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Bayerischer Apothekertag
Trotz vieler Probleme: Stolz auf unseren Beruf sein
Trotz gestiegener Apothekenumsätze in den letzten Jahren sind die Erlöse dramatisch nach unten gegangen, so die nüchterne Bilanz von Reichert zur Lage der Apotheken. "Der einzige, dem derzeit gratuliert werden kann, ist der Bundesfinanzminister. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik ist es dem Finanzminister bzw. der Regierung geglückt, über die Mehrwertsteuer mehr Geld in die Staatskasse zu bringen als die Kosten aller Leistungen der Apothekerinnen und Apotheker ausmachen", fügte er hinzu. Auch die veränderten Konditionen des Großhandels (im Schnitt 0,5% weniger Rabatt) ist ein schwerer Schlag – die Apotheken sind an der Grenze ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit angekommen. Weitere Zumutungen seien nicht mehr möglich, wolle man nicht das Ableben der Apotheken riskieren.
Ärgernis Rabattverträge
Größte Schwierigkeiten bereitet nach wie vor die Umsetzung der Rabattverträge. Die Regelung ist für viele Kunden nicht nachvollziehbar und nur schwer erklärbar. Die Mehrarbeit für den Apotheker leugnen die Kassen nicht, sind aber nicht bereit, den Mehraufwand in der Apotheke zu erstatten. Da die Apotheken zur Erfüllung der Rabattverträge gesetzlich verpflichtet sind, können sie sich nicht dagegen wehren. Bei Nichtumsetzung droht noch Schlimmeres, so Reichert, beispielsweise die Aufhebung der Arzneimittelpreisverordnung und die Einführung von Höchstpreisen. Da das AOK-System wieder weg von den Sortimentsverträgen und hin zu Ausschreibungen für Arzneimittel will, müssen die Versicherten 2009 erneut auf andere Arzneimittel umgestellt werden: "Wie sollen wir unseren Patienten das erklären?"
Keine Verschreibungspflichtigen im Versand!
Dringend fordert Reichert eine Initiative zur Einschränkung des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, denn hier zeigen sich mittlerweile enorme Auswüchse. Hinsichtlich Arzneimittelsicherheit und Beratung ist der Versandhandel ein Rückschritt. Besonders treffen die Apotheker die Aktivitäten der dm-Drogeriekette (Rezeptabholstellen). Im Drogeriemarkt ist kein pharmazeutischer Sachverstand vorhanden, die Hotline der niederländischen Europa-Apo-theek nehmen die Versicherten kaum in Anspruch. Besonders schlimm ist, so der Verbandschef, dass es nach der vorliegenden Begründung des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts erlaubt ist, in jedem Geschäft Bestellungen und Rezepte für Arzneimittel anzunehmen und an eine Versandapotheke weiterzuleiten. "Dies ist ein Schlag gegen die Arzneimittelsicherheit", so Reichert. Es liege jetzt an der Politik, den Schaden über den Weg eines neuen Gesetzes zu beheben. Die Laumann-Initiative, die diesen Missstand über eine Bundesratsinitiative beheben wollte, sei gescheitert. Eine neue Initiative liegt nun aus Sachsen vor. Reichert appellierte an die Volksvertreter, wieder Sicherheit für die Versicherten zu schaffen: "Als traditionelle deutsche Präsenzapotheke fühlen wir uns diskriminiert und von der Politik im Stich und im Regen stehen gelassen." Man könne zwar den Versandhandel nicht mehr ganz abschaffen, aber die schlimmsten Auswüchse sollten verhindert werden.
Ärgernis Retaxationen
Bekommt ein Patient ein Arzneimittel ausgetauscht, das nicht unter die strengen Bestimmungen des Rabattvertrages fällt, aber vom Patienten sofort benötigt wird, sollte er dieses nach Meinung von Reichert bekommen können. Aber die Krankenkassen überziehen in diesen Fällen die Apotheken mit Retaxationen, wobei, wie man feststellt, die retaxierenden Stellen auch große Fehler machen. Das Verhalten der Krankenkassen habe nichts mehr mit partnerschaftlichem Verhalten zu tun. Tatsache ist, dass Apotheken auf Null retaxiert werden. Reichert stellte klar: "Wir werden dies nicht hinnehmen. Ein Prozess ist beschlossene Sache. Die nötigen Geldmittel – notfalls durch alle Instanzen – sind bereitgestellt!"
