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Von Schildkröten, Salamandern und dem Umgang mit "test"-Ergebnissen

Der Schlag war gut zentriert: Die Stiftung Warentest hat sich einmal wieder die Apotheken vorgeknöpft, diesmal bewusst laufkundenstarke Frequenz- und einige preisaktive Systemapotheken in Berlin. Immerhin, die Beschränkung auf Berlin spart wenigstens Spesen, bei einer öffentlich geförderten Stiftung ja ein Argument. Wie nicht anders zu erwarten, fällt das Testergebnis wenig schmeichelhaft aus. Die Öffentlichkeitswirkung dürfte sich dennoch in Grenzen halten. Zum einen sind die Menschen gegenüber negativen Nachrichten – und überwiegend diese werden ja in unserer Medienlandschaft transportiert – ziemlich abgestumpft. Morgen finden sich Pestizide in der Babynahrung, übermorgen schläft der "Diensthabende" im Atomkraftwerk ein und löst so einen Störfall aus. Dieses Spiel geht immer reihum, und keine Angst, jede Branche kommt mal dran. Zum anderen lebt die Apotheke seit jeher mit einer ambivalenten Kundensicht: Teuer, privilegiert, wettbewerbsscheu – aber eben auch sehr freundlich, kundenorientiert, wohnortnah, lieferbereit.

Vor diesem Hintergrund könnte man tatsächlich den Deckel zuklappen und sagen: Sei es drum, morgen kommt wieder was anderes. Wenn man z. B. Werkstatttests selbst nobelster Automarken anschaut, dann hagelt es dort regelmäßig "knapp ausreichend" und "mangelhaft" – und dies seit Jahren. Interessant wäre da einmal ein Test der Arztpraxen mit präparierten Test-Kranken und Test-Symptomen. Doch soweit kommt es nicht. Denn dem Gegenschlag einer solch mächtigen Gruppe sollte sich eine Institution wie "test" besser nicht aussetzen. Recht so! Übrigens finden Sie auch bei des Deutschen liebstem Spielzeug ein "mangelhaft" nur bei den Werkstätten, die in der Wertschöpfungskette ganz unten stehen – oder haben Sie schon einmal einen "Totalverriss" und ein glattes "mangelhaft" bei einem bekannten, etablierten Automodell selbst erlebt? Die betreffende Zeitung sollte sich zumindest vorher schon einmal von ihrem Anzeigengeschäft verabschieden ...

Leider stehen die Apotheken ebenfalls am Ende der Wertschöpfungskette, und sie sind nicht so zahlreich und mächtig wie die Ärzteschaft. Bislang hat die "Schildkröten-Mentalität" das Schlimmste verhindert, schützte ein veritabler Panzer in Form zahlreicher Vorschriften und Regularien doch vor vielen Angriffen. So ein Panzer ist nützlich, solange der Weg eben ist, und keine großen Steigungen oder steilen Abhänge zu überwinden sind. Ansonsten erweist sich die schwere Hülle als große Bürde, und ganz schlecht ist es, wenn dann die kurzen Beinchen ein Kippen in die hilflose Rückenlage nicht mehr verhindern können. Adler wiederum ergreifen einfach die Schildkröten und lassen sie aus großer Höhe fallen. Panzer sind eben durchaus zerbrechlich ... Zudem lockt im Inneren leckeres, zartes Fleisch, zumindest erscheint dies von außen so. Reinschauen kann man ja nicht.

Schildkröten haben es schwer in diesen Zeiten; ihre ansonsten so hohe Lebenserwartung bekommt große Fragezeichen. Da kommt ein ganz anderes Tier in das Blickfeld: Der Feuersalamander! Wie das? Eine solche biologische Randfigur als Vorbild? Interessanterweise werden diese kleinen Kerlchen 20, 25, ja über 30 Jahre alt. Für nicht einmal 100 Gramm Lebendgewicht eine ganze Menge. Ihr gemächlicher Gang verheißt ein recht stressarmes Leben, wenngleich sie durchaus als Insekten- und Weichtierfresser zu den gemäßigten Jägern gehören. Ihre gelb-schwarze Körperzeichnung signalisiert "Achtung", und diese Drohung wird durch giftiges Sekret mit Fakten unterlegt. Zudem ist nicht allzu viel dran – der Aufwand, sich mit dem Salamander anzulegen, lohnt nicht.

Was bedeutet diese Lehrstunde in "Bio-Economics", der biologisch-naturnahen Betriebswirtschaft? Die Apotheken tun gut daran, sich von der Schildkröten-Strategie hin zum Feuersalamander-Erfolgsmodell zu bewegen. Die Mutation zum echten, großen Jäger, zum Beherrscher der Gesundheitsmärkte, das bekommen die Apotheken in der Breite nicht hin (auch wenn es vielleicht sogar möglich wäre). Dazu tummeln sich schon zu viele, kräftige Beutegreifer auf dem Markt.

"Salamander-Strategie" – das bedeutet Schlankheit und Unattraktivität für Jäger auf der einen Seite, und gleichzeitig eine wirksame Verteidigungslinie, die nicht mehr einen schweren, unbeweglichen Panzer erfordert. Momentan wird noch viel Fleisch hinter der harten Schale vermutet. Bisweilen mag dies noch stimmen, häufig aber eben auch nicht mehr. Die Erwartungshaltung wohlgesonnener Politiker ist somit hoch, und es droht eine weitere Belastung mit viel schwerem Gepäck. Andere hingegen gieren nur auf schnellen Ertrag oder kurzfristige Einsparungen.

