Arzneimittel und Therapie

Datenlage bei langwirksamen Insulinanaloga unzureichend

Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat die vorläufigen Ergebnisse der Nutzenbewertung von langwirksamen Insulinanaloga zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 veröffentlicht. Auch unter Einbeziehung bisher noch unveröffentlichter Informationen der Hersteller schätzt das IQWiG die Datenlage als unzureichend ein und sieht keine Belege für Vorteile gegenüber Humaninsulin.

Der Vorbericht ist Teil eines umfassenden Auftragspakets des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), mit dem wichtige Therapiemöglichkeiten für Menschen mit Diabetes bewertet werden sollen. Innerhalb von vier Wochen können nun interessierte Personen und Institutionen Stellung nehmen.

Vergleichende Nutzenbewertung

Ziele waren zum einen die Nutzenbewertung einer langfristigen Behandlung mit einem langwirksamen Insulinanalogon (Insulin Detemir [Levemir®] und Insulin Glargin [Lantus®]) im Vergleich zur Behandlung mit einer Zubereitung eines auf Humaninsulin basierenden Verzögerungsinsulins und die vergleichende Nutzenbewertung langwirksamer Insulinanaloga untereinander hinsichtlich patientenrelevanter Therapieziele. Zurzeit stehen für die Insulintherapie des Diabetes Typ 2 im Wesentlichen strukturell unverändertes Insulin (Humaninsulin) und Insulinanaloga zur Verfügung. Als Insulinanaloga bezeichnet man insulinähnliche Moleküle, die auf Basis der Molekülstruktur des Humaninsulins durch eine Modifikation der Aminosäuresequenz entwickelt wurden. Ziel einer solchen Modifikation ist es, eine gegenüber Humaninsulin veränderte Pharmakokinetik herbeizuführen. Daraus könnte z. B. ein schnellerer Eintritt der Wirkung, eine längere oder kürzere Wirkdauer oder eine geringere Wirkspiegelvariabilität resultieren. Kurz wirksame Insulinanaloga sollen schnell anfluten, um die Wirkkurve des natürlichen Insulins zu erreichen.

Langwirksame Insulinanaloga wurden mit dem Ziel einer möglichst gleichmäßigen Freisetzung von Insulin über einen langen Zeitraum entwickelt, um im Vergleich zu den bisherigen konventionellen Verzögerungsinsulin-Präparaten eine längere Wirkdauer und eine geringere Wirkspiegelvariabilität zu erreichen.

IQWiG kritisiert mangelnde Datenlage

Im Rahmen der Nutzenbewertung langwirksamer Insulinanaloga wurde eine systematische Analyse der zur Verfügung stehenden Literatur durchgeführt. Insgesamt wurden 15 Studien mit einer Studiendauer von sechs bis zwölf Monaten eingeschlossen, die alle im offenen Studiendesign durchgeführt wurden. Es lagen acht Studien für den Vergleich von Insulin Glargin vs. NPH-Insulin vor, vier Studien verglichen Insulin Detemir vs. NPH-Insulin und drei Studien verglichen Insulin Detemir vs. Insulin Glargin. Auffällig ist, dass hochwertige Langzeitstudien, die primär den Nachweis eines patientenrelevanten Nutzens zum Ziel haben, vollständig fehlen, obwohl z. B. Insulin Glargin bereits seit mehr als sieben Jahren für die Diabetesbehandlung zugelassen und marktpräsent ist. Deshalb sei es generell nicht möglich, den Langzeitnutzen oder -schaden abzuschätzen, kritisierte das IQWiG. Beide Hersteller langwirksamer Insulinanaloga, die Firma Sanofi Aventis (Insulin Glargin) und die Firma Novo Nordisk (Insulin Detemir), haben sich während der Berichtserstellung bereit erklärt, dem IQWiG zuvor unpublizierte Daten zur Verfügung zu stellen. Teils handelt es sich dabei um noch gänzlich unveröffentlichte Studien, teils um zusätzliche Informationen zu bereits publizierten klinischen Vergleichen.

Langwirksame Insulinanaloga im Vergleich

Im direkten Vergleich Insulin Glargin vs. NPH-Insulin sieht das IQWiG für die in Deutschland angewandte Behandlung im Rahmen einer konventionellen oder intensivierten Insulintherapie aufgrund mangelnder Daten keinen Beleg für einen Zusatznutzen von Insulin Glargin gegenüber NPH-Insulin. Der Langzeitnutzen und -schaden von Insulin Glargin im Vergleich zu NPH-Insulin ist generell nicht ausreichend untersucht. Für einen Zusatznutzen von Insulin Detemir gegenüber NPH-Insulin gibt es aufgrund mangelnder Daten im Rahmen einer konventionellen Insulintherapie keinen Beleg. Auch für die Behandlung im Rahmen einer basalunterstützten Behandlung mit oralen Antidiabetika zeigt sich kein Beleg für einen Zusatznutzen von Insulin Detemir gegenüber NPH-Insulin. Für den Direktvergleich der beiden langwirksamen Insulinanaloga Insulin Detemir und Insulin Glargin sieht das IQWiG aufgrund heterogener Ergebnisse keinen Hinweis auf einen Zusatznutzen für eine der beiden Therapieoptionen. Es zeigten sich in Bezug auf die Zielgröße "unerwünschte Arzneimittelwirkungen" auf der einen Seite mehr Therapieabbrüche und mehr Reaktionen an der Injektionsstelle, auf der anderen Seite jedoch eine geringere Gewichtszunahme unter Insulin Detemir.

