Vitamine

Die Vitamin-D-Gruppe

Noch am Ende des 19. Jahrhunderts litten die Kinder der ärmeren Bevölkerung in Industriestädten bis zu 80% an Knochenverformungen. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die erfolgreiche Behandlung dieser Mangelerscheinung durch Lebertran in Verbindung mit Sonnenlicht (UV-Strahlung) erkannt und angewendet. Zur Gruppe der fettlöslichen D-Vitamine zählen mehrere antirachitisch wirkende Verbindungen mit Steroidstruktur, aus deren Wirkungsmechanismen sich eher die Funktion eines Hormons ableiten lässt.

Biologisch wirksam sind die als Vitamin D2 und D3 bezeichneten Substanzen. Es handelt sich um das Ergocalciferol (D2) in zwei isomeren Formen und um das Colecalciferol (D3). Sie stellen drei- bzw. vierfach ungesättigte Steroidalkohole dar. Die eigentlichen Wirkstoffe sind die davon abgeleiteten HydroxyColecalciferole (Calcidiole) bzw. Dihydroxycolecalciferole (Calcitriole). Diese Derivate des Colecalciferols enthalten weitere Hydroxygruppen in 1- und/oder 25-Stellung. Die beiden Isomeren des Ergocalciferols [1,25(OH)2 Ergocalciferol – D2 ] sind Bestrahlungsprodukte des Ergosterols – daher auch als Provitamin D2 bezeichnet. Das Vitamin D3 [1,25(OH)2 Colecalciferol] ist ein Bestrahlungsprodukt des 7-Dehydrocholesterols. Als Vitamin D1 wird eine Verbindung zwischen Lumisterol und dem Vitamin D2 bezeichnet. Vitamin D4 ist das Bestrahlungsprodukt von 22-Dihydroergosterol. Beide sind biologisch nicht wirksam. Die chemischen Zusammenhänge zeigen, das Vitamin D nach der Definition eigentlich kein Vitamin ist, da es bzw. die wirksamen Verbindungen unter der Einwirkung von Licht aus Cholesterol (synonym: Cholesterin) in der Haut synthetisiert werden können: Es entsteht zunächst das 7-Dehydrocholestrol (Provitamin), aus dem sich unter UV-Strahlung das Prävitamin D3 bildet, das unter Wärmeeinwirkung in das aktive Vitamin D3 übergeht. Heute existieren weitere synthetische Vitamin D-Analoga (zur Behandlung von Störungen der Calcium-Homöostase – siehe weiter unten). Die Vitamine D2 und D3 kristallisieren beide in farb- und geschmacklosen Nadeln, lösen sich in fetten Ölen und organischen Lösungsmitteln und sind empfindlich gegenüber Licht, Sauerstoff und Säuren. Beide Vitamine unterscheiden sich strukturell nur durch eine Doppelbindung und eine Methylgruppe in der Seitengruppe des Sterolgerüstes.

Metabolismus

Die mit der Nahrung aufgenommenen Chole- und Ergocalciferole sowie auch Ergosterol gelangen im Verlauf der Fettverdauung über die dabei gebildeten Micellen in die Epithelzellen des proximalen (zur Körpermitte hin gelegenen) Dünndarms. Die durchschnittliche Resorptionsrate liegt bei 80%. Der anschließende Transport der Calciferole in die Leber (und in die Niere) erfolgt nach dem Einbau in Chylomikronen (über die Lymphe) in der Bindung an ein spezifisch Vitamin D bindendes Plasma-Protein (Abkürzung DBP, früher auch als Transcalciferin bezeichnet). Chylomikronen sind tröpfchenförmige Fettpartikel (mit 0,5 bis 1 Mikrometer Durchmesser), die als Transportmittel im endoplasmatischen Retikulum der Epithelzellen des Darms gebildet werden und veresterte Fettsäuren, fettlösliche Vitamine sowie Arzneistoffe in Blut und Lymphe transportieren. Sie bestehen zu 90% aus Triglyceriden, weiterhin aus Phospholipiden und zu je 2 bis 4% aus Cholesterin und Proteinen. Die in der Leber gespeicherten Vorräte reichen für zwei bis vier Monate. Ausgehend vom Provitamin 7-Dehydro-Cholesterol entsteht in der Haut unter Einwirkung der UV-Strahlung aus dem Sonnenlicht (Bereich 295 bis 315 nm) und bei Körpertemperatur das Colecalciferol. In der Leber erfolgt in einem zweiten Schritt zunächst eine Hydroxylierung am C-25-Atom zum Zwischenprodukt 25-Hydroxycolecalciferol. Hierbei wirkt eine cytochromale P450-Hydroxylase als mischfunktionelle Monooxygenase. Dieses Calcidiol ist die Hauptkomponente der Vitamin-D-Metaboliten im Blut und zugleich ein Indikator für die Vitamin-D-Versorgung. In den Nieren (in den Mitochondrien der proximalen Tubuluszellen) führt eine weitere Hydroxylierung in alpha-Position am C1-Atom der Seitenkette zum 1,25-Dihydroxycolecalciferol (abgekürzt korrekt 1α,25-(OH)2 -D3), dem Calcitriol. In den Nieren sorgt ein weiteres Enzym bei einem Überangebot an 1,25-(OH)2 -D3 für eine Hydroxylierung am C24-Atom und damit zur Inaktivierung. Das aktive 1,25-(OH)2 -D3 (Calcitriol) zirkuliert im Blut proteingebunden (an DBP) und gelangt so zu seinen Wirkorten.

