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Der Fall Hecken/DocMorris
DocMorris-Fremdbesitz-apotheke darf vorläufig weiterbetrieben werden
SAARBRÜCKEN (ks/cr). DocMorris darf seine Vor-Ort-Fremdbesitzapotheke in Saarbrücken vorläufig wieder öffnen. Dies entschied das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes am 22. Januar. In zwei Beschlüssen gab es den Beschwerden des saarländischen Ministeriums für Justiz, Gesundheit und Soziales und der niederländischen Kapitalgesellschaft statt und wies die Anträge von insgesamt vier Apothekern auf vorläufige Aussetzung der Erlaubnis zum Betrieb der DocMorris-Filiale zurück. Eine endgültige Entscheidung wird allerdings erst im Hauptsacheverfahren fallen.
(Oberverwaltungsgericht des Saarlandes, Beschlüsse vom 22. Januar 2007, Az.:: 3 W 14/06 und 3 W 15/06)
In den Eilverfahren hat das Oberverwaltungsgericht die entscheidende Frage, ob die niederländische Kapitalgesellschaft, die in den Niederlanden eine Apotheke betreibt, auch eine Apotheke in Deutschland unterhalten darf, bejaht. Ihre Gründe legen die Richter auf 64 Seiten dar. Unstreitig verletze die Erteilung der Apothekenbetriebserlaubnis zwar das im deutschen Apothekengesetz verankerte Fremdbesitzverbot. Das Gericht kam in seiner summarischen Entscheidung jedoch zu dem Ergebnis, dass die europäische Niederlassungsfreiheit (Art. 43 EGV) sich gegen das deutsche Fremd- und Vielbesitzverbot durchsetze. Nach Art. 48 EG-Vertrag genießen auch Kapitalgesellschaften der EG in dem gesamten Bereich der Europäischen Gemeinschaft Niederlassungsfreiheit. Diese Grundfreiheit sei untrennbar mit der europäischen Einheit verbunden. Sowohl der Europäische Gerichtshof (EuGH) als auch das Bundesverfassungsgericht hätten den Vorrang des Europarechts anerkannt – deshalb setze sich im konkreten Fall Europarecht durch. Kein Problem sahen die Richter darin, dass das Hecken-Ministerium die Bestimmungen des deutschen Apothekenrechts ignorierte und sich bei der Erteilung seiner Betriebserlaubnis unmittelbar auf europäisches Recht stützte, ohne die komplexe Rechtslage zunächst gerichtlich überprüfen zu lassen. Nach der Rechtsprechung des EuGH und des Bundesverwaltungsgerichts müssten sich Behörden europarechtskonform verhalten, wenn nationales Recht mit vorrangigem Gemeinschaftsrecht kollidiere.
Die Verwaltungsrichter folgten dem Ministerium und DocMorris in ihrer Auffassung, dass das sogenannte Optiker-Urteil des EuGH vom 21. April 2005 zur Beurteilung der Frage der Europarechtswidrigkeit herangezogen werden kann. In dieser Entscheidung hatte der EuGH für Optikergeschäfte in Griechenland entschieden, dass das dort geltende nationale Fremdbesitzverbot im Widerspruch zur europäischen Niederlassungsfreiheit von Kapitalgesellschaften steht. Wegen des hohen Rangs der Niederlassungsfreiheit und der Gleichheit der Problemlage sei dieses Urteil auch auf Apotheken übertragbar, heißt es in dem Urteil. Die Richter verweisen darauf, dass Verbote der Niederlassungsfreiheit nach der europäischen Rechtsprechung nur aus zwingenden Gründen möglich seien. Solche zwingenden Gründe sehen sie im vorliegenden Fall nicht gegeben. Bestehenden Gesundheitsgefahren bei der Abgabe von Medikamenten könne man auch durch qualifiziertes Personal vorbeugen – ein Gesundheitsschutz allein durch die Rechtsform der Apotheke leuchte hingegen nicht ein. Auch bestehende Kommerzialisierungsgefahren rechtfertigten kein Fremdbesitzverbot. Ihnen sei gegebenenfalls durch Kontrollen zu begegnen, nicht aber durch ein Niederlassungsverbot für Kapitalgesellschaften.
