Arzneimittel und Therapie

Kein Austausch bei gut eingestellten Patienten

Antiepileptika zählen zu den Arzneimitteln, deren Substitution vor dem Hintergrund von Rabattverträgen und Aut-idem-Verordnungen mehr als kritisch zu sehen ist. Im Rahmen eines von der Firma Socratec veranstalteten Expertengesprächs wurde deutlich, dass bei Patienten, die gut eingestellt sind, überhaupt kein Austausch erfolgen sollte. Da aber bei nur 15% der Verordnungen aut idem durch den Arzt ausgeschlossen wird, ist der Apotheker in der Pflicht.

Die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft hatte schon in ihren Leitlinien zur Guten Substitutionspraxis im Jahre 2002 festgehalten, dass Antiepileptika zu den Arzneimittelgruppen zählen, deren Substitution kritisch zu sehen ist. Die Leitlinie wurde als Entwurf veröffentlicht und sollte als Einladung zur Kommentierung an verschiedenste Fachgesellschaften dienen.

Wie aktuell dieser Entwurf nach wie vor ist, wurde im Rahmen des 13. Socratec-Experten-Gesprächs im Zentrum am 8. April 2008 in Frankfurt deutlich. Unter der Moderation von Prof. Dr. Henning Blume, Geschäftsführer der Socratec Research and Development GmbH, Oberursel, diskutierten Kliniker, Pharmazeuten, Vertreter von Krankenkassen, Zulassungsbehörden und kassenärztlichen Vereinigungen die Frage nach der Austauschbarkeit von Antiepileptika.


Socratec-Expertengespräch zu Antiepileptika

Vor dem Hintergrund des neugeschlossenen Rahmenvertrags über die Arzneimittelversorgung und der vom Gemeinsamen Bundesausschuss definierten Kriterien für die Austauschbarkeit von Arzneimitteln hatte Prof. Dr. Henning Blume, Geschäftsführer der Socratec Research and Development GmbH, Oberursel, zu einer Round-table-Diskussion zur Austauschbarkeit von Antiepileptika geladen. Folgende Referenten und Teilnehmer nahmen an dieser Diskussion am 8. April 2008 im Biozentrum Frankfurt teil.

Referenten: Dr. Klaus G. Brauer, Deutscher Apotheker Verlag, Stuttgart, Prof. Dr. med. Christian Elger, Klinik für Epileptologie, Universität Bonn, Dr. Jan Geldmacher, Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg, Dr. med. Christoph Kurth, Epilepsiezentrum Kork, Dr. Gerhard Nitz, Dierks und Bohle Rechtsanwälte, Berlin, Prof. Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz, Fachbereich Pharmazeutische Chemie, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt, Stephan T. Simon, BKK Bundesverband, Essen, Prof. Dr. Werner Weitschies, Institut für Pharmazie, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald

Teilnehmer: Dr. Matthias Ganso, Apotheke des Klinikums der Universität, Prof. Dr. Theodor Dingermann, Biozentrum der Universität Frankfurt, Prof. Dr. Gerd Dannhardt, Institut für Pharmazie, Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Dr. Dirk-Matthias Altenmüller, Universitätsklinik Freiburg, Dr. Kuno Güttler, Institut für Pharmakologie der Universität Köln, Prof. Dr. Sebastian Harder, Klinikum der J. W. Goethe-Universität Frankfurt, Dr. Werner Kiefer, Institut für Pharmazie, Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Dr. Wolfgang Kircher, Sankt-Barbara-Apotheke Peißenberg, Dr. L. Rems, Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte Bonn, Dr. Petra Zagermann-Muncke, Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker, Dr. Ilse Zündorf, Biozentrum der Universität Frankfurt

Prognose nicht möglich

Die Epilepsie ist keine einheitliche Erkrankung. Die Ursachen sind vielfältig. Wie es letztlich zu den gefürchteten Anfällen kommt, ist unklar. Eine kausale Therapie gibt es nicht. Behandelt wird lediglich das Symptom Anfall, das in keiner Weise vorhersagbar ist. Nach den Ausführungen von Prof. Dr. Christian E. Elger, Direktor der Epileptologischen Klinik der Universität Bonn, kommt es bei einem Drittel aller Patienten mit epileptischen Anfällen zu einer Spontanremission. Oft ist eine Remission jedoch nur unter einer Dauertherapie mit Antiepileptika zu erzielen, viele Patienten erreichen auch unter Behandlung keine Anfallsfreiheit. Eine Prognose darüber, ob mit einer Spontanremission zu rechnen ist, ist ebenso wenig möglich wie eine Vorhersage darüber, ob und wie lange der Patient unter Behandlung anfallsfrei bleibt.

