Arzneimittel und Therapie

Restless-Legs-Syndrom: Wenn die Beine keine Ruhe halten

Schlafprobleme, eine ausgeprägte Tagesmüdigkeit, Antriebsschwäche, Konzentrationsstörungen, Reizbarkeit und eine nachlassende Leistungsfähigkeit –  bei solchen Beschwerden wird oft nicht an die Möglichkeit einer neurologischen Erkrankung gedacht. Das Restless-Legs-Syndrom, das genau solche Symptome hervorrufen kann, wird daher oft nicht erkannt oder fehldiagnostiziert. Das "Syndrom der unruhigen Beine" ist eine weit verbreitete Störung und dennoch in der Öffentlichkeit wenig bekannt.

Die Probleme beginnen oft schon in der Kindheit: Als "hibbelig" werden Kinder bezeichnet, die ihre Füße kaum still halten können und immer in Bewegung sind. Die Kinder gelten als schwierig und nicht selten wird sogar ein Hyperaktivitätssyndrom diagnostiziert. So manchem Kind aber tut man mit dieser Diagnose unrecht. Denn hinter der vermeintlichen Unruhe und Überaktivität kann sich eine chronische neurologische Erkrankung, das sogenannte Restless-Legs-Syndrom (RLS) verbergen. Die Störung ist weit verbreitet, verläuft progredient und beginnt tatsächlich bei vielen Betroffenen bereits im Kindes- und Jugendalter.

Fehldiagnosen sind häufig

Die Beschwerden werden dann aber meist noch nicht als krankhaft erkannt und auch in späteren Jahren gilt es nicht als pathologisch, wenn Erwachsene keine Oper und kein Theater besuchen mögen und lange Autofahrten ebenso wie Langstreckenflüge meiden. Zum Arzt gehen die Betroffenen meist erst, wenn die rastlosen Beine den Schlaf stören, sich chronische Schlafprobleme manifestieren und mit ihnen die Konsequenzen des Schlafdefizits wie eine ausgeprägte Tagesmüdigkeit, Konzentrationsstörungen sowie Nervosität und eine hohe Reizbarkeit. Dann aber werden in der Praxis primär nicht die unruhigen Beine sondern die Schlafstörungen beklagt. Das RLS wird deshalb oft nicht erkannt und wegen der vielen Schlafunterbrechungen nicht selten für eine Schlaf-Apnoe gehalten oder sogar als Hysterie, als Modekrankheit oder als Erfindung der Pharmaindustrie abgetan. "Es handelt sich aber keinesfalls um eine Modekrankheit, sondern um eine ernstzunehmende neurologische Erkrankung, was leider bislang von vielen Ärzten noch nicht ausreichend realisiert wird", monierte Prof. Dr. Birgit Högl aus Innsbruck beim 11. Kongress der Europäischen Neurologischen Gesellschaften in Brüssel.

"Es ist, als perle Sekt durch die Venen"

Dass der Leidensdruck beim Restless-Legs-Syndrom zum Teil enorm hoch ist, machte dort eine Patientin deutlich: "Sobald ich abends zur Ruhe komme, habe ich in den Beinen das Gefühl, als setze man mir ununterbrochen kleine Elektroschocks", so beschrieb sie die Missempfindungen, die ihr allabendlich zusammen mit einem massiven Bewegungsdrang einen erholsamen Schlaf unmöglich werden lassen. Andere Patienten berichten von einem Gefühl, als liefen Ameisen die Beine hoch und runter, wieder andere beschreiben die Empfindungen in den Beinen so "als perle Sekt durch die Venen". Nicht immer treten solche Phänomene in jeder Nacht auf. Die Beschwerden können vielmehr intermittierend zum Problem werden und dabei sogar für Monate und Jahre ganz verschwinden, ehe sie erneut einem erholsamen Schlaf entgegen stehen.

Rund 3% der Bevölkerung zwischen 30 und 70 Jahren leiden aktuell unter einem Restless-Legs-Syndrom, die Lebenszeit-Prävalenz wird von den Experten mit etwa 10% angegeben. Frauen sind dabei doppelt so häufig betroffen wie Männer, der Grund für diese Diskrepanz ist nicht bekannt.

Die Ausprägung der Symptomatik kann nach Priv-Doz. Dr. Juliane Winkelmann, München, stark variieren: "Sie kann von einfachen Beeinträchtigungen der Befindlichkeit reichen bis zu massiven Störungen mit erheblichem Leidensdruck", berichtete die Neurologin. Rund ein Drittel der Patienten weist dabei eine moderate bis schwere und damit eine eindeutig therapiepflichtige Erkrankung auf.

Diagnostik mit einfachen Fragen

Da das führende Symptom die Schlafstörung ist, muss bei entsprechender Symptomatik immer auch an die Möglichkeit eines RLS gedacht werden. Ob tatsächlich rastlose Füße für die Schlafproblematik verantwortlich sind, lässt sich anhand einfacher Fragen klären. Denn das Restless-Legs-Syndrom ist charakterisiert durch vier Minimalkriterien:

  • Bewegungsdrang in den Beinen, der gewöhnlich begleitet ist von Missempfindungen. Es können zusätzlich auch die Arme und andere Körperregionen betroffen sein.
  • Der Bewegungsdrang wie auch die Missempfindungen beginnen oder verschlechtern sich während Ruhephasen.
  • Bewegungsdrang und Missempfindungen werden durch Bewegung wie Gehen und Laufen teilweise oder vollständig gebessert.
  • Der Drang, sich zu bewegen, ist ebenso wie die unangenehmen Empfindungen in den Beinen abends oder nachts schlimmer als während des Tages oder tritt ausschließlich in den Abend- und Nachtstunden auf.

