Ernährung aktuell

Die Schnitzerkost setzt auf Körner und Früchte

Der deutsche Zahnarzt Dr. Johann Georg Schnitzer (*1930) entwickelte eine Ernährungsweise, mit der er Gebissschäden und Zivilisationskrankheiten vorbeugen wollte. Ausschlaggebend war dabei die von ihm beobachtete mangelnde Zahngesundheit seiner Patienten. Nach Meinung Schnitzers sind viele Krankheiten eine Folge der Abkehr von der "Urnahrung", der menschliche Verdauungstrakt sei genetisch nicht für tierische Nahrung oder durch Erhitzen denaturierte Lebensmittel ausgelegt. Schnitzer meint außerdem, dass Menschen auf Grund ihrer Gebisskonstruktion nicht zu den Allesfressern, sondern zu den Frugivoren, den Früchteessern gehören.

Im Mittelpunkt der Schnitzerkost stehen möglichst unbehandelte pflanzliche Lebensmittel aus biologischer Landwirtschaft. Schnitzer geht bei seinen Ernährungsempfehlungen von der Vorstellung aus, dass die optimale, in jahrmillionenlanger Evolution herausgebildete Ernährung von der Beschaffenheit des menschlichen Kauapparates abzuleiten sei. Er zieht den Schluss, dass nach dieser ausschließlich aus pflanzlichen Lebensmitteln bestehenden "Urnahrung" auch das menschliche Verdauungssystem programmiert ist. Die Rückkehr zu einer ursprünglichen Ernährungsform führt nach Schnitzer zu einer Normalisierung des Körpergewichts und verhindert beziehungsweise heilt zahlreiche Krankheiten.

Zwei Schnitzerkostformen – Intensiv- und Normalkost

Die Schnitzerkost unterscheidet zwei Formen, eine Intensiv- und eine Normal-Kost. Die Intensiv-Kost mit 6300 kJ (1500 kcal) täglich lässt ausschließlich pflanzliche Rohkost zu und soll als Diät zur Behandlung zahlreicher Gesundheitsstörungen dienen. Alle gegarten Lebensmittel – auch Brot und Kartoffeln – sowie Lebensmittel tierischer Herkunft, selbst Milch, sollen gemieden werden. Zum täglichen Frühstück wird beispielsweise ein so genanntes Naturmüsli, ein Frischkornbrei aus eingeweichten Getreidekörnern, Zitronensaft, Obst und Nüssen empfohlen. Ein Mineralstoffpräparat dient als Nahrungsergänzung.

Die ovo-lacto-vegetabile Normal-Kost mit 9200 kJ (2200 kcal) täglich wird auf der Grundlage der Intensiv-Kost um Vollkornbrot und -gebäck, Käse, Vorzugsmilch und daraus hergestellter Sauermilch, Eier, Vollreis und Kartoffeln erweitert. Alle Lebensmittel sollen aus kontrolliert biologischem Anbau stammen. Als Getränke werden Leitungswasser, Tafelwasser und Kräuter- oder Früchtetee empfohlen. Obst- und Gemüsesäfte, alle Milchsorten und Milchprodukte – ausgenommen Vorzugsmilch und daraus hergestellte Sauermilch – gelten als "Teilwertprodukte" und sollen nur in geringen Mengen verzehrt oder ganz gemieden werden.

Das soll die Schnitzerkost leisten

Schnitzer schreibt der Intensivkost im Vergleich zur Normalkost die größere Wirkung bei sämtlichen Zivilisationskrankheiten zu. Beim Übergang von der üblichen Ernährungsweise zur Schnitzerkost soll, seiner Empfehlung nach, die Intensiv-Kost möglichst einige Jahre lang durchgeführt werden. Die Schnitzerkost verspricht Glück, Zufriedenheit, Vorbeugung und Heilung nahezu sämtlicher Zivilisationskrankheiten (auch von insulinpflichtigem Diabetes mellitus Typ I) und Reduzierung des Übergewichtes.

Ernährungsphysiologische Sicht

Aus ernährungsphysiologischer Sicht sollte die Intensivkost nicht als Dauerernährungsform angewendet werden. Sie ist aufgrund der einseitigen Lebensmittelauswahl sehr energie- und eiweißarm und entspricht nicht den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung für eine ausgewogene, vielseitige und vollwertige Ernährung. Dies gilt insbesondere für Kinder, Schwangere, Stillende, kranke und ältere Menschen. Die strikte Ablehnung von gegarten Lebensmitteln schränkt den Speiseplan noch stärker ein als es bei der streng vegetarischen, der veganen Kost (siehe DAZ Nr. 16/2008, S. 114f) der Fall ist.

Ohne Aufnahme tierischer Lebensmittel wie Fisch oder Fleisch kann es bei längerem Einhalten der einseitigen Intensivkost insbesondere bei Kindern und Jugendlichen zu einer unzureichenden Versorgung mit Eiweiß, Calcium, Eisen, Jod und Vitamin B12 kommen. Die von Schnitzer als optimal bezeichnete Eiweißzufuhr von 35 g pro Tag liegt deutlich unter der von der DGE empfohlenen Menge von 47 g pro Tag für Frauen und 59 g pro Tag für Männer (25 bis 50 Jahre).

Die von Schnitzer in seinem Buch "Schnitzer-Intensivkost, Schnitzer-Normalkost" propagierte regelmäßige Zugabe eines Mineralstoffpräparates lässt Zweifel daran erkennen, dass eine ausreichende Nährstoffversorgung durch die Schnitzerkost alleine möglich ist. Damit kann Schnitzer offenbar seine eigene Forderung nach einer ausschließlich "natürlichen" Ernährung nicht erfüllen.

Der Anspruch der Intensivkost auf Heilung aller Zivilisationskrankheiten, auch beispielsweise des insulinpflichtigen Diabetes mellitus Typ I, ist gefährlich und genauso abzulehnen wie das Versprechen, mit dieser Kost all diesen Erkrankungen vorbeugen zu können. Hierfür gibt es keine wissenschaftlich haltbaren Belege.




Der ausschließliche Verzehr von Produkten aus kontrolliert-biologischem Anbau ist aus ernährungsphysiologischer Sicht vertretbar, aber nicht zwingend notwendig. Positiv zu bewerten ist bei der Schnitzer-Intensivkost nur der hohe Ballaststoffgehalt, darüber hinaus ist diese Kostform als Dauerernährung ungeeignet.

Die Schnitzer-Normalkost ist eine vorwiegend ovo-lacto-vegetabile Kostform. Fleisch ist nicht grundsätzlich verboten, soll aber gemieden werden. Ein hoher Vollkornanteil in der Nahrung sowie ein geringerer Fleischverzehr – und damit verbunden eine verminderte Aufnahme von Cholesterin, Fett und Purinen – sind nach heutigem Wissen sinnvoll. Das Meiden von Zucker und Alkohol ist ebenfalls zu begrüßen. Auch ein hoher Obst- und Gemüseverzehr ist zu empfehlen. Deshalb ist die Schnitzer-Normalkost bei sorgfältiger und abwechslungsreicher Gestaltung als Dauerernährungsform für gesunde Erwachsene geeignet.


Dr. Eva-Maria Schröder

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