Ein Anfall ist eine Katastrophe

Für den Patienten ist eine zumindest lang anhaltende Anfallsfreiheit essenziell, wenn es beispielsweise um die Berufsausübung oder den Erhalt der Fahrtauglichkeit geht. Rückfälle, so Elger, sind für ihn gerade im Hinblick auf den Verlust des Arbeitsplatzes oder der Fahrtauglichkeit eine Katastrophe. Ziel der antiepileptischen Therapie ist es, Anfälle zu verhindern und nach Möglichkeit eine Remission zu erzielen. Doch dazu muss jeder Patient oft über Monate hinweg gut eingestellt werden. Jede Änderung in der Verordnung könne zu einem Rückfall führen, warnte Elger. Allerdings bestehe keine direkte Korrelation zwischen Antiepileptika-Plasmaspiegeln und dem Auftreten eines Anfalls. Im Einzelfall wird es daher kaum nachzuweisen sein, dass ein Monate später auftretender Anfall die Folge einer Medikationsänderung gewesen ist. Randomisierte kontrollierte Studien, die entsprechende Fragen zu Zusammenhängen von Medikationsänderungen und Schwankungen von Wirkspiegeln vielleicht klären könnten, sind, so Elger, ethisch nicht vertretbar.


Die Situation in Europa

Nach einer Befragung von europäischen Behörden durch die französische Arzneimittelsicherheitsbehörde Afssaps haben acht Länder Maßnahmen in Bezug auf antiepileptische generische Medikamente ergriffen. In Belgien und Dänemark wurden die Grenzen der Bioäquivalenzkriterien für Antiepileptika enger gefasst. Spanien, Finnland, Slowenien und Schweden haben die Substitution antiepileptischer Medikamente durch Generika ganz untersagt, in Norwegen und der Slowakei wurde sie eingeschränkt. In Frankreich wurde aufgrund der Befragung empfohlen, die Substitution in Anlehnung an das Modell Norwegen einzuschränken. Danach sollte eine generische Substitution vorzugsweise bei Einleitung der Behandlung mit Information des Verschreibers vorgenommen werden. Im Verlauf der Behandlung sollte eine Substitution einzig und allein nach Zustimmung des Verschreibers vorgenommen werden dürfen.

Schon kleine Veränderungen sind ein Problem

Die älteren Antiepileptika Valproinsäure und Carbamazepin zählen nach wie vor zu den am häufigsten verordneten Antiepileptika. Carbamazepin wird von 21 Unternehmern unter 22 verschiedenen Warenzeichen angeboten, es gibt 69 verschiedene Retardtabletten, bei Valproinsäure ist die Situation noch unübersichtlicher. Da Generika als bioäquivalent eingestuft werden, wenn die Parameter Cmax, tmax und AUC des Generikums Werte zwischen 80 und 125% des Originalanbieters haben, sind relevante Spiegelschwankungen bei Präparatewechsel nicht auszuschließen. Je nachdem, wie nahe am oberen und unteren Rand der individuellen therapeutischen Breite therapiert wird, können schon kleinere Veränderungen eine gute Antiepileptika-Einstellung zunichte machen.

