktion älterer Patienten sowie deren häufig schlechter Ernährungszustand das Risiko für toxische Arzneimittelkonzentrationen. Eingeschränkte bzw. verlangsamte Regulationen im Wasser- und Elektrolythaushalt steigern die Risiken sowohl für Überwässerung als auch für Exsikkose, die durch unangepasste Arzneitherapie noch weiter erhöht werden können. Auch das verminderte Durstempfinden älterer Menschen trägt zu einem höheren Exsikkose-Risiko bei. Die bei älteren Menschen häufig anzutreffende Multimedikation (mehr als fünf gleichzeitig verordnete Arzneimittel) erhöht das Risiko für pharmakokinetische und pharmakodynamische Interaktionen, Medikationsfehler und Non-Compliance. Bedenkt man die zahlreichen funktionellen Beeinträchtigungen älterer Menschen wie nachlassendes Gedächtnis, vermindertes Seh- und Hörvermögen und verringerte manuelle Geschicklichkeit, so ist das Versagen der medikamentösen Therapie praktisch vorprogrammiert.
Arzneistoffe, deren Einnahme bei Patienten über 70 Jahren besonders häufig zu unerwünschten Wirkungen führen, sind Insulin und orale Antidiabetika, Digitalisglykoside, Diuretika und Betablocker. Als Dilemma bezeichnete es Renteln-Kruse, dass es – egal in welchem Fachgebiet – derzeit keine medizinische Leitlinie gibt, die die Multimorbidität älterer Patienten berücksichtigt.
Maßnahmen zur Verbesserung der Compliance
Was kann nun getan werden, um diese Probleme in den Griff zu bekommen? Bezüglich der Non-Compliance plädiert von Renteln-Kruse für ein Gesamtkonzept mit der Kombination verschiedener Maßnahmen. Vor einer Neuverordnung sei es Aufgabe des Arztes, zunächst einmal eine komplette Medikamentenanamnese durchführen und dabei individuelle Probleme zu identifizieren. Anschließend müsse er den Patienten ausführlich bezüglich Wirkung und möglicher Nebenwirkungen aufklären. Das Verordnungsschema sollte möglichst einfach sein und regelmäßig überprüft werden. Alle Möglichkeiten, die Arzneitherapie möglichst einfach zu gestalten, sollten genutzt werden. Dazu zählte von Renteln-Kruse die Nutzung technischer Hilfsmittel wie der Dosette oder eines Weckers oder die Nutzung von Gewohnheiten, um die Einnahme zu ritualisieren (z. B. Tabletten immer zum Frühstück einnehmen). Es sei auch wichtig, die Angehörigen oder ggf. den ambulanten Pflegedienst mit einzubeziehen. Durch regelmäßige Wiedervorstellungs-Intervalle und Telefonkontakte könne zudem die Kontinuität der Versorgung gesichert werden. Bei vielen Maßnahmen aus diesem Gesamtpaket könne der Apotheker aktiv mitwirken.
Auf die Zukunft einstellen
Wie Dipl.-Pharm. Frank Hanke, Universität Witten/Herdecke, in seinem Vortrag erläuterte, wird die Zahl der Menschen, die in Alten- und Pflegheimen leben, in den nächsten Jahren dramatisch zunehmen. Somit steigen auch der Arzneimittelverbrauch und die Zahl der unerwünschten Wirkungen. Auf der anderen Seite sinkt die Zahl der Erwerbstätigen, also auch der Ärzte, Apotheker und Pfleger. Um den Widerspruch zu lösen, müssen nach Hankes Ansicht in den Alten- und Pflegheimen Qualitätssicherungssysteme installiert und die Zusammenarbeit der Heilberufe verbessert werden.
Eine Möglichkeit, sich als Apotheker fit zu machen für die neuen Herausforderungen, ist die Weiterbildung in "Geriatrischer Pharmazie" (siehe Kasten). Von den Apothekern in Nordrhein-Westfalen wird diese Möglichkeit gut angenommen, sodass bis Ende 2009 etwa 150 Kollegen diese Zusatzbezeichnung führen werden, zeigte sich Hanke erfreut. Weitergebildete Apotheker können den Medikationsprozess in Alten- und Pflegeheimen optimieren, was die Medikationsfehler reduziert, die Lebensqualität der Senioren verbessert, den Pflegeaufwand vermindert und letztendlich auch Kosten spart.
Umsetzung in der Praxis
Apothekerin Heide Schwalbe-Körber, Krefeld, gehört zu den ersten Fachapothekern für Geriatrische Pharmazie. Sie hat für die Belieferung der Verordnungen für Heimbewohner ein strukturiertes Vorgehen entwickelt. Einen breiten Raum nimmt dabei die Kommunikation mit den anderen beteiligten Berufsgruppen ein. Zeigt ihre Datenbank beispielsweise einen Medikationsfehler an, so scheut sie nicht davor zurück, umgehend den Arzt anzurufen, und dokumentiert den Gesprächsinhalt.
