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Arzneimittel und Therapie
Dabigatran zur oralen Antikoagulation
Von venösen Thromboembolien ist in Deutschland 1,5 pro 100 Einwohner pro Jahr betroffen. Sie entstehen durch Störungen der plasmatischen Gerinnung und der Fibrinolyse. Dadurch bilden sich im langsamen venösen Blutfluss Fibringerinnsel, so genannte rote Thromben, die sich losreißen und beispielsweise zu lebensgefährlichen Lungenembolien führen können.
Diese Gefahr ist besonders hoch, wenn die Beine lange nicht bewegt werden und das Blut "versacken" kann, wie es zum Beispiel bei längeren Autofahrten oder auch Flugreisen der Fall ist. Nach Operationen können sich die Patienten ebenfalls oft nicht gut bewegen, zusätzlich ist die Blutgerinnung meistens besonders aktiv. Das Risiko für Thromboembolien liegt ohne Antikoagulation bei bis zu 85%. Deshalb ist eine Thromboseprophylaxe nach Operationen heute Standard. Thromben können aber auch durch Herzrhythmusstörungen entstehen, wenn der Blutfluss im Herzen gestört wird, ins Gehirn gespült werden und dort zu Schlaganfällen führen.
Hemmung der Blutgerinnung
Bei der Entstehung venöser Thromben spielt der Gerinnungsfaktor Thrombin eine zentrale Rolle. Thrombin wandelt Fibrinogen in Fibrin um und sorgt über die Aktivierung von Faktor XIII für die Bildung eines stabilen Fibringerinnsels. Außerdem macht es Fibrin auch resistent gegen die Fibrinolyse, die Auflösung des Blutgerinnsels durch das Enzym Plasmin.
Thrombininhibitoren hemmen eine wichtige Stelle in der Gerinnungskaskade und verhindern damit eine verstärkte Blutgerinnung und Thrombusbildung.
Parenteral anwendbare direkte Thrombin-Hemmstoffe sind die Hirudine Lepirudin, Desirudin und Bivalirudin sowie Argatroban. Heparine und ihre synthetischen Derivate werden ebenfalls subkutan gespritzt. Sie verstärken die Wirkung des endogenen Gerinnungshemmers Antithrombin und beschleunigen die Inaktivierung von aktivierten Gerinnungsfaktoren.
Zur Vorbeugung und Behandlung venöser Thromboembolien nach Operationen werden in Deutschland vor allem niedermolekulare Heparine eingesetzt. Dazu gehören Certoparin, Dalteparin, Enoxaparin, Fraxiparin, Reviparin und Tinzaparin. Allerdings besteht bei Heparinen immer die Gefahr einer Heparin-induzierten Thrombozytopenie, weswegen bei der Gabe von niedermolekularen Heparinen eine regelmäßige Überwachung der Thrombozytenzahl empfohlen wird.
Das synthetische Pentasaccharid Fondaparinux ist ein selektiver Faktor-Xa-Hemmstoff. Er wird dreimal täglich subkutan gespritzt und ist in vielen Fällen wirksamer als niedermolekulare Heparine, besser verträglich und sicherer, denn er löst keine Thrombozytopenien aus. In Phase III der klinischen Entwicklung befindet sich das lipophile Analogon Idraparinux, das nur einmal wöchentlich gespritzt werden muss.
Prävention thromboembolischer Ereignisse
Das wichtigste Einsatzgebiet von Thrombininhibitoren ist die Prävention thromboembolischer Ereignisse nach operativen Eingriffen. Niedermolekulare Heparine müssen einmal täglich subkutan gespritzt werden und werden bis zu etwa 30 Tagen nach Operationen verwendet.
Zur Langzeit-Prophylaxe venöser (und auch arterieller) Thromboembolien, zum Beispiel bei Herzrhythmusstörungen, eignen sich Vitamin-K-Antagonisten wie Phenprocoumon. Diese Substanzen können oral eingesetzt werden, sind jedoch schlecht steuerbar und führen zu Interaktionen mit anderen Arzneistoffen.
Neues orales Antithrombotikum Dabigatran
Der erste oral applizierbare direkte Thrombin-Inhibitor war Ximelagatran. Die Substanz wurde 2004 eingeführt, im Jahr 2006 jedoch wieder vom Markt genommen, weil sie Leberschäden verursachen kann.
