Arzneistoffporträt

Obstipation bei Patienten mit Diabetes mellitus

Geeignete Mittel zur Steigerung der Motilität
Von Siegbert Rossol, Ursula Köhler und Ulrika HinkelEine Obstipation ist bei Patienten mit Diabetes mellitus keine Seltenheit. Dabei spielt das autonome Nervensystem eine bedeutende Rolle. Zur Therapie ist die Normalisierung der diabetischen Stoffwechsellage besonders wichtig. Weiterhin sind allgemeine Maßnahmen wie Bewegung, ausreichende Flüssigkeitszufuhr und die Gabe von Ballaststoffen hilfreich. Schließlich kann auch die längerfristige Einnahme von Laxanzien notwendig sein. Hier finden neben motilitäts- und sekretionswirksamen Mitteln auch osmotisch aktive oder lokal applizierte Laxanzien Anwendung. Da die Obstipation bei Diabetikern in der Regel durch eine verlangsamte Darmpassage verursacht wird (Slow-Transit-Obstipation), empfiehlt sich der Einsatz von Bisacodyl, Natriumpicosulfat oder Polyethylenglykol. Nach ärztlicher Rücksprache ist auch eine längerfristige Anwendung dieser Substanzen möglich.

Bei Diabetikern kommt es sehr häufig zu funktionellen Beeinträchtigungen im autonomen Nervensystem und einem Verlust der neuronalen Kontrolle in verschiedenen Organen [1, 2]. Da die Beeinträchtigungen häufig subklinisch auftreten, muss in der Praxis des Arztes eine exakte Diagnostik durchgeführt werden, welche auch Begleiterkrankungen und alterstypische Veränderungen berücksichtigt (Tab. 1).


Tab. 1: Gastrointestinale Manifestationen der autonomen diabetischen Neuropathie
  • Motilitätsstörungen des Ösophagus
  • Diabetische Gastropathie (dyspeptische Symptome, postprandiale Hypoglykämie)
  • Diabetische Cholezystopathie
  • Diabetische induzierte Diarrhö
  • Diabetische Obstipation (Hypomotilität des Kolons)
  • Anorektale Dysfunktion (Stuhlinkontinenz)

Im Bereich des Verdauungstrakts basieren die Funktionseinschränkungen vor allem auf funktionellen Störungen von Motilität, Sekretion, Resorption und Perzeption. Kolon, Magen, Dünndarm, Ösophagus und Gallenblase sind von diabetisch verursachten Störungen in absteigender Häufigkeit betroffen und werden von bis zu 60% der Diabetiker angegeben. Meist resultieren Transitzeitstörungen im Darm.

Nach Schätzungen von Experten treten obere gastrointestinale Symptome – vor allem Übelkeit nach der Nahrungsaufnahme, Erbrechen und Oberbauchschmerzen – bei 30 bis zu 60% der Patienten mit Typ-1-Diabetes auf [1, 5]. Gastrointestinale Motilitätsstörungen können gleichermaßen bei Menschen mit Typ-1- und Typ-2-Diabetes auftreten und den gesamten Magen-Darm-Trakt betreffen. Hierzu gehören Motilitätsstörungen des Ösophagus, Gastroparese (Magenentleerungsstörung durch Lähmung der versorgenden Nerven), Diarrhö, Obstipation, Stuhlinkontinenz sowie Gallenblasenhypomotilität (eingeschränkte Beweglichkeit der Gallenblase), die ein Risikofaktor für die Bildung von Gallensteinen ist [4, 6, 7].

Obstipation als Ausschlussdiagnose

Da es bei Diabetikern sehr häufig zu einer Erkrankung des peripheren Nervensystems kommt, leiden bis zu 60% der Patienten gleichzeitig unter Verstopfung. Das Besondere an der Obstipation bei Diabetikern ist, dass die Veränderungen im peripheren Nervensystem zu einer Slow-Transit-Obstipation führen, d. h. die Motorik des Kolons nach einer Mahlzeit ist deutlich reduziert [4, 9]. Da für eine Obstipation auch Erkrankungen des Darms, Arzneimittelnebenwirkungen, systemische Veränderungen (z. B. Elektrolytverschiebungen) oder neurologische Erkrankungen wie Morbus Parkinson oder Nervenverletzungen ursächlich verantwortlich sein können, ist die diabetische Obstipation eine Ausschlussdiagnose.