Zusätzliche Kriterien können die Diagnose bekräftigen: Dazu gehört eine positive Familienanamnese sowie das Ansprechen auf eine dopaminerge Therapie. Die Patienten reagieren auf die Gabe von L-Dopa in aller Regel mit einer deutlichen Symptombesserung, was als sogenannter L-Dopa-Test praktisch zur Diagnosesicherung herangezogen wird.

Umgekehrt können Wärme und körperliche Erschöpfung das verstärkte Auftreten von RLS-Symptomen provozieren ebenso wie Kaffee, Tee und individuell auch bestimmte Nahrungs- und Genussmittel. Auch Medikamente können die Erkrankung triggern. Das ist bekannt von den klassischen Neuroleptika sowie von den tri- und tetrazyklischen Antidepressiva und auch von den selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) sowie von Antiemetika. Die neurologische Untersuchung ist meist unauffällig, allerdings ist bei RLS-Patienten eine hohe psychische Komorbidität auffällig. Symptome wie eine niedergedrückte Stimmung, Antriebsstörungen und eine erhöhte Grübelneigung können auf die Schlafstörung zurückgeführt werden. Unabhängig davon aber leiden knapp 5% der Betroffenen zugleich unter Panikattacken, 3,5% unter einer generalisierten Angst und 2,6% der RLS-Patienten entwickeln manifeste Depressionen.

Störung des Dopaminstoffwechsels

Die konkrete Pathophysiologie des Restless-Legs-Syndroms ist noch unbekannt, strukturelle Veränderungen des zentralen Nervensystems wurden bislang nicht beschrieben. Zusammenhänge aber werden gesehen mit einer distinkten Funktionsstörung des zerebralen Eisenstoffwechsels, die eine Störung der dopaminergen Funktion nach sich zieht. Die Erkrankung entwickelt sich in aller Regel auf einem genetischen Hintergrund, wobei inzwischen drei verschiedene Genorte identifiziert wurden, die mit der Erkrankung assoziiert sind. Es ist ferner jüngst gelungen, eine Mutation, die das RLS triggert, konkret dingfest zu machen. Sie scheint bei der Entwicklung der Extremitäten eine wichtige Rolle zu spielen, so dass es sich, so die aktuellen Hypothesen, beim Restless-Legs-Syndrom möglicherweise um eine erbliche Störung in der Entwicklung des Nervensystems handelt. In rund jedem zweiten Fall steht nach derzeitiger Kenntnis die genetische Prädisposition im Vordergrund.

Allerdings gibt es auch sekundäre RLS-Formen. Dazu gehören "rastlose Beine" infolge einer Urämie sowie bei einer Eisenmangelanämie und das Restless-Legs-Syndrom in der Schwangerschaft. Ein RLS kann außerdem assoziiert sein mit anderen neurologischen Erkrankungen wie einer Polyneuropathie, der multiplen Sklerose oder dem Morbus Parkinson.

Begrenzte medikamentöse Therapiemöglichkeiten

Eine Indikation zur medikamentösen Therapie besteht beim Restless-Legs-Syndrom immer dann, wenn Bewegungsdrang und Missempfindungen einen ausgeprägten subjektiven Leidensdruck erzeugen. Da es sich analog der Situation beim Morbus Parkinson um eine Bewegungsstörung handelt, die durch eine Störung des Dopaminstoffwechsels bedingt ist, ist eine dopaminerge Behandlung folgerichtig. Es handelt sich hierbei aber um eine rein symptomatische Therapie. Abhängig vom Schweregrad der Symptomatik ist entsprechend der Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie zwischen einer Therapie mit L-Dopa und einem Dopaminagonisten abzuwägen. In Deutschland sind derzeit zwei Wirkstoffe zur Behandlung des Restless-Legs-Syndroms zugelassen: Levodopa in Kombination mit dem Dopa-Decarboxylasehemmer Benserazid (Restex® , Restex® retard) sowie der non-ergoline Dopaminagonist Pramipexol (Sifrol®). Für Pramipexol, das für die Behandlung des mittelgradigen bis schweren Restless-Legs-Syndroms zur Verfügung steht, liegen Studien vor, in denen es den Bewegungsdrang wie auch die Missempfindungen in den Beinen deutlich bessert. Parallel dazu besserten sich auch die Schlafstörung und die eingeschränkte Lebensqualität der Patienten. Kontrollierte Studien haben auch die Wirksamkeit von Ropinirol (Requip®) gezeigt, das bisher zur Behandlung der Parkinson-Krankheit eingesetzt wird. Auch für andere Dopaminagonisten wie Pergolid, Cabergolin und Rotigotin konnten ebenfalls Wirksamkeit und Verträglichkeit beim Restless-Legs-Syndrom nachgewiesen werden.

Quelle

Restless Legs Syndrom (RLS) und Periodic Limb Movement Disorder (PLMD). Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, Stand 2005.

Prof. Dr. Birgit Högl, Innsbruck; Dr. Juliane Winkelmann, München: "Dispelling the Mystery Behind Restless Legs Syndrom”, 11th Congress of the European Federation of Neurological Societies (EFNS), Brüssel, 27. August 2007, veranstaltet von der Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG, Ingelheim.

Christine Vetter, freie Medizinjournalistin
Foto: Hoffmann-La Roche
Restless-Legs-Syndrom Diese Diagnose wird anhand der klinischen Symptome Bewegungsdrang der Beine und Missempfindungen, die in Ruhe und Entspannung auftreten und sich durch Bewegung bessern, gestellt. Therapie erster Wahl ist die Behandlung mit L-Dopa und Dopaminagonisten.

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