Arzneimittel und Therapie

Fraglicher Effekt von Ezetimib auf Atherosklerose

Die späte Veröffentlichung der Enhance-Studie hat Spekulationen geweckt. Wollten die verantwortlichen Pharmafirmen die enttäuschenden Ergebnisse zu dem Cholesterinresorptionshemmer Ezetimib zurückhalten? Gab es gar Hinweise auf eine erhöhte Toxizität? Wie sind die Ergebnisse der Enhance-Studie überhaupt einzuordnen? Antworten auf diese Fragen gibt Prof. Dr. Winfried März aus Heidelberg.

Dass die Absenkung des LDL-Cholesterin mit Statinen die Häufigkeit kardiovaskulärer Ereignisse vermindert ist gesichert [1, 2]. Das gilt besonders, wenn das Risiko hoch ist, also zum Beispiel bei Patienten mit Diabetes mellitus oder koronarer Herzkrankheit [3]. Bei sehr hohem Risiko (progrediente koronare Herzkrankheit, Diabetiker mit Infarktanamnese) ist sogar ein LDL-Cholesterin von 70 mg/dl als Therapieziel inzwischen allgemein akzeptiert [4]. Die Praxis zeigt aber, dass es schwierig ist, ein so ehrgeiziges Ziel mit Statinen alleine zu erreichen [5]. Daher werden Statine seit Langem mit anderen Lipidsenkern wie Austauscherharzen oder Nicotinsäure kombiniert.

Ein neuer Kombinationspartner ist Ezetimib, der erste am Markt verfügbare Hemmstoff der Cholesterinresorption. Es hemmt das Niemann-Pick-C1-like-1(NPC1L1-)Protein, einen Transporter für Cholesterin. Die Resorption von Triglyzeriden und fettlöslichen Vitaminen im Darm wird nicht beeinträchtigt. Zwar kann Ezetimib in einer Dosierung von 10 mg täglich die Cholesterinresorption halbieren, ein kompensatorischer Anstieg der Cholesterinsynthese in der Leber führt aber dazu, dass das LDL-C nur um etwa 20 Prozent gesenkt wird [6]. Das ist der Grund dafür, dass Ezetimib weniger als Monotherapeutikum, sondern in Kombination mit Statinen (Inegy®) eingesetzt wird.

Erste Aufschlüsse über mögliche anti-atherosklerotische Wirkungen der Kombination von Ezetimib und Simvastatin erhoffte man von der Studie Enhance (Effect of the Combination of Ezetimibe and High-Dose Simvastatin versus Simvastatin Alone on the Atherosclerotic Process in Patients with Heterozygous Familial Hypercholesterolemia, ClinicalTrials.gov identifier: NCT00552097) [7]. deren Ergebnisse nunmehr bekannt gegeben wurden. Für Aufregung hat dabei das Vorgehen der Sponsoren Schering-Plough (in Deutschland essex pharma) und Merck & Co (in Deutschland MSD) gesorgt, denn die Studie wurde im Juni 2002 begonnen, im April 2006 abgeschlossen und die Ergebnisse am 14. Januar 2008, also nach 21 Monaten und zudem auf Druck der wissenschaftlichen Öffentlichkeit und eines amerikanischen Kongresssausschusses veröffentlicht. Begründet wurde dies unter anderem mit der Komplexität der Auswertung der angefallenen Ultraschallbilder.

An der doppelblinden und randomisierten Studie nahmen 720 Patienten mit heterozygoter familiärer Hypercholesterinämie teil; sie erhielten zwei Jahre lang pro Tag entweder 80 mg Simvastatin alleine (S) oder 80 mg Simvastatin plus 10 mg Ezetimib (S + E). Der primäre Endpunkt der Studie, die mittlere Veränderung der Dicke der Intima-Media-Schicht der Karotiden (gemessen an je drei Stellen beidseits vor Beginn der Behandlung, nach 6, 12, 18 und 24 Monaten), unterschied sich nicht zwischen den Behandlungsgruppen. Ausgehend von mittleren Ausgangswerten von 0,69 und 0,68 mm nahmen die Dicken der Intima-Media-Schicht in der Gruppe mit Simvastatin alleine im Durchschnitt um 0,0058 mm, in der Gruppe mit Ezetimib um 0,0111 mm zu. Damit schnitt die Kombinationsbehandlung in der Tendenz sogar schlechter ab als Simvastatin alleine; der Unterschied war aber statistisch nicht signifikant (p = 0.29).