Nicht nachvollziehbar ist in diesem Zusammenhang, dass ein Patient nicht aus eigener Tasche ein paar Cents draufzahlen darf, um sein gewohntes Arzneimitteln zu erhalten. Voraussetzung hierfür müsste allerdings sein, dass die Krankenkassen die echten Preise aus den Rabattverträge nennen. Reichert: "Warum wird der Patient vergewaltigt, dass er jenes Produkt nehmen muss, das ein Kassenfunktionär über eine Ausschreibung bestimmt hat, vorbei an dem Willen des Arztes und des Patienten?" Als Ergebnis lande das nicht akzeptierte Arzneimittel im Müll und müsse entsorgt werden.
Der BAV-Chef bemängelte, dass für Apotheker die Klagemöglichkeiten in Sachen Retaxationen auf die Sozialgerichte beschränkt sind, was lange Prozesswege bedeutet. Auch Apotheker als freie Heilberufler sollten die Möglichkeit haben, vor ordentliche Gerichte zu ziehen und rasche Entscheidungen herbeizuführen.
Inkontinenzversorgung ohne Apotheken
Krankenkassen schreiben die Inkontinenzversorgung in der Form aus, dass eine Apotheke keine Chance hat, eine solche Ausschreibung zu gewinnen. Dies richtet sich gegen den Apothekerberuf, aber auch gegen kleine örtliche Sanitätshäuser. Lieferfirmen wie Hartmann oder Mommsen gewinnen diese Ausschreibungen, obwohl diese bisher versicherten, nicht billiger produzieren und den Apothekern keine günstigeren Preise in Rechnung stellen zu können. Ab 1. August werden nun diese beiden Firmen direkt die Versicherten mit Inkontinenzartikeln beliefern.
Ähnliches zeigt sich bei Arzneimittelherstellern: Hier stellte man fest, dass Festbeträge immer weiter gesenkt und darüber hinaus Rabattverträge geschlossen werden konnten. Reichert fragte, ob diese Preise in den letzten Jahren von Anfang an überhöht waren.
Neuverblisterung
Immer mehr Firmen, aber auch Apothekerinnen und Apotheker treten für das Neuverblistern ein. Reichert sieht hierin die Gefahr, dass viele von ihnen danach streben, offene Ware (Bulkware) zu kaufen und mit den Krankenkassen tablettengenau abrechnen zu wollen: "Dies würde bedeuten, dass möglicherweise das Ende der Fertigarzneimittel gekommen wäre." Diese Entwicklung werde strikt abgelehnt. Einer Stellung von Arzneimitteln durch den Apotheker wolle man sich nicht widersetzen, wenn sie denn gewünscht sei – aber nicht unter dem Diktat eines industriellen Herstellers, sondern individuell von der ortsnahen Apotheke. Außerdem sollte der Arzt eine Gestellung verordnen und die Kassen sie genehmigen, so sie der Patient benötigt. Denn das Stellen von Arzneimitteln wird teurer als die Abgabe von Fertigarzneimitteln.
Und es gibt viele Nachteile: Verpackungsmüll (durch die Entblisterung), neue Verpackungssysteme, die dann auch entsorgt werden müssen, Abhängigkeit von Verblisterautomatenbetreiber, Mehrkosten. Für Reichert ergibt sich daraus: "Gestellung im Einzelfall grundsätzlich ja, unter der Verantwortung des Apothekers. Industrielle Verblisterung lehnen wir aus triftigen Gründen im Interesse der Arzneimittelsicherheit ab."
Fortbildung praxisnahDrei Fachvorträge boten Gelegenheit zur Fortbildung:
• ein Diabetes-Vortrag mit dem Schwerpunkt auf der diabetogenen Polyneuropathie (Dr. Alexander Risse)
• ein Marketingvortrag über den Apothekerkunden und seine Loyalität (Gerhard Fuchs)
• ein Exkurs in die Homöopathie zur Vorbeugung (Dr. Markus Wiesenauer).
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Was bringt Zukunft?
Dem noch ausstehenden Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Zulässigkeit von Fremd- und Mehrbesitz sollten die Apotheker mit Gelassenheit entgegenschauen, so Reichert. Fremd- und Mehrbesitz ist noch lange nicht beschlossen. Der Europäische Gerichtshof habe bereits beim Urteil zum Versandhandel anders reagiert als die Bundesregierung geglaubt hatte. Der EuGH werde es sich sehr gut überlegen, ob er das deutsche sichere Arzneiversorgungssystem in Frage stellen wolle.
Weniger gelassen betrachtet der Verbandschef die Tatsache, dass ab 1. Januar 2009 der Zwangsabschlag auf Rezepte im Rahmen der Selbstverwaltung festgelegt werden soll. Welcher Rabatt angemessen sein kann, werden die Zahlen ergeben, die die Wirtschaftsprüfer der Apotheken errechnen. Schon heute steht fest, so Reichert: "Der Abschlag muss weit unter der Zwei-Euro-Marke liegen."
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