Neuropathie führt zur Obstipation

Die durch eine schlechte Stoffwechsellage über einen längeren Zeitraum verursachte Schädigung des autonomen Nervensystems führt zur diabetischen Obstipation. Vor allem eine lange Erkrankungsdauer, aber auch der Nachweis von Stoffwechselschwankungen mit Unterzuckerungen bei schlechter Diabeteseinstellung kann beim Diabetiker zur gastrointestinalen Neuropathie führen. Neben den immensen Einschränkungen in der Lebensqualität der betroffenen Patienten entstehen infolge der chronischen Obstipation häufig Hämorrhoidalleiden oder ähnliche Enddarmerkrankungen.

Diagnostik bei diabetischer Obstipation

Eine sorgfältige Anamnese und eine eingehende körperliche Untersuchung sind bei der Diagnose der diabetisch bedingten chronischen Obstipation unabdingbar. Hierbei sollte besonders auf die folgenden Alarmsymptome geachtet werden:

  • Gewichtsabnahme,
  • Wechsel von Diarrhö und Obstipation,
  • Schmerzen.

Der Arzt führt die Diagnosestellung einer Obstipation wie bei Patienten ohne Diabetes mellitus anhand der Rom-Kriterien durch (Tab. 2) [10].


Tab. 2: Diagnostik der chronischen Obstipation nach Rom-II-Kriterien
Im letzten Jahr mindestens drei Monate lang zwei der folgenden Symptome:
  • Pressen bei > 25% der Stuhlgänge
  • Harte Stuhlkonsistenz bei > 25% der Stuhlgänge
  • Empfindung einer inkompletten Stuhlentleerung bei > 25% der Stuhlgänge
  • Empfindung der anorektalen Blockade
    bei > 25% der Stuhlgänge
  • Manuelle Manöver zur Stuhlentleerung
    bei > 25% der Stuhlgänge
  • < 3 Stuhlgänge pro Woche

Die Diagnostik bezieht die Suche nach infektiösen Ursachen, eine Untersuchung des Enddarms und den Test auf okkultes Blut im Stuhl mit ein. Eine endoskopische Untersuchung zum Ausschluss morphologischer Ursachen kann sinnvoll sein (Tab. 3).


Tab. 3: Diagnostik bei Diabetes mellitus mit gastrointestinalen Symptomen
  • Endoskopie des Gastrointestinaltraktes
  • Magenentleerung (Szintigraphie, Sonographie,
    13 C-Oktanoat-Atemtest)
  • Gastrokolische Transitzeit (Röntgen, H2 -Exhalationstest, Szintigraphie)
  • Ösophago-gastro-intestinale Manometrie
  • Gallenblasenkontraktion (Sonographie)
  • Kolon-Transitzeit mit röntgendichten Markern
    (Hinton-Test)
  • Anorektale Manometrie

Symptomatische Therapie

Grundsätzlich sollte bei jeder diabetisch bedingten gastrointestinalen Störung eine sorgsame Diagnostik beim Arzt durchgeführt und anschließend eine individuelle Therapie empfohlen werden (Tab. 4).


Tab. 4: Therapieoptionen der gastrointestinalen Symptome bei Diabetes mellitus
Ösophagusmotilitätsstörung:
Prokinetika,
Protonenpumpen-Inhibitoren
Gastroparese:
kurzfristig Prokinetika wie Metoclopramid, Domperidon, Erythromycin;
(Schrittmacherimplantation)
Diarrhö:
Loperamid, Antibiotika (Doxycyclin, Gyrasehemmer, Ampicillin)
Andere
Substanzen:
Pankreasenzyme, Colestyramin,
Psyllium-Samen, Kaolin und Pektin
Obstipation:
begleitende Allgemeinmaßnahmen wie ausreichend Flüssigkeit, Ballaststoffe, Bewegung; Applikation von Laxanzien
Stuhlinkontinenz:
Antidiarrhoika, Biofeedback-Techniken

Neben medikamentösen Strategien kommen hier auch verhaltenstherapeutische Maßnahmen oder Allgemeinmaßnahmen infrage, die letztlich zu einer besseren Stoffwechseleinstellung beitragen. Hier können auch in der Apotheke hilfreiche Tipps gegeben werden. Wichtig ist insbesondere eine ballaststoffreiche Ernährung, aber auch die tägliche Aufnahme von mindestens zwei Litern Flüssigkeit und die regelmäßige körperliche Bewegung sind von Bedeutung. Diese Maßnahmen verbessern die Stoffwechseleinstellung, allerdings ist ihr Erfolg bei einer diabetisch assoziierten Obstipation wie auch bei anderen Patienten mit Obstipation nicht sicher nachgewiesen [13].