Das LDL-Cholesterin vor Behandlung war 319 mg/dl in der Gruppe mit Simvastatin und Ezetimib und 318 mg/dl in der Gruppe mit Simvastatin. Die Kombinationstherapie senkte das LDL-Cholesterin in zwei Jahren um 58 Prozent, Simvastatin alleine um 41 Prozent (p < 0.01). Bezüglich kardiovaskulärer Todesfälle (ES: 2 von 357 versus S: 1 von 363), nicht tödlicher Herzinfarkte (ES: 3 von 357 versus S: 2 von 363), nicht tödlicher Schlaganfälle (ES: 1 von 357 versus S: 1 von 363) und Revaskularisierungen (ES: 6 von 357 versus S: 5 von 363) gab es keine signifikanten Unterschiede.

Die Inzidenzraten unerwünschter Wirkungen wie Erhöhungen der Transaminasen oder Kreatinkinase waren in beiden Gruppen ähnlich. Die aufgrund von Kasuistiken [8] geäußerte Befürchtung, dass sich Ezetimib als besonders lebertoxisch herausstellen würde, hat sich damit nicht bestätigt.

Dass ein zusätzlicher Nutzen für Ezetimib nicht nachgewiesen wurde, ist nun nicht gerade "schockierend”, wie es Prof. Steven Nissen (Cleveland Clinic), einer der führenden amerikanischen Kardiologen, ausdrückte. Die Ergebnisse sind pathophysiologisch auch nicht unplausibel. Achtzig Prozent der in die Studie aufgenommenen Patienten hatten schon früher eine Statintherapie, die mittleren Intima-Media-Dicken waren vergleichsweise gering. Wie auch das seltene Auftreten kardiovaskulärer Ereignisse in beiden Behandlungsgruppen belegt, war damit das Risiko der eingeschlossenen Patienten trotz Vorliegen einer familiären Hypercholesterinämie nicht gerade hoch. Zudem wurde mit der Intima-Media-Dicke der Karotiden ein weicher Surrogatparameter untersucht.

Dennoch sind die bislang vorliegenden Daten aus Enhance vor allem im Licht anderer Studien kritisch zu bewerten. So vermochte zum Beispiel Rosuvastatin (Monotherapie 40 mg täglich, n = 702) in der Meteor (Measuring Effects on Intima Media Thickness: an Evaluation of Rosuvastatin)-Studie selbst in einem Kollektiv asymptomatischer Personen mit niedrigem globalem kardiovaskulärem Risiko die Zunahme der Intima-Media-Dicke der Karotiden gegenüber einer Vergleichsgruppe (Placebo, n = 282) signifikant zu vermindern [9]. In der Arbiter (The Arterial Biology for the Investigation of the Treatment Effects of Reducing Cholesterol) [10] bewirkte Atorvastatin 80 mg (n = 68) bereits nach zwölf Monaten eine Verminderung der Intima-Media-Dicke um 0.034 mm gegenüber einer leichten Zunahme (+0.025 mm) in einer Patientengruppe mit 40 mg Pravastatin (n = 70, p = 0.03). In dieser Studie senkten Atorvastatin und Pravastatin das LDL-Cholesterin im Mittel auf 76 und 110 mg/dl.

