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Den "Super-Gau" im Blick

BAD HOMBURG (du). Die Sorge um die Aufhebung des Fremdbesitzverbots stand auch bei der Jahrestagung des Bundesverbandes klinik- und heimversorgender Apotheker am 6. und 7. Mai in Bad Homburg im Vordergrund. Darüber hinaus schürt das dm-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts die Angst vor einer ungeregelten Ausweitung der Vertriebswege. Trotz Hoffnung auf einen guten Ausgang zumindest in Teilaspekten sah der BVKA es als seine Pflicht an, die "größten anzunehmenden Umwälzungen", den sogenannten "Super-Gau" ins Kalkül zu ziehen und über mögliche Konsequenzen zu informieren.

Der BVKA erwartet, dass zwar noch in diesem Jahr, allerdings nicht mehr vor der Sommerpause, eine mündliche Verhandlung im EuGH-Verfahren in Sachen Fremdbesitzverbot stattfinden wird. Danach wird der Generalanwalt sein Votum abgeben und damit den Weg für eine Entscheidung freigeben, mit der jedoch nicht mehr in diesem Jahr gerechnet wird. Neben diesem Verfahren hat die EU-Kommission am 1. Februar 2008 noch ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland mit dem Ziel eröffnet, auch das apothekengesetzlich formal noch bestehende Mehrbesitzverbot zu kippen. Am 26. März 2008 hat die Bundesregierung beantragt, dieses Verfahren ruhen zu lassen. In ihrer Stellungnahme gegenüber der EU-Kommission hatte sie auf das Vorlageverfahren zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Fremdbesitzverbots verwiesen. Da das Mehrbesitzverbot den gleichen rechtlichen Grundlagen folge und das Urteil auch für diese Regelung relevant sei, sei es sinnvoll, dieses abzuwarten. Danach ist, so Peterseim, auch die Bundesregierung davon überzeugt, dass mit dem Fall des Fremdbesitzverbots auch das Mehrbesitzverbot nicht mehr zu halten sein wird. Der BVKA geht davon aus, dass eine Zulassung von Fremdbesitz ohne Wenn und Aber die Schleusen für Apothekenketten öffnen werde, unabhängig davon, ob deren Inhaber juristische oder natürliche Personen, Apotheker oder Nichtapotheker seien.

Worst-Case-Szenarien

Zu welchem Urteil der Europäische Gerichtshof kommen wird, ist jedoch völlig offen. Nach den Ausführungen von Lutz Tisch, Geschäftsführer Apotheken-, Arzneimittel- und Berufsrecht der ABDA, sind verschiedene Szenarien denkbar. Sie reichen von einer uneingeschränkten Aufhebung des Fremdbesitzverbots über eine Aufhebung mit Einschränkungen, einer Bestätigung des Fremdbesitzverbots mit Einschränkungen bis hin zur Bestätigung des jetzt gültigen uneingeschränkten Fremdbesitzverbots.

Im Falle einer Aufhebung des Fremdbesitzverbots unter Beibehaltung der Niederlassungsfreiheit werden, so Tisch, neben nationalen auch internationale Kapitalgeber in den deutschen Markt drängen. Eine Einschränkung der Niederlassungsfreiheit durch Wiedereinführung einer Bedarfsprüfung, wie sie von einem baden-württembergischen Großhändler gefordert würde, sei aber europa- und verfassungsrechtlich ausgeschlossen. Wenn der Fremdbesitz komme, so Tisch, dann werde das Kapital im Vordergrund stehen. Nicht nur Drogeriemärkte und Lebensmitteldiscounter, auch die Post und Tankstellen könnten mit einem geringen Personal- und Raumbedarf als Übergabestellen fungieren. Damit würden den öffentlichen Apotheken eine Konkurrenz von etwa 50.000 Übergabestellen gegenüberstehen. Die Margen für verschreibungspflichtige Arzneimittel decken zurzeit noch weitere Leistungen der Apotheke wie Beratung und Notdienst ab. Diese Leistungen müssen jedoch an den Übergabestellen nicht erbracht werden, so dass hier eine günstigere Belieferung möglich ist. Das wird Begehrlichkeiten von Seiten der Krankenkassen wecken und kann nach Meinung Tischs die Politik dazu veranlassen, eine Höchstpreisverordnung einzuführen. Die Krankenkassen würden dann selbstverständlich die Kundenströme zu dem Anbieter leiten, der für sie die günstigsten Konditionen bietet. Eine nach heutigem Zuschnitt geführte Apotheke habe da keine Chance mehr.

Generaldebatte gefordert

Auch wenn es sich bei diesem Szenario um den Worst Case handelt, von dem man zum heutigen Zeitpunkt nicht sagen kann, ob er jemals so eintreten wird, besteht nach Meinung Tischs dringender Handlungsbedarf. Was den Fremdbesitz angehe, habe man alles getan. Handlungsmöglichkeiten biete der Versandhandel, bei dem es keine europarechtlichen und verfassungsrechtlichen Hindernisse gebe. Tisch forderte dazu auf, eine Generaldebatte zu führen. Es müsse klar gestellt werden, ob das Arzneimittel ein Konsumgut oder eine Ware der besonderen Art sei. Es gebe ein Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit, das der Staat zu schützen habe. Dazu steht ihm das Werkzeug Apotheken und Apotheker zur Verfügung. Entscheidend sei, welches Niveau der Staat den Apotheken zubillige.

Auswirkungen für Klinik- und Heimversorgung

Eine Frage, die die BVKA-Mitglieder in besonderem Maße bewegte, war die, was im Einzelnen auf die Klinik- und Heimversorgung als Folge der anstehenden Entscheidungen zukommen kann. Im Bereich der Klinikversorgung sieht Peterseim eine Konzentration der Lieferfunktion auf eine schrumpfende Zahl von Krankenhaus- und krankenhausversorgenden öffentlichen Apotheken zukommen, wenn das Regionalprinzip in der Krankenhausversorgung fallen wird. Viele Krankenhaus- und krankenhausversorgenden Apotheken würden vernichtet werden. Langfristig müsse befürchtet werden, dass die Logistik teilweise oder ganz auf Dienstleister aus dem auch nicht pharmazeutischen Großhandelsbereich übergehen werde. Damit krankenhausversorgende Apotheken diesen Tendenzen entgegen treten können, könnte eine weitere Liberalisierung der bisher geltenden eingeschränkten Raumeinheit für Öffentliche Apotheken notwendig werden. Es könnte für viele klinikversorgende Apotheken unausweichlich werden, die Krankenhausversorgung räumlich und organisatorisch von der Offizinapotheke zu trennen. Dabei gebe es nach einer Legalisierung von Fremdbesitz in Offizinapotheken keinen Grund mehr dafür, dass nur Krankenhausträger auf ihrem Gelände eine Krankenhausapotheke betreiben dürften. Auch klinik- und heimversorgende Apotheker würden dann das Recht für sich in Anspruch nehmen, eine Krankenhausapotheke zu betreiben. Peterseim war sich sicher, dass dies auch durchsetzbar ist. Auch für die Heimversorgung muss mit Konsequenzen gerechnet werden. Wenn das Prinzip der ortsnahen Versorgung im Klinikbereich fällt, wird auch das jetzt noch für die Heimversorgung geltende Prinzip der Nähe in Frage gestellt werden. Auch hier werde man auf die Idee kommen, Lieferung und pharmazeutische Betreuung zu trennen. Den Heimversorgern droht dann nicht nur Konkurrenz von Versandapotheken, sondern auch von Krankenhausapotheken.

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