Auch Antiepileptika unterliegen Rabattverträgen

Doch Rabattverträge und Aut-idem-Regelungen nehmen Antiepileptika nicht aus. Scharf kritisiert wurde der § 4 Absatz 1 des zwischen den Spitzenverbänden der Krankenkassen und dem Deutschen Apothekerverband geschlossenen Rahmenvertrags nach § 129 SGB V in der Fassung vom 17. Januar 2008, der am 1. April 2008 in Kraft getreten ist. Hier werden die grundsätzliche Verpflichtung des Apothekers zur Auswahl preisgünstiger Arzneimittel festgelegt und die Voraussetzungen für die Arzneimittelauswahl geregelt. Eine Voraussetzung ist die Wirkstoffgleichheit. Als wirkstoffgleich gelten nach der Definition des §24 b des Arzneimittelgesetzes verschiedene Salze, Ester, Ether, Isomere, Mischungen von Isomeren, Komplexe und Derivate eines Wirkstoffes, es sei denn, ihre Eigenschaften unterscheiden sich erheblich nach wissenschaftlichen Erkenntnissen hinsichtlich der Unbedenklichkeit und Wirksamkeit.


§ 4 des Rahmenvertrags

§ 4 Auswahl preisgünstiger Arzneimittel
(1) Hat der Vertragsarzt ein Arzneimittel
− nur unter seiner Wirkstoffbezeichnung verordnet oder

− die Ersetzung eines unter seinem Produktnamen verordneten Fertigarzneimittels durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel nicht ausgeschlossen (aut idem), hat die Apotheke unter folgenden Voraussetzungen ein der Verordnung entsprechendes Fertigarzneimittel auszuwählen und nach den Vorgaben der Absätze 2 bis 4 abzugeben und zu berechnen:

  • a) gleicher Wirkstoff, dabei gelten die verschiedenen Salze, Ester, Ether, Isomere, Mischungen von Isomeren, Komplexe und Derivate eines Wirkstoffes als ein und derselbe Wirkstoff, es sei denn, ihre Eigenschaften unterscheiden sich nach wissenschaftlichen Erkenntnissen erheblich hinsichtlich der Unbedenklichkeit und der Wirksamkeit,

  • b) gleiche Wirkstärke,
  • c) gleiche Packungsgröße,
  • d)

    gleiche oder austauschbare Darreichungsform, dabei sind – die Darreichungsformen mit identischer Bezeichnung in der Großen Deutschen Spezialitätentaxe (Lauer-Taxe) gleich,

– die Darreichungsformen nach den Hinweisen des Gemeinsamen Bundesausschusses nach § 129 Abs. 1a SGB V austauschbar,

  • e) gleicher Indikationsbereich (im Falle der Aut-idem-Ersetzung),
  • f) keine einer Ersetzung des verordneten Arzneimittels entgegenstehenden betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften.

Pharmazeutischer Sachverstand unerwünscht?

Insbesondere von Pharmazeutenseite wurde der mangelnde Sachverstand beklagt, den dieser Absatz widerspiegelt. Prof. Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz, Frankfurt, machte am Beispiel von Sulfatsalzen deutlich, dass erhebliche Unterschiede beispielsweise in der Löslichkeit und Kristallstruktur bestehen. Auch unterschiedliche Salze der Valproinsäure hätten unterschiedliche Eigenschaften, mit nicht zu vernachlässigenden pharmakologischen Auswirkungen. Ester und freie Säuren oder Alkohole seien keinesfalls gleichzusetzen, ebenso wenig wie unterschiedliche Ester, Ether oder Mischungen von Isomeren. Sowohl Prof. Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz als auch Prof. Dr. Werner Weitschies, Greifswald, betonten, dass kein Student das pharmazeutische Staatsexamen bestehen würde, der Salze, Ester, Ether, Isomere geschweige denn Derivate eines Wirkstoffs als gleich bezeichnen würde. Die Regel sei, dass erhebliche Unterschiede bestehen. Mit dem Zusatz in § 4 Abs.1a, "es sei denn, sie unterscheiden sich erheblich" werde die Regel zur Ausnahme gemacht. Pharmazeutischer Sachverstand sei wohl beim Austausch wirkstoffgleicher Präparate unerwünscht, konstatierte Dr. Klaus Brauer, Geschäftsführer des Deutschen Apotheker Verlags in Stuttgart.