Das neue Antithrombotikum Dabigatranetexilat ist ebenfalls ein oral applizierbarer direkter Thrombininhibitor. Dabigatran wurde in Dosen von 150 und 220 mg getestet. Das Prodrug Dabigatranetexilat wird sehr schnell vom Körper in den Wirkstoff Dabigatran umgewandelt. Dabigatran wird nicht in der Leber verstoffwechselt und zu 85% über die Nieren ausgeschieden. Bis jetzt hat Dabigatran in keiner Studie leberschädigendes Potenzial gezeigt.
Eine Überwachung der Gerinnungswerte und der Thrombozytenzahl ist nicht notwendig. Deshalb eignet sich Dabigatran gut zur ambulanten Weiterbehandlung.
Thromboembolieprophylaxe nach Operationen
Derzeit wird Dabigatran in der Studie RE-VOLUTION auf Wirksamkeit und Sicherheit in der Prophylaxe und Behandlung verschiedener thromboembolischer Ereignisse untersucht. Das weltweite multizentrische Studienprogramm wird 34.000 Patienten einschließen.
Die umfangreichsten Daten liegen zur Prävention von venösen Thromboembolien nach größeren orthopädischen Eingriffen vor. In den Phase III-Studien RE-NOVATE und RE-MODEL war Dabigatran nach Hüft- und nach Kniegelenkersatz-Operationen bei der Prävention von thromboembolischen Ereignissen vergleichbar wirksam und wies ein ähnlich niedriges Blutungsrisiko auf wie der derzeitige Therapiestandard Enoxaparin. Leberenzymerhöhungen waren in keiner der bisher abgeschlossenen Studien häufiger als mit Enoxaparin.
In der Phase-III-Studie RE-MODEL war Dabigatran in der primären Prävention thromboembolischer Ereignisse nach Kniegelenkersatz Enoxaparin nicht unterlegen. Die Behandlungsdauer betrug sechs bis zehn Tage. Dabei war Dabigatran genauso wirksam wie Enoxaparin und löste nicht häufiger Blutungen aus. Auch waren die Leberenzymwerte vergleichbar häufig erhöht. Auch in der RE-NOVATE-Studie, in der Dabigatran in der primären Prävention thromboembolischer Ereignisse nach Hüftgelenkersatz mit Enoxaparin verglichen wurde, erwies sich Dabigatran als ebenbürtig. Hier war die Behandlungsdauer mit 28 bis 35 Tagen länger. Wieder ergaben sich eine vergleichbare und niedrige Blutungsrate und keine signifikanten Unterschiede in der Rate der schweren Blutungen (1,3, 2,0 und 1,6%). Leberenzymerhöhungen kamen in allen Gruppen gleich häufig vor.
Dabigatran zur Langzeit-Prophylaxe
In der Teilstudie RE-LY wird Dabigatran in der Langzeit-Schlaganfallprophylaxe bei Patienten mit Vorhofflimmern geprüft. Sie wird die umfangreichste Studie des Studienprogramms sein, im Dezember 2007 waren über 18.000 Patienten eingeschlossen, die Ergebnisse werden für 2009 erwartet.
Ende 2007 wurde außerdem die RE-DEEM-Studie in das Programm aufgenommen. Hier werden Sicherheit und Wirksamkeit von Dabigatran in der Sekundärprävention thromboembolischer Ereignisse bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom geprüft, die bereits einen Myokardinfarkt erlitten haben. Als Vergleich wurden die jeweiligen Therapiestandards Enoxaparin oder Warfarin gewählt.
Quelle
Sorbera LA: Dabigatran/Dabigatran etexilate. Drugs Fut 2005;30 (9):877-885.
Eriksson BI, et al.: Dabigatran etexilate versus enoxaparin for the prevention of venous thromboembolism after total knee replacement: the RE-MODEL randomized trial. J. Thromb Haemostas 2007,5:2178 -2185.
Eriksson BI, et al. Dabigatran etexilate versus enoxaparin for prevention of venous thromboembolism after total hip replacement: a randomised, double-blind, non-inferiority trial. Lancet 2007;370:949–56.
Stangier J, et al. The pharmacokinetics, pharmacodynamics and tolerability of dabigatran etexilate, a new oral direct thrombin inhibitor, in healthy mal subjects. Br J Clin Pharm 2007;64:292-303.
Prof. Dr. Harry R. Büller, Amsterdam; Dr. Dr. Andreas Barner, Ingelheim; Prof. Dr. Simon Frostick, Liverpool; Prof. Dr. Dr. P.M. Rommens, Internationales Journalistentreffen venöse Thromboembolie: "Pradaxa® - Innovation in der Antikoagulation”, Ingelheim, 5. März 2005, veranstaltet von Boehringer Ingelheim, Ingelheim.
hel
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