Bis zur Hauptsache-entscheidung können Jahre vergehen
Eine Vorlage der Rechtsfrage an den EuGH war dem Oberverwaltungsgericht im Eilverfahren rechtlich nicht möglich. Dies wird nun voraussichtlich im Hauptsacheverfahren erster Instanz beim Verwaltungsgericht geschehen. Bis der Europäische Gerichtshof seine Entscheidung getroffen hat, können Jahre vergehen. Bis dahin darf die Saarbrücker DocMorris-Fremdbesitzapotheke weiterbetrieben werden. Die Entscheidung des OVG ist unanfechtbar.
Freude bei DocMorris und Hecken
"Wir freuen uns über die Wiedereröffnung und den gesunden Wettbewerb", kommentierte DocMorris-Chef Ralf Däinghaus die Beschlüsse des Oberverwaltungsgerichts. DocMorris-Rechtsanwalt Thomas J. Diekmann begrüßte "den Mut des Oberverwaltungsgerichts des Saarlands in einer so emotionsgeladenen Sache eine auf das Europarecht gestützte Entscheidung zu treffen". Auch der saarländische Gesundheits- und Justizminister Josef Hecken (CDU) zeigte sich über die Entscheidung erfreut und in seiner Rechtsauffassung bestätigt. Er bezeichnete den Beschluss als "einen bedeutenden historischen Schritt für den Arzneimittelhandel und die Arzneimittelversorgung in Deutschland".
ABDA: Schritt in die falsche Richtung
Für ABDA-Präsident Heinz-Günter Wolf ist die Entscheidung hingegen "ein Schritt in die falsche Richtung". Das deutsche Gericht ebne mit ihr "den Weg für ein rein dem Kapital verpflichtetes Apothekenwesen." Es spreche Deutschland und den Mitgliedstaaten der EU die Möglichkeit ab, Betriebsformen präventiv zu verbieten, die überwiegend an Investoreninteressen orientiert sind. Nachteilige Folgen für die Arzneimittelberatung und -versorgung werden nicht ausbleiben, sagte Wolf. Sollte es überdies richtig sein, dass sich die Verwaltung unter Berufung auf ihre individuelle Interpretation europäischen Rechts jederzeit über deutsches Recht hinwegsetzen könne, dürfte auch die Rechtssicherheit in Deutschland nachhaltig Schaden nehmen, fürchtet der ABDA-Präsident.
Unverständnis bei Kammern und Verbänden
Kritisch äußerten sich auch Kammern und Verbände. Für Dr. Günther Hanke, Präsident der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg, wird mit dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts "erneut die europarechtliche Dimension des Falles DocMorris überstrapaziert". Er betonte, dass die Erteilung der Betriebserlaubnis an die holländische Kapitalgesellschaft auch weiterhin gegen deutsches Recht verstoße. Folge man den Ausführungen des Gerichtes könne künftig jeder Landesminister und jeder Behördenleiter deutsche Gesetze interpretieren und umgehen, wenn ihm europäische Regelungen besser gefallen. Dieser Rückgriff auf Brüssel führe zu einem "Rückfall in die Kleinstaaterei", so Hanke. Mit "völligem Unverständnis" reagierte auch der Landesapothekerverband Baden-Württemberg (LAV): "Das heutige Urteil ist ein Skandal, denn wieder einmal werden wackelige europäische Rechtsnormen herangezogen, um ein Urteil zu begründen und eine sinnvolle deutsche Rechtsnorm in Grund und Boden zu liberalisieren", erklärte LAV-Geschäftsführerin Ina Hofferberth. Sie verwies darauf, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen sei. Die Rechtslage sei nicht so eindeutig, wie es nach dem Richterspruch scheinen mag. Dies zeigten nicht nur die unterschiedlichen Urteile deutscher Gerichte, sondern auch verschiedene Rechtsgutachten, die in der Sache zu völlig unterschiedlichen Empfehlungen kommen.
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