Der Enhance-Studie sehr ähnlich ist die ASAP-Studie (Effects of Atorvastatin versus Simvastatin on Atherosclerosis Progression)[11]. In ihr wurden die Wirkungen von Atorvastatin 80 mg oder Simvastatin 40 mg auf die Progression der Atherosklerose, ebenfalls bei familiärer Hypercholesterinämie untersucht. Nach einer zweijährigen Behandlungsphase zeigten die mit Atorvastatin behandelten Patienten eine signifikante Regression der mittleren Intima-Media-Dicke, während unter der Behandlung mit Simvastatin die Atherosklerose progredient verlief. Bemerkenswert dabei ist, dass die Kombinationsbehandlung aus Simvastatin und Ezetimib in Enhance das LDL-Cholesterin auf niedrigere Werte absenkte als 80 mg Atorvastatin in der ASAP Studie (s. Kasten).

Es stellt sich daher die Frage, ob Statine tatsächlich vasoprotektive Effekte haben, die unabhängig von ihrer Wirkung auf das LDL-Cholesterin sind. Kürzlich publizierte Daten von Landmesser und Kollegen würden ein solches Konzept untermauern [12]. In ihrer Untersuchung wurde der Effekt einer etwa gleichen Verminderung des LDL-Cholesterins mit Simvastatin (10 mg) oder Ezetimib (10 mg) auf Endothelzellfunktion, Superoxid-Dismutase und endotheliale Progenitorzellen bei 20 Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz untersucht. Trotz praktisch gleicher Senkung des LDL-Cholesterins (etwa 15 Prozent) beeinflusste nur Simvastatin, nicht aber Ezetimib die untersuchten Parameter.

Nachdem in Studien mit harten Endpunkten der Effekt der Statintherapie auf kardiovaskuläre Endpunkte sehr gut und praktisch vollständig durch die Senkung des LDL-Cholesterins erklärt werden kann und damit "pleiotrope" Statineffekte eher unwahrscheinlich sind [1, 2, 13], verbleibt als rein spekulative Möglichkeit, dass ein Teil der Effekte des Ezetimib auf das LDL-Cholesterin durch andere Eigenschaften der Substanz konterkariert wird. Vorstellbar wäre dies, denn Ezetimib verbleibt nicht an seinem Hauptwirkort im Dünndarm, sondern wird nach oraler Gabe rasch resorbiert. Schlüssige Hinweise auf solche Wirkungen gibt es bisher allerdings nicht.

Fazit: Leider hat die Geheimnistuerei der Hersteller von Ezetimib bei der Veröffentlichung der Studienergebnisse gängige Klischees bestätigt: alles in allem überflüssig und schädlich. Der Beleg eines klinischen Nutzens von Ezetimib in der Kombination mit Statinen steht aus. Diese Fragestellung wird in drei noch laufenden Endpunktstudien mit mehr als 20.000 Patienten untersucht. Sie werden – hoffentlich zeitgerecht und ungeschminkt veröffentlicht – Licht ins Dunkel bringen. Inzwischen sollten, wenn aufgrund der klinischen Situation eine intensive Senkung des LDL-Cholesterins angestrebt wird, therapeutische Strategien verfolgt werden, deren Nutzen in Endpunktstudien wie PROVE-IT [14], TNT [15] und IDEAL [16] zweifelsfrei belegt ist.

Gegenüberstellung der Studienergebnisse von ENHANCE und ASAP
 ENHANCEASAP
VergleichsgruppeSimvastatin 80 mgSimvastatin 40 mg
TherapiegruppeSimvastatin 80 mg
+ Ezetimib 10 mg
Atorvastatin 80 mg
LDL-C zu Studienbeginn
Vergleichsgruppe318 mg/dl322 mg/dl
Therapiegruppe319 mg/dl309 mg/dl
LDL-C unter Therapie  
Vergleichsgruppe188 mg/dl190 mg/dl
Therapiegruppe134 mg/dl151 mg/dl
Unterschied Intima Media-Dicke+ 0,005- 0,07 mm

Literatur beim Verfasser

Prof. Dr. med. Winfried März, Synlab Medizinisches Versorgungszentrum für Labordiagnostik Heidelberg, Postfach 10 41 29, 69031 Heidelberg

 

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