Vitamin-D-Nebenformen sind das synthetische D4 (22,23-Dihydroergosterol), ein Analogon zu D2 (biologische Aktivität um 60%); weitere physiologische Formen sind neben den Phosphatestern von D2 und D3 auch das genannte 25-Hydroxycolecalciferol sowie 5,25-Dihydrocolecalciferol. Zu den aktiven Analoga zählen weiterhin 7-Dehydrosistosterol (D5) und 2-Dihydrostigmasterol (D6).

Funktionen und Mangelsymptome

Im klassischen Sinne liegen die Funktionen des Vitamins D (im Folgenden als Calcitriol verstanden) in der Aufrechterhaltung der Calcium- und Phosphat-Homöostase (Homöostase allgemein als Erhaltung des Gleichgewichtes). Da die biologische Aktivität des Calcitriols auf seiner Bindung an Rezeptoren des Kerns und der Zellmembran beruht, spricht man ihm auch die Funktion eines Hormons zu. So bindet Calcitriol in den Zellkernen an Rezeptoren einer Hormonrezeptoren-Familie, die u. a. auch als Rezeptoren für Retinoide (Vitamin A-Metaboliten) fungieren. Solche Vitamin-D-Rezeptoren (VDR) können als Monomere oder zusammen mit Retinoid-Rezeptoren (RXR) als Heterodimere (VDR/RXR) an Vitamin D-sensitive Gene binden und diese auf diese Weise aktivieren. Dadurch erfolgt dann die Synthese von Vitamin-D-abhängigen Transportproteinen, Enzymen und deren Metaboliten – alle dienen der Steuerung Vitamin-D-abhängiger Stoffwechselprozesse. Die Hauptaufgabe des Calcitriols besteht in der Regulation des Calcium- und Phosphatstoffwechsels in den Zielorganen Darm (hinsichtlich der Resorption), Knochen, wo Mineralisation und Demineralisation stattfinden, Niere mit Reabsorption sowie Ausscheidung und Nebenschilddrüse zur Regulation der Parathormon-Freisetzung.

Am besten untersucht ist die zelluläre Wirkung auf den Calcium-Transport im Darm. Vereinfacht lässt sich der Calciumstoffwechsel wie folgt beschreiben: Der Stoffwechsel insgesamt und damit auch die Konzentration an Calcium im Blut wird durch entgegengesetzt wirkende Hormone geregelt. Sie sorgen für einen konstanten Blut-Calcium-Spiegel. In der Nebenschilddrüse sorgt das Parathormon für eine Zufuhr an Calcium in das Blut, indem es Calcium aus den Knochen mobilisiert. Außerdem wird durch das Parathormon die Resorption aus dem Darm verbessert und auch Calcium, das sich bereits in den Nieren befindet, zurücktransportiert. Hier greift auch das Calcitriol an, das die Wirkung des Parathormons unterstützt. In der Schilddrüse entfaltet das Gegenhormon, das antagonistisch wirkende Calcitonin, seine Wirkung. Es sorgt für eine Senkung des Blut-Calcium-Spiegels durch die Einlagerung von Calcium in die Knochensubstanz. Die Mechanismen auf molekularer Ebene sind bisher noch nicht alle bzw. noch nicht im Detail aufgeklärt (siehe dazu auch in [1,2]).

Über die genannten Funktionen hinaus sind auch weitere nichtkalzämische Funktionen infolge der Bindung an Kernrezeptoren bekannt. So wird im Pankreas durch Calcitriol die Insulinausschüttung beeinflusst. In der Haut bestehen Wirkungen auf das Wachstum und die Zelldifferenzierung. Es wurden auch Rezeptoren für Calcitriol in Zellen des Immunsystems sowie verschiedenster Tumorzellen nachgewiesen, wo durch Calcitriol meistens die Zellproliferation gehemmt wird.

Die bekanntesten Vitamin-D-Mangelerscheinungen führen zu einem Calciummangel und damit bei Säuglingen zu Wachstumsstörungen in Form der Rachitis. Es treten Verformungen von Knochen, vor allem des Brustbeines, von Schädel und Wirbelsäule auf. Bei Erwachsenen wurde ebenfalls eine ungenügende Verkalkung der Knochen beobachtet (als Osteomalazie = Entkalkung der Knochen bezeichnet). Ein Vitamin-D-Mangel spielt auch bei der Entwicklung der Osteoporose mit einem erhöhten Risiko von Wirbelkörper- und Knochenfrakturen eine Rolle.