Langwirksame Insulinanaloga

In Deutschland sind für die Behandlung des Typ-2-Diabetes die langwirksamen Insulinanaloga Insulin Detemir (Levemir®) und Insulin Glargin (Lantus®) – auch in Kombination mit oralen Antidiabetika – zugelassen.

Insulin Glargin unterscheidet sich von Humaninsulin durch den Austausch der Aminosäure Asparagin an Position 21 der A-Kette gegen Glycin sowie durch zwei zusätzliche Arginin-Moleküle am Ende der B-Kette. Insulin Glargin ist im sauren Milieu löslich, im physiologischen pH des Subkutangewebes kommt es zu einer Neutralisierung, und es bilden sich homogene Mikropräzipitate, aus denen konstant geringe Mengen Insulin freigesetzt werden. Dadurch verzögert sich die Absorption mit einem Wirkeintritt nach zwei bis vier Stunden und einer Wirkdauer von über 24 Stunden. Insulin Glargin soll einmal täglich eingesetzt werden.

Bei Insulin Detemir fehlt im Vergleich zu Humaninsulin die essenzielle Aminosäure Threonin an Position 30 der B-Kette. Zusätzlich ist eine Fettsäure an die Aminosäure Lysin in Position B 29 angelagert. Es bildet sich ein lösliches Hexamer, das nach subkutaner Injektion langsam dissoziiert und reversibel an Albumin bindet. Dies soll die Wirkung weiter verlängern und die Absorption und das Wirkprofil im Vergleich zu NPH-Insulin reproduzierbarer machen. Abhängig von der Dosis wirkt Insulin Detemir bis zu 24 Stunden lang, das Wirkmaximum tritt innerhalb von drei bis vier Stunden bis maximal ca. 14 Stunden nach Injektion ein. Insulin Detemir wird abhängig vom Bedarf des Patienten ein- oder zweimal täglich gegeben. Bei der Kombination mit oralen Antidiabetika wird empfohlen, mit einer einmal täglichen Behandlung zu beginnen.

Aus der geänderten Pharmakokinetik und Pharmakodynamik der langwirksamen Insulinanaloga lassen sich hypothetisch potenzielle Vorteile wie eine stabile, im Tagesverlauf gleichmäßigere Blutzucker senkende Wirkung bei seltenerer Anwendungshäufigkeit ableiten. Dies könnte mit einer gesteigerten Lebensqualität und höheren Behandlungszufriedenheit der Patienten sowie einer höheren Qualität der Blutzuckereinstellung (geringeres Hypoglykämierisiko bei vergleichbarer Blutzuckersenkung) einhergehen.

Nutzen- und Schadenaspekte gegenüberstellen

Ob durch eine gegebenfalls stärkere oder gleichmäßigere Blutzuckersenkung unter langwirksamen Insulinanaloga schwerwiegende kardio-, zerebro- und sonstige vaskuläre Ereignisse, aber auch andere Folgeerkrankungen des Diabetes vermieden werden, schätzt das IQWiG als unklar ein. Höhere Blutzuckerwerte sind in epidemiologischen Untersuchungen mit dem Risiko solcher Folgekomplikationen assoziiert. Dies bedeute jedoch nicht zwangsläufig, dass die Senkung erhöhter Blutzuckerwerte in jedem Fall auch das Risiko von Folgeerkrankungen senkt. Mit unterschiedlichen Wirkstoffen durchgeführte medikamentöse Strategien haben in der Vergangenheit in der Behandlung des Diabetes Typ 2 zu unterschiedlichen Ergebnissen geführt: von einer Risikosenkung hinsichtlich mikrovaskulärer Komplikationen bei deutlicher Blutzuckersenkung über eine deutliche Risikominderung bezüglich makrovaskulärer Ereignisse zwischen den Therapiearmen bis hin zu einer Risikosteigerung in Bezug auf makrovaskuläre Komplikationen bei stärkerer Blutzuckersenkung. Das IQWiG schließt aus diesen unterschiedlichen Ergebnissen auf substanzspezifische nützliche und schädliche Effekte. Der Nutzen hinsichtlich patientenrelevanter Endpunkte lässt sich aus dem Ausmaß der Blutzuckersenkung allein daher nicht direkt ableiten, sondern muss für die einzelnen Substanzen in entsprechenden Studien individuell geprüft werden.

 

Quelle

Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Langwirksame Insulinanaloga zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2. Vorbericht A05-03. Köln: IQWiG; 2008. 

 


ck

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.