Die chronische Obstipation beim Diabetiker kann mit Laxanzien verschiedener Wirkungsmechanismen behandelt werden. Hierbei ist zu unterscheiden, ob die verabreichte Substanz Wasser bindet, die Aufnahme von Wasser und Elektrolyten aus dem Darm hemmt oder zu einer gesteigerten Flüssigkeitssekretion in den Darm und zu einer Steigerung der Darmmotorik führt (Tab. 5) [1, 2, 11].


Tab. 5: Medikamentöse Wirkungsprinzipien bei Obstipation und Diabetes mellitus
Ballaststoffe, Quell- bzw. Füllmittel
  • Plantago ovata, Leinsamen, Weizenkleie
Osmotisch wirksame Substanzen
  • Salze: Magnesiumsulfat, Natriumsulfat
  • Zucker: Lactulose, Lactitol
  • Alkohole: Sorbitol, Mannitol
  • Polyethylenglykol: Macrogol
Dickdarmmotilität-fördernde Substanzen
  • Diphenole: Bisacodyl
  • Natriumpicosulfat
Antiresorptiv und hydragog wirkende Laxanzien
  • Anthrachinone: Senna, Aloe
  • Ricinolsäure
Lokale rektal wirksame Substanzen
  • Alkohole, Diphenole, Natriumhydrogenphosphat

Medikamentöse Therapien

Medikamente wie Metoclopramid, Erythromycin und Domperidon sind bei chronischer Obstipation nicht indiziert, da sie am unteren Dünndarm und am Dickdarm kaum oder gar nicht wirksam sind. Diese Substanzen sind eher bei der diabetisch bedingten Gastroparese indiziert, da sie über verschiedene Rezeptorbindungen zu einer Beschleunigung der Magenentleerung führen [12].

Füll- und Quellstoffe wirken nach Wasserbindung durch eine Vergrößerung des Stuhlvolumens. Allerdings ist bei ihrer Anwendung eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr erforderlich, sodass die Anwendung gerade bei älteren Menschen genauestens überwacht werden muss. Bei Patienten mit verlängerten Transitzeiten (Slow-Transit-Obstipation) können sich die Symptome einer Verstopfung durch die Zufuhr dieser Stoffe deutlich verschlimmern. Vorsicht ist insbesondere deshalb geboten, weil bei einer unzureichenden Flüssigkeitszufuhr ein Darmverschluss (Subileus) auftreten kann. Damit sind diese Substanzen für den Diabetiker mit Obstipation nur sehr eingeschränkt sinnvoll.

Osmotisch wirksame Laxanzien erhöhen die Osmolarität im Darmlumen, halten Wasser zurück und erhöhen somit die Stuhlfrequenz. Durch den drastischen Effekt der salinischen Abführmittel wie Natriumsulfat (Glaubersalz) und Magnesiumsulfat (Bittersalz) besteht die Gefahr, dass sich nach einer länger dauernden Anwendung Elektrolytverschiebungen einstellen, sodass sich Erkrankungen wie Hypertonie, Herzinsuffizienz oder Niereninsuffizienz verschlechtern können. Sie sind somit für die chronische Anwendung nicht geeignet.

Synthetische Zucker wie z. B. Lactulose werden nicht resorbiert, im Kolon abgebaut und erhöhen das Stuhlvolumen über eine Wasserretention. Nachteile der Substanz sind der süßliche Geschmack und der subjektiv belastende Meteorismus (Flatulenz).

Macrogol (synthetisches Polyethylenglykol 3350) erhöht über eine direkte Wasserbindung der inerten Faserstruktur das Stuhlvolumen. Als Nebenwirkungen werden Aufblähungen, vermehrte Darmgeräusche und Übelkeit beschrieben.