Eine weitere für den Austausch von Arzneimitteln wichtige Voraussetzung, das Vorliegen gleicher oder austauschbarer Darreichungsformen und die dazu getroffenen Regelungen stießen ebenfalls auf Kritik. Nach dieser Regelung sind Darreichungsformen mit identischer Bezeichnung in der Lauer-Taxe gleich und Darreichungsformen nach den Hinweisen des G-BA nach § 129 Abs. 1a SGB V austauschbar. Eine Differenzierung zwischen unterschiedlichen Retardformen findet nicht statt. Dabei sind gerade Retardarzneimittel hinsichtlich ihrer Austauschbarkeit besonders problematisch, da die Art der Retardierung sowohl Auswirkungen auf den Plasmaspiegel als auch auf die Dauer der Wirksamkeit hat.

Schlupfloch namentliche Verordnung

Apotheker können zwar nach dem neuen Rahmenvertrag bei pharmazeutischen Bedenken von der Abgabe des Rabattarzneimittels absehen, dürfen aber dann bei Wirkstoffverordnung nur auf eines der drei preisgünstigsten Arzneimittel ausweichen. Im ungünstigsten Fall sind damit die pharmazeutischen Bedenken immer noch nicht ausgeräumt, das Problem besteht weiter, so Brauer. Der Rahmenvertrag biete, etwas versteckt, aber auch da noch gerade den Ärzten einen Ausweg, die Nachteile für sich befürchten, wenn sie namentlich verordnen und das Aut-idem-Kreuz setzen und damit die Substitution ausschließen würden. Der Ausweg sieht so aus: Der Arzt verordnet namentlich das bisher eingesetzte und weiterhin gewünschte Arzneimittel; er verzichtet zwar auf das Aut-idem-Kreuz, signalisiert aber dem Apotheker, dass er gleichwohl die Abgabe des namentlich verordneten Arzneimittels wünscht. Der Apotheker sollte und darf dann dieses namentlich verordnete Arzneimittel unter Anmeldung pharmazeutischer Bedenken abgeben. Denn wenn sich der Wechsel auf ein eigentlich vorrangig abzugebendes Rabattarzneimittel wegen pharmazeutischer Bedenken verbietet, erlaubt ihm der Rahmenvertrag nicht nur, auf eins der drei preiswertesten Arzneimittel auszuweichen; er darf auch das namentlich verordnete Arzneimittel abgeben.

Ärzte müssen aut idem ausschließen!

Die anwesenden Ärzte wollten jedoch auf diese Verordnungsmöglichkeit bei Antiepileptika nicht bauen. Da die haftungsrechtliche Verantwortung für die Verordnung beim Arzt liege, müsse er bei so kritischen Arzneimitteln wie Antiepileptika unbedingt das Aut-idem-Kreuz setzen und damit jegliche Substitution ausschließen. Allerdings liegt hier noch einiges im Argen. Nur bei 15% aller Antiepileptika-Verordnungen ist aut idem ausgeschlossen, so dass hier die neuen Regelungen des Rahmenvertrags zum Tragen kommen. Die Scheu vor dem Aut-idem-Kreuz ist in der Angst vor Regressen begründet. Diese Sorgen sind nach Ansicht von Dr. Jan Geldmacher, Vorstandsmitglied der kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg, bei Antiepileptika unbegründet. In Zweifelsfällen könnten die Kollegen in den Prüfgremien im Sinne der Betroffenen tätig werden.

Drei zentrale Forderungen

Trotz verschiedener Differenzen in Einzelfragen konnte man sich am Schluss des Expertengesprächs auf drei wichtige Forderungen einigen:

  • Die Ersteinstellung oder die Umstellung einer Therapie bei ausbleibendem Therapieerfolg muss mit Arzneimitteln vorgenommen werden, deren Wirksamkeit und Sicherheit nachgewiesen ist und die eine konstante Qualität aufweisen. Das sind neben Originalpräparaten auch Generika. Hier gilt das Gebot der Wirtschaftlichkeit.

  • Epileptiker mit einer guten medikamentösen Einstellung dürfen nicht ohne Not auf andere Präparate umgestellt werden.

  • Ein ständiger Wechsel zwischen Präparaten muss auf alle Fälle ausgeschlossen werden.

du

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.