Da die Kommunikation zwischen Arzt und Apotheker bekanntermaßen nicht immer gut funktioniert, hat sie kreative Taktiken entwickelt, um den Arzt dennoch zu erreichen. So leitet beispielsweise die Arzthelferin einen Anruf recht schnell weiter, wenn Frau Schwalbe-Körber ankündigt, mit dem Arzt ein "Compliance-Problem des Patienten xy" besprechen zu müssen. Es gibt jedoch auch harte Fakten aus Studien, die die Erfolgsquote ähnlich konsequenten Vorgehens zeigen: Die Ärzte setzen zwischen 25 und 57 Prozent der Medikationsempfehlungen von Pharmazeuten um.
Des Weiteren nimmt Frau Schwalbe-Körber in den von ihr belieferten Heimen einmal im Monat an der Schichtübergabe teil – eine Vorgehensweise, die sich für alle Beteiligten als sehr nützlich erwiesen hat und die speziell die Pflegerinnen und Pfleger nicht mehr missen möchten.
Schmerztherapie bei älteren Patienten
Apothekerin Monika Zerres, Troisdorf, referierte über die Therapie älterer Patienten mit chronischen Schmerzen.
Schätzungsweise mehr als zwei Drittel der über 65-Jährigen leiden unter chronischen Schmerzen, wobei degenerative Gelenkerkrankungen, Neuralgien, Neuropathien, Tumoren, Verletzungen und Osteoporose zu den häufigsten Ursachen zählen. Mit steigendem Alter nimmt dieser Prozentsatz noch zu, es gibt jedoch nur wenige Untersuchungen zur Schmerzchronifizierung im Alter.
Aufgrund der Multimorbidität älterer Menschen sei das Therapieziel nicht Schmerzfreiheit, sondern Schmerzreduktion; weitere Ziele sind die Wiederherstellung der Funktionalität und die soziale Reintegration.
"Ein guter Mensch klagt nicht über Schmerzen"
Für die Identifizierung und Beratung von Schmerzpatienten sei es wichtig zu wissen, dass es bei Älteren viele Barrieren für Schmerzäußerungen gibt. Sie empfinden Schmerzen als natürliche Konsequenz des Alterns, als "Schwäche", als Sühne für vergangene Taten oder auch als positive Herausforderung und sprechen deshalb nicht darüber. Auch Ängste spielen eine wichtige Rolle: Angst vor Kontrollverlust über eigene Gesundheitsentscheidungen, Angst vor Arzneimittelnebenwirkungen oder vor Abhängigkeit (Opioid-Phobie) führen dazu, dass über Schmerzen nicht geredet wird. Oft "verstecken" ältere Patienten die Schmerzäußerung hinter anderen Symptomen wie zum Beispiel Schlaf- oder Appetitlosigkeit, Schwindel oder Kraftlosigkeit. "Bei solchen Äußerungen empfiehlt sich ein genaueres Nachhaken", empfahl Zerres.
Nicht nur Analgetika
Das WHO-Stufenschema der Schmerztherapie umfasst neben den Analgetika auch Adjuvanzien wie Antidepressiva, Laxanzien, Antiemetika oder Antikonvulsiva, deren Dosierung sich nach der Indikation richtet. So beträgt die Dosis von Amitriptylin zur Therapie chronischer Schmerzen 25 bis 150 mg, zur Depressionsbehandlung dagegen 50 bis 300 mg. Bei Antidepressiva, die nicht zur Schmerztherapie zugelassen sind, kommt auch ein Off-label-use vor.
Zerres legte dar, dass die Apotheke die Therapie der Schmerzpatienten auf vielfältige Weise unterstützen kann: durch eine angemessene Gesprächssituation in der Apotheke, die auch psychische Einflüsse berücksichtigt, durch ein regelmäßiges Erkundigen nach den Schmerzen, um die Effektivität der Therapie zu verfolgen, durch den Hinweis auf nicht-medikamentöse Maßnahmen (vor allem regelmäßige körperliche Aktivität nach dem Motto: "Turne bis zur Urne") und durch Unterstützung der Compliance mit wiederholten, einfühlsamen Erklärungen zu den verordneten Medikamenten.
cb
Weiterbildung "Geriatrische Pharmazie"Die Weiterbildung von Fachapothekern zum Erwerb der Zusatzbezeichnung "Geriatrische Pharmazie" ist noch jung. Sie umfasst eine zweijährige ganztägige Berufstätigkeit in einer geeigneten Einrichtung (z. B. einer Apotheke mit Heimbelieferung, einer krankenhausversorgenden oder Krankenhaus-Apotheke), den Besuch von Seminaren sowie u. a. die Teilnahme an einer Schulung von Pflegepersonal. Dabei werden Spezialkenntnisse, beispielsweise über die Besonderheiten akuter und chronischer Erkrankungen im Alter und über Palliativmedizin, sowie Fähigkeiten zur Durchführung von Aus- und Fortbildungsmaßnahmen für Pflegepersonal, pflegende Angehörige und Patienten erworben. Die weitergebildeten Apotheker sollten imstande sein, eng mit Ärzten, Pflegepersonal, Angehörigen und Senioren-Netzwerken zusammenzuarbeiten. Nähere Informationen: |
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