Anthrachinone kommen in verschiedenen Pflanzen vor (z. B. Senna) und wirken nach bakterieller Spaltung in die aktiven Metaboliten im Kolon antiresorptiv und sekretagog. Die Sicherheit bei chronischer Applikation ist unklar. Die Substanzen verursachen eine Melanosis coli, die aber zu keinen funktionellen Einschränkungen des Kolons führt [10].

Im Focus: Bisacodyl

Das Diphenol Bisacodyl (z. B. in Dulcolax®) wirkt direkt und rein lokal am Kolon. Es steigert die Motilität und beeinflusst in geringem Maße auch die Sekretion sowie die Salz- und Wasserresorption.

Bisacodyl kann nach ärztlicher Rücksprache auch längerfristig eingenommen werden, denn selbst bei länger währender, bestimmungsgemäßer Anwendung konnte keine Gewöhnung oder Toleranz nachgewiesen werden; die abführende Wirkung blieb konstant erhalten [13].

Fazit

Die individuelle Beratung und Behandlung der chronischen Obstipation sollte sich in der Substanzanwendung nach dem Obstipationstyp richten [14].

Während bei lokal-rektal bedingter Obstipation entsprechende galenische Applikationsformen angewendet werden sollten (rektale Entleerungshilfen, Suppositorien und Klistiere), sind die Normal-Transit-Obstipation und die Slow-Transit-Obstipation anders zu therapieren. Die beim Diabetiker häufig auftretende Slow-Transit-Obstipation mit einer Transitzeit von mehr als 72 Stunden sollte mit Polyethylenglykol 3350, Bisacodyl oder Natriumpicosulfat eingestellt werden. Diese Substanzen kompensieren die reduzierte Kolonmotilität. Die Gabe von Laxanzien bei Patienten mit diabetischer Obstipation wird auch in der Leitlinie "Diabetische Neuropathie" der Deutschen Diabetes-Gesellschaft empfohlen [15].

 

Literatur

[1] Welch A C. Constipation & diabetes. Constipation can affect up to 60 percent of people with diabetes. Some treatments may work better than others. Which ones are right for you? Diabetes Forecast 2003;56:65-66.

[2] Haines S T. Treating constipation in the patient with diabetes. Diabetes Educ 1995;21:223-232.

[3] Cucchiara S, et al. Diabetes and gastrointestinal tract: the intrigue continues. J Pediatr Gastroenterol Nutr 2004;38: 4-6.

[4] Folwaczny C, et al. Gastrointestinal involvement in patients with diabetes mellitus: Part I (first of two parts). Epidemiology, pathophysiology, clinical findings. Z Gastroenterol 1999;37:803-815.

[5] Camilleri M. Gastrointestinal problems in diabetes. Endocrinol Metab Clin North Am 1996;25:361-378.

[6] Iber F L, et al. Relation of symptoms to impaired stomach, small bowel, and colon motility in long-standing diabetes. Dig Dis Sci 1993;38:45-50.

[7] Falchuk K R, et al. The intestinal and liver complications of diabetes mellitus. Adv Intern Med 1993;38:269-286.

[8] Maleki D, et al. Pilot study of pathophysiology of constipation among community diabetics. Dig Dis Sci 1998;43: 2373-2378.

[9 ] Battle W M, et al. Colonic dysfunction in diabetes mellitus. Gastroenterology 1980;79:1217-1221.

[10] Lembo A, et al. Chronic constipation. N Engl J Med 2003;349:1360-1368.

[11] Bassotti G, et al. Constipation: a common problem in patients with neurological abnormalities. Ital J Gastroenterol Hepatol 1998;30:542-548.

[12] Farup C E, et al. Effect of domperidone on the healthrelated quality of life of patients with symptoms of diabetic gastroparesis. Diabetes Care 1998;21:1699-1706.

[13] Müller-Lissner S A, et al. Myths and misconception about chronic constipation. Am J Gastroenterol 2005;100:232-242.

[14] Krammer H, et al. Therapieoptionen der chronischen Obstipation. Internist 2005;46:1331-1338.

[15] Haslbeck M. Diabetische Neuropathie. Praxis-Leitlinien der Deutschen Diabetes-Gesellschaft 2005.

 


Anschrift für die Verfasser: 

Prof. Dr. med. Siegbert Rossol M. Sc.

Medizinische Klinik, Krankenhaus Nordwest 

Steinbacher Hohl 2 – 26, 60488 Frankfurt am Main 

siegbertrossol@web.de

 

 

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