Das Grundproblem, welches der "test"-Bericht wieder einmal illustriert, ist die Vermischung von kaufmännischer und heilberuflicher Leistung. Diese Ambivalenz begleitet den Apothekerberuf seit seinen Anfängen. Für eine reine logistische Leistung ist das heutige Honorar tatsächlich zu hoch, für eine tiefergehende, heilberufliche Beratungsleistung dagegen viel zu niedrig. Was der Test verschweigt: Mit dem "richtigen Vorgehen" laut Zeitschrift ist es nämlich nicht getan. Was fangen Sie beispielsweise mit der Aussage an: "Diclofenac kann die blutdrucksenkende Wirkung von ACE-Hemmern um bis zu 10 mm Hg vermindern"? Was soll es bewirken, dies dem Patienten zu sagen? Das ist etwa so, als wenn Sie einem Autokäufer sagen: "Wenn Sie jetzt aus dem Hof herausfahren, können Sie schwer verunglücken." Was bedeutet schwer? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit dafür? Genauso bei den Medikamenten: 10 mm Hg plus/minus sind akut wenig, langfristig dagegen schon eher bedeutsam. Außerdem "kann" dies nur passieren. Mehr oder weniger wahrscheinlich kann noch eine ganze Menge mehr passieren, wie die Beipackzettel ausweisen (einige Präparate der besagten ACE-Hemmer weisen als UAW u. a. Herzinfarkt und Schlaganfall (!) aus – da schlucken auch weniger sensible Naturen erst einmal ...). Immerhin hat man seit einigen Jahren schon einmal eine Unterteilung in "sehr häufig", "häufig", "gelegentlich" usw. vorgenommen, was eine erste, aber in der Kombination der möglichen Ereignisse noch keine hinreichende Risiko-Nutzen-Beurteilung ermöglicht. Gleichzeitig kennen wir alle die "Klassiker", quasi das pharmazeutische "No-No", wo in jedem Fall einfach eine Intervention und Abklärung mit dem Arzt erfolgen muss. Dies sind relativ wenige Fälle. Das Meiste spielt sich in einem statistischen Nirwana ab. Und hier ist eben tatsächlich der Fachmann gefragt: Eruierung der Vorgeschichte. Welche Beschwerden stehen im Vordergrund, welche sind akut bedrohlich, welche können eher warten bzw. vertragen möglicherweise eine Therapieumstellung? Leider auch immer viel zu selten praktiziert: Die Nennung einer risikoärmeren Alternative gegenüber dem Patienten oder ggf. dem Arzt. Auf die Frage des Arztes "und was schlagen Sie als Alternative vor?" kommt meist wenig, und was genannt wird, ist oft ebenfalls nicht exakt auf mögliche andere Probleme abgecheckt worden. Auch ist es eben nicht damit getan, den Stoff X dann einfach mal wegzulassen – denn daraus resultieren wieder andere Risiken.

Diese Gewichtung und Verdichtung der zahlreichen Fakten in eine konkrete Empfehlung ist eben nicht nebenbei zu erledigen, sondern anspruchs- und verantwortungsvolle Arbeit. Und damit sind wir beim Punkt: Die heutige Honorierung sollte mittelfristig auf den Prüfstand. Das jetzige pauschale "Abgabehonorar" gehört dabei deutlich gesenkt – ja, diese Erkenntnis tut weh. Doch damit wird dieses Geschäft immerhin für die zahlreichen "Beutegreifer" vor der Tür rasch unattraktiv. Anders als vielfach kolportiert kann gerade der inhabergeführte Betrieb mit äußerst schlanken Kostenstrukturen und eigener Unternehmerleistung gegenhalten, wo andere teure "Wasserköpfe", Managergehälter und hochgeschraubte Gewinnerwartungen befriedigen müssen. Das ist der schlanke, für andere wenig nahrhafte Salamanderkörper.

Flankiert werden muss das Ganze freilich durch eine klar festgelegte Honorierung für eine ausführliche, bedarfsgerechte Arzneimittelberatung und -optimierung. Nur so geht die Gleichung auf. Sie wird lediglich bei einem Teil der Patienten nötig sein, da wollen wir ehrlich sein. Bei Chronikern von Zeit zu Zeit immer wieder, bei Akutfällen vielleicht nur einmalig. Dafür darf diese dann aber wirklich etwas kosten (denn es geht um viel, nicht zuletzt um die Arzneimittel- und Folgekosten selbst) – und muss mit einer entsprechenden (Zusatz-) Qualifikation nachweisbar hinterlegt werden. Die Formel lautet hier: Datenbankgestütztes Wissen (dieses allein könnte aber ortsungebunden irgendwo z. B. mittels Callcenter abgerufen werden) plus die persönliche Kenntnis des Patienten, fundierte Erfahrung und die Beherrschung des "Networking" zwischen oftmals verschiedenen Ärzten, Krankenhaus bzw. Heim und Kunde. Diese Kombination funktioniert nur wohnortnah. Das ist quasi die schützende Gifthaut – denn das kann so ohne Weiteres von vielen Möchtegern-Anbietern nicht geleistet werden und schreckt angesichts des Aufwandes und der Erfordernis persönlicher Verankerung ab.

Natürlich: Im Detail sind hier noch viele Herausforderungen zu lösen. Doch wer ein wenig über das Ganze nachdenkt, wird zu dem Schluss kommen: Die Salamander-Strategie hat etwas für sich! Vieles hat die Natur schon lange vorgezeichnet, man muss nur einmal genauer hinschauen und es adäquat "übersetzen" …

 

Reinhard Herzo

Dr. Reinhard Herzog ist Apotheker und Fachautor, tätig u. a. in der Krisen- und Unternehmensberatung von Apotheken, Philosophenweg 81, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

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