Vorkommen und Versorgung

Vitamin D3 kommt vor allem in den Leberölen ("Lebertran": 330 µg/100 g) von Meeresfischen vor. In Fischleberölen liegen die Gehalte zwischen 0,17 bis 3,8 mg/100 g (Dorschleberöl mit 210 µg/100 g). Weitere Quellen sind: Räucherhering mit 22 µg/100 g, Lachs in Dosen mit 11 – 12 µg/ 100 g, Eigelb mit 5 – 8 µg/100 g, Schweine- und Rinderleber mit nur 1 – 2 µg/100 g (Kalbs- und Hühnerleber nur 0,2 – 0,3 µg/100 g) sowie Milch mit etwa 0,4 µg/100 g. In Pilzen und Hefen kommt das Provitamin Ergosterol vor, in wild wachsenden Pilzen z. B. mit bis zu 30 µg/100 g Frischgewicht; die entsprechenden Kulturformen weisen in der Regel jedoch nur 1/10 dieses Gehaltes auf. Die Leber von Schlachttieren enthält zwischen 35 und 65 µg/100 an Ergosterol. [3]

Die Vitamine D2 und D3 weisen die gleiche biologische Aktivität auf. 1 IE (Internationale Einheit) entspricht jeweils 0,025 Mikrogramm – 1 Mikrogramm jeder Substanz somit 40 IE. Der tägliche Bedarf hängt infolge der beschriebenen Wirkmechanismen entscheidend von der Dauer und Intensität der UV-Exposition ab – wegen der damit verbundenen exogenen Vitamin-D-Synthese. Unterstellt man eine unzureichende Synthese in der Haut, so werden 5 µg/Tag (400 IE) empfohlen – sowohl für Kinder wie für Erwachsene. 10 µg gelten als ausreichend bei Schwangerschaft und in der Stillzeit. Als Risikogruppen gelten sowohl Kinder im Säuglingsalter, da die Gehalte in Kuh- und auch Muttermilch vor allem in sonnenarmen Zeiten nicht ausreichen, sowie Senioren und Einwanderer aus islamischen Ländern (Frauen mit Verschleierung). Eine Vitamin-D-Prophylaxe wird vor allem für Säuglinge (über die Säuglingsmilchnahrung sowie Tabletten) befürwortet. Zur Prophylaxe werden 12,5 µg/Tag empfohlen. Die tatsächliche Zufuhr liegt je nach Alter bei Frauen zwischen 2,0 und 3,7 µg/Tag, bei Männern zwischen 2,2 und 6,1 µg/Tag. [4] Nach der Diät-Verordnung des Deutschen Lebensmittelrechtes [5] sind als Zusatzstoffe "Vitamin D3 (Colecalciferol) und Vitamin D2 (Ergocalciferol)

a) bei diätetischen Lebensmitteln, die zur Verwendung als Mahlzeit oder anstelle einer Mahlzeit oder als Tagesration für kalorienarme Ernährung zur Gewichtsverringerung bestimmt sind, insgesamt bis zu 1,6 Mikrogramm pro Mahlzeit und bis zu 5 Mikrogramm pro Tagesration, berechnet als Calciferol,

b) bei Margarine- und Mischfetterzeugnissen insgesamt bis zu 25 Mikrogramm pro Kilogramm berechnet als Calciferol,

c) für Säuglingsflaschennahrung insgesamt bis zu 15 Mikrogramm pro Liter des verzehrfertigen Erzeugnisses, berechnet als Calciferol, zugelassen. Für die Anfangsnahrung aus Kuhmilchproteinen werden nach Anlage 10 der DiätVO [5] je 100 kJ mindestens 0,25 µg und höchstens 0,65 µg ("Amtl. Anm. In Form von Colecalciferol, davon 10 µg = 400 IE Vitamin D") festgelegt.

Literatur

[1] Biesalski, Hans Konrad u. Peter Grimm: Taschenatlas der Ernährung, Thieme, Stuttgart, 3. Aufl.

[2] Schwedt, Georg: Serie Mineralstoffe – Calcium, DAZ 145 (Nr. 24, S. 69/70), 3537 – 3538; Phosphor, DAZ 145 (Nr. 32, S. 48 – 49), 4398 – 4399

[3] Ternes, W. et al. (Hrsg.): Lexikon der Lebensmittel und der Lebensmittelchemie, Wiss. Verlagsges., Stuttgart, 4. Aufl.

[4] Hahn, Andreas: Nahrungsergänzungsmittel, Wiss. Verlagsges., Stuttgart 2006

[5] Meyer, Alfred Hagen (Hrsg.): Lebensmittelrecht. EG-Lebensmittel-Basisverordnung. Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch mit den wichtigsten Diätvorschriften, dtv, München 2. Aufl.

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. Georg Schwedt, Landsberger Str. 29, 53119 Bonn

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